KAPITEL 25

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Nachdem Chief Chao die Hilfsenergie auf die Zielkreisläufe umgeleitet hatte, versuchte Shar erneut, das Außenteam mit dem Transporter zu erfassen. Der Boden unter ihm bebte.

»Nichts«, meldete Chao. »Ich fahre den Zielscanner noch mal hoch und richte die Transporterrelais anders aus. Auf ein Neues.«

Hinter Shar und dem Transporterchief stand Bowers und fluchte leise, als auch diese Bemühung, das Außenteam zurückzuholen, scheiterte. »Irgendwelche Kommunikatorsignale aus dem Artefakt?«

»Negativ«, antwortete Shar und schüttelte den Kopf, die Antennen zurückgebogen. »Aber sie sind erst wenige Minuten drüben. Ich weiß nicht einmal, ob die Zeit im Inneren dieses Artefakts genauso verläuft wie im Normalraum.«

»Ich justiere den Transporter neu«, sagte Chao. Sie war sichtlich nicht gewillt, bald aufzugeben. »Das hier wäre bedeutend leichter, wenn wir das Relaisnetzwerk umgehen und die Defiant dichter an das Artefakt heranbringen könnten.«

Abermals erzitterte das Schiff unter dem Angriff der Nyazen. »Das halte ich momentan für wenig wahrscheinlich«, erwiderte Shar und versuchte angestrengt, nicht daran zu denken, dass drei seiner Freunde und Kollegen vielleicht nie mehr geborgen werden würden. Wie schon bei Thriss, würde ihr Tod schwer auf seiner Seele lasten.

Aber er wusste, dass ihm für Schuldgefühle die Zeit und die Energie fehlten. Wir befinden uns in einer Kampfsituation. Schnell wandte er sich an Bowers. »Wir müssen zur Brücke.« Seine Stimme kam selbst ihm heiser und panisch vor.

Bevor sie aufbrechen konnten, meldete sich Bowers’ Kommunikator. »Krankenstation an Sicherheitsdienst!« Ensign Richter klang gefasst, aber doch ängstlich.

»Bowers hier. Sprechen Sie, Krissten.«

»Der Fremde – Sacagawea – ist plötzlich sehr aufgewühlt. Vielleicht macht ihm nur die Schlacht da draußen Angst, aber ich will kein Risiko eingehen.«

»Ich bin unterwegs.« Bowers zog seinen Phaser und lief los. Shar folgte ihm in den Korridor, und schon nach wenigen Momenten erreichten die beiden die Krankenstation – zeitgleich mit Lieutenant McCallum, dessen Phaser ebenfalls gezückt war. Bowers nickte knapp, und der schlanke Sicherheitsoffizier gab ihm Rückendeckung.

Ensign Richter hielt ein Hypospray vor sich und war einige Schritte von Sacagawea zurückgewichen. Dieser stand in der Mitte des Raumes und gestikulierte wild mit seinen dünnen insektoiden Gliedern. »Nichts ist zu fürchten jetzt/gegenwärtig«, sagte der D’Naali und wiederholte es wie ein Mantra. »Hilfe/Unterstützung ist kommend/unterwegs. Baldschnellbald.«

Shar spürte ein eigenartiges Kribbeln in den Antennen. Das geschah sonst nur, wenn ein getarnter Jem’Hadar-Soldat in der Nähe war – oder ein mächtiger Subraumtransmitter. Neugierig näherte er sich dem großen Wesen und bedeutete Bowers und McCallum mit der Hand, zurückzubleiben. Sacagawea wurde prompt ruhiger; ob das an Shars bloßer Anwesenheit oder seiner Furchtlosigkeit lag, vermochte der Wissenschaftsoffizier allerdings nicht zu sagen.

»Soll das heißen, dass D’Naali-Schiffe kommen werden, um uns gegen die Nyazen zu helfen?«, fragte Shar langsam und betont, um den Universalübersetzer nicht zu überfordern. Wieder prallte eine Salve der Nyazen auf die Schilde der Defiant und ließ das Schiff erzittern.

»Bestätige/Bejahe dies als Tatsache«, antwortete das Wesen.

Ja, dachte Shar und warf Bowers einen Blick zu, dessen Augen sich skeptisch verengten. McCallum stand einfach da, den Phaser in der Hand, und schaute verblüfft aus der Wäsche.

»Ich wüsste gern«, sagte der taktische Offizier zu dem D’Naali, »warum Sie sich dessen so sicher sind.«

Shar berührte seinen Kommunikator. »Ensign ch’Thane an Commander Vaughn.«

»Vaughn hier«, kam prompt die Erwiderung. »Wir sind im Moment ein klein wenig beschäftigt, Ensign.« Wieder wackelte das Schiff, als wollte es die Worte seines Kommandanten unterstreichen.

