36

Vielleicht sind sie ins Kino gegangen. Vorher hatten sie noch eingekauft, mein Vater in seiner Jeanslatzhose, die mit Lack und Mennige beschmiert war, meine Mutter sicher in einem leichten Kleidchen, wenn man bedenkt, dass Sommer gewesen sein muss, Spätsommer, wenn ich richtig gerechnet habe, Kino und dann Abendessen, beziehungsweise Kino und dann nach Hause, Nachtmenschen waren sie nämlich nie, vielleicht sind sie auch nirgendwohin gegangen, sondern den ganzen Abend zu Hause geblieben und haben sich Sketche von Carlo Verdone angeschaut oder einen Film mit John Wayne – mein Vater war verrückt nach John Wayne, meine Mutter weniger, aber sie hat sich neben ihn aufs Sofa gesetzt und ist eingeschlafen, vielleicht hat alles dort begonnen, auf dem Sofa, ein Kopf an eine Schulter gelehnt, eine Hand auf einem Schenkel, und dann, eins ergibt das andere, und siehe da. Es interessiert mich wirklich brennend: Was haben meine Eltern an jenem Tag gemacht, bevor sie mich gezeugt haben?

»Herr Anwalt?«

Ich muss sie bei Gelegenheit danach fragen.

»Herr Anwalt?«

Wer weiß.

»Herr Anwalt Campi …«, wiederholt Boraletti verärgert.

»Ja?«, antworte ich und reiße die Augen auf.

»Ich muss doch um ein wenig Aufmerksamkeit bitten. Meine Frage lautet: Bist du einverstanden?«

»Na klar. Sicher doch, würde ich sagen.« Ich schaue zu Giuseppe hinüber, um in seinen Augen Bestätigung zu finden. Dann widme ich mich wieder meinen Gedanken, während sich Boraletti erneut in das Wirrwarr seiner Argumente stürzt.

Die Mannschaft von Meyon & Tolsen ist erst vor einer Stunde gelandet. Sie hatten schon am Kristalltisch in dem Sitzungssaal gesessen, den das Hotel uns zur Verfügung stellte, hatten gegähnt und ihre knirschenden Knochen gestreckt, als wir von der Mall of the Gods zurückkamen. Donato riss die Tür auf und fuchtelte mit der Hand herum.

»Tausendsechshundert Euro. Da sag mal einer, dass das kein Schnäppchen ist. Eine Rolex Daytona für tausendsechshundert Euro. Da sprechen doch die Fakten für sich.«

Boraletti deutete aus der Mitte seiner Mannschaft heraus einen Gruß an, schien aber wenig überzeugt und blieb stur an seinem Stuhl kleben. Zu seiner Rechten saß ein hagerer Typ – ein gewisser Nathan –, der wie ein goldbraun geröstetes Toastbrot im rechten Moment hochsprang und sich dann als der Chef von irgendetwas vorstellte, das niemand verstand, weil jeder damit beschäftigt war, sich nach der Begrüßung die Hand abzuwischen. Links von Boraletti gab sich eine wunderschöne Frau keinerlei Mühe, ihre Beine zu verstecken, und ich konnte nicht umhin, sie durch den Kristalltisch hindurch einer Reihe prüfender Blicke zu unterziehen. Ich lächelte, dann schluckte ich, dann lächelte ich wieder, während Cardellini sich zu ihr hinabbeugte und sagte: »Du bist Emily, nicht wahr? Cardellini, angenehm.«

»Cardellini und wie weiter?«, fragte Emily.

Cardellini stutzte einen Moment.

»Ja richtig. Äh …Valerio. Valerio Cardellini.«

»Valerio?«, mischte ich mich ein. »Du heißt Valerio? Unglaublich. Du hast also einen Vornamen. Schau mal einer an.Valerio. Valerio Cardellini.«

»Andrea«, murmelte Emily vorwurfsvoll und kniff mich in den Arm. »Wie geht es dir?«

Ihre Frage begleitete sie mit zwei Küsschen, und ich spürte, dass ich unter den fragenden Blicken von Giuseppe und Donato rot wurde. Dass sie sich mit den Ellbogen anstießen, entging mir keineswegs.

