KAPITEL I I
Der letzte Scheck war fällig. Tony wartete vor der Kassiererin, einer niedlichen jungen Asiatin mit schulterlangen schwarzen Haaren, makelloser Haut und hohen Wangenknochen. Sie gefiel Tony sehr, sodass er sich vorbeugte und einen Arm auf den Kassenschalter stützte.
»Wohnen Sie schon länger hier?«, fragte er.
»Ein paar Monate. Ich komme aus Seattle.«
»Da ist das Wetter ähnlich wie hier«, sagte Tony.
»Ja.« Die Frau lächelte, ohne die Arbeit zu unterbrechen.
»Ich bin gerade erst aus Vegas hergezogen«, behauptete Tony. »Da gibt’s bei Tag und Nacht nur Rummel.«
»Las Vegas? Da war ich noch nie.«
»Oh Mann, da geht der Bär ab. Sie müssen da mal hin.« Leise fügte Tony hinzu: »Und es heißt: Was in Vegas passiert, behält Vegas für sich.« Erwartungsvoll musterte er die Bankangestellte. »Ich würd’s Ihnen gern mal zeigen.«
Sie streifte ihn mit einem tadelnden Blick. »Ich kenne Sie doch gar nicht.«
»Na schön, wir müssen ja nicht gleich mit Vegas loslegen. Vielleicht mit ’nem Abendessen?«
»Und wenn ich einen Freund habe?«, fragte die Angestellte ein wenig patzig.
»Ein so hübsches Wesen wie Sie hat bestimmt einen Freund. Dann muss ich mir eben noch mehr Mühe geben, dass Sie ihn vergessen.«
Die Frau errötete und senkte den Blick, doch jetzt lächelte sie wieder. »Sie sind ganz schön frech.« Ihre Finger klackerten auf der Computertastatur. »So. Haben Sie irgendeinen Ausweis?«
»Nur wenn Sie versprechen, nicht Nein zu sagen, wenn ich Sie bitte, mit mir auszugehen.«
Sie nahm seinen Ausweis entgegen und streifte dabei mit den Fingern seine Hand. Wieder lächelte Tony ihr zu. Sie betrachtete den Ausweis und wirkte plötzlich verdutzt. »Ich dachte, Sie wären aus Vegas.«
»Stimmt genau.«
»Aber hier steht Arizona.« Sie drehte den Ausweis um und zeigte ihn Tony. »Und das Foto sieht Ihnen gar nicht ähnlich.«
Ach du Scheiße! Er hatte den verkehrten Ausweis aus der Tasche geholt. Obwohl Annabelle ihnen eingeschärft hatte, immer nur einen Ausweis bei sich zu tragen, hatte Tony – starrsinnig, wie er war – immer alle Ausweise bei sich gehabt. Auf diesem Foto hatte er blonde Haare, einen kurzen Ziegenbart und trug eine Intellektuellenbrille.
»Ich … Ich hab in Vegas gearbeitet, aber in Arizona gewohnt, weil’s da billiger ist«, sagte er hastig. »Und nach dem Umzug hab ich beschlossen, meinen Typ zu ändern, andere Haarfarbe, Kontaktlinsen und so … Sie wissen schon.« Noch während Tony seine lahmen Ausreden heruntersülzte, begriff er, dass er die Tour vermasselt hatte.
Die Kassiererin beäugte den Scheck, und ihr Gesichtsausdruck wurde noch argwöhnischer. »Das ist ein kalifornischer Bankscheck einer kalifornischen Firma, aber die Bankleitzahl gilt für New York. Wie kommt das denn?«
»Bankleitzahl?«, wiederholte Tony, dessen Stimme jetzt bebte. »Von so was hab ich keine Ahnung.« Er sah an der Miene der Frau, dass sie ihn im Stillen bereits des Scheckbetrugs für schuldig befunden hatte. Sie legte den Scheck und Tonys verkehrten falschen Ausweis vor sich auf den Kassenschalter und schaute in die Richtung eines Mannes vom Sicherheitsdienst.
»Ich muss meinem Abteilungsleiter Meldung machen«, sagte die Kassiererin.