Shar zuckte innerlich zusammen und entsann sich der Tadel, die seine Zhavey ihm wegen weitaus weniger schwerer Vergehen hatte zuteilwerden lassen. »Ich glaube, das hier kann nicht warten, Sir.«

»Wehe, Sie begeistern mich nicht, Mister.«

Nachdem er Shars knappen Bericht gehört hatte, ließ Vaughn Tenmei weitere zwanzig Millionen Kilometer zur Sonne zurückfallen. Die Nyazen-Flotte setzte ihre Verfolgung unbeirrt fort.

»Sie sind schon bald wieder in Schussreichweite«, meldete Merimark von der taktischen Station, die Stimme ungewöhnlich emotional. »Die Impulsphaserkanonen sind von den letzten Salven noch inaktiv.«

»Antrieb?«, fragte Vaughn.

»Warp und Impuls sind verfügbar«, antwortete Merimark. »Vorausgesetzt, wir nehmen nicht noch mehr Schaden. Ensign VanBuskirk meldet, dass die letzten Treffer die bisherigen Reparaturarbeiten an der Tarnvorrichtung zunichtegemacht haben.«

Das überraschte Vaughn nicht. Eine funktionierende Tarnvorrichtung wäre mehr gewesen, als er sich in seiner Lage hätte erhoffen dürfen. »Halten Sie die Augen auf, Ensign Merimark. Ensign Tenmei, machen Sie sich bereit, uns auf meinen Befehl hin mit Warpgeschwindigkeit aus diesem System zu bringen.«

Tenmei warf ihm einen fragenden Blick über die Schulter zu. »Sir?«

»Nur als letzten Ausweg, Ensign. Ich werde unser Außenteam nicht zurücklassen, solange ich andere Optionen habe.«

»Captain«, sagte sie und runzelte die Stirn, »einen weiteren simultanen Angriff aller neun Schiffe überstehen wir nicht.«

Er lächelte humorlos und dachte an das, was Shar ihm eben berichtet hatte. »Irgendwie bezweifle ich, dass wir es müssen.«

»Ich habe mehrere unidentifizierte Schiffe auf den Langstreckensensoren, Sir«, meldete Merimark. »Sie nähern sich uns.«

Waren das gute Nachrichten? Vaughn hoffte es. »Wie viele?«

»Elf. Nein, zwölf. Sie sind gerade aus dem Warp gefallen und nähern sich unserer Position.«

Er grunzte bestätigend und strich sich über den Bart. »Lassen Sie sehen.«

Einen Augenblick später erschienen mehrere lange, kegelförmige Schiffe auf dem Monitor. D’Naali, dachte Vaughn und sah zu einem der Schiffe. Sein Muster aus Rußspuren an der Außenhülle identifizierte es eindeutig als das, mit dem Sacagawea gekommen war.

Plötzlich hörte er die Turbolifttür hinter sich aufgleiten und drehte sich auf seinem Sessel um. Shar und Bowers betraten die Brücke mit Sacagawea im Schlepptau. Das große, insektoide Wesen musste gebückt gehen, um nicht gegen die relativ niedrige Decke der Brücke zu stoßen.

»Behalten Sie ihn genau im Auge, Mr. Bowers«, sagte Vaughn.

»Die D’Naali fahren ihre Waffen hoch«, meldete Merimark unsicher.

Einen Sekundenbruchteil später sausten mehrere hellblaue Energiestrahlen über den Monitor. Sie entstammten den neuen Schiffen, doch nicht die Defiant war ihr Ziel. Stattdessen schlugen sie gegen die Hülle des führenden Nyazen, der das Feuer prompt erwiderte. Abermals Druckdisruptoren, beobachtete Vaughn stumm. Beide Seiten arbeiten mit recht sparsamen Mitteln.

Die Schlacht entwickelte sich schnell und war ganz klar einseitig. Obwohl beide Parteien ähnlich starke Waffen besaßen, war die neu hinzugekommene D’Naali-Flotte in Größe und Energiereserven überlegen.

»Die Nyazen wenden«, verkündete Tenmei entsprechend schnell. »Die meisten von ihnen halten nun direkt auf die fremde Kathedrale zu. Einige D’Naali haben die Verfolgung aufgenommen.«

»Manchmal kommt die Kavallerie tatsächlich im buchstäblich letzten Moment über die Hügel geprescht«, murmelte Bowers, der noch immer neben Shar und Sacagawea stand.

