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20 Brastias suchte die Festung nach ihr ab. Immer wieder verschwand sie einfach. Und wenn sie eines ihrer Verstecke gefunden hatten, suchte sie sich einfach ein anderes.

Ein Jahr war vergangen, seit Annwyl ihren Bruder geköpft und seinen Platz als Herrscher von Garbhán und den Dunklen Ebenen eingenommen hatte. Sechs Monate lang hatte sie Aufstände genauso schnell niedergeschlagen wie sie sich gebildet hatten. Sie schmiedete mit benachbarten Königreichen Bündnisse, die es fast ein Jahrhundert lang nicht gegeben hatte.

Doch als die Kämpfe endeten und Annwyls Königreich friedlich wurde, schien sie zunehmend unglücklich. Schnell wurde ihm bewusst, dass sie eine Herrscherin für Kriegszeiten war. Ihre Herrschaft geboren aus Blut und Kämpfen um Land. Das war alles, was sie kannte.

Doch Brastias wusste auch, dass sie mit Fearghus an ihrer Seite sehr viel weniger rastlos gewesen wäre. Doch der Drache kam nie zu ihr. Und sie kehrte nie in die Finstere Schlucht zurück, um ihn zu suchen.

Morfyd dagegen blieb als Ratgeberin an ihrer Seite. Mit beinahe zweihundertfünfzig Jahren Wissen in ihrem schönen Körper half sie Annwyl bei den Entscheidungen um Frieden und Politik. Brastias tat, was er konnte, doch es war Morfyd, die Annwyl davon abhielt, Adligen aus einer Laune heraus die Köpfe abzuschlagen. Ein erstaunlicher Drache war sie.

Er war gerade an einem unbenutzten Schlafzimmer vorbeigekommen, als er ein Geräusch hinter der Tür hörte. Das Geräusch einer Buchseite, die umgeblättert wurde.

Brastias ging zurück und schob die schwere Eichentür auf. Er fand sie lesend an einem Fenster; eine einsame Kerze war die einzige Lichtquelle im Raum.

»Annwyl?«

»Was denn?« Ihr schnippischer Tonfall verstärkte sich mit jedem Monat, der verstrich.

»Wir brauchen dich in der Haupthalle.«

»Warum?«

»Delegationen sind hier, um dir ihren Tribut zu bringen.«

»Schon wieder?« Sie klang so genervt, dass er ihr beinahe die Wahrheit gesagt hätte. »Kannst du das nicht machen, Brastias?«

»Ich herrsche nicht über dieses Land.«

»Na schön!« Sie warf ihr Buch durch den Raum und stürmte an ihm vorbei. Als sie außer Reichweite für einen Boxhieb war, seufzte er vor Erleichterung tonlos auf und folgte ihr.

Er zuckte zusammen, als er sah, was sie trug. Lederhose, Lederstiefel und eines von diesen verfluchten ärmellosen Kettenhemden, die sie unbedingt tragen musste. Ihre gebrandmarkten Unterarme waren für den ganzen Hofstaat sichtbar. Er dachte daran, sie zu bitten, sie mit Stulpen zu verdecken, doch er hing an seiner Kehle und wollte sie auch auf keinen Fall durchtrennen lassen.

Er dachte an den bevorstehenden Abend und hoffte, dass Morfyd ihren Plan sorgfältig durchdacht hatte.

 

Annwyl stolzierte in den Thronsaal. Einige der Adligen begannen, sich zu verneigen, schienen sich dann aber daran zu erinnern, wie sehr Annwyl das hasste und bremsten sich. Wäre sie nicht so genervt von der ganzen Prozedur gewesen, hätte sie gelacht. Aber sie war genervt. Sehr, sehr genervt.

Annwyl warf sich auf den Steinsessel mit der hohen Lehne, den ihr Bruder und Vater einst als Thron benutzt hatten. Sie hasste ihn. Und sie benutzte ihn nur für Gelegenheiten wie diese.

»Lady Annwyl …«, begann Morfyd, doch Annwyl unterbrach sie. »Können wir das einfach hinter uns bringen?«

Morfyd nickte. »Wie du willst.«

Delegationen von den benachbarten Königreichen begannen, vor sie zu treten. Sie brachten ihren Tribut an Edelmetallen oder Schmuck. Oder überreichten etwas, das in ihrem Land viel bedeutete. Doch Annwyl bemerkte langsam noch etwas anderes. Jeder zweite Adlige, der vor sie trat, brachte ihr einen Sohn. Einen starken, vor Männlichkeit strotzenden, unverheirateten Mann. Als das Haus von Arranz drei Söhne präsentierte; einer von ihnen ein Junge von nicht mehr als zehn und zwei Jahren, hatte sie genug.

»Entschuldigt mich.« Sie stand auf und ging hinüber zu Morfyd. »Kann ich dich mal kurz sprechen?«

Sie gab dem Drachen keine Chance zu antworten, sondern nahm ihren Arm und zerrte sie aus dem Thronsaal in einen Bedienstetenflur.

