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»… und bin also in dieser Wäscherei, warte darauf, dass ich drankomme, und habe diese Tante vor mir, fünfzig Jahre oder älter … Hast du diese aufgedonnerten Mailänder Damen vor Augen? Genau so eine, riesiger Hut, Typ Adelige aus dem achtzehnten Jahrhundert. Als sie das Paket ausgehändigt bekommt, fängt sie gleich zu murmeln an: Aber das gibt’s doch nicht? Oh nein, oh nein, oh nein … Das soll doch wohl nicht meine Bluse sein? Sie zieht ein Pygmäenhemd heraus. Ein Schrei erklingt, ein weiterer Schrei, fast scheint sie losheulen zu wollen. Aber … Aber … meine Bluse … Oh nein … Die hat mehr als hundertzwölf Euro gekostet … Das war meine Lieblingsbluse … Oh nein … Mein schönes Blüschen … Der Herr von der Wäscherei erwidert: Sehen Sie, Signora, das ist nicht unsere schuld. Das ist ein Produktfehler. Gehen Sie in den Laden und fragen Sie, was die Ihnen für ein Zeug angedreht haben. Beschweren Sie sich. Die Dame scheint sich zu fügen, dann beginnt sie aber plötzlich zu schreien. Wie stellen Sie sich das vor, ich kann da doch nicht hingehen. Die werden mir sagen, dass die Wäscherei schuld ist, und dann werde ich hin und her geschickt, das geht nicht, ganz bestimmt nicht, und verlangt, dass die Wäscherei ihr den Schaden ersetzt. Worauf auch noch die Ehefrau des Herrn von der Wäscherei dazukommt. Ganz bestimmt nicht. Wir haben sehr gut aufgepasst. Es liegt am Produkt. Man verkauft so etwas als namhafte Marke, obwohl das alles von chinesischen Kindern gemacht wird, die Armen. Da müsste Amerika mal eingreifen, von wegen Irak. Die Dame sagt nichts, stößt nur kleine Schreie aus und zieht die Nase hoch. An diesem Punkt mische ich mich ein und sage, die Dame hat Recht. Der Herr von der Wäscherei schaut mich an und begreift nicht, wieso dieser Unbekannte wie Salomo daherredet. Ich sage, Sie müssen dieser Dame den Schaden ersetzen, Sie haben doch eine Versicherung. Die Dame sagt, genau, so ist es, Versicherung, und zieht die Nase hoch. Die Wäschereibesitzer protestieren, erklären sich für unschuldig und behaupten, die Dame übertreibe. Die Dame sagt, ich zeige Sie an. Ich sage, Signora, bleiben Sie ganz ruhig. Die Wäschereibesitzer werden laut und erklären, es ist ganz offensichtlich, dass Sie sich nicht einigen wollen. Ich wiederhole, das interessiert mich nicht, die Dame hat Recht. Die Dame schreit wieder. Die Frau von der Wäscherei schnaubt. Ich versuche, mit dem Herrn von der Wäscherei zu sprechen. Die Dame muss entschädigt werden, auch wenn sie sich unmöglich aufführt, ich würde sogar sagen – da habe ich keinerlei Problem –, dass sie mir furchtbar auf den Sack geht. Die Dame reißt die Augen auf. Aber … Aber was erlauben Sie sich? Ich sage, lassen Sie mich nur machen, ich weiß schon, was ich tue. Die Frau von der Wäscherei ergreift wieder das Wort: Und woher sollen wir wissen, dass dieses Teil hundert Euro gekostet hat? – Hundertzwölf, mehr als hundertzwölf, schreit die andere. Das ist auch wieder wahr, sage ich. Die Bluse war wirklich zum Davonlaufen, das muss auch mal erwähnt werden, aber das habe ich natürlich nicht laut gesagt. Stattdessen sagte ein anderer Alter hinter mir, so werden die Alten heutzutage behandelt, Machtmissbrauch, Mangel an Respekt. Der Herr von der Wäscherei macht ihn darauf aufmerksam, dass er viel älter ist als die Dame, die jetzt nicht mehr zu schreien aufhört. Junger Mann, sagt die Frau von der Wäscherei zu mir und zieht mich am Ärmel, schauen Sie sich das Etikett an. Dreißig Grad. Dreißig Grad. Ich habe es sogar nur bei zwanzig gewaschen. Die Dame platzt los, wieso zwanzig, und zieht an meinem anderen Ärmel. Der Alte hinter mir beginnt jetzt von seiner Partisanenzeit zu sprechen. Der Herr von der Wäscherei hat den Kopf in den Händen vergraben. Ich nehme meine Hemden und befreie mich aus den Klauen der beiden Frauen. An der Tür schaue ich mich noch einmal um. Was habe ich überhaupt mit euch zu schaffen, ihr seid doch alle verrückt, schreie ich und gehe.«
Das alles erzähle ich ohne Punkt und Komma und konzentriere mich darauf, einen Knoten in die Serviette zu machen, während Emily Tränen lacht. Sie holt ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischt sich vorsichtig über die Augen, um nicht die Schminke zu verschmieren.
