15
Valentina ist meine Sekretärin, ein anständiges und auf naive Weise sympathisches Mädchen, rundlich, aber anmutig. Am Valentinstag ist sie sechsundzwanzig geworden. (»Ich bin mit der Liebe geboren«, hat sie gesagt. »Wohl wahr«, hat Nicola bestätigt und ihr zugezwinkert.) Jetzt war sie in mein Zimmer gekommen, und als ich sie bat, sich um eine Akte zu kümmern, die schon seit Monaten auf dem Boden herumliegt, fing sie plötzlich zu weinen an.
»Valentina«, sage ich, »mach dir keine Gedanken deswegen. Du kannst die Akte auch liegen lassen. Räum sie weg, wenn du Zeit hast. Aber ich bitte dich, keine Szenen, das macht mich ganz traurig.«
»Nein, nein«, stößt sie mühsam hervor. »Ich weine nicht wegen der Akte.«
»Gott sei Dank. Das wollte ich aber auch gemeint haben.«
»Invernizzi.«
Ich stöhne.
»Was hat dieser Mann schon wieder verbrochen?«
»Er hat mich eine Idiotin genannt, weil ich mich beim Ausdruck einer pdf-Datei vertan habe.«
»Aber Valentina.« Ich lächle. »Das musst du dir doch nicht zu Herzen nehmen, wie oft habe ich dir das schon gesagt? Du weißt doch, wie Invernizzi ist. Arrogant, ungehobelt, ein Rüpel. Hör einfach nicht auf ihn. Er ist es nicht wert, da musst du drüberstehen.«
Sie schluchzt weiter.
Ich lege einen Finger an den Mundwinkel und beobachte sie aufmerksam, fast nachdenklich.
»Valentina«, sage ich leise.
»Ja?«, jammert sie, während sie sorgfältig die Papiere aus meiner Akte sortiert.
»Wie konntest du dich denn eigentlich beim Ausdrucken einer pdf-Datei vertun? Im Prinzip muss man doch nur Blätter in den Drucker legen, dann macht er alles alleine.«
»Ich habe wohl etwas Falsches eingegeben, und die Blätter sind alle weiß rausgekommen.«
»Aber hast du denn keinen Probeausdruck gemacht, bevor du den Befehl abgeschickt hast?«
»Ich verstehe doch nichts von Jura.«
»Oh Gott, Valentina. Invernizzi hat wirklich Recht.«
Der Heulkrampf folgt auf dem Fuße und wird nur von Nicola eingedämmt, der aufsteht, Valentina die Hand auf die Schulter legt und sie mit einer Zärtlichkeit aus dem Zimmer führt, mit der er sich sonst nur seiner Pizza Margherita widmet.
An der Tür bleibt er stehen und schaut mich an.
»Andrea.« Er verzieht den Mund. »Manchmal frage ich mich, wie du es fertigbringst, so grob zu sein.«
»Grob? Was fällt dir bloß ein, Nicola? Du übst tagein, tagaus, wie man den Namen der Kanzlei rülpst, und ich soll der Grobian sein?«
Nicola hört mir nicht einmal zu, sondern führt Valentina aus dem Zimmer.
»Mach dir keine Sorgen«, sagt er. »Ich bin ja bei dir.«
Durch das offene Fenster dringt der Klang einer Bambusflöte, der sich mit dem Lärm der Autos auf dem Straßenpflaster vermischt. Die lindgrüne Mappe des Dreifürzwei-Project scheint, so dick und undurchlässig sie auch sein mag, endlich getrocknet zu sein. Niemals sollte man wichtige Dokumente ins Bidet legen. Zumindest sollte man sie wieder herausholen, bevor man Wasser einlaufen lässt. Ich nehme die Visitenkarte von Ingenieur Carugato und stecke sie an die Korktafel an der Wand.