»Was soll das?«, wollte Annwyl wissen.

»Was glaubst du wohl? Und lass mich los!«

Annwyl erinnerte sich im Stillen daran, dass Morfyd wirklich ein Drache war. Sie konnte auf der Stelle beschließen, sich zu verwandeln und die ganze Festung mitreißen.

»Ich will das nicht.«

»Niemand sagt, dass du einen von ihnen als Gefährten nehmen sollst. Aber du solltest zumindest so aussehen, als dächtest du darüber nach. Wenn sie glauben, einer ihrer Söhne hätte eine Chance, dein Gemahl zu werden, haben wir ein bisschen mehr Verhandlungsmacht.«

»Verhandlungsmacht wofür?«

»Getreide aus Kerezik. Bauholz aus Madron. Die Liste ist lang. Hörst du nicht zu bei unseren täglichen Beratungen über die Lage in deinen Ländern?«

»Natürlich nicht. Sie sind todlangweilig.«

»Nicht alles kann mit Blutvergießen zu tun haben, Annwyl.«

»Kannst du mich nicht holen kommen, wenn es Blutvergießen gibt? Ansonsten kannst du mich einfach in Ruhe lesen lassen.« Morfyd nahm Annwyl bei den Schultern und schubste sie nicht allzu sanft zurück in den Thronsaal.

Widerwillig kehrte Annwyl zu ihrem Thron zurück und ließ die unangenehme Prozession weitergehen.

Irgendwann hörte sie auf, überhaupt einen von ihnen anzusehen. Sie setzte sich seitwärts in ihren großen Sessel, die Beine über die Armlehnen geworfen. Sie reagierte höflich auf jeden Gesandten, doch sie konnte ihren Verdruss über die ganze Prozedur nicht länger verbergen.

Doch als der Erbe des Hauses Madron mit seiner Entourage hereinstolzierte, wusste sie, dass sie nun wirklich langsam mit ihrer Geduld am Ende war.

Der Ratgeber von Madron machte die Ankündigung. »Lady Annwyl von der Insel Garbhán, das Volk von Madron bringt Euch seinen Dank und unsterbliche Treue.«

Annwyl warf Brastias und Morfyd finstere Blicke zu, die sich in einer Ecke zusammendrängten und sie beobachteten. Sie wussten beide, was sie von Hamish Madron hielt. Und wie Hamish Madron für sie fühlte.

Hamish trat vor. »Lady Annwyl. Es ist so lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben.«

»Lord Hamish.« Sie wedelte mit der Hand und betete, dass die Tortur bald vorüber sein möge.

»Vielleicht, Lady, könnten wir, wenn du hier fertig bist, zusammen zu Abend essen und über die Zukunft unserer Reiche sprechen.«

Annwyl grinste über den plötzlichen panischen Ausdruck auf Brastias’ Gesicht. Sie wusste, was ihr alter Freund befürchtete, und sie gab ihm mit Freuden genau das, was er erwartete.

»Nein.«

Eine längere Pause folgte, als die Abgesandten von Madron ihre kurze, aber direkte Antwort verarbeiteten.

Hamish drängelte. »Es tut mir leid, Mylady. Gibt es etwas anderes, das heute Abend deine Aufmerksamkeit fordert?«

»Nein. Ich mag dich einfach nicht.« Brastias verdrehte verzweifelt die Augen. Armer Kerl, er hatte keine Ahnung, dass die Folter erst begonnen hatte. »Du warst bereit, mich zu zwingen, dich zu heiraten. Du hast Glück, dass ich dich deine Ländereien und deinen Kopf behalten ließ.« Hamish starrte sie wütend an. »Abgesehen davon, Lord Hamish, würde jeder Versuch, mich zu verführen, um meine Krone zu bekommen, nur dazu führen, dass mein Drache dich zur Strecke bringt und tötet. Und ich würde es ihm erlauben.«

Hamish wurde sehr bleich und machte sich nicht die Mühe, seine Abscheu zu verbergen. »Dann sind die Gerüchte also wahr? Du hast dich mit einem Drachen gepaart.«

»Sehr richtig. Aber wenn es dich stört, Lord Hamish … bitte, tu dir keinen Zwang an und stoß mich von meinem Thron.«

 

Rhiannon landete und sah zu, wie die Männer um ihr Leben rannten. Daran sah sie sich eigentlich nie satt. Die Panik in ihren winzig kleinen Gesichtern. Der Klang ihrer Schreie, wenn sie in alle Richtungen davonwuselten. Sie hätte gelacht oder vielleicht ein paar von den Köstlichkeiten eingesammelt, doch sie hatte einen Auftrag.