»Gut«, antwortete ich. »Gut, so weit. Ich … Ich konnte es kaum erwarten …« Und während ich noch nach den richtigen Worten suchte, spürte ich Giuseppes Hand auf meiner Schulter und sah Emily forthuschen, bevor Giuseppe sie auch noch an sich drücken würde.

»Da sind sie ja immer noch alle beide«, sagte Giuseppe mit einem wohlgefälligen Lächeln. »Wie schön es doch ist, diese jungen, karrierebewussten Leute zu sehen. Da erzähl mir noch mal einer etwas von einer Wertekrise. Von wegen. Ich sehe euch und …«, er schüttelte den Kopf, »… bin gerührt. Auf, auf, wischen wir alle Zweifel beiseite und greifen wir nach der Zukunft.«

Traditionsgemäß eröffnet Boraletti die Sitzung mit einer langen Ansprache, deren Idiom vermutlich den Kebab-Buden der Londoner Vororte abgelauscht ist. Er quält sich nicht unerheblich mit dem Balanceakt zwischen seinen juristischen Höhenflügen und den heiklen Erfordernissen der englischen Sprache, nach welcher die Anwesenheit von Rashid und Nathan verlangt. Tatsächlich erstickt Rashid alle möglichen Ambitionen bereits im Keim. Ein paar Sekunden lang hört er schweigend zu, dann wird seine Miene verdrießlich, schließlich schüttelt er den Kopf und spuckt ein Sorry? aus, das Boraletti buchstäblich erzittern lässt.

»U like, äh, Udine«, sagt Boraletti. »N like Napoli, F like Firenze …«

Die Sitzung verläuft ohne große Überraschungen.

Zeus Investments: Donato ist seit Rashids Erscheinen wie abwesend, murmelt vor sich hin und dreht am Ziffernblatt seiner Uhr, ein unheimliches Schnurren, das die gesamte Sitzung begleitet. Giuseppe verlässt ständig den Raum, weil er angeblich dringende Telefonate zu erledigen hat. Cardellini macht sich wie ein Verrückter Notizen und kaut auf seinen Lippen herum. Tiziano benimmt sich wie ein Schüler auf einem Klassenfoto und rührt sich nicht.

Meyon & Tolsen: Boraletti gibt sich weiterhin international, benutzt komplizierte Wörter, die er dank der willkürlichen Verteilung von Betonungen entstellt, sagt yeah, yeah, sobald ihn jemand unterbricht, und hebt gelegentlich die Hände, um Gänsefüßchen in die Luft zu malen. Nathan folgt der Sitzung aufmerksam und rollt seine bordeauxfarbene Krawatte mit den grünen Streifen auf. Der Ingenieur Carugato präsentiert auf Verlangen Grafiken, Statistiken und Tortendiagramme. Emily spielt mit einem kleinen Stoffelch.

Rashid ist es, der meine Neugierde erregt. Nachdem der gefürchtete Verhandlungspartner zunächst ein gewaltiges Aggressionspotential signalisiert hatte, sitzt er nun ruhig in der Ecke, hat die Hände unter die Achseln geschoben und hält seine lebhaften Augen unentwegt auf Boraletti gerichtet.

»Lasst uns einen Moment zur condition precedent zurückkehren«, sagt der soeben und wechselt unvermittelt ins Italienische. »Klausel vier Punkt fünf römisch zwei klein f. Nathan hat mich richtigerweise darauf hingewiesen, dass man das Wird derart geregelt, dass durch ein Tut alles dafür, dass ersetzen müsste …«

»Reasonable …«, fällt Nathan ihm ins Wort. »Reasonable effort

»Korrekt – thank you, Nathan –, also durch ein Tut alles sinnvollerweise Erwartbare dafür, dass undsoweiterundsofort. Das erscheint mir angemessener. Es wäre ein wenig übertrieben zu denken, dass man uns eine solche Verpflichtung aufbürden könnte.«

»Einen Augenblick mal, Franco«, sage ich und lege die Hände in einer Weise auf den Tisch, die ich für professionell halte. »So verwandeln wir aber die Verpflichtung zu einem Ergebnis in eine Verpflichtung zu bestimmten Mitteln.«

»Korrekt. Ich sage es noch einmal: Ein anderes Vorgehen würde mir übertrieben vorkommen.«

Ich öffne die lindgrüne Mappe und fange an zu blättern. Zwischen kommentierten Fotokopien, karierten Blättern voller Notizen und Zetteln, die aus Blöcken herausgerissen wurden, finde ich die Seite, die ich gesucht habe.

