KAPITEL I 3

 

Reuben und Stone fuhren am Abend mit dem Indian-Motorrad zu DeHavens Wohnsitz. Der hochgewachsene Stone hatte sich in den Beiwagen gequetscht. Gleich hinter ihnen fuhren Caleb und Milton in Calebs uraltem, zinngrauem, schrottreifem Chevy Nova mit knatterndem Auspuff vor. Caleb trug seine Ersatzbrille. Er ging davon aus, an diesem Abend viel lesen zu müssen.

»Nette Behausung«, meinte Reuben, als er Motorradhelm und Schutzbrille abnahm und sich den vornehmen Altbau anschaute. »Ganz schön anspruchsvoll für jemanden, der ein Beamtengehalt bezieht.«

»Jonathan hatte von Haus aus Geld«, erklärte Caleb.

»Wie schön für ihn«, sagte Reuben. »Ich hatte von Haus aus bloß Ärger. Und mit euch Kerlen gerate ich auch immer nur in irgendwelchen Schlamassel.«

Caleb schloss die Tür auf und schaltete die Alarmanlage ab. Dann betraten alle das Haus. »Ich bin schon mal in dem Panzergewölbe gewesen«, sagte Caleb. »Wir können mit dem Lift in den Keller fahren.«

»Ein Lift?«, rief Milton. »Ich kann Aufzüge nicht ausstehen.«

»Dann nimm die Treppe.« Caleb zeigte nach links. »Da.«

Reuben sah sich das antike Mobiliar an, die geschmackvollen Kunstwerke an den Wänden und die Skulpturen, die in klassisch gestalteten Präsentationsnischen aufgestellt waren. Im Wohnzimmer drückte er die Stiefelspitze vorsichtig in den kostbaren Perserteppich. »Wird hier zufällig ein Housesitter gebraucht, bis alles geregelt ist?«

»Wohl kaum«, sagte Caleb.

Sie fuhren im Lift hinunter und trafen Milton, der die Treppe genommen hatte, in einem kleinen Vorzimmer wieder. Die gewaltige Panzertür bestand aus fünfzig Zentimeter dickem Stahl; sie hatte ein Computer-Tastenfeld und ein Schloss für den Spezial-Sicherheitsschlüssel. Schlüssel und Code, erklärte Caleb, mussten gleichzeitig benutzt werden. »Ich durfte Jonathan mehrmals in sein Panzergewölbe begleiten.«

Die elektrobetriebene Tür schwang leise auf, und die Männer traten ein. Das Gewölbe war ungefähr dreieinhalb Meter breit, drei Meter hoch und etwa zwölf Meter lang. Als sie eintraten, glomm eine spezielle Schwachlichtbeleuchtung auf, die es dennoch erlaubte, einigermaßen gut zu sehen. »Es ist feuer- und bombenfest«, sagte Caleb. »Außerdem werden Temperatur und Luftfeuchtigkeit automatisch reguliert. Bei alten Büchern ist das unverzichtbar, besonders wenn sie in Kellern lagern, wo sich erhebliche Schwankungen ergeben können.«

Die Wände wurden von Regalen gesäumt, in denen sich Bücher, Schriften und andere Publikationen türmten, die selbst das ungeübte Auge erkennen ließen, dass es sich um kostbare Raritäten handelte.

»Dürfen wir etwas anfassen?«, fragte Milton.

»Das überlass lieber mir«, erwiderte Caleb. »Manche dieser Werke sind schon sehr empfindlich. Auf viele ist seit über hundert Jahren kein Tageslicht mehr gefallen.«

»Verdammt.« Reuben strich mit dem Finger leicht über einen Buchrücken. »Das ist hier ja wie ein Knast, in dem die Schmöker lebenslang absitzen.«

»Also wirklich, Reuben, das ist eine sehr ungerechtfertigte Betrachtungsweise«, sagte Caleb tadelnd. »Die Bücher werden hier geschützt, damit auch künftige Generationen noch etwas davon haben. Jonathan hat keine Kosten und Mühen gescheut, um seine Sammlung mit außerordentlicher Sorgfalt unterzubringen.«

»Was für eine Sammlung ist das denn?«, erkundigte sich Stone und betrachtete ein uraltes Buch, dessen Hülle aus Eiche geschnitzt zu sein schien.