Vaughn drehte sich um und sah zur Taktik. »Rufen Sie das Flaggschiff der D’Naali, Ensign Merimark.«

Merimark lauschte bereits auf etwas in ihrem Ohrstöpsel. »Sir, das Flaggschiff ruft uns

Einen Augenblick später erschien das käfergleiche Gesicht eines D’Naali-Kommandanten auf dem Monitor. Vaughn wusste nicht, ob es dasselbe Wesen war, mit dem er zuvor gesprochen hatte. Die D’Naali ähnelten sich sehr, und er war bereit zu wetten, dass sie ebenso über Menschen dachten.

»Uns zu danken ist nicht erforderlich/notwendig«, begann der Fremde. »Aber Ihre Hilfe/Unterstützung könnten wir annehmen/brauchen in der Jetzt/Zukunftszeit.«

»Wie können wir Ihnen helfen?«

»Höchst beeindruckt/erstaunt waren wir, zu erfahren von Ihrem Materiebeweger, mittels dessen Ihre Besatzung/Personen kamen/gingen zu/von unserem Schiff. Und später Zugang erhielten zur Kathetrale/Anathema.«

Vaughns erster Impuls bestand aus Zorn, doch er beherrschte sich. Diese Wesen waren weder menschlich noch humanoid. Er musste Rücksicht auf ihre kulturellen Eigenheiten nehmen, insbesondere da es noch immer schwierig war, mit ihnen zu kommunizieren. Dennoch hatte Shar mit seiner Aussage, Sacagawea habe sein Volk irgendwie über den Beamvorgang ins Kathedraleninnere in Kenntnis gesetzt, genau ins Schwarze getroffen.

Vaughn gab Merimark ein Zeichen, woraufhin diese die Audioverbindung unterbrach. Das Gesicht des fremden Kommandanten blieb aber auf dem Monitor. »Wie hat Sacagawea sein Volk erreicht, meine Herren?«, fragte Vaughn dann und sah zu Bowers und Shar. »Ich vermute, er wurde bei seiner Ankunft durchsucht und auf verborgene Transmitter gescannt.«

»So ist es, Sir«, bestätigte Bowers ratlos. »Wir fanden nichts.«

»Offensichtlich haben Sie etwas übersehen«, sagte Vaughn. Er fragte sich, welches Wort der Übersetzer wohl als D’Naali-Variante für »Spion« ausspucken würde.

»Vor einigen Minuten bin ich zufällig hierüber gestolpert, Captain«, sagte Shar und deutete auf seine Antennen. »Die D’Naali besitzen eindeutig ein internes elektromagnetisches Organ, das es ihnen ermöglicht, nonverbal über niedrigenergetische Subraumbänder zu kommunizieren. Wir haben es nicht bemerkt, weil niemand auf die Idee kam, die Langwellenkanäle zu beobachten.«

Vaughn konnte seine Überraschung nicht verhehlen. »Soll das heißen, sie sind … Subraumtelepathen?«

»Ganz genau.« Shar nickte in Richtung des Gesichts auf dem Monitor. »Und als solche sind sie vermutlich nicht auf unsere Audioübertragung angewiesen.«

Verdammt! Natürlich. Der D’Naali-Kommandant hört alles, was wir sagen – durch Sacagawea.

Vaughn gab Merimark ein Zeichen. Sofort öffnete sie den Kanal zum Schiff der D’Naali wieder.

»Hören/Wahrnehmen meiner selbst unmöglich?«, fragte der fremde Captain gerade. »Erleichtert/Dankbar ich bin, dass Hören/Akustik/Empfang wiederhergestellt.«

»Ich höre Sie wunderbar«, sagte Vaughn und traf eine Entscheidung. Ob die D’Naali nun absichtlich oder unabsichtlich an Bord der Defiant spionierten – es gab keinen Grund, es weiterhin zuzulassen. »Wir danken Ihnen dafür, uns Sacagawea als Führer überlassen zu haben.«

»Ryek’ekbalabiozan’voslu versichert/attestiert, dass sein Zeitintervall an Bord/auf Ihrem Schiff profitabel/belehrend war.«

Vaughn schmunzelte. Der Plauderton, in dem dieser Kommandant die Kommunikation mit Sacagawea bestätigte, legte nahe, dass die D’Naali keine bösen Absichten verfolgten. »Wir sind bereit, ihn jederzeit zu Ihnen zurückzubeamen. Sofort, falls Sie es wünschen.«

Der D’Naali-Kommandant machte eine Bewegung, die etwas von einem Schulterzucken hatte. »Keine Dringlichkeit für Ryek’ekbalabiozan’voslus Rückkehr/Bergung. Weit mehr Interesse/Verlangen an anderen/weiteren Dingen. Nun/Gegenwärtig bedürfen/erbitten wir Nutzung Ihrer Materiebewegungsmaschine/Gerät. Und Ihres neuen Plans/Absicht, dessen Stärke/Leistungsvermögen zu steigern/verbessern.«