»Nein, Franco, warte. Diese Klausel hatten wir bereits beschlossen. Die Überlegungen waren genau dieselben, daran erinnere ich mich noch gut, und am Ende haben wir die Verpflichtungen eurer Bank präzisiert. Allerdings hatten wir die Klausel als Verpflichtung zu einem Ergebnis verstanden. Das habe ich mir auch aufgeschrieben. Hier.« Ich wedle mit einer verknitterten Seite. »Uns interessiert nicht das Bemühen, uns interessiert das Resultat

»Aber Nathan hat richtigerweise …«, versucht Boraletti einzuwenden.

»Nathan«, unterbreche ich ihn, »hat zur Kenntnis zu nehmen, an welchem Punkt wir bei den Verhandlungen angekommen sind. Wenn wir uns auf so etwas einlassen, Franco, stehen wir irgendwann wieder ganz am Anfang.«

Während ich noch rede, bemerke ich, dass sich Rashid auf seinem Stuhl windet, als würde irgendetwas in ihm nach außen drängen. Plötzlich steht er auf und kommt auf mich zu. Der Ingwergeruch wird unerträglich.

»What?«, zischt er.

Ich erläutere den Punkt und fasse zusammen, was Boraletti fordert, was Nathan befürchtet und was wir in Mailand beschlossen haben, und während ich noch rede, verwandelt sich Rashids Gesichtsausdruck in eine Maske der Verächtlichkeit. Lautstark zieht er durch die Nase Luft ein und setzt mühsam seine Körpermassen in Bewegung, bis er am anderen Tischende die angespannte Miene von Boraletti in den Blick bekommt.

»You«, schreit er und zeigt mit dem Finger auf ihn. »Never, never, never.« Die Schreie hallen im Raum wider. Dann holt Rashid aus dem Stifthalter vor mir einen goldfarbenen Bleistift, klemmt ihn zwischen Zeige- und Mittelfinger, knallt mit der Hand auf die Tischplatte und bricht ihn in der Mitte entzwei. Emily rollt entgeistert mit ihrem Stuhl zurück und wechselt mit Nathan einen Blick. Boraletti ist bleich und klammert sich an die Armlehnen. Donato möchte jetzt nicht mehr außen vor bleiben und wendet sich mit neu erwachten Lebensgeistern an mich.

»Er hat Recht«, murmelt er. »Natürlich hat er Recht.« Pause. »Auch wenn das Ganze, wenn ich das mal so sagen darf, ein vollkommener Blödsinn ist. Als würden wir einem Elefanten einen runterholen. Wird derart geregelt, dass … Tut alles sinnvollerweise Erwartbare dafür, damit nicht … Das kann uns doch am Arsch vorbeigehen.« Er wendet sich an Nathan: »Do you understand? Einem Elefanten einen runterholen. Masturbating the elephant.« Dann bewegt er die ausgestreckten Arme auf und ab, als würde er eine Kanone polieren.

Nathan schaut zu Boraletti hinüber, der von Rashids Auftritt wie versteinert ist und keinen Mucks mehr tut, dann schaut er zu Emily hinüber, die ungläubig mit den Augen klimpert, schließlich schaut er mich an. Ich schüttle den Kopf: hat nichts zu bedeuten, Redensarten, italian idioms. In der Zwischenzeit hat Rashid mich bei der Hand gepackt, mit der anderen greift er nach einem Zipfel von Donatos Jackett und zieht uns in Richtung Tür. Die Delegation von Zeus Investments verlässt den Saal. Die erste Verhandlungsrunde ist beendet.

