KAPITEL 3
Colonel Kira Nerys hatte gehofft, unbemerkt über die Promenade huschen zu können. Sie war gerade von Bajor und einem Besuch bei Kasidy Yates zurückgekehrt, und befürchtete, sämtliche Krisen des Quadranten mochten sich in ihrer Abwesenheit auf ihrem Bürotisch gestapelt haben. Als eine trockene, leicht reptilisch klingende Stimme an ihr Ohr drang, kostete es sie alle Mühe, sie nicht zu ignorieren.
»Colonel Kira, haben Sie einen Moment Zeit?«, fragte der Cardassianer und schloss zu ihr auf.
»Selbstverständlich, Gul Macet. Wie kann ich Ihnen behilflich sein?« Irgendwie erleichterte es sie, dem Büro fürs Erste entgehen zu dürfen. Sie lächelte sogar – was ihr in Gegenwart Macets, der vielleicht nicht moralisch, aber doch optisch ein Double Gul Dukats war, mit jedem Versuch leichter fiel. Dennoch blieb ihr Verhältnis angespannt.
»Ich wollte auf unsere frühere Unterhaltung über die cardassianisch-bajoranischen Friedensverhandlungen zurückkommen. Diese sind nun schon seit zwei Wochen unterbrochen. Zwei Wochen, in dessen Verlauf ich Botschafterin Lang mit leeren Händen zurück nach Cardassia Prime befördern musste.«
Dies war Kira nicht neu, auch wenn sie kaum glauben mochte, dass zwei Wochen derart schnell verstreichen konnten. »Und doch sind Sie zurück«, sagte sie nickend. »Auch ohne die Botschafterin.«
»Um mein Möglichstes zu versuchen, damit sie und unsere anderen Volksvertreter schnellstens wieder an den Verhandlungstisch gebeten werden. Ich wartete geduldig, während Sie – wie ich vermute – die Ministerkammer unter Druck setzten. Doch, Colonel, wie lange muss ich noch warten? Wie lange muss mein Volk noch warten?« Macet riss die Augen auf, wie es Cardassianer oft taten, wenn sie etwas Provokatives gesagt hatten und eine Erwiderung erwarteten.
Die Frage überraschte Kira genauso wenig, wie es Macets wachsende Ungeduld konnte. Schon kurz nachdem Vizepremierministerin Asarem Wadeen die frischgebackene cardassianische Diplomatin Natima Lang bei den Friedensgesprächen hatte auflaufen lassen – was zu deren Unterbrechung führte –, bat Macet Kira, Einfluss auf Premierminister Shakaar Edon auszuüben und jeden politischen Gefallen einzufordern, der ihr möglich war.
Guter Scherz, dachte sie nun. Bajors Unnachgiebigkeit war ein Problem, das sich – wie sie mittlerweile nur zu gut wusste – bis in höchste Regierungskreise erstreckte. Die Schuld für das Verhandlungsfiasko lag nicht bei Asarem, sondern bei Shakaar. Allerdings durfte Kira dies Macet nicht enthüllen, Vertrauen hin oder her.
Der Cardassianer räusperte sich. »Nun?«
Seufzend schüttelte sie den Kopf, und ihr Lächeln verblasste. »Ich fürchte, wir werden noch eine Weile ausharren müssen.«
»Eine Weile«, wiederholte Macet und kniff die Lider enger zusammen.
»Eine sehr kurze Weile, falls Sie das tröstet.«
»Ah. Sie meinen, bis nach Bajors Föderationsbeitritt. Dann gehen die Gespräche weiter, allerdings unter der Federführung der Föderation.«
Ein Kloß formte sich in Kiras Hals. Diese Sache gefiel ihr ebenso wenig wie Macet. »Ich fürchte schon«, sagte sie, die Stimme kaum mehr als ein heiseres Flüstern.