»Endru«, ruft Giuseppe, der an meiner Tür vorbeikommt. »Tu mir einen großen Gefallen. Unten wartet Donato. Geh du schon mal hinunter, ich stoße gleich zu euch.«
»Giuseppe, bist du sicher? Ich meine, dass heute die Sitzung ist. Gestern wurde ich bei Bogomin fast verhaftet, weil ich zu einem einzig mir bekannten Termin aufgekreuzt bin.«
Giuseppe bleibt stehen und denkt nach.
»Umso besser«, antwortet er dann. »Soft. Ein sanfter Ansatz ist immer vorzuziehen.«
Er geht, redet aber weiter. Die letzten Worte vermischen sich mit dem Lärm im Flur. »Komm schon, Endru, Kopf hoch. Du wirkst immer so bedrückt. Rhythmus, Optimismus …«
Donato ist bei Zeus Investments, unserem Mandanten, für das Dreifürzwei-Project verantwortlich. Bevor ich in dieses Projekt eingestiegen bin, hatte ich von Zeus Investments noch nie etwas gehört. Giuseppe hatte sich über diese Unwissenheit empört und mir erklärt, dass es sich um ein internationales Unternehmen handelt, das explodiert und überall ein wenig mitmischt – nicht dass er sich genau erinnern könnte, wobei –, Lebensmittel, Immobilien, Luftfahrt, Pharmazie, kurz, ein multinationaler Konzern. Wir vergeuden unsere Zeit schließlich nicht mit Provinzlern. Für ihre ersten Aktivitäten in Italien haben sie uns auserkoren, und schon der bloße Gedanke versetzt Giuseppe in Begeisterung: »Mit einem solchen Mandanten, Endru, sind wir über den Berg. Projekte und Gelder wird es nur so hageln, und wir können sie den Engländern glatt in the ass stecken, mitsamt ihrer notorischen Skepsis, dass wir, wenn sie uns keine Mandanten rüberschicken, hier verrecken.« Gleichzeitig scheint er aber auch nervös zu sein. »Diese Geschichte ist für unsere Kanzlei und für uns als Marktführer auf diesem Gebiet von entscheidender Bedeutung. Nicht dass ich dir nicht trauen würde, Endru, aber sag mir doch bitte: Kann ich dir trauen?«
Was Donato betrifft, habe ich ihn noch nie gesehen. Seine Qualifikationen kenne ich nicht. Mir reicht es zu wissen, dass er mein Ansprechpartner ist, derjenige, an den ich berichten, den ich um Rat fragen, dem ich gehorchen muss. Am Vormittag hatten wir miteinander telefoniert, und ich hatte ihm meine Eindrücke von der Reise nach Venetien geschildert und meine Zeitvorstellungen für die Bewertung des Unternehmens mitgeteilt. Als ich ihn dann in Hinblick auf die heutige Sitzung um ein paar Informationen gebeten hatte, sagte er nur: »Nein, tut mir leid, mir ist nicht einmal klar, mit wem ich gerade geredet habe.«
Ich ziehe das Jackett an, rücke die Krawatte zurecht, stecke die lindgrüne Mappe unter den Arm und mache mich auf den Weg.
Im Aufzug stoße ich auf einen jungen Mann, blonder Spitzbart, schwarze Hornbrille, vierter Stock, Abteilung finance.
»Welcher Stock?«, fragt er.
»Erster«, sage ich.
»Ich Erdgeschoss.«
Er schaut mich zögernd an. Dann streckt er, als hätte er eine schwierige Entscheidung getroffen, die Hand aus.
»Du bist neu, nicht wahr?«
Ich schaue ihm in die Augen und würde am liebsten sagen: Willst du mich verarschen? Ich kreise schon seit drei Jahren wie ein aus der Umlaufbahn geratener Satellit durch diese Räume. Dann sehe ich aber dieses Glänzen in seinen Augen, diesen blanken Wunsch, freundlich zu sein, und möchte ihn nicht enttäuschen. Ich öffne die Faust und drücke seine Hand.