»Was geht hier eigentlich vor?«, fragte eine leise, aber scharfe Stimme. »Entschuldigen Sie mal.« Eine Frau schubste Tony beiseite und wandte sich an die Kassiererin. Die Frau war groß und vollschlank, hatte blondes Haar mit dunklen Wurzeln, trug eine schicke Designerbrille am Kettchen, eine purpurrote Bluse und eine schwarze Freizeithose. Mit gedämpfter, jedoch fester Stimme redete sie auf die junge Frau hinter dem Kassenschalter ein. »Ich warte jetzt zehn Minuten, während Sie beide hier hemmungslos flirten. Ist das die Art von Service, den diese Bank bietet? Wollen wir mal Ihren Abteilungsleiter holen und ihn fragen, was er davon hält?«
Die Angestellte riss die Augen auf. »Tut mir leid, Ma’am, ich wollte gerade …«
»Ich weiß, was Sie wollten«, fiel die Frau ihr ins Wort. »Ich habe ja gehört, wie dieser Mann Ihnen sagte, Sie seien ein ›hübsches Wesen‹. Jeder hier in der Bank konnte hören, wie Sie geflirtet und Ihr Liebesleben diskutiert haben.«
Das Gesicht der Angestellten lief knallrot an. »Das ist nicht wahr, Ma’am.«
Die Frau stemmte die Hände auf den Kassenschalter und beugte sich vor. »Ach ja? Was war es dann, als Sie über Freunde und Las Vegas geredet haben und er Sie zum Essen eingeladen hat? Oder ging es da um Geschäftsvorgänge? Machen Sie das mit allen Kunden so? Möchten Sie auch mit mir darüber reden, mit wem ich in die Kiste steige?«
»Ich muss doch sehr bitten, Madam, ich …«
»Halten Sie den Schnabel! Mit dieser Bank bin ich fertig!« Die Frau drehte sich um und stapfte aus der Schalterhalle.
Tony war inzwischen verschwunden. Wenige Sekunden nach Erscheinen der Frau hatte Leo ihn aus der Bank geschmuggelt.
Eine Minute später stieß Annabelle im Lieferwagen zu ihnen. »Gib Gas, Freddy«, rief sie dem Fahrer zu, zerrte sich die blonde Perücke vom Kopf und steckte die Brille in die Handtasche. Dann zog sie die Bluse aus und riss die um die Taille geklebten Polster ab. Sie warf Tony den Ausweis zu, der ihn mit beschämter Miene auffing.
»Oh Mann«, rief er plötzlich, »die haben noch den Scheck …« Er verstummte abrupt, als er Annabelle den säuberlich gefalteten Scheck hochhalten sah. »Tut mir leid, Annabelle. Tut mir echt leid.«
Sie beugte sich zu ihm vor. »Kleiner Rat unter Freunden, Tony. Verguck dich nie in den Hammel, den du scheren willst, erst recht nicht, wenn du unter falschem Namen unterwegs bist.«
»Ich könnte den Scheck bei einer anderen Bank vorlegen …«, sagte Tony kleinlaut.
»Nichts da.« Annabelle schüttelte den Kopf. »Das ist das Risiko nicht wert.«
Zuerst wollte Tony widersprechen; dann lehnte er sich zurück und schwieg.
Leo und Annabelle wechselten einen Blick, ehe sie erleichtert aufatmeten.
Zwei Tage darauf klopfte Leo in dem gemieteten Unterschlupf an Annabelles Schlafzimmertür.
»Ja?«, rief sie.
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Klar.« Annabelle saß auf dem Bett und packte Kleidungsstücke in einen Rollkoffer.