Ein langer Moment verging, ohne dass Macet etwas sagte. Dann ergriff er wieder das Wort. »Es enttäuscht mich, Sie so sprechen zu hören, Colonel. Insbesondere, da Sie für den Einfluss bekannt sind, den Sie auf säkularer und klerikaler Ebene auf die Führer Ihrer Welt ausüben können.«
»Sie irren sich, Macet.« Abermals schüttelte sie den Kopf. »Sie wissen genau, was es für eine Bajoranerin bedeutet, als Befleckt zu gelten. Selbst die säkularen Autoritäten haben wenig Verwendung für jemanden, der der Glaubensgemeinschaft verwiesen wurde.«
Macets Lächeln schien ermutigend gemeint zu sein. »Ah, der Glaube. Daran mangelt es Ihnen nicht, Colonel – Sie besitzen ihn in Mengen, die nur von Ihrer Demut übertroffen werden. Ihr privater Glaube vermag ganze Welten zu bewegen.«
Kira konnte sich eines bitteren Lächelns nicht erwehren. »Welten sind eine Sache, Minister eine ganz andere.« Insbesondere Shakaar, dachte sie. Macets deprimiertes Gesicht ließ sie fortfahren. »Hören Sie, ich weiß, wie sehr Sie einen Schlussstrich unter die ganze Bajor-Cardassia-Angelegenheit ziehen wollen – und zwar bevor die Föderation die hiesige Diplomatie übernimmt. Ich empfinde genauso.«
»Es ist der einzige Weg zu ehrlicher Verständigung«, sagte Macet nachdenklich, auch wenn seine Züge einen nahezu bedrohlichen Ausdruck annahmen, »und zu dauerhaftem Frieden.«
Kira bemühte sich, die Bilder von gewaltbereiten, paranoiden zukünftigen Cardassianer-Generationen , die wiederkehrten, um Bajor erneut zu quälen, aus ihrem Geist zu vertreiben. Sie nickte. »Ganz meine Meinung, Macet. Doch der Premierminister und die Ministerin scheinen dieser Angelegenheit nicht die gleiche Dringlichkeit beizumessen wie wir. Sie haben kein Problem damit, ein paar Monate auszusitzen.«
Macet schaute die Promenade hinab und in die sternendurchzogene Schwärze jenseits der Fenster in der oberen Etage hinaus. Sein Gesichtsausdruck war deprimiert, und es lag Schmerz in seinen Augen. »Ich muss Ihnen nicht sagen, wie verzweifelt die Lage daheim auf Cardassia Prime ist. Wie viele Kinder die grauenvollen letzten Kriegsstunden überstanden, nur um jetzt einer der grassierenden Seuchen zum Opfer zu fallen.«
Beim Gedanken an Cardassias darbenden Nachwuchs kam Kira die verstorbene Tora Ziyal wieder in den Sinn, deren künstlerischen Nachlass Botschafterin Lang Bajor zum Geschenk gemacht hatte. Die Friedensgeste war dank Shakaar und seinem Werkzeug Asarem jedoch wirkungslos verpufft, und das schmerzte Kira besonders. Ziyals Gemälde und Zeichnungen, Werke von exquisiter Schönheit und starker Ausdruckskraft, waren in Elim Garaks altem Schneiderladen ausgestellt worden, bis ein gesichtsloser Cardassianer-Hasser viele von ihnen vernichtete.
Macet fuhr fort. »Ironisch, nicht wahr? Soweit ich zurückdenken kann, hielten wir Cardassianer uns für weiter entwickelt als das Volk Bajors. Wir glaubten, Ihnen intellektuell, kulturell, politisch, einfach auf jede erdenkliche Weise überlegen zu sein. Nach allem, was geschah – nach dem großen Opfer, das der Dominion-Krieg Cardassia für seine Sünden abverlangte –, rächt sich Bajor nicht durch Krieg an uns, sondern durch politisches Ränkespiel. Ihre Minister halten Ihr Volk nicht nur davon ab, einen wahren und dauerhaften Frieden zu erreichen. Sie bestätigen vielleicht sogar einige der ältesten und hässlichsten Vorurteile der Cardassianer. Guten Tag, Colonel.«
Bevor Kira etwas erwidern konnte, verschwand Macet im Treiben auf der Promenade. Und er hat recht, dachte sie. Mit großer Trauer in der Seele setzte sie ihren Weg zur Ops fort. Wenn schon professionelle Diplomaten keinen Konsens finden, welche Hoffnung besteht dann noch für den Rest von uns?