»Campi. Andrea Campi.«
»Sehr erfreut. Ich bin Gerardo. Von oben, finance. Wir könnten irgendwann mal zusammen essen gehen, wenn du Lust hast.«
»Sehr gerne, Gerardo.«
»Gerri.«
Die Tür öffnet sich im ersten Stock.
Ich gehe hinaus.
»Noch einmal herzlich willkommen also«, sagt er und streckt sein Knie aus, um die Lichtschranke zu unterbrechen.
»Danke. Gewiss«, nuschle ich und fühle mich plötzlich müde.
»Du wirst sehen, es wird dir gefallen.«
»Jetzt reicht’s aber, okay?«
Während sich die Tür vor Gerris verblüfftem Gesicht schließt, betrete ich den Veilchensaal, wo ein Mann mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt und mit seinem Blackberry herumspielt. Sobald er mich sieht, steht er träge auf, hält mir die Hand hin, drückt die meine mit einer überheblichen Geste, setzt sich wieder und schaut aus dem Fenster, als hätte er ein üppiges Mittagsmahl erwartet und würde jetzt zur Überbrückung der Wartezeit mit einer verbrannten Focaccia abgespeist. Ich unternehme einen waghalsigen Versuch, die Atmosphäre aufzulockern, gehe hin und reiche ihm meine Visitenkarte.
»Hallo Donato. Freut mich, dich endlich persönlich kennen zu lernen.«
»Entschuldigung …« Donato hebt einen Finger und führt ihn in einer Weise wieder hinab, als würde er auf einen Pausenknopf drücken. Dann holt er sein Handy aus der Tasche und wählt eine Nummer.
»Exakt … Ja, ich bin jetzt bei den Anwälten … Nein, es ist noch keiner da.«
Ich erwäge den Gedanken, ihm eine Heftklammer ins Kinn zu jagen, aber die Befürchtung, dass die Geste negative Auswirkungen auf unsere Honorarforderungen haben könnte, lässt mich davor zurückschrecken. Stattdessen nehme ich mir ein Milch-Minz-Bonbon und setze mich ans andere Tischende.
Ich drehe einen Bleistift mit dem Logo unserer Kanzlei in meinen Fingern herum. Ich trage in meinem Block das Datum von heute ein und gebe acht, nicht auf den Rand der Kästchen zu kommen. Ich schnüre meine Schuhe auf und schnüre sie wieder zu. Ich schaue in der Gegend herum. Mein Blick fällt auf ein Bild ohne Rahmen. Es hängt an einer ähnlichen Kordel, mit der auch die Stühle zusammengebunden sind. Das Bild besteht aus drei Farben in der Anmutung von Kinderkotze: Gelb, Blau, Dunkelgrün. Es macht mir Angst. An der gegenüberliegenden Wand hängt ein Rahmen ohne Bild. Er besteht aus weißem Holz und ist mit demselben Typ Kordel befestigt. »Das Ambiente muss einen Hauch von moderner Klassizität ausstrahlen«, hat mir mal jemand erklärt. Oder von klassischer Modernität? Schon wieder vergessen. Ich verschränke die Arme.
»Donato. Schön, dich zu sehen.«
Giuseppe legt einen triumphalen Auftritt hin und streckt die Arme aus.
»Giuseppe.« Donato steht auf und streckt ebenfalls die Arme aus.
»Immer in Form, immer schön braungebrannt.«
Sie umarmen sich.
Ich weiß, dass sich Giuseppe und Donato nie zuvor gesehen haben, zumal Giuseppe nicht zum kick-off meeting gehen konnte, weil er – wie mir Achille erzählt hat – von einer schrecklichen Erkältung in Courmayeur festgehalten worden war. Die beiden liegen sich immer noch in den Armen, und ich mache meine erste Sitzungsnotiz und male eine Schlinge. Plötzlich bemerkt mich Giuseppe und breitet die Arme aus.