Sie wollen unseren Transporter benutzen? Vaughn schluckte einen Fluch hinunter, der an den Universalübersetzer gerichtet gewesen war. »Nutzung inwiefern?«

Der D’Naali blinzelte mehrfach, bevor er antwortete, als hätte er soeben eine unfassbar blöde Frage gestellt bekommen. »Mit ihm können auch/zudem wir erreichen/betreten Kathedrale/Anathema, ganz wie Ryek’ekbalabiozan’voslu es als bei Ihnen geschehen/stattgefunden berichtet/informiert. Mit Ihrem Materiebeweger können wir Kathedrale/Anathema beenden/lösen. Für jetzt und immerdar/ewig.«

Langsam war Vaughn, als begreife er, worum es in dem rätselhaften Konflikt zwischen den D’Naali und den Nyazen ging. Seine Wut, die Sacagaweas geheime Gespräche mit seinem Kommandanten erzeugt hatten, kehrte zurück.

»Sie wollen Waffen ins Innere der Kathedrale beamen«, sagte er. »Die Nyazen wollen Sie nicht davon abhalten, dem Ding zu huldigen. Sie versuchen, Sie an seiner Vernichtung zu hindern.«

»Die Nyazen huldigen/verehren die Macht/Kraft der Kathedrale/Anathema«, sagte der D’Naali-Captain. »Sie erstreckt sich über Gebiete/Welten/Universen. Sie ist ihnen ein Heiligtum/Gräuel. Sie ist uns ein Heiligtum/Gräuel – dasselbe heilige/grauenhafte Ding, das vernichtete/zerstörte unsere innersystemliche antike/vorfahrenhafte Heimatwelt langlanglang zuvor. Ein uraltes Böses/Vernichtendes, das beide Völker zu den Außenleeren trieb. Unzählige Zeitjenseitsverstand/Äonen zuvor.«

Steckte etwas Hinterhältigeres als eine reine Sprachbarriere hinter dem, was der D’Naali hier so unglücklich umschrieb? Vaughn kam plötzlich ein beunruhigender Gedanke. Falls die D’Naali von Anfang an nur auf die Zerstörung der Kathedrale aus waren, mochten sie gewillt sein, alles Mögliche zu behaupten, wenn es nur der Erreichung dieses Ziels diente. Sogar Dinge, die die Defiant in Gefahr brachten.

Er wandte sich vom Bildschirm ab und trat zu Sacagawea. Wäre das fremde Wesen nicht einen Kopf größer gewesen, hätten sich ihre Nasen berührt, so nah baute Vaughn sich vor ihm auf.

»Wir haben Mitglieder unserer Besatzung an Bord der Kathedrale geschickt«, sagte er ruhig, »weil Sie behaupteten, nur dort könne ihr Leiden gelindert werden. Ich hoffe inständig, Sie sagten uns da die volle Wahrheit.«

Sacagawea wich sichtlich eingeschüchtert vor ihm zurück. Die langen Finger des Wesens spielten mit den kleinen Antigravgeräten an seinen Gliedern, als wäre ihm plötzlich bewusst geworden, wie verletzlich es an Bord der Defiant war. »Keine Täuschungen/Lügen ich sagte«, stieß es hervor. »Alles, was dieses D’Naali-Wesen über/wegen der Befallenen berichtete, ist korrekt/wahr/ehrlich. Die Macht/Stärke der Kathedrale/Anathema bleibt die einzelne/einzige Hoffnung Ihrer Befallenen.«

Vaughn trat zurück. Er wollte vor dem fremden Kommandanten nicht bedrohlich wirken. Dann wandte er sich wieder zum Monitor. »Ihr Konflikt mit den Nyazen geht mich nichts an. Unsere Involvierung beschränkte sich einzig darauf, sinnloses Sterben zu verhindern.«

»Unseren Dank/Hochachtung Sie haben dafür verdient«, erwiderte der D’Naali-Kommandant. »Viele D’Naali leben/überdauern Ihretwegen.«

Vaughn lächelte. »Ich würde mich freuen, wenn Sie uns den Gefallen erwidern. Bevor Sie Ihren Kampf gegen die Nyazen fortsetzen, möchten wir Sie bitten, uns dabei zu helfen, Zugang zur Kathedrale zu erhalten. Nur lange genug, um unsere Leute zu finden und zu bergen. Danach brechen wir auf.«

Der D’Naali-Kommandant schien einen Moment lang über den Vorschlag nachzudenken. »Gegenangebot/Vorschlag«, sagte er dann. »Anschließend/Nachfolgend werden Sie uns geben/schicken Materiebewegungsmaschine/Gerät. Wir werden dieses dann nutzen, um die Kathedrale/Anathema zu erledigen/beenden.«

»Das kann ich nicht«, erwiderte Vaughn ohne Zögern. Da beide Zivilisationen rudimentär warpfähig waren, griffen die Statuten der Obersten Direktive genau genommen nicht. Aber der Gedanke, die äonenalten Machtverhältnisse zwischen diesen Völkern so radikal zu verändern, gefiel ihm nicht.