37

Essenszeit. Groll und Feindseligkeiten sind wie weggeblasen durch einen Appetit, der verbindet und zu Brüdern macht. Fern von Rashid ist Donato wieder ganz der Alte, heiter, überschäumend und stets geneigt, seiner gehobenen sozialen Stellung ungeniert Ausdruck zu verleihen. Im Namen von Zeus Investments hat er ein Essen organisiert, um alle Gäste auf Dienstreise, einschließlich jene von Meyon & Tolsen, offiziell willkommen zu heißen. Um acht Treffen im Foyer. In vier Taxen legen wir kaum mehr als zweihundert Meter zurück. Dann werden wir mit ebenso vielen Karts über eine Landzunge befördert, die sich ins Meer hinauszieht und an einem kugelförmigen Restaurant in einer großen künstlichen Klippe endet.

Ich lasse Emily nicht aus den Augen. Einen Kellner scheuche ich fort, damit ich mich höchstpersönlich um ihren Stuhl kümmern kann, aber erst als sie Platz nimmt, merke ich, dass Donato und Cardellini sie umzingelt haben und sich nun rechts und links von ihr niederlassen. Cardellini gießt ihr Wasser ein. Donato reicht ihr die Speisekarte und sagt ein paar Worte auf Französisch, die ich nicht verstehe.

Ich zwinge mich dazu, Gleichgültigkeit zu simulieren, und nehme ebenfalls an dem großen runden Tisch Platz. Donato inspiziert die Krustentiere im Aquarium in der Saalmitte und zeigt auf einzelne Exemplare, ohne dass der Kellner die Richtung immer so schnell nachvollziehen könnte.

»Den da, dann den da, dann den da hinten, und den da unten, nein, den da, den anderen, ja genau, den, der sich versteckt, der sieht prächtig aus, den machen Sie bitte für mich.«

Das Restaurant – »eine location für Feinschmecker, die sich nicht so leicht etwas vormachen lassen« – bietet alles, was es braucht, um dem Gast das Leben schwer zu machen: Gabeln und Messer und Löffel und Gläser in nie gesehenen Formen, zartes Geschirr aus rosa Porzellan, einen kleinen Lampenschirm neben jedem Gedeck, harte Bambussitze, elektronische Speisekarten mit blinkenden Lämpchen und schließlich Kellner, die vertraglich dazu verpflichtet sind, nichts zu verstehen.

Giuseppe ist der Einzige, der sich seine Natürlichkeit bewahrt.

»Hübsches Plätzchen«, sagt er und schaut sich langsam um. »Raffiniert, aber nicht überkandidelt. Ein Hauch Kitsch, aber von der Sorte, die nicht stört.«

»Im Gegenteil«, sagt der Ingenieur Carugato und verschluckt sich dann unter unseren verblüfften Blicken.

Giuseppe schwenkt den Weinkelch und probiert. Den Blick ins Licht einer strahlend hellen Lampe gerichtet, benetzt er seinen Gaumen mit dem Wein und schluckt ihn dann hinunter.

»Na ja, Spitzenklasse ist der nicht gerade.«

»Dieser hier ist auch nur dazu da, um sich den Mund auszuspülen«, beeilt sich Donato zu erklären.

»Okay, dann lasst uns spülen«, ruft Giuseppe. »Cin cin?«

»Cin cin!«, antworten wir im Chor.

Ein Wald von Gläsern erhebt sich, Blicke kreuzen sich, Kristall klirrt.

»Cin cin heißt auf Japanisch Penis«, sagt der Ingenieur mit dem erhobenen Kelch in der zitternden Hand, und die Verblüffung der Tischgesellschaft verwandelt sich in Abfälligkeit.