Achtsam nahm Caleb das Werk, dem Stones Beachtung galt, vom Regal. »Jonathan hatte kein Spezialgebiet. Sämtliche bedeutenden Sammler hatten nahezu unbegrenzte Geldmittel zur Verfügung, vor allem aber eine klare Vorstellung, was für eine Sammlung sie wollten, und sie widmeten sich dem Sammeln mit einer Entschlossenheit, die man durchaus als Besessenheit bezeichnen konnte. So was nennt man Bibliomanie – die harmloseste Manie der Welt. Alle großen Sammler waren Besessene.« Er ließ den Blick durch das Gewölbe schweifen. »Will man eine wirklich bedeutende Sammlung, müssen ein paar Stücke unbedingt vorhanden sein. Aber die hätte Jonathan sich nie leisten können.«

»Zum Beispiel?«, fragte Stone.

»Shakespeares Folianten. Am bedeutendsten ist natürlich die erste Folioausgabe. Sie umfasst neunhundert Seiten mit sechsunddreißig Theaterstücken. Keine Originalmanuskripte des Dichters sind erhalten geblieben, deshalb sind die drei Folios unerhört begehrte Sammelobjekte. Ein Exemplar des First Folio ist vor ein paar Jahren in England für dreieinhalb Millionen Pfund verkauft worden.«

Milton stieß einen halblauten Pfiff aus und schüttelte den Kopf. »Ungefähr sechs Riesen pro Seite.«

»Dann gibt es da die naheliegenden Objekte der Begierde: William Blake, Newtons Principia Mathematica, Werke von Caxton, dem ersten englischen Drucker. J. P. Morgan hatte in seiner Sammlung mehr als sechzig Druckwerke Caxtons, wenn ich mich recht entsinne. Ein Mainzer Psalter von 1457, The Book of St. Albans und natürlich eine Gutenberg-Bibel. Auf der ganzen Welt gibt es nur drei bekannte Exemplare der auf Pergament gedruckten Gutenberg-Bibel in einwandfreiem Zustand. Die Kongressbibliothek hat ein Exemplar. Diese Bibeln sind unbezahlbar.« Calebs Blick schweifte über ein Regal. »Jonathan hat die 1472er Ausgabe von Dantes Göttlicher Komödie, die in jeder erstklassigen Sammlung willkommen wäre. Und Poes Tamerlane, das außergewöhnlich selten und schwer zu beschaffen ist. Vor einiger Zeit ist ein Exemplar für fast zweihunderttausend Dollar verkauft worden. Poes Reputation ist neuerdings beträchtlich gestiegen, also bekäme man heute dafür einen weit höheren Preis. Die Sammlung enthält zudem eine beachtliche Auswahl von Inkunabeln, überwiegend deutscher, teils auch italienischer Herkunft, und einen soliden Bestand an Erstausgaben zeitgenössischer Werke, viele mit Autogramm. Er hat zahlreiche Americana zusammengetragen, darunter eine größere Menge Handschriften von Washington, Adams, Jefferson, Franklin, Madison, Hamilton, Lincoln und anderen. Es ist eine ganz nette, aber keine bedeutende Sammlung.«

»Was ist das da?«, fragte Reuben und wies in eine düstere Ecke des Panzergewölbes.

Die Männer sammelten sich vor Reubens Entdeckung, einem kleinen Porträt eines Mannes in mittelalterlicher Kleidung. »Ich kann mich nicht erinnern, dieses Bild schon einmal gesehen zu haben«, bekannte Caleb.

»Warum hat er in einem Kellergewölbe ein Gemälde hängen?«, sinnierte Milton.

»Und obendrein nur eins«, merkte Stone an. »Eine Sammlung ist es ja wohl nicht.« Er besah sich das Bild aus verschiedenen Perspektiven; dann legte er eine Hand an den rechten Seitenrand des Rahmens und zog daran. Er ließ sich herausklappen und gab den Blick auf einen kleinen, in die Wand eingebauten Tresor frei. »Ein Tresor in einem Tresor«, stellte Stone fest. »Caleb, versuch’s mal mit dem Code, den der Anwalt dir für die Panzertür genannt hat.« Caleb tat wie geheißen, aber ohne Erfolg. Er versuchte es mit mehreren anderen Zahlenkombinationen, jedoch vergebens. »Meistens verwenden Leute eine Kombination, die sie nicht vergessen können, um sie nicht aufschreiben zu müssen. Es sind Zahlen oder Buchstaben, oder auch beides.«

»Warum überlässt jemand Caleb Schlüssel und Code für die Panzertür, aber nicht für diesen Wandtresor?«, fragte Milton.