»Aber hast du …« Mühsam bringt sie die Worte zwischen den Juchzern hervor. »Aber hast du denn nichts Besseres zu tun, als in die Wäscherei zu gehen und dich mit den Leuten zu streiten?«
»Weiß nicht.« Ich denke nach. »Es war an einem Samstagvormittag. Da habe ich nicht so wahnsinnig viel zu tun.«
Es ist ein paar Minuten vor eins, und wir sitzen im Ristorante Pizzeria von Signor Aldo. Emily hat ihr Sorbet von grünem Apfel aufgegessen, schaut auf den langen Löffel im Dessertglas und lacht. Alle Zweifel am Gelingen des Abends sind wie weggeblasen, zumindest seit Emily und ich, ermutigt von der Begeisterung der Pensionäre, inmitten klatschender Hände, altmodischer Kleider und knirschender Gelenke zu singen angefangen hatten. Emily hatte dann sogar tanzen wollen, und ich hatte mich versuchsweise angeschlossen, muss aber wie ein Todeskandidat auf dem elektrischen Stuhl ausgesehen haben. Sie konnte nur mühsam das Lachen unterdrücken, bat mich stillzustehen und führte mir Arme und Beine. Bald kam allerdings das Männchen vom Parkplatz, verdrängte mich und legte mit Emily jenen verschlungenen Twist hin, in dem er so überaus gewandt war. Mich bedachte er mit einem herausfordernden Grinsen, bei dem ich mit einer gewissen Beruhigung eine Zahnlücke registriere.
Ich hebe die Hand, um die Rechnung zu verlangen, und merke, dass Signor Aldo schon fast eingeschlafen ist. Er hängt schräg auf seinem Stuhl, den Ellbogen auf der Rückenlehne, und stützt seinen Kopf in die Hand. Signor Aldo ist ein ägyptischer Pizzabäcker mit sanften Augen, und sein Ristorante Pizzeria ist meine Zuflucht. Hier verkehrt ein verwitweter Ingenieur, der jeden Abend in tadelloser Aufmachung Vorspeise, Hauptspeise und Nachspeise verzehrt und schweigend den Worten der anwesenden Paare lauscht, dann ein Ehepaar, das unter den Augen ihres Hundes mit den immer selben Szenen und Scherzen aufwartet. (»Fünfzig Jahre, und es ist mir immer noch nicht gelungen, dich loszuwerden« – »Fünfzig Jahre, und ich bin immer noch nicht weg.«) Außerdem kommen junge Leute und Gruppen von Alten, die nicht mehr in diese Zeit zu gehören scheinen. Und dann bin da noch ich, der ich esse und in der Gegend herumschaue, auf die Weihnachtsdekoration zum Beispiel, die nie entfernt wurde, und auf die vergrößerten Zeitungsausschnitte aus dem Corriere della Sera (»Die Pizza, die nie enttäuscht«) und auf den Coca-Cola-Kühlschrank. Und immer bestelle ich ein Sorbet von grünem Apfel.
Hierher hatte ich mich hilfesuchend gewandt, als mich Emily nach dem Konzert gefragt hatte: »Und jetzt?«, und mir klar geworden war, dass ich nichts geplant hatte. Ich betrat vor ihr das Lokal und sah, dass Signor Aldo dabei war, den Ofen zu putzen. Auf mein Hüsteln hin ließ er alles stehen und liegen, rieb sich die Hände an der Schürze ab und kam auf mich zu, um mich zu begrüßen.
»Signor Aldo«, sagte ich und schüttelte seine Hand. »Sie müssen mir helfen. Ich weiß, es ist schon spät, aber …« Ich trat näher, damit Emily mich nicht hören konnte. »Das ist eine Freundin von mir, sie hat noch nichts gegessen. Und ich auch nicht. Und ich habe nicht die geringste Idee, wohin man …«
»Ich könnte Pizza machen«, schlug er mit leuchtenden Augen vor.
»Das wäre … Das wäre wunderbar«, antwortete ich und schüttelte immer noch seine Hand.
»Einen Tisch für unsere Freunde«, rief er in Richtung des Kellners mit den Locken, der im Raucherraum den Boden fegte.
Und da sind wir nun.