Das Essen nimmt seinen Lauf, die Gänge wechseln in schneller Folge, die Atmosphäre entspannt sich. Die anfängliche Steifheit weicht der Stimmung auf einem Klassentreffen viele Jahre nach Schulabschluss. Der Ingenieur ruft einen Kellner herbei und fragt ihn nach dem Rezept für die Jakobsmuscheln, weil seine Frau sie leider meist verdirbt. Cardellini verputzt Langusten und nickt bei jedem Satz, der in den Raum geworfen wird. Tiziano tippt auf seinem Handy herum und verschickt Nachrichten über das, was seinem Gesichtsausdruck nach weniger ein Essen mit Kollegen als eine drogeninduzierte Halluzination darstellt. Boraletti schweigt und versucht erfolglos, sich Mineralwasser ohne Kohlensäure bringen zu lassen. Giuseppe und Donato erzählen von Dienstreisen, auf denen man sich amüsiert hat, aber ja doch, und wie man sich amüsiert hat. Nathan trommelt auf dem Tisch herum und wiederholt die italienischen Wörter, die er versteht. Ich trinke Wein und habe einzig Augen für Emily, die in einem glänzenden Kleid aus violetter Seide dasitzt, manierlich isst, Worte und Lächeln dosiert und sich zwischen den Aufmerksamkeiten von Donato und Cardellini hindurchlaviert.

»Emily«, versuche ich mich ins Spiel zu bringen. »Hast du die da probiert? Fantastisch.« Mit einem kleinen Löffel angle ich nach ein paar Riesengarnelen und lasse aus Versehen die Schale von einer Miesmuschel auf meine Hose fallen. Ich fange an zu stammeln, erfinde eine Entschuldigung und tupfe mit dem Zipfel einer Serviette an meinem Bein herum. Stumpfsinnig lächle ich vor mich hin.

Auf dem Tisch wechseln immer noch in schneller Folge die üppig beladenen Platten – Garnelen wie Telefonhörer, wannenweise Austern, Arrangements von Gemüsen, die zu mythologischen Figuren zurechtgeschnitzt sind, eine Parade von chinesischen Marmeladen, goldene Federn dazwischen – und entfalten eine solche Pracht, dass spießige moralische Bedenken gar nicht erst aufkommen mögen. Das Niveau der Gespräche, die von neutraler Professionalität bestimmt waren, sinkt mit dem Nachschub an Flaschen und dem steigenden Alkoholpegel ins Bodenlose.

»Für mich lassen sich die Frauen in fünf Kategorien einteilen – und ich bitte Emily um Nachsicht, falls das ein wenig derb klingen sollte: Fotze, annehmbare Fotze, annehmbare Tussi, geile Tussi, supergeile Tussi. Dann gibt es noch eine sechste Kategorie: die Schiffer. Wenn eine Frau die Schiffer ist, bedeutet das für mich den absoluten Gipfel, aber auf diesem Level haben wir dann nichts mehr zu bestellen. Es gibt nur wenige Frauen, die in die Kategorie die Schiffer fallen. Und kommt mir jetzt nicht damit, dass die Schiffer, also die echte Schiffer, ihre beste Zeit hinter sich hat. Schönheit kennt kein Alter, und die Schiffer, die echte Schiffer, steckt sogar die Campbell in die Tasche.«

»Die Politiker sind alle gleich. Alle gleich. Und das sage ich nicht, weil ich was gegen Politik habe. Denkt nur mal an das Logo von Mondadori, einem rechten Verlag. Kippt es um neunzig Grad nach links, und was seht ihr? Ich sage euch, was ihr dann seht: das Logo von Feltrinelli, einem linken Verlag. Absolut bezeichnend.«

»Ihr habt doch alle Jura studiert. Wie kommt es, dass bei uns der Rechtsverkehr so gut funktioniert?«

»Ist euch schon einmal aufgefallen, dass Micky Maus genauso aussieht wie Minnie Maus? Nehmt Augenbrauen und Kleidung weg, und sie sind absolut identisch. Für Donald und Daisy gilt das ebenfalls, und auch für Kater Karlo und Trudi. Als wollte Disney eine rassistische Botschaft transportieren. Such dir Frau und Ochsen in deinem Dorf, wie man bei uns so schön sagt. So verkehrt scheint mir das im Übrigen gar nicht zu sein.«

»Ich habe gehört, dass es hier in Dubai ein Etablissment gibt, wo man eine Auswahl der schönsten Frauen der Welt findet. Very beautiful women