»Vielleicht dachte er, Caleb kann sich die Lösung zusammenreimen«, vermutete Reuben.

Stone nickte. »Da könnte was dran sein. Was meinst du, Caleb? Möglicherweise gibt es einen Zusammenhang mit dem Lesesaal der Raritätenabteilung.«

»Wieso?«, fragte Milton.

»Weil hier sozusagen DeHavens privater Raritätenlesesaal war.«

Caleb zog ein nachdenkliches Gesicht. »Jonathan hat jeden Tag den Lesesaal aufgeschlossen, immer eine Stunde bevor sonst jemand kam. Er hatte dafür spezielle Schlüssel, musste allerdings zum Öffnen auch einen ganz bestimmten Code eintippen. Aber den kenne ich nicht.«

»Dann ist die Lösung vielleicht so einfach, dass man sie praktisch vor der Nase hat.«

Plötzlich schnippte Caleb mit den Fingern. »Na klar! Ich habe sie jeden Tag vor der Nase!« Er tippte auf dem Tastenfeld des kleinen Tresors einen Code ein, und mit einem Klicken öffnete sich die Tür.

»Was hast du gemacht?«, fragte Stone.

»Ich habe ›LJ 239‹ eingegeben. Das ist die Beschriftung auf der Tür zum Lesesaal der Raritätenabteilung. Ich sehe sie täglich, wenn ich meinen Dienst antrete.«

In dem Wandtresor lag nur ein Gegenstand. Behutsam zog Caleb die Kiste heraus und entfernte langsam den Deckel. »Das Ding ist ja in ziemlich miesem Zustand«, sagte Reuben.

Tatsächlich war der Buchumschlag schwarz und zerfleddert, und die Bindung zerbröselte. Mit aller Vorsicht klappte Caleb das Buch auf und drehte ein Blatt um; dann ein zweites und drittes.

Unvermittelt schnappte er nach Luft. »Ach du lieber Gott!«

»Was ist?«, fragte Stone.

Caleb bebten die Hände. Er antwortete stockend und mit zitternder Stimme: »Ich glaube … ich meine … ich würde sagen, das hier ist ein Bay Psalm Book. Eine Erstausgabe.«

»Ist es selten?«, wollte Stone wissen.

Aus großen Augen schaute Caleb ihn an. »Es ist das älteste erhaltene Druckerzeugnis der Vereinigten Staaten, Oliver! Auf der ganzen Welt existieren lediglich elf Psalm Books, und davon sind nur fünf vollständig. Sie werden nie auf dem Markt gehandelt. Die Kongressbibliothek hat ein Exemplar, das uns vor Jahrzehnten geschenkt wurde. Einen Ankauf hätten wir uns wahrscheinlich nicht erlauben können.«

»Wie ist dann Jonathan DeHaven an so ein Exemplar gelangt?«, wunderte sich Stone.

Voller Ehrfurcht legte Caleb das Buch zurück in die Kiste und schloss den Deckel. Er stellte die Kiste wieder in den Tresor und klappte die Tür zu. »Keine Ahnung. Das letzte Mal kam ein Psalm Book vor über sechzig Jahren auf den Markt und wurde für einen Rekordpreis verkauft … nach heutigem Geld mehrere Millionen Dollar. Das Exemplar wird jetzt in Yale aufbewahrt.« Er schüttelte den Kopf. »Für einen Büchersammler ist dieser Fund so ähnlich wie für den Kunstsammler, der auf einen verschollenen Rembrandt oder Goya stößt.«

»Also, wenn’s auf der ganzen Welt bloß elf Exemplare von dem Schinken gibt«, meinte Milton, »muss ja leicht rauszufinden sein, wo sie stecken. Ich kann ja mal bei Google nachgucken.«

Caleb warf ihm einen verächtlichen Blick zu. Während Milton jede Neuerung im Bereich der Computer willkommen hieß, blieb Caleb ein ausgesprochener Technikfeind.

»Nach einem Psalm Book kann man nicht einfach googeln, Milton. Außerdem befinden die Werke sich allesamt in Einrichtungen wie Harvard, Yale und der Kongressbibliothek, soviel ich weiß.«

»Bist du sicher, dass es ein Original ist?«, fragte Stone.