»Kommst du oft hierher?«, fragt Emily und zeigt mit einem Zahnstocher in den Raum.
»Ja, schon«, sage ich und räkle mich zufrieden. »Hier kennt man mich. Freunde, Freundinnen, opulente Mahlzeiten, ein netter Kreis.«
Der Kellner mit den Locken kommt, stellt zwei Gläser auf den Tisch und füllt sie mit Limoncello.
»Vom Haus.«
Einen reicht er Emily.
»Für die Dame. Gegen Grippe.«
Den anderen reicht er mir.
»Für den jungen Mann. Als Aphrodisiakum.«
Ich kippe mein Glas in einem Zug hinunter, stehe auf, gehe zur Kasse und zahle. Signor Aldo kämpft gegen den Schlaf, reicht mir einen Taschenrechner und fragt mich, ob ich den Betrag selbst ausrechnen könne. Er lächelt und deutet mit dem Kopf in Emilys Richtung. Ich lächle zurück. He he he. Emily kommt jetzt auch und protestiert, dass sie ihren Teil selbst zahlen könne, und Signor Aldo nutzt die Gelegenheit, um sich vorzustellen und ihr zu sagen, wie schön sie sei. Emily wehrt ab und bedankt sich ihrerseits für die herzförmige Pizza und für die Freundlichkeit, die man uns trotz der späten Stunde erwiesen habe. Dabei berührt sie mit ihrem Knie mein Bein.
»Kein Problem«, sagt Signor Aldo liebenswürdig. »Wirklich kein Problem. Ich froh, sehr froh, unser Freund mit so schönem Fräulein hier. Sonst immer so allein.«
Emily schaut mich an.
Ich zucke schweigend mit den Achseln. Bewege den Kopf hin und her. Verneine.
Die Klimaanlage im Taxi läuft auf Hochtouren. Der Taxifahrer, ein Mann mittleren Alters in einem kurzärmligen, orangefarbenen Hemd, fragt mich, warum man vor der Familie keinen Respekt mehr habe. Bevor ich antworten kann, befiehlt er: »Still«, und lauscht auf etwas, das ich nicht hören kann. Ohne etwas zu sagen, kommen wir vor dem Hotel an, und ich bitte ihn, auf mich zu warten, während ich Emily verabschiede.
»Hören Sie das nicht auch?«, fragt er unbeteiligt und legt den Finger an sein Ohrläppchen.
Emily geht indessen entschieden auf den Eingang zu, dreht sich dann zu mir um, verschränkt die Hände vor dem Bauch und nickt.
»Also, danke«, sagt sie.
Sie wirkt zufrieden.
»Ja«, sage ich und schaue auf ein Rinnsal, das unten an der Hotelmauer entlangfließt. »Was ich noch sagen wollte … äh … Ich bin, wie soll ich sagen … Ja, also, ich bin … Es war sehr schön. Genau.«
Die Geräusche der Stadt um uns herum sind plötzlich weit weg, der Verkehr, die Sirenen, der Wasserstrahl der Straßenreinigung, die Hupe des Taxifahrers, der meine Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Alles bewegt sich langsam, als würde es den Atem anhalten in diesem Moment, da ich Emily anstarre und mich um einen anzüglichen Blick bemühe und die Vibrationen meines Blackberry zu spüren vermeine, obwohl ich sicher bin, es ausgeschaltet zu haben.
»Aha?« Emily zieht die Augenbrauen hoch. »Es war sehr schön? Ist es jetzt vielleicht nicht mehr schön? Oder versuchst du etwa, mich anzubaggern?« Sie lacht und schaut beiseite.
»Ha … Ha …« Unwillkürlich fange auch ich zu lachen an. »Anbaggern … Haha … Ich … Haha … Was für ein Unsinn … Haha …«
»Los, fahr jetzt nach Hause, denn morgen geht’s ins Gefecht. Da hilft auch kein Mamma Maria.«
»Anbaggern. Haha.«
Emily beugt sich zu mir und küsst mich auf die Wange. Dann dreht sie sich um, tritt in das Abteil der Drehtür und verschwindet. Ich bleibe still stehen, bis der Taxifahrer wieder hupt, lang anhaltend. Nun gehe ich zurück und steige ein.
»Piazza Sant’Agostino«, sage ich abwesend.
»Wurde aber auch Zeit«, schnaubt er. »Schnallen Sie sich an, denn die Strafe zahle ich.«
»Anbaggern. Haha.«
Der Taxifahrer dreht sich um und blickt mich finster an.
»Hören Sie, wenn Sie betrunken sind, sagen Sie es gleich. Ich habe soeben die Polster neu beziehen lassen. Wenn Sie auf den Sitz kotzen, garantiere ich für nichts.«