Dieses kleine Menschenmädchen musste von ihrem wertvollen Thron herunterkommen und zu ihrem Sohn zurückkehren. Eine noch längere Trennung, und es würde Krieg geben. Sie hatte es schon bereut, dass sie vor Kurzem darauf bestanden hatte, dass Fearghus an den Hof kam. Es hatte Kesslene das Leben gekostet. Es hatte mit einer kleinen, wenn auch zugegebenermaßen groben Bemerkung über Fearghus’ Wahl seiner Gefährtin begonnen. Es hätte zu einem Duell zwischen den beiden führen sollen. Doch diesmal gab es kein Duell. Keine Warnung. Fearghus hatte ihm ruhig befohlen, sich zu entschuldigen. Kesslene hatte laut darüber nachgedacht, ob es ihm selbst wohl auch gefallen würde, es mit dem Mädchen zu treiben. Und Fearghus hatte dem Drachen ohne das geringste Zögern das Genick gebrochen. Alle Geschäftigkeit am Hof setzte aus. Zugegeben, es war nicht das erste Mal, dass es an ihrem Hof einen brutalen Todesfall gab. Die meisten waren auf Bercelaks Wutanfälle zurückzuführen oder darauf, dass Teile von Gwenvael irgendwo waren, wo sie nicht hingehörten. Doch dies war das erste Mal, dass Fearghus das Problem verursacht hatte. Und dann hatte Fearghus alle und jeden in der Halle aufgefordert, seinen rechtmäßigen Platz in seinem Clan infrage zu stellen. Nachdem sie gesehen hatten, wie er mit Kesslene umgegangen war, trat kein Drache vor. Nicht einmal seine eigene Sippe wollte sich ihm nähern.

Später sprach Rhiannon mit ihren Kindern und fragte sie nach ihrem Bruder. Seine Geschwister drückten ihre Sorge über die Traurigkeit ihres Bruders aus. Ein Wort, das sie im Zusammenhang mit Fearghus nie benutzt hätte. Er war nicht so überschwänglich wie Éibhear, so lebhaft wie Gwenvael oder so anmaßend wie Briec. Er war nicht einmal ungeschliffen und griesgrämig wie ihr Bercelak. Stattdessen lebte er still und ruhig. Er regte sich nur auf, wenn er keine Zeit für sich hatte. Er hatte den Hof früher als alle anderen verlassen, weil er den Lärm nicht ertragen konnte und seine Geschwister, die ihn andauernd piesackten. Und sie hatte ihn mit ihren Segenswünschen gehen lassen. Sie rühmte sich, all ihre Jungen zu verstehen. Sie verstand sie besser als irgendeinem von ihnen bewusst war. Sie wusste, dass er allein sein musste. Und auch wenn er einmal als König den Thron bestieg, würde er derselbe bleiben. Nichts würde das ändern. Oder ihn.

Dann war dieses geschwätzige kleine Menschenmädchen dahergekommen. Wegen dieses Mädchens wussten die Leute jetzt, dass Drachen sich in Menschen verwandeln konnten. Ihr süßer kleiner Éibhear, auf den sie immer so große Hoffnungen gesetzt hatte, sprach nur noch von einer lebenslangen Verbindung mit einer Menschenfrau. Einer Menschenfrau! Und ihre eigene Tochter, Erbin ihrer Magie und Macht, diente sogar der Menschenfrau auf Garbhán.

Am Anfang war Rhiannon überzeugt gewesen, dass dieses Mädchen ihren Sohn mit ihrer weiblichen List verführt hatte – und eindeutig auch den Rest ihrer Familie. Zumindest hatte sie das gedacht, bevor sie sie kennengelernt hatte. Doch ihr war schnell klar geworden, dass das Mädchen absolut keine nennenswerte weibliche List besaß. Eine harte Kriegerin, die den Tod riskierte, damit sie all ihre winzigen Menschenfreunde schützen konnte. Rhiannon hatte in dem Moment, als Annwyl ihre Flamme ertrug, sogar aufgehört, sie als »Es« zu bezeichnen. Sie hatte natürlich geschrien, aber hauptsächlich, weil der Schmerz unerträglich war. Doch als der Prozess ihren Körper erst verändert hatte, war das Mädchen losgegangen, um ihren Bruder zu köpfen, zur Herrscherin der gesamten Dunklen Ebenen und der Insel Garbhán zu werden und sich noch mit einem Drachen zu vereinigen. Alles an einem Tag.

Das beeindruckte Rhiannon immer noch. Aber jetzt hatte sie einen unglücklichen Sohn, und sie gab dem Mädchen die Schuld dafür. Ein Jahr war vergangen. Die Frau hatte mit ihrer winzigen, aber mächtigen Faust jeglichen Aufstand niedergeschlagen, und jetzt musste sie zu ihrem Gefährten zurückkehren. Er hatte sie in Besitz genommen, also gehörte sie ihm. Wenn das Mädchen seine Meinung geändert hatte … nun, es war in ihrem Interesse, ihre Meinung nicht zu ändern.

