4
Jemand fragt mich: »Und was machst du so beruflich?«
Ich sage: »Wirtschaftsanwalt.«
Und dann beobachte ich aufmerksam die Reaktion.
Einige der Fragenden verziehen missbilligend den Mund, weil sie meine Antwort für arrogant halten. Die Mehrheit hingegen reißt unmerklich die Augen auf, beugt sich zu mir vor und starrt auf diesen Menschen, der doch so normal aussieht und stattdessen – hat er das wirklich gesagt? – Wirtschaftsanwalt ist. Sie schütteln mir kräftig die Hand, entfernen sich rückwärts, schauen mich weiterhin an, recken den Daumen nach oben, führen die Hand ans Ohr. (Ich ruf dich an.) Ganz offenbar würden sie ihren Freunden sofort von dieser unglaublichen Begegnung erzählen, bei der sie selbst einer der Hauptdarsteller waren – Ihr werdet es nicht glauben, ein Wirtschaftsanwalt. Ich werde ein bisschen größer, ein bisschen intelligenter, ein bisschen reicher, in jedem Fall aber ein enger Freund.
Was mich betrifft, sieht die Sache anders aus. Ich möchte weder abschrecken noch beeindrucken. Jahrelange Erfahrungen haben aber schlicht ergeben, dass Wirtschaftsanwalt die einzige Formel ist, die mich vor beruflichen Fragen schützt. Ich habe es mit Anwalt versucht, aber stets geriet die Unterhaltung in Richtungen, die mich mit verblüffender Zuverlässigkeit ins Nichts führten.
»Mein Onkel hat eine Garage, die er seit zehn Jahren nicht mehr benutzt, und nun befürchtet er, dass…«
»Halt, tut mir leid, aber ich habe keine Ahnung von Wohnungseigentumsrecht.«
»Ach so. Okay, aber meine Schwester hat von meiner Oma das Haus in Rogoredo bekommen, während ich …«
»Entschuldigung, ich muss dich schon wieder unterbrechen, aber ich bin nicht sehr bewandert im Erbrecht.«
»Mhm. Meine Exfrau …«
»Im Eherecht auch nicht.«
»Ich hatte einen Unfall …«
»Im Unfallrecht eher auch nicht.«
»Ich habe einen Kredit.«
»Mahnungs- und Vollstreckungsrecht ist auch nicht mein Ding.«
»Bußgeld?«
»Ich bin zutiefst beschämt.«
»…«
»…«
»Tja, tut mir leid, dass ich das sagen muss, aber du bist ja offensichtlich zu nichts zu gebrauchen.«
Schließlich hat man mich kopfschüttelnd stehen gelassen.
Ich neige dazu, mich in solchen Situationen schlecht zu fühlen.
Wirtschaftsanwalt erspart mir Gespräche wie dieses. Es ist eine leere, aber wohlklingende Formel, die es mir erlaubt, mich erhobenen Hauptes aus der Affäre zu ziehen. Meine Gesprächspartner dagegen sehen sich zu einer Gewissensprüfung genötigt und müssen erkennen, dass ihre Problemchen nichts mit der Bedeutsamkeit der meinen – derjenigen der Wirtschaft – zu tun haben. So kommt es, dass sie sich mickrig fühlen und am liebsten das Weite suchen würden. Stattdessen reden sie übers Wetter.
Denn unglücklicherweise bin ich tatsächlich zu nichts zu gebrauchen.
Es fällt mir nicht schwer, das zuzugeben. Mit falscher Bescheidenheit oder Selbstmitleid hat das nichts zu tun, es ist einfach eine ehrliche Einsicht.
Meine Arbeit ist bei all ihrer unvorstellbaren Komplexität denkbar einfach.