»Endru, heiliges Kanonenrohr, wo hast du dich denn hingesetzt? Machst du jetzt auf schüchtern? Komm hierher, komm zu uns. Donato, das hier ist unser Endru, unser großartiger Endru. Er wird bei dieser Überfahrt der Steuermann sein.«
Jetzt darf auch ich Donato anschauen, der, wie ich bemerke, keinerlei körperliche Ambitionen hegt: mittelgroß, mittelschwer und vermutlich genauso alt, wie er aussieht, nämlich fünfundvierzig. Die feinen Augen bringen ein gewisses Misstrauen zum Ausdruck, das in seiner wohlklingenden, überlauten Stimme nicht mitschwingt. Die Falten in seinem Gesicht weisen ihn als jemanden aus, der eher schwer von Begriff ist.
»Also«, beginnt er. »Giuseppe. Antonio.«
»Andrea.«
»Klar, Andrea. Ich nehme an, ihr habt die Papiere studiert und euch bereits ein Bild von dem Projekt gemacht, dem Dreifürzwei-Project. Lasst mich euch diese kleine Revolution trotzdem noch einmal persönlich vorstellen.« Donato zieht aus einer Wirtschaftszeitung eine Reihe von Grafiken und Tortendiagrammen hervor. »Wie ihr wisst, ist Zeus Investments Teil der großen Olympus-Inc.-Gruppe, einer der wichtigsten Industriekomplexe des Emirats von Dubai.« Er rückt näher und fügt leise hinzu: »Wir sind unmittelbar dem Emir gegenüber verantwortlich.« Dann reißt er die Augen auf und behält diesen Ausdruck ein paar Sekunden lang bei. »Ich, aber das nur nebenbei, komme direkt von dort. Gestern Abend bin ich gelandet, das geht bei mir hin und her. Mailand–Dubai, Dubai–Mailand, der Kurs der internationalen Mode. Ich schlafe immer in riesigen Zimmern, aber ich kann euch sagen, mein armer kleiner Giulio, der Papa immer weit weg … Halten wir uns aber nicht mit Geschwätz auf. Ihr wisst, womit sich Zeus Investments beschäftigt?«
»Einkaufszentren«, sage ich.
»Shopping centers, genau. Und was bringen shopping centers – oder Einkaufszentren, wie du es zu nennen beliebst?«
»Spaß«, rate ich aufs Geratewohl.
»Spaß? Was für ein Schei…« Donato scheint verwirrt. »Von wegen Spaß. Geld bringen sie. Die Zukunft des Handels gehört nicht dem Produkt und auch nicht der Marke. Die Zukunft liegt in der Abstraktion des Kaufens, das sich vollkommen vom Kaufobjekt löst. Das Mittel wird zum Zweck.«
Ein Déjà-vu-Erlebnis. Ich bin mir fast sicher, dass ich dieselben Worte gestern beim Frühstück in der Präsentationsmappe gelesen habe. Zukunft. Abstraktion des Kaufens. Mittel wird Zweck.
»Und genau hier kommt Zeus Investments ins Spiel«, fährt Donato fort und biegt an meiner Visitenkarte herum. »Die Einkaufszentren von heute sind – bitte verzeiht mir das Gemäkel – zu sehr aufs Einkaufen konzentriert. Ein Imagewandel ist nötig, restyling auf Englisch. Schauen wir uns doch um: provinzielle Läden, ordinäres Zeug, Reitautomaten und Luftballons. Unser Projekt ist ambitioniert, grenzüberschreitend, exklusiv. Exclusive auf Englisch.«
Donato hat aus meiner Visitenkarte einen Frosch gebastelt.