Rhiannons Angebot für Annwyl war einfach. »Kehr sofort zu Fearghus zurück oder erleide meinen Zorn.«

Sie stolzierte durch die Festung, ihre Kinder im Schlepptau, während Keita verzweifelt versuchte, die Nacktheit ihrer Mutter mit einem Umhang zu verhüllen. Ihre Kinder waren ein wenig früher angekommen und bereits angezogen. Sie lebten mehr unter den Menschen als sie, und sie vergaß oft, welche Pein den Menschen ihre eigenen Körper bereiteten. Vor dem Thronsaal hielt sie kurz inne, um den Umhang anzulegen, aber beim Klang von Annwyls Stimme blieb sie stehen und hielt ihre Kinder zurück.

»Dann sind die Gerüchte also wahr?«, blaffte eine männliche Stimme angewidert. »Du hast dich mit einem Drachen gepaart.«

»Sehr richtig. Aber wenn es dich stört, Lord Hamish … bitte, tu dir keinen Zwang an und stoß mich von meinem Thron.«

Rhiannon wechselte Blicke mit ihren Kindern. Anscheinend unterschätzte sie die winzige Menschenfrau immer noch.

 

Annwyl schwang ihre Beine von der Armlehne ihres Steinsessels und stellte sich in voller Größe auf. Sie sah in die Augen von jedem Einzelnen der Oberhäupter der Adelsgeschlechter vor ihr. Sie war die Spielchen und das Verstellen langsam leid. Da nun alle Häuser anwesend waren, war die Zeit gekommen, um sicherzustellen, dass jeder ihre Herrschaft und sie verstand.

»Vielleicht ist dieser Moment gut geeignet, um allen die Lage zu verdeutlichen. So gibt es keine Missverständnisse. Ja, die Gerüchte sind wahr. Mein Gefährte ist Fearghus der Zerstörer, der Schwarze Drache der Dunklen Ebenen. Er ist mein Gefährte und mein Gemahl. Mit ihm werde ich herrschen. Ich verstehe, wenn jemand unter euch ein Problem damit hat. Und bitte, tut euch keinen Zwang an und stoßt mich vom Thron.« Sie senkte die Stimme zu einem Flüstern, doch es durchschnitt den stillen Saal wie ein Schrei: »Bitte.«

Sie wartete. Als keiner vortrat, wandte sie ihnen den Rücken zu. Doch ein Flackern in Danelins Blick warnte sie. Sie hatten manche Schlacht zusammen durchgestanden, und manchmal war alles, wofür man Zeit hatte, ein Blick oder ein Wort. Sie wusste genau, was er ihr sagen wollte, und sie bewegte sich mit ihrer üblichen Schnelligkeit und Brutalität.

Annwyl zog den edelsteinbesetzten Dolch, den Fearghus ihr vor so langer Zeit geschenkt hatte, aus ihrem Stiefel und schleuderte ihn, nur ihren Oberkörper drehend, hinter sich. Die Klinge spießte die Kehle eines Angehörigen des Hauses von Adhamhan auf, der sie im Namen seines Volkes hatte töten wollen. Ein schwerer Mann in voller Rüstung, aber er trug keinen Helm, und Annwyls Dolch bohrte sich direkt in seinen Hals. Sein schwerer Körper krachte zu Boden, was alle außer Annwyl und ihre Soldaten zusammenzucken ließ.

Annwyl sah ihn einen langen Augenblick an, ließ die Situation bei allen Anwesenden ins Bewusstsein einsinken. Dann blickte sie in die Gesichter der Adligen. »Sonst noch jemand?« Niemand rührte sich. »Ich denke, dann wäre jetzt alles geklärt.«

Sie setzte sich wieder auf den Thron und sah Hamish nach, der in den hinteren Teil des Saales hastete. Dann warf sie Danelin einen Blick zu. »Sind wir jetzt fertig?«

Er beugte sich dicht zu ihrem Ohr, damit nur Annwyl ihn hören konnte.

»Da waren noch drei andere, aber ich glaube, sie sind um ihr Leben gerannt.«

»Das liegt mir schwer auf der Seele, Danelin«, murmelte sie gedämpft.

Er hob eine Augenbraue. »Das sehe ich, Annwyl.« Alle Soldaten ihrer ursprünglichen Truppe mit Brastias nannten sie weiterhin nur bei ihrem Namen, ohne den formellen Titel, und sie wollte es auch gar nicht anders.

»Annwyl die Blutrünstige!« Eine Stimme erklang durch den Saal und erschreckte Annwyl und Danelin genauso wie den ganzen Hofstaat. »Du sprichst von deinem Gefährten, und doch bist du nicht bei ihm.«

Annwyls Augen wurden schmal, als ihre Wut durch ihre Adern zu fließen begann. Es musste sich auch in ihrem Blick abzeichnen; Danelin trat einen Schritt von ihr zurück, die Hand am Schwert, während Brastias und ihre Soldaten näher rückten. Ob sie sich Sorgen um sie oder wegen ihr machten, wusste sie nicht.