Alles beginnt damit, dass eine große Firma an die Tür unserer Kanzlei klopft, üblicherweise in Form eines arroganten, wenig ansehnlichen Mannes. Der Mann sagt: »Ich muss kaufen/verkaufen/machen, weil ich die Absicht habe, eine Menge Geld zu verdienen, und dazu ist es nötig, dass du, Anwalt« – zwischen den Zähnen hervorgepresst, damit gleichermaßen Desinteresse und Verachtung mitschwingen – »mir dabei hilfst. Mir fehlt nämlich nicht nur die Kompetenz, sondern auch die Lust, mich dahinterzuklemmen, zumal ich mit Marina segeln gehen muss, einer Studentin, die ich soeben kennen gelernt habe und die dich nicht mit dem Hintern anschauen würde, obwohl du zwanzig Jahre jünger bist als ich.«
»Okay«, antworte ich aufgekratzt, während das runde Hinterteil von Marina vor meinen Augen aufleuchtet.
Ich verabschiede mich, nachdem ich herzhaft über vier, fünf mäßige Witze gelacht habe, kehre in mein Büro zurück, logge mich in den zentralen Server ein, gebe ein paar Schlagwörter ein, und schon werden die Fundamente meiner Spezialisierung ausgespuckt: die Präzedenzfälle, die vor Urzeiten irgendjemand, dessen man heute in den Novemberpredigten gedenkt, zusammengestellt hat und die im Laufe der Zeit von jedem, der sich ihrer bedient hatte, um ein Wort hier und eine Klausel dort ergänzt und zum erneuten Gebrauch bereitgestellt wurden. Ich arbeite wie ein Maler mit einem Lager voller Porträts, die er nach verschiedenen Modellen gemalt hat, um dann für die jeweiligen Auftraggeber das ähnlichste zu wählen und es so lange zu bearbeiten – ein Stück Augenbraue hier, ein Nasenhaar dort, ein Höcker auf der Stirn, ein Augenfältchen –, bis der Kunde zufrieden ist. In meinem Fall werde ich für die entsprechende Prozedur mit Rechtsmaterial jeden Typs versorgt, in Italienisch oder Englisch, buyer-orientated oder seller-orientated, nach italienischem, englischem oder deutschem Recht, etliche Seiten lang oder kurz und schmerzlos, Kaufverträge, Verkaufsverträge, Übertragungsurkunden, Verpfändungen, Hypotheken, Sitzungsprotokolle, Vollmachten, Bürgschaften oder Finanzierungen, jede Art Vorlage für jeden Typ Mandant – ich wähle die passendste aus und beginne mit der Arbeit, indem ich mir die moderne juristische Logik zunutze mache:
Suchen nach: Gesellschaft X;
Ersetzen durch: Gesellschaft Y;
Alle ersetzen.
Schon sind gut fünfzig Prozent der Arbeit erledigt.
Der Rest besteht darin, an Klauseln zu feilen, die hundertfach umformuliert und nachgebessert wurden, auf der Suche nach dem perfekten Vertrag oder vielmehr nach einer Rechtfertigung für die Spitzenhonorare.
Warum verbringe ich also meine Nächte im Büro und arbeite bis zur Erschöpfung?
Weil das glatte Haar im rechten Nasenloch, das auf Bitte des einen Mandanten hineingenommen wurde, der Gegenpartei, die lockiges Haar bevorzugt, nicht gefällt. Drei Sitzungen und zwei durchgearbeitete Nächte sind nötig, um eine Einigung zu erzielen: kein Eingriff an der Nase, aber zwei Haare in den Ohren.
Nachts schlafe ich ein und tue so, als wäre ich wichtig.
»Hello«, antworte ich überdreht, denn ich erkenne auf dem Display die interne Nummer vom britischen Sitz unserer Kanzlei: Paul, ein Kollege, mit dem ich an einem Memorandum zur Gründung einer GmbH arbeite.
»…«
»Speaking.« Ich rücke das Headset zurecht und tippe während des Gesprächs energisch auf der Tastatur herum. (Nicht, dass ich etwas Besonderes schreiben würde, eher Dinge wie: fjwpohv oder conapmcèa, aber auch am anderen Ende der Leitung soll erkennbar sein, dass die Arbeit keine Unterbrechung duldet.) Der Sekretärin bedeute ich mit einem Blick, dass sie gehen kann und wir später über die Sache reden.