Der fremde Kommandant gab ein Geräusch von sich, das an ein verrostetes Gartentor erinnerte. Vaughn entschied, es für ein Lachen zu halten. »Beschädigt ist Ihr Schiff. Viel/Arg ausgelaugt/erschöpft sind Ihre Maschinen/Fähigkeiten. Weigerung ist keine Option/schlechte Wahl.«

»Unterschätzen Sie uns nicht«, sagte Vaughn. Seine vorherige, eher unvorteilhafte Einschätzung der Motivation dieses Wesens schien absolut zutreffend zu sein. »Und glauben Sie nicht, Sie könnten uns mit Drohungen beeindrucken. Insbesondere, da ein Vertreter Ihres eigenen Volkes nach wie vor auf meinem Schiff ist.«

»Sie werden aushändigen/hergeben Ihre Geisel/Gefangenen«, forderte der D’Naali-Captain.

»Bereit/Fertig bin ich, zu sterben als Geisel/Gefangener«, warf Sacagawea ein und faltete seine Gliedmaßen auf eine Art, die, wie Vaughn vermutete, D’Naali-Würde ausdrückte. Dieses Wesen bereitete sich zweifellos aufs Sterben vor.

Nicht auf meinem Schiff.

Vaughn drehte sich zur Taktik um. »Ensign Merimark, bitten Sie Chief Chao, unseren ‚Gast‘ unverzüglich auf sein Schiff zurückzu-beamen. Direkt von der Brücke.«

»Bei allem Respekt, Captain«, warf Bowers ein, die Augen auf Sacagawea gerichtet, »halten Sie das für klug?« Er und Shar traten einige Schritte von dem Wesen weg.

»Darauf können Sie wetten«, antwortete Vaughn und warf Bowers einen Blick zu, der, wie er hoffte, weitere Diskussionen im Keim erstickte. »Noch können wir weglaufen, falls wir es müssen.«

Vaughn sah zu dem fremden Kommandanten, während Sacagawea in einer Säule aus glitzerndem Licht verschwand. »Was immer Sie über uns denken mögen, D’Naali, wir sind keine Geiselnehmer.«

Der Mundbereich des Wesens bewegte sich auf eine Art, die Vaughn nur als Grinsen interpretieren konnte. »Dann verteidigen/schützen Sie Ihr Schiff.«

»Tenmei, bringen Sie uns schnellstmöglich zu dem fremden Objekt.«

»Aye, Sir.« Ihre Hände flogen über die Konsole. Sie bediente sie so virtuos wie ein Konzertpianist seinen Flügel.

Vaughn sah einen blauen Blitz vom Flaggschiff der D’Naali ausgehen. Dann ließ die Defiant die Flotte hinter sich.

Bowers löste Merimark an der Taktik ab. »Die D’Naali-Schiffe verfolgen uns, aber sie werden nicht aufschließen können.«

»Sofern wir nicht anhalten …«, ergänzte Tenmei vom Steuer und warf Vaughn einen spielerisch fragenden Blick zu.

Vaughn reagierte darauf, indem er tadelnd die Nase rümpfte und dann wieder auf dem Kommandantensessel Platz nahm. »Genau das werden wir tun, Ensign. Direkt vor der Blockadeflotte der Nyazen. Wollen wir hoffen, dass die Verteidiger ein wenig vernünftiger als die Zerstörer sind.«

»Halte Position bei einhunderttausend Klicks vor dem Artefakt, Captain«, sagte Tenmei.

»Keine Anzeichen von Waffenaktivität«, meldete Bowers. »Die Blockadeschiffe haben uns allerdings gescannt. Sie scheinen eher neugierig als aggressiv zu sein.«

»Vielleicht sahen sie, wie ihre Gegner auf uns schossen«, vermutete Shar an der Wissenschaftskonsole.

Der Feind meines Feindes ist mein Freund, dachte Vaughn. Er saß auf dem Kommandantensessel und ließ sich die Meldungen seiner Brückenbesatzung durch den Kopf gehen.