Sie näherte sich gerade dem Turbolift, als sich ihr zwei Bajoraner näherten – eine alte Frau und ein jüngerer Mann. Sie trugen Kapuzen, allerdings nicht im Stil der Geistlichen und Gläubigen ihres Volkes. Kira wappnete sich. Seit sie Ohalus Prophezeiungen ins zivile bajoranische Komm-Netz hochgeladen hatte, waren ihre Begegnungen mit den meisten Bajoranern eher frostiger Natur gewesen – dank der Befleckung, mit der sie Vedek Yevir Linjarin gestraft hatte.
»Colonel Kira«, sagte der Mann. »Dürfen wir Sie um einen Moment Ihrer Zeit bitten?«
»Ich bin bereits spät dran und muss zu einem Termin«, erwiderte sie und dachte voller Grauen an den Berg an Arbeit, der sie erwarten mochte. »Vielleicht kann Ihnen einer meiner Offiziere weiterhelfen.«
»Es dauert nur einen Augenblick«, sagte die Frau. Dann strich sie ihre Kapuze zurück, und der Mann tat es ihr gleich. Kira konnte ihre Ohren sehen. Ihre schmuckfreien Ohren.
Diese Personen trugen nicht den Ohrring, der Bajors Glauben repräsentierte. Kira merkte kaum, wie ihre eigene Hand zu ihrem rechten Ohr glitt, wo in den Tagen vor der Befleckung ebensolcher Schmuck gehangen hatte.
»Danke, dass Sie uns Ohalus Wahrheiten offenbarten«, sagte der Mann. »Unser Leben wurde stets von den Tempellehren geleitet, doch die Prophezeiungen, die Sie verbreiteten, beantworten so viele weitere Fragen. Sie haben uns geholfen, neue Schritte auf unserem spirituellen Weg zu gehen.«
»Die prophetische Weisheit darf nicht das Monopol einer einzelnen Glaubensgruppe sein«, ergänzte die Frau. »Sie wurde schon viel zu lange verschwiegen. Sie aber halfen, sie auszusprechen. Bitte trauern Sie nicht um Ihren Status in der bajoranischen Glaubensgemeinschaft. Ihr Pagh ist stärker als das.«
»Sie zeigten uns einen Pfad auf, den uns die Mächtigen viel zu lange vorenthielten«, fuhr der Mann fort. »Die Propheten sind mit Ihnen.«
Lächelnd zogen sie ihre Kapuzen wieder auf und setzten ihren Weg über die Promenade fort. Verblüfft starrte Kira ihnen nach. Was war das denn?
Das Blut zischte auf seinem Arm, brannte sich durch seinen schwarzen Overall und in seine Haut, doch Taran’atar ignorierte den Schmerz. Er führte den abgetrennten Arm der Kreatur wie eine Keule, und die Klauen an seinem Ende fungierten als tödliche Stacheln.
Der Jem’Hadar spürte, dass einer der riesigen Gliederfüßer ihn von hinten anspringen wollte, warf sich zur Seite und zog die Beine an. In jüngeren Jahren wäre er schlicht stehen geblieben und hätte den Angriff ausgehalten, doch mittlerweile hatte er Gegner aus dreiundvierzig verschiedenen Spezies bezwungen und dabei einiges über Kampfstil und -strategie gelernt.
Die Kreatur landete. Gespreizte Füße an spindeldürren Beinen federten ihren Fall ab. Obwohl es individuelle Unterschiede gab, gehörten Taran’atars aktuelle Widersacher alle derselben Spezies an. Es waren überdimensionierte Arthropoden mit zwei Armen, zwei Beinen und einem langen Schwanz. Ein schwarzer natürlicher Panzer umhüllte ihre drei Meter großen Leiber, und aus ihren Mäulern – langgezogene Gebilde mit Fangzähnen, von denen der Schleim tropfte – drang ein Schrei, der allein die meisten Humanoiden schon in Angst und Schrecken versetzt hätte.
Taran’atar hatte bereits vier dieser Kreaturen erledigt, doch mindestens sechs weitere krochen noch durch diese dunkle Schlucht – vielleicht sogar mehr. Er wusste nicht, ob er alle gesehen hatte. Aufgrund des ätzenden Blutes seiner Widersacher musste er besondere Vorsicht walten lassen. Er hegte keinerlei Absicht, die nächsten Tage damit zu verschwenden, sich von Säurewunden zu erholen.