»…«
»Fine, thanks Paul. And you?« Ich lasse mich gegen die Stuhllehne sinken und spiele auf zweifellos internationale Weise mit meinem Stift herum.
»…«
»Hahaha!«
»…«
»Yes.«
»…«
»Great.«
»…«
»Yeah.«
»…«
»Mhm.«
»…«
»But…«
»…«
»Okay, okay.«
»…«
»That’s perfect.«
»…«
»Okay.«
»…«
»Bye, Paul, bye…«
Ich lege das Headset ab und begegne Nicolas Blick.
»Was wollte der denn?«
»Einen Scheißdreck hab ich verstanden.«
Ich lehne mich wieder zurück und zupfe an den Spitzen meines Hemdkragens.
Wieder klingelt das Telefon: die Zentrale.
»Ja?«
»Signor Cambi, die Mandanten für die Vierzehn-Uhr-Sitzung sind da.«
»Jedes Mal, Rossella. Wieso will Ihnen das nicht in den Kopf? Campi, nicht Cambi. Aber vielen Dank, ich komme sofort. Würden Sie in der Zwischenzeit so freundlich sein und die Leute im Saal von gestern Platz nehmen lassen?«
»Der Saal von gestern ist besetzt.«
»Macht nichts. Bringen Sie sie einfach in einen anderen Saal.«
»Ist der Tulpensaal okay?«
»Der Tulpensaal ist optimal.«
»Der ist aber auch besetzt.«
»Entschuldigen Sie, Rossella, wollen Sie mich auf den Arm nehmen?«
»Herr Anwalt, ich habe jede Menge zu tun. Sagen Sie mir bitte, wo ich sie unterbringen soll.«
»Was weiß ich denn, welcher Saal frei ist? Veilchen, Margeriten, Tulpen. Bringen Sie die Leute hin, wo es Ihnen passt. Haben wir einen Rosmarinsaal? Bringen Sie sie dorthin.«
»Signor Cambi, wenn Sie etwa glauben, dass Sie sich auf diese Weise beliebt machen…«
»Okay, okay, bringen Sie sie in den Margeritensaal.«
»Ich bringe sie in den Tulpensaal.«
»Hatten Sie nicht gesagt, der sei besetzt?«
»Er wird gleich leer.«
»Gott sei gelobt.«
Ich stehe auf, zupfe meine Krawatte zurecht, ziehe mein Jackett an, fahre mir mit der Hand durch die Haare, zähle, wie viele zwischen den Fingern hängen bleiben – fünf, was eine unverhoffte Reduktion um fünfzig Prozent darstellt –, schnappe mir die Akte mit dem Vorgang und gehe in den ersten Stock, wo sich die Sitzungssäle befinden. Auf der Treppe male ich mir die nächsten Stunden aus: Lektüre des Vertrags, Präzisierung der letzten Details, kleine Änderungen, das kommt hierher, das verschieben wir dorthin, Achtung, die Nummer dieses Paragraphen hier hat sich geändert, dort muss die Begründung angepasst werden, alles wird ausgedruckt, alles wird unterschrieben, Glückwunsch, Glückwunsch Ihnen, großartige Arbeit, vielen Dank, vielen Dank Ihnen, ich gehe jetzt, ich verschwinde auch, bis bald, rufen Sie mir ein Taxi?, schon erledigt, noch einmal vielen Dank. Vielleicht bin ich um acht schon daheim, nicht vielleicht, sondern sicher bin ich um acht schon daheim und unter der Dusche, und dann schaue ich mir einen Film an, nein, keinen Film, heute Abend gehe ich aus, ein Bier, oder zwei, ich entspanne mich, lenke mich ab, vergesse alles, heute Abend mutiere ich zum Zombie. Das habe ich mir verdient.