Sie starrte die Frau an, die in der breiten Holztür des Saales stand. Sie war von Kopf bis Fuß in einen hellblauen Umhang eingehüllt und die größte Frau, der Annwyl je begegnet war.

»Ich weiß nicht, was Euch das angeht, Mylady.« Annwyl überlegte, ob sie sie langsam oder einfach direkt töten sollte.

Die Frau trat vor, ihr Umhang wirbelte um ihre nackten Füße. »Ich bin weit gereist, um mich mit dir zu treffen, Lady Annwyl, aber ich verschwende nicht gern meine Zeit oder Worte.«

»Genauso wenig wie ich. Also solltet Ihr mir vielleicht sagen, worum es geht, bevor ich die Geduld verliere.«

Annwyl spürte eine Hand auf ihrer Schulter und sah zu Morfyd auf, die neben ihr stand. »Annwyl, ich möchte dir Königin Rhiannon aus dem Haus Gwalchmai fab Gwyar vorstellen.« Annwyl zuckte zusammen. Was für ein hässlicher Familienname. Sie hätte es schrecklich gefunden, so zu heißen. »Meine Mutter.«

Das Gefühl, in einem Mauseloch verschwinden zu wollen, kann überwältigend sein, doch Annwyl bekämpfte es. Die Königin stand vor ihr. Als Mensch. Sie schob die Kapuze ihres Umhangs zurück. Schneeweißes Haar ergoss sich über ihre Schultern, und ein Ausdruck heftiger Unzufriedenheit breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie schien nicht einmal das Luftschnappen zu bemerken, das durch den Hofstaat ging, als sie das Mal ihrer eigenen Inbesitznahme sahen: ein schwarzes Drachenbrandzeichen, das sich von ihrem Kiefer ihren Hals entlangzog und unter ihrem Umhang verschwand.

Doch jetzt verstand Annwyl, warum Rhiannons Kinder alle schön waren. Als Mensch war Rhiannon absolut atemberaubend.

Annwyl sah diejenigen an, die Rhiannon begleiteten. Eine schöne rothaarige Frau, die so unschuldig und süß aussah wie Daddys kleines Mädchen. Und drei Männer, die eindeutig Brüder waren. Alle auf ihre Art ziemlich gut aussehend. Der mit den silbernen Haaren sah aus, als erschiene er nur unter Protest vor ihr. Der mit den goldenen Haaren starrte sie offen lüstern an. Und der Blauhaarige grinste so fröhlich, dass sie nicht anders konnte als kurz zurückzulächeln.

»Worum es geht, Mylady, ist, dass es an der Zeit ist, dass du deinen rechtmäßigen Platz an der Seite meines Sohnes einnimmst.«

Annwyl holte tief und zitternd Luft. Die Kuh hatte ihr gerade befohlen, zu Fearghus zurückzukehren. Befohlen. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten, als die Wut in ihr aufstieg. Sie konnte ihre Gefühle jetzt im Zaum halten, doch das machte sie nur noch tödlicher. Gwenvael musste es gesehen haben. Er schloss resigniert die Augen.

»Und vielleicht, Mylady, solltet Ihr Euch um Eure eigenen Angelegenheiten kümmern.« Morfyds Finger gruben sich wie eine Warnung tief in ihre Schulter. Eine Warnung, die sie ignorierte. »Was zwischen mir und Fearghus passiert, ist unsere Sache. Nicht Eure. Daran solltet Ihr denken.«

Sie bemerkte, wie Rhiannons Kinder verzweifelt versuchten, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während Morfyd gefährlich kurz davorstand, ihr den Arm auszureißen.

»Vielleicht vergisst du, wer ich bin.«

»Ich vergesse gar nichts. Wie geht es übrigens dem Schwanz Eures Gefährten, Mylady?«

An diesem Punkt warf Morfyd resigniert die Arme in die Luft und trat zurück an Brastias’ Seite, während Rhiannons Söhne zusammenzuckten und die schöne Rothaarige ihr Gesicht in den Händen barg.

Rhiannon lächelte. Ein beunruhigender Anblick, gelinde gesagt. Anders als bei ihren Kindern glichen ihre menschlichen Zähne trotzdem Reißzähnen. »Weißt du, Lady Annwyl, jede Frau, die stark genug ist, um einen so mächtigen Drachen wie Bercelak den Großen zu durchbohren, sollte stark genug sein, um zu fordern, was ihr gehört.«

Interessanter Zug von der Königin. Annwyl hatte eigentlich erwartet, sie würde ihr den Kopf abreißen. Zumindest hatte sie erwartet, dass sie es versuchen würde. »Ich weiß Eure Sorge zu schätzen, Mylady. Aber ich bin ratlos, warum Euer Sohn nicht selbst gekommen ist.«

Und mich vor dieser verdammten Sippe rettet!