»Das Psalm Book hat noch mehrere spätere Auflagen erlebt, aber ich bin mir nahezu sicher, dass dies hier die Ausgabe von 1640 ist«, erklärte Caleb beinahe atemlos. »So steht es auf dem Titelblatt. Darüber hinaus weist der Band bestimmte Merkmale auf, die mir von unserem Original bekannt sind.«

»Was ist das überhaupt für ein Schmöker?«, fragte Reuben. »Ich konnte den Text kaum entziffern.«

»Es ist ein Gesangbuch, das die Puritaner von einer Pastorenkommission zusammenstellen ließen, um eine Quelle täglicher religiöser Erbauung zu haben. Damals waren die Druckverfahren noch reichlich primitiv, und die alte Schreibweise und die früheren Lettern erschweren das Lesen zusätzlich.«

»Aber wie kommt das Buch hierher, wenn doch alle Psalm Books bei irgendwelchen Institutionen liegen?«, gab Stone zu bedenken.

Bestürzt blickte Caleb ihm ins Gesicht. »Vermutlich kann man nicht ausschließen, dass es irgendwo unbekannte Exemplare des Psalm Books gibt, wie gering die Wahrscheinlichkeit auch sein mag. Schließlich wurde die Hälfte des handgeschriebenen Manuskripts von Huckleberry Finn von einer Frau auf einem Dachboden aufgestöbert. Und jemand anders hat auf der Rückseite eines gerahmten Gemäldes ein Original der Unabhängigkeitserklärung entdeckt. Und in einem alten Buch wurde eine Handschrift Lord Byrons gefunden. Über die Dauer einiger hundert Jahre ist alles möglich.« Trotz der Kühle des Panzergewölbes musste Caleb sich eine Schweißperle von der Stirn wischen. »Ist euch klar, welche enorme Verantwortung diese Entdeckung mir aufbürdet? Wir haben hier eine Sammlung mit einem Psalm Book! Einem Psalm Book, um Himmels willen!«

Stone legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zu beruhigen. »Ich wüsste niemanden, der besser dafür qualifiziert wäre als du, Caleb. Und wenn wir dir irgendwie behilflich sein können, sind wir für dich da.«

»Na klar«, sagte Reuben. »Zufällig hab ich ein paar Kröten bei mir, falls du schon mal einige Schwarten loswerden willst, bevor die richtig geldschweren Typen angewackelt kommen. Wie viel willst du für den Schinken mit der Göttlichen Komik? Ich würde gern mal wieder was Lustiges lesen.«

»Reuben«, mischte Milton sich ein, »keiner von uns wird sich auch nur den Auktionskatalog leisten können, in dem man diese Sammlung anbietet.«

»Na toll«, maulte Reuben. »Als Nächstes wirst du mir wohl sagen, dass ich meinen Scheißjob im Hafen behalten muss, obwohl wir hier diesen fetten Fund gemacht haben.«

»Zum Donnerwetter, was tun Sie hier?«, rief plötzlich eine fremde Stimme. Alle drehten sich um und sahen an der Schwelle zum Panzergewölbe drei Eindringlinge stehen. Zwei waren bullige Männer in den Uniformen eines privaten Schutzdienstes und hielten Pistolen auf den Camel Club gerichtet. Der dritte Mann war klein und mager, mit rotem Haar, einem säuberlich gestutzten Bärtchen von gleicher Farbe und lebhaften blauen Augen. »Was tun Sie hier, habe ich gefragt«, wiederholte der Rothaarige.

»Vielleicht sollten wir diese Frage eher Ihnen stellen, Freundchen«, knurrte Reuben.

Caleb trat vor. »Ich bin Caleb Shaw von der Kongressbibliothek. Jonathan DeHaven war mein Kollege und Vorgesetzter. Im Testament hat er mich zu seinem literarischen Nachlassverwalter ernannt.« Er zeigte die Schlüssel vor. »Ich habe von seinem Anwalt die Erlaubnis, das Haus zu betreten und diese antiquarische Sammlung zu sichten. Meine Freunde haben mich zu meiner Unterstützung begleitet.« Er holte den Dienstausweis der Kongressbibliothek aus der Tasche und reichte ihn dem Mann, dessen Verhalten sich schlagartig änderte.

»Oh, ich sehe schon, ich sehe schon«, sagte er beflissen, besah sich Calebs Dienstausweis und gab ihn zurück. »Es tut mir leid. Ich habe beobachtet, dass Unbekannte Jonathans Tür aufsperrten und ins Haus gingen. Aber da habe ich wohl voreilige Schlüsse gezogen.« Er nickte den Wachmännern zu, und sie steckten die Pistolen ein.