Gerade als er mit seiner Armkeule nach rechts ausholte und die Kreatur seiner Bewegung folgte, streckte Taran’atar die Beine aus und nahm einen Fuß des Wesens in die Zange. Sofort verlor sein Gegner das Gleichgewicht. Der Jem’Hadar ergriff einen Stein und zerschmetterte ihm mit einem einzigen, brutalen Hieb den Schädel. Der Todesschrei des Wesens hallte von den Wänden der Schlucht wider.
Ohrenbetäubender Lärm folgte ihm. Schatten kamen in Bewegung, entfalteten sich, und weitere Kreaturen schrien in Taran’atars Richtung. Der Krieger hatte sich verzählt, denn das da waren mindestens noch ein Dutzend – und sie waren wütend! Von den Felshängen kamen sie auf ihn zu, und er stellte sich ihnen. Augenblicklich schlug er zwei von ihnen aneinander, sodass sie sich gegenseitig ihre Hauer in die Leiber rammten und grünes Sekret auf den steinigen Boden tropfte. Taran’atar duckte sich unter ihren sterbenden Körpern hinweg und sah sich prompt einem weiteren Wesen gegenüber, das im Angriffssprung begriffen war. Mit aller Kraft hieb er dem Gegner die Armkeule entgegen, trieb sie durch den Hals und brach ihm das Genick. Obwohl die Kreatur dadurch bewegungsunfähig war, landete sie doch mit vollem Gewicht auf dem Jem’Hadar. Blut brannte sich in seine Hand, durch die graue Haut und ins darunterliegende weiche Fleisch.
Die Kreatur öffnete unterdessen ihr Maul und schnappte nach seinem Gesicht! Beunruhigend scharfe Zähne eines weiter innen liegenden zweiten Gebisses reckten sich ihm plötzlich entgegen. Taran’atar blieb keine Wahl. Da er beide Hände benötigte, um die Klauen und das Maul dieses Biests auf Abstand zu halten, konnte er nicht anders, als selbst den Mund aufzureißen, weiter als sein Angreifer, und das zweite Gebiss einfach abzubeißen. Er spürte, wie es zwischen seinen Zähnen zerbrach. Beißendes Sekret spritzte ihm ins Gesicht. Sofort schob er das Wesen von sich, riss ihm die provisorische Keule aus dem Leib und spuckte den abscheulichen Körperteil aus, den er ihm zerbissen hatte.
Der Rest der Kreaturen hing spinnengleich von den Wänden. Sie schienen dem furchtlosen Jem’Hadar allmählich vorsichtiger zu begegnen. Taran’atar öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus, der durch die ganze Schlucht hallte.
»Hey, Kumpel.«
Er wirbelte herum, suchte nach dem Ursprung dieser Stimme und fand einen Mann. Er stand auf einem der Felsvorsprünge – ein grauhaariger Mensch in schwarz-weißer Kleidung – und war von Licht umgeben, aus dem Gesprächsfetzen und Musik zu dringen schienen.
»Macht’s Ihnen was aus, Ihr Gebrüll ein Stück weit runterzufahren? Sie übertönen meine Band. Und um ehrlich zu sein, machen Sie einigen der Riesenportemonnaies auf Beinen Angst.«
Taran’atar wollte gerade etwas erwidern, als ihn eines der Wesen von hinten ansprang und seine Brust mit kalten Klauen umklammerte. Er griff hinter sich, bekam den langen Kopf des Wesens zu packen und riss es mit einem Ruck über seinen Rücken. Das Biest landete im Dreck, und Taran’atar setzte nach. Er ließ die Hand niederfahren und trennte dem Angreifer mit einem einzigen Hieb den Schädel vom Leib.
Dann sah er auf. Der Mensch trat gerade zurück ins Licht, was sich bei näherer Betrachtung als eine Art Tür entpuppte. Irrte er sich, oder murmelte der Mann dabei etwas? Es hörte sich an wie: »Junge, Junge … Und ich dachte, Worf hätte ein Problem mit Holosuite-Gewalt gehabt.«
Odo hatte den Jem’Hadar in den Alpha-Quadranten geschickt, damit er dort unter Humanoiden lebte und deren oft unverständliche Art zu begreifen lernte. Doch es gab Momente – diesen zum Beispiel –, in denen Taran’atar zweifelte, dieses Ziel je erreichen zu können.