»Er fürchtet törichterweise, dass er ein großes Risiko für deine Sicherheit sein könnte. Ich weiß jetzt, dass da nichts zu befürchten ist. Du bist eine tödliche Gegnerin. Ich bezweifle, dass irgendwer hier deinen Zorn herausfordern würde. Ich weiß, dass ich es nicht tun würde.«

Annwyl fragte sich einen Augenblick lang, ob Rhiannon das nur wegen den Adligen sagte. Doch sie bezweifelte, dass der Drache sich darum Gedanken machte. Die Frau war gefährlich ehrlich – Freund oder Feind. »Aber da mein Sohn so ein …«

»Trottel?«, bot Gwenvael an.

»Heimtückische Harpye?«, konterte Briec.

»… besorgter Gefährte ist …«, zischte ihre Mutter zwischen zusammengebissenen Zähnen und brachte beide mit einem Blick zum Schweigen, »… habe ich ein Geschenk für dich.«

Annwyl wappnete sich. Die Königin mochte ehrlich sein, aber Annwyl nahm trotzdem nicht alles, was sie sagte, für bare Münze. Das »Geschenk« konnte dafür sorgen, dass sie blutüberströmt und ohne Augen endete. »Tatsächlich?«

»Ich biete dir meine Loyalität an und die Loyalität aller Drachen der Dunklen Ebenen.«

Annwyl war sich nicht sicher, was das für sie bedeuten sollte. »Oh. Das ist sehr … ähm … lieb.«

Morfyd kehrte an ihre Seite zurück, beugte sich vor und flüsterte ihr so laut ins Ohr, dass alle es hören konnten: »Für den Fall, dass du es nicht wusstest, das bedeutet, wenn irgendwer je versucht, dich oder deinen Thron anzugreifen, lädt er den Zorn des gesamten Drachenreiches der Dunklen Ebenen und all unserer Verbündeten auf sich. Das ist vor ungefähr tausend Jahren einmal passiert. Als die Drachen fertig waren, stand im ganzen Land kein Stein mehr auf dem anderen.«

Ein Ruck ging durch Annwyls Körper, während einige Menschen im Saal begannen, sich in Richtung Ausgang zu schieben. Und Hamish konnte nicht schnell genug rennen. Sie fragte sich, was er ursprünglich vorgehabt hatte.

Annwyl sah Fearghus’ Mutter an. »Ihr schenkt mir diese Loyalität? Einem Menschen?«

»Ja.«

»Wegen Fearghus?«

»Nein. Ich schenke meinen Kindern gar nichts. Man muss sich alles verdienen. Und du hast es dir verdient. Du warst sehr gut. Ohne uns. Und ohne Fearghus.« Sie seufzte gelangweilt. »Kurz gesagt, du hast mich beeindruckt, Annwyl die Blutrünstige. Und ich bin nicht leicht zu beeindrucken.«

»Ich … äh … danke.« Ausnahmsweise fiel Annwyl nichts ein, was sie hätte sagen können.

Rhiannon wedelte wegwerfend mit der Hand. »Ja, ja.« Sie wandte sich ab. »Aber mein Sohn wartet, also setzt du vielleicht am besten dein Hinterteil in Bewegung.« Rhiannon steuerte auf den Ausgang zu. »Ich muss gehen. Bercelak wartet auch, und er ist so ungeduldig.«

»Müsst Ihr zurück an Eure Kette, Mylady?« Morfyd und Keita husteten überrascht, während die Brüder einfach verblüfft schienen.

Rhiannon warf Annwyl einen Blick über die Schulter zu und lächelte auf die sinnlichste Art, die Annwyl je gesehen hatte. »Neidisch?« Dann war sie fort.

Gwenvael trat vor. Zum ersten Mal sah Annwyl ihn wütend werden. »Frau, bist du wahnsinnig geworden?«

»Warum fragen mich das immer alle?«

»Tja, du musst sie wirklich beeindruckt haben«, fügte Keita hinzu. »Ich war mir sicher, dass sie dir die Kehle zerfetzen würde.« Annwyl erinnerte sich gut an die weißen Krallen der Königin. »Ich dachte die ganze Zeit: Was werden wir Fearghus sagen? Dann dachte ich: Wer wird es Fearghus sagen? Dann dachte ich: Wir lassen es Morfyd machen.«

Mit einem bösartigen Zischen erwiderte diese: »Wie bitte?«

»Würdet ihr alle bitte aufhören!« Annwyl wischte ihre Hände an ihrer Hose ab und sah auf ihre Knie hinab. Sie wusste, was sie tun musste. Sie blickte zu den Drachen auf. »Ich brauche ein Transportmittel.«

Gwenvael lächelte. Erleichterung schien sich in seinem ganzen Körper auszubreiten. Er hätte es nie zugegeben, aber Annwyl wusste, dass dem Drachen viel an seinem Bruder lag. »Das dachte ich mir. Ich kann dich hinfliegen.«

Annwyl hob eine Augenbraue. »Hältst du das wirklich für eine gute Idee?«

Gwenvael zuckte die Achseln. »Gutes Argument. Briec wird dich hinfliegen.«

»Das werde ich nicht! Auf keinen Fall lasse ich zu, dass sie nach mir riecht, wenn sie zu ihm zurückkommt. Ich mag meinen Schwanz!«

»Ich fliege sie hin!«, bot Éibhear fröhlich an.