»Das Nyazen-Flaggschiff reagiert endlich auf unsere Rufe«, sagte Hunter.

Auf dem Monitor erschien ein rundliches weißes Antlitz. Es wirkte auf Vaughn wie eine regelrechte Studie des Erstaunens, doch vielleicht vermenschlichte er das Wesen durch diese Einschätzung auch zu sehr. Oder war es einfach von der Dreistigkeit überrascht, mit der sich Vaughn, der ja eben erst von den dreizehn Nyazen-Schiffen vertrieben worden war, diesen nun mit dem Wunsch nach Kommunikation näherte?

»Sie wünschen/erbitten, uns gegen die D’Naali-Zerstörer zu helfen/assistieren?«

Die jeden Moment hier eintreffen werden. »Wie ich schon sagte«, erwiderte Vaughn im geduldigsten Tonfall, den er noch aufbringen konnte, »befinden sich Mitglieder meines Teams im Innern der Kathedrale. Sie suchen eine Heilung für die Leiden, die sie bei ihnen verursachte.«

»Nicht möglich/glaubhaft. Wir verhinderten/unterbanden Ihr Erreichen der Kathedrale/Anathema.«

Vaughn seufzte. »Haben Sie den Energiestrahl bemerkt, den wir auf die Kathedrale richteten?«

»Bemerkten wir in der Tat Ihre Waffe«, knurrte der Nyazen-Kommandant. »Sie war ineffizient/konsequenzlos.«

»Der Strahl verursachte keinen Schaden, weil er keine Waffe ist Zeit, zu würfeln, dachte Vaughn und hielt kurz inne. »Sondern eine Technik zur Übertragung von Materie.«

Bislang war das fremde Wesen nahezu undeutbar gewesen. Doch nun wusste Vaughn sofort, dass er das Interesse seines Gesprächspartners geweckt hatte. Also setzte er seinen Überzeugungsversuch fort. »Ihre Sensoren dürften inzwischen die sich nähernde D’Naali-Flotte registriert haben. Hier ist mein Vorschlag: Wir helfen Ihnen dabei, die Kathedrale gegen sie zu verteidigen – sofern Sie uns gestatten, uns dieser zu nähern und unseren Offizieren zu helfen.«

»Sie könnten Ihren Materiewerfer verwenden, Waffen zu/in die Kathedrale/Anathema zu befördern/liefern.«

Vaughn musste tief durchatmen, um nicht loszubrüllen. »Das hätten wir längst tun können. Wir taten es nicht

Der Nyazen dachte offensichtlich über diese Tatsache nach.

Bowers meldete sich. »Zwölf D’Naali-Schiffe kommen aus dem Warp, Captain. Sie sind quasi direkt über der Blockade.«

»Roter Alarm!«, befahl Vaughn. Sofort begann das Plärren der Sirenen. Er signalisierte Bowers, sie abzuschalten.

»Wir werden angegriffen!«, rief dieser.

Tenmei reagierte prompt und hielt dem Beschuss von vier ankommenden Schiffen die stärkeren Steuerbord-Schilde entgegen. Dennoch erbebte die Defiant. Vaughn klammerte sich an die Armlehnen seines Sitzes.

Im Laufe von Sekunden trafen weitere Salven auf die Schilde. Eine davon schaffte es sogar bis zur Ablativpanzerung, bevor ihre Kraft schwand. Doch sobald die Nyazen das Feuer auf ihre Gegner eröffneten, endete der Angriff.

Das Bild auf dem Brückenmonitor teilte sich. In der einen Hälfte sah Vaughn das Gesicht des skeptischen Nyazen-Kommandanten, in der anderen die beiden Flotten, die ihre Waffen aufeinander ausrichteten. Und im finsteren All hinter den kriegerischen Schiffen setzte das unerklärliche Raumartefakt seinen ziellosen, ewigen Weg durch die Dimensionen fort.

Der Nyazen hatte genug gesehen. »Dieser hier stimmt zu/willigt ein«, sagte er, dann verschwand er vom Bildschirm.

Vaughn lächelte verschmitzt. »Sie haben den Mann gehört, Tenmei. Bringen Sie uns in Transporterreichweite. Shar, scannen Sie das Innere dieses Dings nach unseren Leuten. Leishman, machen Sie die Phaser startklar.«

Der Kampf war von Anfang an für eine Pattsituation prädestiniert. Doch dank Tenmeis Flugkünsten, der geübten Mithilfe von Celeste, Leishman und VanBuskirk, sowie Sam Bowers’ Schießkünsten waren viele D’Naali-Schiffe alsbald überzeugt, auf Abstand zur Defiant zu gehen. Vaughn war erleichtert, denn mehr als ein paar Warnschüsse waren bislang nicht nötig gewesen.