»Wir haben Ihren Namen nicht verstanden«, sagte Reuben, der den Rotschopf mit argwöhnischen Blicken musterte.

»Ich glaube, wir haben es mit Cornelius Behan zu tun«, sagte Stone, ehe der Mann antworten konnte, »Chef von Paradigma Technologies, dem drittgrößten Rüstungsproduzenten der Nation.«

Behan schmunzelte. »Und bald dem größten, wenn es nach mir geht – und es geht meistens nach mir.«

»Also gut, Mr. Behan«, begann Caleb, »ich …«

»Sagen Sie C. B. zu mir. Jeder nennt mich C. B.« Behan trat einen Schritt vor und schaute sich in dem Kellergewölbe um. »Das ist also DeHavens Büchersammlung.«

»Sie haben Jonathan gekannt?«, fragte Caleb.

»Enge Freunde waren wir nicht. Ich hatte ihn bloß auf ein, zwei Partys zu Gast. Aber ich wusste, dass er in der Bibliothek arbeitet und selbst Bücher sammelt. Hin und wieder sind wir uns auf der Straße begegnet und haben ein paar Worte gewechselt. Ich konnte es nicht fassen, als ich von seinem Tod erfuhr.«

»So wie wir alle«, sagte Caleb schwermütig.

»Sie sind also sein literarischer Nachlassverwalter‹?«, hakte Behan nach. »Was genau bedeutet das?«

»Dass ich vor der Aufgabe stehe, die Sammlung zu katalogisieren, ihren Wert zu schätzen und sie zu verkaufen.«

»Ist denn was Wertvolles dabei?«, fragte Behan.

»Sind Sie Büchersammler?«, stellte Stone eine Gegenfrage.

»Na ja, nicht direkt, aber ich habe schon viel Wertvolles gesammelt«, wich Behan der Frage aus.

»Nun, es ist eine ganz nette kleine Bibliothek«, sagte Caleb. »Sie wird zur Auktion freigegeben. Auf jeden Fall die herausragendsten Werke.«

»So, so«, sagte Behan zerstreut. »Wissen Sie Neues über Jonathans Tod?«

Caleb schüttelte den Kopf. »Bisher sieht’s nach Herzversagen aus.«

»Nicht zu fassen. Dabei machte er einen so gesunden Eindruck! So etwas gibt einem wieder neuen Ansporn, aus jedem Tag das Beste zu machen, nicht wahr? Denn wer weiß, was morgen ist.« Behan drehte sich um und ging, die Wachmänner folgten ihm.

Während ihre Schritte verklangen, wandte Stone sich an Caleb. »Sehr aufmerksam von dem Burschen, im Haus eines Mannes nach dem Rechten zu sehen, mit dem er auf der Straße hin und wieder ein paar Worte gewechselt hat.«

»Er ist ein Nachbar, Oliver«, entgegnete Caleb. »Ich finde es ganz normal, dass er ein bisschen Acht gibt.«

»Mir gefällt der Kerl nicht«, gestand Milton. »Er stellt Dinge her, die Menschen töten.«

»Ganze Völkerscharen«, bekräftigte Reuben. »Für meine Begriffe ist der freundliche C. B. ein mieser kleiner Kriegsgewinnler.«

Es dauerte Stunden, die Bücher und anderen Druckwerke durchzuschauen, bis Caleb ein halbwegs ordentliches Verzeichnis vorlag. Milton tippte sämtliche Daten seinem Notebook ein. »Und was nun?«, fragte er, als sie das letzte Buch zuklappten.

»Üblicherweise lässt man zum Schätzen einen Sachverständigen von Sotheby’s oder Christie’s kommen«, sagte Caleb. »Aber ich denke an jemand anders. Ich halte ihn für den besten Fachmann auf dem Gebiet antiquarischer Bücher. Ich möchte erfahren, ob er wusste, dass Jonathan ein Psalm Book besaß.«

»Ist der Wunderknabe in New York zu finden?«, erkundigte sich Stone.

»Nein, hier im D. C. Es sind nur zwanzig Minuten mit dem Wagen.«

»Wer ist es?«, fragte Reuben.

»Vincent Pearl.«

Stone blickte auf die Armbanduhr. »Wir müssen ihn wohl morgen besuchen. Es ist schon nach dreiundzwanzig Uhr.«

Caleb schüttelte den Kopf. »Nein, die Gelegenheit ist günstig. Pearls Antiquariat hat nur abends geöffnet.«KAPITEL IJ