»Nein!«, fuhren ihn seine beiden Brüder an.

»Ehrlich. Ihr drei seid solche Idioten!« Keita machte Annwyl ein Zeichen. »Lass uns gehen, Schwester. Ich werde dich hinfliegen. Ich habe gewisse … äh … Pläne mit ein paar Soldaten in der Nähe der Schlucht.«

Annwyl schüttelte den Kopf, während Morfyd angewidert schnaubte. »Ähm … na gut.« Sie sah über ihre Schulter. »Brastias.«

»Ja, Annwyl?« Er stand neben Morfyd und versuchte verzweifelt, nicht zu lächeln, scheiterte aber kläglich.

»Ich muss mich um etwas kümmern, Brastias. Meinst du, du und Morfyd könnt euch um diese Sache mit dem Getreide und dem Bauholz kümmern, bis ich wiederkomme?«

»Natürlich.« Er grinste. »Aber wir sagen dir sofort Bescheid, wenn es irgendwelches Blutvergießen gibt.«

Annwyl sah ihn an. »Mehr verlange ich gar nicht.«

 

Fearghus streckte sich an seinem See aus, das Kinn in eine Klaue gestützt, während sein Schwanz Wirbelmuster in dem blauen Wasser machte. Er seufzte. Ein Jahr war es her, seit er sie am Morgen nach dem finalen Kampf mit ihrem Bruder verlassen hatte. Ein Jahr, seit er sie das letzte Mal in den Armen gehalten hatte. Ein Jahr, seit er sie geküsst hatte. Ein Jahr, seit er seinen Kopf zwischen ihren Schenkeln vergraben hatte. Ein Jahr, seit sie ihm ins Gesicht geschlagen hatte.

Wieder seufzte er. Er vermisste sie wirklich. Er hätte nicht gedacht, dass er etwas oder jemanden so sehr vermissen konnte. Er wollte zu ihr gehen. Wollte seinen rechtmäßigen Platz an ihrer Seite einnehmen. Doch er fürchtete um ihre Sicherheit. Und was noch wichtiger war: Wollte sie ihn überhaupt noch? Was, wenn sie jemand anderen gefunden hatte? Einen Menschen? Jemanden, der nicht beim Husten versehentlich einen Feuerball auf sie schleudern konnte?

Hatte sie ihn schon vergessen? Liebte sie ihn noch? Und wann war er eigentlich so unsicher geworden?

Er setzte sich auf. Das ist doch lächerlich. Er würde zur Insel Garbhán gehen. Er würde sich seine Frau holen. Sie gehörte ihm. Er hatte sie in Besitz genommen, und nichts würde etwas daran ändern.

Abgesehen davon hielt er es nicht mehr aus. Alles in seiner Höhle erinnerte ihn an Annwyl. Er konnte sie beinahe riechen. Konnte fast spüren, wie sie seinen Drachenrücken hinauflief, auf seinen Kopf kletterte und ihren Körper über ihn beugte, damit sie ihm in die Augen sehen konnte.

»Hast du mich vermisst?«

»Annwyl?«

Fearghus schreckte hoch, und Annwyl fiel rückwärts und rollte seinen Rücken und Schwanz hinab. Mit einem »Uff!« traf sie auf dem Boden auf.

Er wirbelte herum und starrte sie an; er wollte nicht glauben, dass sie wirklich in seiner Höhle war. Während sie sich aufrappelte, verwandelte er sich.

»Na, das war ja eine Begrüßung … oh!«

Er schnappte sie und ließ sich mit ihr zu Boden fallen, wobei er mit den Armen ihren Kopf und Rücken schützte. Kaum hatte er sie auf dem Boden, küsste er sie. Die Erwiderung ihres Körpers kam unmittelbar und heftig wie immer. Dann hielt er ihre Arme über ihrem Kopf fest und ihren Körper mit seinem. »Wo zum Teufel warst du so lange?«

»Wo ich war? Wo warst du?!«

»Hier! Ich hab auf dich gewartet!«

Sie versuchte, ihre Arme seinem Griff zu entreißen, doch er hielt sie fest. Er würde sie jetzt nicht entkommen lassen. »Du hast mich verlassen, Fearghus. Ich bin aufgewacht und du warst weg. Was hätte ich da denken sollen?«

»Dass ich dich schützen wollte.«

»Ja. Das hat mir deine Schwester gesagt. Aber warum hast du es mir nicht selbst gesagt?«

»Hättest du mich gehen lassen?«

»Nimm dich nicht wichtiger als du bist.«

Er starrte sie an … unverwandt. Sie starrte zurück.