Nun sah er zu, wie die gesammelte Nyazen-Flotte die Reste der D’Naali verscheuchte. Er dachte daran, welche Schwierigkeiten noch vor ihm lagen. Sobald unser gemeinsamer Gegner fort ist, werden sich die Nyazen gegen uns wenden.

Shar meldete sich von der Hauptwissenschaftskonsole. »Captain! Ich glaube, ich habe Sensorkontakt zum Außenteam.«

Bowers sah zu Vaughn. Er wirkte angenehm überrascht. »Ich empfange Kommunikatorsignale aus dem Inneren des Artefakts. Es handelt sich um die besprochenen Evakuierungssignale, Sir. Sie sind sehr schwach und scheinen sich mit großer Geschwindigkeit von uns zu entfernen.«

»Das könnte am Artefakt liegen«, vermutete Shar. »An einer Art temporalen Störung, die von ihm ausgeht. Wir wissen nicht, wie lange sie schon senden.«

Vaughn war euphorisch, riss sich aber zusammen. »Wie viele Signale empfangen Sie?«

»Zwei«, antwortete Bowers. Er lauschte den Lauten aus seinem Ohrstöpsel und sah gleichzeitig auf das komplexe Wellenmuster auf seiner Konsole. »Nein, drei. Und einen Subraumtransponder.«

Dax’ Transportgerät. Vaughn grinste. Es wurde auch Zeit, dass sie mal Glück hatten. Wo sonst soll man Wunder finden, wenn nicht in einer Kathedrale? »Gute Arbeit, Leute.« Er betätigte das Interkom. »Vaughn an Transporterraum eins. Chief Chao, erfassen Sie das Außenteam. Shar und Hunter werden Ihnen die Koordinaten übermitteln.«

Chao brauchte einen Moment. »Sir? Der letzte Treffer scheint das gesamte Transportersystem überlastet zu haben. Ich kann nichts ausrichten, nicht einmal mit dem sekundären System.«

»Die halbe Nyazen-Flotte hält auf uns zu«, meldete Bowers. Er klang nicht im Geringsten überrascht. »Sie fahren ihre Waffen hoch.«

»Schilde?«, fragte Vaughn.

Bowers schüttelte den Kopf. »Sind immer noch in schlechtem Zustand, Sir.«

»Wir haben nach wie vor Warp«, warf Tenmei ein. »Ich kann uns so schnell hier wegbringen, dass die glauben, sie hätten Halluzinationen.«

So viel zum Thema Wunder. In meinem Alter sollte ich es besser wissen. Sofort verwarf Vaughn den Gedanken. »Wir müssen das Außenteam retten.

»Und haben keine Transporter«, erinnerte Tenmei ihn.

Er starrte auf den Monitor und die sich nähernden Schiffe. Es war lange her, seit er an den eher unglücklichen Ausgang seines Kobayashi-Maru-Tests hatte denken müssen, nun aber fühlte er sich an diese Prüfung aus Akademietagen erinnert. So weit ist es also schon gekommen, was?

»Uns bleibt wenig Zeit, Sir«, sagte Tenmei. »Soll ich uns fortbringen?«

Plötzlich zuckte Shar auf seinem Sitz zusammen, als hätte er soeben einen beachtlichen elektrischen Schlag bekommen.

Vaughn hob die Braue. »Ensign?«

»Wir haben einen funktionierenden Transporter«, sagte Shar. Fieberhaft gab er Befehle in seine Konsole ein.

Tenmei sah ihn fragend an. »Jeannette zufolge ist auch das sekundäre System inaktiv.«

Plötzlich begriff Vaughn, was Shar meinte: die Sagan. »Tun Sie’s. Schnell.«

Shar nickte. »Fernaktivierung des Transportersystems der Sagan

»Tenmei, senken Sie die Schilde. Halten Sie uns die anderen noch ein paar Sekunden vom Leib. Auf Shars Zeichen hin schaffen Sie uns hier raus, verstanden? Mit maximaler Warpgeschwindigkeit.«

Tenmei schenkte ihm ihr »Ich liebe Herausforderungen«-Lächeln. »Ich werde mein Bestes geben, Captain.«

Während sie sich wieder ihrer Konsole zuwandte, musste auch er lächeln. So kannte er seine Tochter.