»Wir werden ein Joint Venture bilden. Mit der Meyon & Tolsen Bank nämlich, die sich sofort für das Projekt begeistert hat. Meyon & Tolsen verfügt über die Präsenz im hiesigen Markt, wir über das Know-how. Gemeinsam werden wir …«
Donato drückt einen Finger auf das Hinterteil des Frosches.
»… eine neue Dimension des Einkaufszentrums schaffen …«
Donato lässt den Finger wegschnalzen. Der Frosch hüpft in die Luft, knallt gegen den Stifthalter und stürzt mit irritierender Gleichgültigkeit ab.
»… das Einkaufszentrum der Luxusklasse«, betont Donato und verschränkt die Arme vor der Brust. Ich suche Giuseppes Blick, aber Giuseppe sitzt reglos da und fixiert etwas vor seinen Augen. Donato fährt fort.
»Wir fangen in Italien an, das die Araber zur Heimat des guten Geschmacks gekürt haben. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie stolz ich war. Macht euch das doch mal klar: Heute gehen die Leute zu Prada und Gucci, und wenn sie danach in ein Einkaufszentrum kommen, was finden sie dort? Bitte besteht nicht darauf, dass ich es laut ausspreche, sonst habe ich nachher eine Klage wegen Rufmords am Hals. Wir wollen dem Käufer die Möglichkeit geben, auch und vor allem in einem Einkaufszentrum er selbst zu sein. Die größten und teuersten Marken, die besten Produkte und die exklusivsten Dienstleistungen sollen in einem modernen, raffinierten, eleganten Ambiente versammelt sein. Die Via Veneto in der Provinz.«
Donatos Stimme wird immer lauter.
»Wir beginnen mit den drei Einkaufszentren im Nordosten, die Bogomin gehören. Eins nach dem anderen: Zerstörung und Neuaufbau. Dann sofort ein weiteres, hier in der Lombardei. Auch die Via Montenapoleone wird die Provinz erobern. Eine Grenze fällt, das ist etwas ganz Außerordentliches. Extraordinary auf Englisch.«
Donatos Qualifikationen kenne ich nicht, aber wenn man ihn so reden hört, könnte er gleichermaßen ein Jurist des Unternehmens oder ein Exekutivdirektor oder der leitende Architekt des Projekts sein. Dieser Stumpfsinn wäre mit allem vereinbar.
»Das Joint Venture wird paritätisch sein«, fährt Donato fort.
»Fünfzig, fünfzig«, schaltet sich Giuseppe in den Monolog ein.
»Fünfzig, fünfzig. Richtig, Giuseppe. Obwohl Zeus Interventions, mal unter uns, stärker sein muss. Der Joint-Venture-Vertrag muss ein paar – um es mal so zu sagen – Unausgewogenheiten enthalten. Natürlich zu unseren Gunsten. Das wird eure Arbeit sein, die Arbeit von euch Juristen, vergesst das nicht. Stärker, wie bei Yin und Yang, die gleich sind, nur dass einer weiß und einer schwarz ist. Wir müssen die Weißen sein, die anderen die Schwarzen. Und das ist kein Rassismus. Ich habe eine Menge schwarze Freunde.«
Giuseppe nickt, alles klar, du musst kein Wort mehr sagen.
»Ach so, noch etwas«, fährt Donato fort. »Ich muss euch mitteilen, dass wir uns sputen müssen. Die Zeit ist ziemlich knapp.«
»Wieso knapp?«, frage ich, als ich endlich die Gelegenheit sehe, mich auch zu beteiligen.
Donato läuft rot an vor Wut.
»Die Zeit ist immer knapp«, erklärt er und bleckt die Zähne.
»Aber sicher doch«, mischt sich Giuseppe ein und wirft mir einen eisigen Blick zu.