»Wenn jemand footing oder jogging sagt, ist mir sofort klar, ob er in England oder in Amerika studiert hat. Klare Sache.«

»Glaubt ihr, dass man hier einen Limoncello bekommt?«

»Madame Maîtresse heißt es. Das Etablissment, meine ich.«

»Bum Bum Boris.«

Eine Bauchtänzerin – der Saalchef klärt uns darüber auf, dass es sich um die Miss Libanon von 2006 handelt – begleitet mit geschmeidigen Bewegungen den Wagen mit der hausgemachten Nachspeise, einer Pyramide aus Datteln, Joghurt und Käse, die bächeweise mit Karamellsoße übergossen ist. Bei ihrem Anblick zeigt sich Giuseppe, dessen glänzende Augen mehr über den Grad seiner Trunkenheit aussagen als seine unbeholfenen Gesten, einen Moment lang unentschlossen. Desorientiert schaut er in der Gegend herum und starrt dann auf die Spitze der Pyramide.

»Dieses verdammte Himmelblau«, murmelt er und krallt sich an der Tischdecke fest. »Viel zu viel Zeit hat er gebraucht, um dieses verdammte Himmelblau zu verstreichen.«

Nach einem Zimtsorbet, einer Flasche Kürbisschnaps und einer Runde Himbeeren, die sich jeder Gast frisch vom Pflänzchen pflücken durfte, kehren wir ins Hotel zurück.

Bevor wir die Rolltreppe zur Rezeption hochfahren, bleibt Giuseppe plötzlich stehen.

»Wir …«, sagt er und legt Donato eine Hand auf die Schulter, »… bleiben hier draußen und rauchen eine Zigarre, um diese tausendunderste arabische Nacht ausklingen zu lassen.«

Seine Augen funkeln, als er sich mit einer schnellen Geste verabschiedet, mir kräftig auf die Schulter klopft und Emily gegenüber nachlässig einen Handkuss andeutet.

Die Gruppe zerstreut sich. Ich halte Emily zurück und bedeute ihr zu warten, bis die anderen fort sind.

»Emily«, sage ich. »Du willst doch nicht wirklich jetzt schon schlafen gehen?«

»Du wirst das sicher verstehen.« Sie schaut auf die Uhr. »Es ist zwei Uhr. Ich bin seit heute Morgen um drei auf den Beinen. Dann der Flug. Dann sofort die Sitzung, was schließlich eure Idee war. Und zu guter Letzt noch das Essen. Ich hatte schon Angst, dass gleich am Strand das Lagerfeuer angezündet wird und Giuseppe zur Gitarre greift.«

»Zwei oder drei«, rufe ich in jugendlichem Überschwang. »Wir sind in Dubai, Emily.«

»Ja genau«, bestätigt sie geistesabwesend. »Wir sind in Dubai. Um das Projekt abzuschließen. Morgen um acht sitzen wir schon wieder in einer Sitzung.«

»Um … acht?«, frage ich überrascht. »Aha.«

»Um acht.« Sie gähnt, öffnet ihre Tasche und kramt darin herum. »Also? Gehen wir schlafen?«

»Aber nein.« Ich protestiere, während Emily auf die Aufzüge zugeht. »Du weißt doch, dass hier in Dubai jeden Tag Silvester ist? Knaller, Konfetti, Heiterkeit.«

»Welcher Stock?«, fragt sie, als sie auf den Knopf für den Aufzug drückt und die Magnetkarte für ihr Zimmer aus der Tasche holt.

»Sechster«, sage ich und senke den Blick.

»Ich bin im fünften.« Sie hebt eine Hand. »Erweist du mir die Ehre, mich zu begleiten?«

»Zur Stelle«, rufe ich, winkle den Ellbogen an und reiche ihr den Arm.

Hinter mir räuspert sich Tiziano und schließt sich uns an.

»Ich wusste gar nicht, dass Giuseppe raucht«, sagt er, als wir den Aufzug betreten und Donato und Giuseppe in der Ferne in ein Taxi steigen.

Very beautiful women, denke ich.

Madame Maîtresse.

»Gelegentlich«, sage ich. »In Gesellschaft.«