Krissten hatte eben erst die Nachricht von der Brücke erhalten, da materialisierten die Mitglieder des Außenteams auch schon nacheinander in der Krankenstation. Zuerst kam Ezri. Trotz des Helms ihres Raumanzugs sah Krissten, wie leichenblass die Trill war. Einen Augenblick später folgte der Dax-Symbiont in seinem Transportbehälter. Es plätscherte in dessen flüssigem Innenleben, als sei das kleine Wesen sehr aufgeregt. Ensign Juarez scannte beide schnell mit dem Trikorder und fand den Grund für Ezris erschreckende Blässe: Ihre Körperfunktionen versagten rasend schnell, weil der Symbiont fehlte. Dieser schien zum Glück gesund zu sein.

Krissten ergriff ein Laserskalpell und befreite Ezri vorsichtig von ihrem Anzug. Hoffentlich war es nicht schon zu spät, um Wirt und Symbiont zu vereinen.

Bevor die Mediziner die regungslose Ezri auf ein Biobett hieven konnten, materialisierte eine zweite Gestalt auf dem Boden des Raumes: Nog. Er war bewusstlos und das linke Bein seines Raumanzugs auffällig flach. Leer. Krissten sah keinerlei Anzeichen einer Verletzung, doch das nachgewachsene Bein war definitiv fort, als hätte es nie existiert. Durch den Helm sah sie Nog lächeln.

»So etwas habe ich noch nie gesehen«, sagte Juarez, der offenbar laut dachte. »Was immer dieses eigenartige Ding da draußen mit ihnen angestellt hat, ist rückgängig gemacht worden.«

Das Schiff erzitterte, beruhigte sich aber sofort wieder. Wir scheinen wieder angegriffen zu werden, dachte Krissten. Gemeinsam mit Juarez hob sie Ezri vorsichtig auf ein Biobett. Nog machte für den Moment einen stabilen Eindruck, doch selbst eine medizinisch-technische Assistentin konnte erkennen, dass Ezri im Sterben lag.

Wo ist Dr. Bashir?

Juarez behielt Ezris Werte im Auge und schüttelte den Kopf. »Wir können nicht auf Julians Rückkehr warten. Wir müssen den Symbionten sofort in Ezris Körper befördern.«

»Sehe ich genauso«, sagte Krissten und öffnete Dax’ Behälter. »Wissen Sie zufällig, wie?«

Es war eine Sache, Bashir bei der Entnahme des Symbionten zu assistieren. Die umgekehrte Prozedur ohne Hilfe eines ausgebildeten Chirurgen zu versuchen, stand auf einem ganz anderen Blatt.

Krissten sah in Ezris kreidebleiches Antlitz, als fände sie dort Antworten. Ich bin für einen derartigen Eingriff nicht ausgebildet, Ezri. Keiner von uns ist das. Wir können es nur versuchen.

Dann schaute sie auf die Anzeige oberhalb des Biobetts. Jeder Wert sank stetig. Die Anzeigen zu Blutdruck, Atmung und Organversagen ließen bereits warnende Alarmsirenen erklingen. Der Frust trieb Krissten die Tränen in die Augen, doch sie kämpfte sie nieder. Es stand zu viel auf dem Spiel, als dass sie es sich erlauben durfte, jetzt durchzudrehen. Nein, sie würde ihr Bestes geben! Sie musste!

Sofort wandte sie sich dem Transportbehälter zu … und prallte gegen Julian Bashir, der neben ihr materialisiert war. Die Alarmsirenen hatten das Geräusch seines Beamvorgangs überlagert. Krissten hatte nicht einmal gehört, wie er seinen Helm abnahm.

Julian streckte die Arme aus und stützte sie, als sie zu stolpern drohte. Einen Moment lang sah sie ihm in die dunklen Augen. Er war es. Er war da drin, wiederhergestellt. Sie lächelte ihn an, und dieses Mal ließ sie die Tränen zu.

Bashir sah an ihr vorbei zu Ezri und den Biowerten. Als er merkte, wie nah sie dem Tod bereits war, erblasste er – aber nur für einen Sekundenbruchteil. Ab dann war er im Einsatzmodus.

»Ensign Juarez«, sagte er und warf der Gestalt auf dem Fußboden einen Blick zu, »bitte kümmern Sie sich um Lieutenant Nog.«

Krisstens antrainierte Instinkte kehrten zurück. Sie begann, Ezri für die Operation vorzubereiten. Bashir entledigte sich derweil rasend schnell seines Raumanzugs und schlüpfte in die sterile Chirurgenkluft. Sobald er fertig war, griff er in den offenen Transportbehälter und hob den triefend nassen, rotbraunen Symbionten vorsichtig heraus.

»Exoskalpell«, sagte er dann.

Krissten reichte ihm das Instrument. »Sir?«

Er hielt nur kurz inne. »Ja?«

»Gut, Sie wiederzuhaben.«