»Drei Millionen«, sagte Leo andächtig. »Du nennst es einen kleinen Fisch, aber für die meisten Abzocker wäre das schon das ganz große Ding, Annabelle.«
»Jeder Abzocker mit ein bisschen Geschick hätte das geschafft. Ich hab bloß die Latte ein wenig höher gelegt.«
»Ein wenig? Drei Millionen geteilt durch vier ist nicht wenig.« Annabelle fixierte ihn mit scharfem Blick. »Klar, klar«, lenkte Leo rasch ein, »dein Anteil ist größer, weil es dein Plan war. Aber mir genügt mein Stück vom Kuchen, um ein paar Jahre lang die Puppen tanzen zu lassen.«
»Noch nicht. Erst holen wir uns die ganz dicke Knete. So war es abgemacht, Leo.«
»Na klar, aber denk noch mal darüber nach, ja?«
Annabelle stopfte ein Bündel Kleidung in den Rollkoffer. »Ich habe darüber nachgedacht. Als Nächstes kommt das ganz große Ding.«
Leo stand auf und befingerte eine kalte Zigarette. »Gut. Und was ist mit dem Schnösel?«
»Was soll mit ihm sein?«
»Mit Freddy hab ich kein Problem, er leistet Spitzenarbeit. Aber der Bubi hätte uns beinahe den Hals gebrochen. Wärst du nicht zur Stelle gewesen …«
»Dann wäre ihm irgendwas eingefallen.«
»Nie und nimmer. Die Kassiererin hatte alles gerafft. Er war so blöd, ihr den verkehrten Ausweis zu geben. Was hätte ihm da noch einfallen können?«
»Hast du beim Abzocken nie einen Fehler gemacht, Leo? Lass mich überlegen. Ach ja … wie war das damals in Phoenix? Und in Jackson Hole?«
»Ja, ja, schon gut, aber da ging es nicht um ’ne Multi-Millionen-Dollar-Abzocke. So was ist mir nicht auf dem Präsentierteller angeboten worden, als ich noch in Windeln rumlief, so wie Tony.«
»Missgunst hilft dir nicht weiter. Tony kann sich durchboxen.«
»Vielleicht, vielleicht auch nicht. Aber ich will nicht dabei sein, wenn sich herausstellt, dass er’s nicht kann.«
»Lass das meine Sorge sein.«
Leo warf die Arme empor. »Na toll, du sorgst dich also um uns alle.«
»Ich bin froh, dass wir uns darüber einig sind.«
Leo stapfte im Zimmer auf und ab, die Hände in den Taschen.
»Gibt es sonst noch etwas zu besprechen?«, fragte Annabelle.
»Ja. Wie willst du an das ganz große Moos kommen?«
»Ich sag’s dir, wenn du es wissen musst.«
Leo setzte sich auf die Bettkante. »Ich bin nicht die CIA. Ich bin Abzocker. Ich traue keinem.« Er richtete den Blick auf Annabelles Rollkoffer. »Wenn du mich nicht einweihst, bin ich aus dem Rennen.«
»Du kennst unsere Vereinbarung, Leo. Wer vorzeitig aussteigt, geht leer aus. Zwei kleine Dinger und ein ganz großes. So war es abgemacht.«
»Ja, ja. Aber es gehörte nicht zu unserer Abmachung, dass ich den Babysitter für einen Trottel spiele, der uns um ein Haar in den Knast gebracht hätte. Also müssen wir den Deal wohl neu verhandeln.«
Verächtlich musterte Annabelle ihn. »Was denn? Nach so vielen Jahren willst du mir in den Rücken fallen? Ich hab dir den Weg zur besten Abzocke deines Lebens geebnet.«
»Ich bin nicht auf mehr Geld versessen. Ich will endlich wissen, um was es bei der Sache geht, oder du machst ohne mich weiter.«
Annabelle hielt beim Packen inne und überlegte. »Bist du erst einmal zufrieden, wenn ich dir sage, wohin es gehen soll?«
»Hängt davon ab.«
»Atlantic City.«
Alles Blut wich aus Leos Gesicht. »Bist du total übergeschnappt? War es letztes Mal nicht schon schlimm genug?«
»Das ist lange her, Leo.«
»Für mich kann es gar nicht lange genug her sein!«, fuhr Leo auf. »Warum nehmen wir uns nicht was Leichteres vor? Zum Beispiel, uns mit der Mafia anzulegen?«
»At-lan-tic Ci-ty!«, fauchte Annabelle und zerlegte die beiden Wörter in ihre fünf Silben.
»Warum denn, um Himmels willen? Wegen deinem Alten?« Annabelle antwortete nicht. Leo zeigte mit dem Finger auf sie. »Du bist reif für die Klapse. Wenn du dir ernsthaft einbildest, ich gehe mit dir noch mal in diesen Höllentempel, nur weil du meinst, dass du irgendwas beweisen musst, kennst du Leo Richter nicht.«
»Unsere Maschine startet um sieben.« Ein paar Augenblicke schaute Leo ihr nervös beim Packen zu. »Fliegen wir erster Klasse?«, fragte er schließlich. »Ja. Warum?«
»Wenn es schon mein letzter Flug ist, will ich wenigstens vornehm zugrunde gehen.« »Ganz wie’s beliebt, Leo.«
Während Annabelle weiter packte, verließ Leo das Zimmer.
KAPITEL 12