»Giuseppe«, erklärt Donato. »Ich brauche eine funktionierende Mannschaft.«
»Und die wirst du bekommen.«
»Entschuldigung, aber …«, fange ich wieder an. »Ich war gestern in Treviso und hatte die Gelegenheit, mich ein wenig im data room umzuschauen. Da stehen jede Menge Akten herum, die alle analysiert werden müssen. Zwischen der due diligence, der Vorbereitung des Berichts und schließlich dem Entwurf des Vertrags ist es notwendig …«
»Endru, um Gottes willen. Wir werden doch hier keine Zeit mit technischen Einzelheiten verschwenden. Donato hat uns seine Bedingungen genannt, und nun ist es an uns, einen Weg zu finden – und lieber Donato, ich versichere dir, dass wir einen Weg finden werden –, damit alles bestens klappt.«
»Wunderbar, Giuseppe«, begeistert sich Donato, streckt unvermittelt die Arme aus und lässt die Handgelenke aus den Ärmelbündchen hervorschnellen. »Meine Bedingungen«, wiederholt er dann langsam und lässt sich die Worte auf der Zunge zergehen.
Euphorie macht sich breit und verdrängt Besorgnis, Verwunderung und Genauigkeit. Donato erzählt, Giuseppe hört zu, Donato gibt Erklärungen ab, Giuseppe nickt, Donato fragt, Giuseppe improvisiert, Donato zeigt sich verwirrt, Giuseppe zeigt sich überschwänglich, Donato wirft das Stöckchen, Giuseppe wedelt mit dem Schwanz. Inzwischen haben sie auch das Jackett ausgezogen und die Ärmel hochgekrempelt und neue Stufen in der sozialen Hierarchie erklommen.
Der Satz: Darum kümmert sich der großartige Endru, wird zur probaten Lösung für jedes Problem. Wenn es ums Machen, Schreiben, Vermitteln, Merken geht, spielt Giuseppe sein entscheidendes Ass aus: Darum kümmert sich der großartige Endru. Timetable? Darum kümmert sich der großartige Endru. Koordination der due diligence? Darum kümmert sich der großartige Endru. Den ersten Entwurf für das joint venture agreement aufsetzen? Darum kümmert sich der großartige Endru. Ich nehme meinen Block, schreibe mit und stimme zu, übereifrig.
»Eines musst du mir aber mal verraten, Donato«, bittet Giuseppe. »Was für ein Interesse haben die Araber denn eigentlich an diesem Projekt? Die haben doch ihr Öl. Wieso interessieren die sich für Einkaufszentren in Venetien?«
»Diversifikation, Giuseppe. Di-ver-si-fi-ka-tion. Das ist das Schlüsselwort des neuen Milleniums. Die leben schließlich nicht hinterm Mond. Und wenn ich es noch einmal betonen darf, sie haben eben das Öl.«
»Wo wir schon dabei sind …«, sagt Giuseppe und springt auf. »Du weißt doch, dass Flacker, Grunthurst and Kropper auch auf energy and utilities spezialisiert ist. Auf diese Expertise sind wir – das sage ich jetzt mal so direkt – besonders stolz, und wir haben schon viel Anerkennung dafür bekommen. Wir könnten also eine dauerhafte berufliche Zusammenarbeit begründen. Diversifiziert natürlich.«
»Das werden wir noch sehen, Giuseppe. Wir werden ja sehen, wie dieses Projekt läuft.« Donato reckt sich über den Tisch. »Nun sollten wir uns erst einmal kennen lernen.«
Die Sitzung ist zu Ende, und wir begleiten Donato zur Tür.
»Giuseppe«, sagt Donato augenzwinkernd. »Es müssten alle auf den neuesten Stand unserer Verhandlungen gebracht werden, Finanzabteilung, back office.«
»Aber sicher doch, Donato. Aber sicher doch.«
Giuseppe schaut mich an, dann wendet er sich wieder Donato zu.
»Darum kümmert sich …«
»… der großartige Endru«, schließt Donato.
»Hahaha«, sagt Giuseppe.
»Hahaha«, erklingt das Echo von Donato.