»Wenn du das denkst, warum bist du dann jetzt hier, Annwyl?«

»Deine Mutter ist zu mir gekommen«, presste sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Fearghus hielt inne. »Was?«

»Ich sagte, deine Mutter war bei mir. Sie hat mir gesagt, es sei Zeit, meinen Platz an deiner Seite einzunehmen.«

Seine Mutter befahl Annwyl zurück zu ihm. Das konnte nicht gut sein. Fearghus hatte Angst zu fragen, aber er musste es wissen. »Was hast du ihr gesagt, Annwyl?«

»Ich habe ihr gesagt, sie soll sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.«

»Ihr Götter, Frau!« Fearghus ließ sie los, damit er seine Hände benutzen konnte, um sie sich verzweifelt vors Gesicht zu halten, während er sich auf die Hacken zurücksetzte. »Bist du wahnsinnig?«

Annwyl wand sich unter ihm hervor. »Warum fragen mich das ständig alle?«

»Was noch?« Er sah sie an. »Was hast du ihr noch gesagt?«

Sie zuckte die Achseln. »Mal sehen … also, ich habe sie gefragt, wie es Bercelaks Schwanz geht.«

Fearghus barg wieder den Kopf in den Händen. »Bist du dir so sicher, dass sie dich nicht umbringen wird?«

»O nein. Überhaupt nicht. Ich dachte, sie würde mich auf der Stelle töten.« Sie sagte das so nonchalant, dass er wusste, dass sie absolut ehrlich zu ihm war.

»Und doch hast du …«

»Ich kann’s nicht leiden, wenn man mich herumkommandiert, Fearghus. Das solltest du doch wissen.«

»Na ja, sie hat dich offensichtlich nicht umgebracht. Was hat sie also gesagt?«

Wieder das Achselzucken. »Sie hat mir die Loyalität aller Drachen versprochen.« Fearghus starrte Annwyl an, nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. Seine Mutter versprach einem Menschen die Loyalität aller Drachen? Befand er sich auf einer anderen Existenzebene? Hatten die Götter beschlossen, seinem Verstand Streiche zu spielen? Was in aller Welt …

»Dann sagte sie, sie müsse gehen, und ich habe sie gefragt, ob sie zu ihrer Kette zurückgeht.«

Das Geschenk seiner Mutter völlig vergessend, versuchte er, streng zu schauen, lachte aber stattdessen. »Sag mir, dass du lügst. Bitte.«

Annwyl grinste ihn an. »Ich wünschte, das könnte ich. Aber es ist mir einfach so rausgerutscht.«

Fearghus grinste zurück. Wie konnte er auch nicht? Er liebte die schwierigste Frau, der er je begegnet war, und er konnte sich sein Leben nicht ohne sie vorstellen. Er musterte sie langsam. Ein bisschen schmaler und ein bisschen dunkler; er nahm an, von der Zeit, die sie im Kampf und unter den zwei Sonnen verbracht hatte. Sie hatte immer noch eine dünne Narbe auf der Wange von der behandschuhten Hand ihres Bruders. Und seine Brandzeichen zeichneten sich klar und triumphierend auf ihren Unterarmen ab. Ah, Annwyl. Immer noch schön. Und immer noch sein.

»Das ist ein sehr raffinierter Waffenrock, den du da trägst, mein Liebling.«

Annwyl sah an ihrem ärmellosen Kettenhemd hinab. »Das habe ich extra machen lassen. Ich mag es, wenn ich die Arme frei und es bequem habe. Das macht es leichter, Köpfe abzuschlagen.«

Fearghus nickte. »Hast du mich vermisst?«

Annwyl lehnte sich zurück, die Handflächen auf den Höhlenboden gestützt. Ihren Körper ausgestreckt. Ihn neckend. Ihn verführend. Nach all dieser Zeit wollte er sie immer noch so sehr, dass er kaum atmen konnte. »Eigentlich nicht.«

Er neigte den Kopf zur Seite. »Sag mir, dass du mich vermisst hast, Annwyl.«

Annwyl sah ihm unverwandt in die Augen. »Nein.«

Er hob eine Augenbraue. »Sag es mir jetzt, Frau!«

Sie sah auf seinen Mund. »Zwing mich doch.«

»Eine Kampfansage, Königin Annwyl?«

»Keine Kampfansage, der du gerecht werden könntest, Drachenprinz

Mit einem Knurren, von dem er wusste, dass nur Annwyl es spielerisch finden würde, ergriff er ihren Knöchel und zog ihren Körper über den Höhlenboden zu sich hin.

»He!«

Er riss ihr die Waffen herunter und zerrte ihr zuerst das Kettenhemd vom Leib und dann ihre Hose, wobei er nur kurz innehielt, um die Brandzeichen auf der Innenseite ihrer Schenkel zu lecken.

Annwyl drückte gegen seine Brust. »Weißt du, ich sollte dich wirklich windelweich …« Er ließ sie nicht ausreden. Stattdessen drückte er sie nach unten, streckte sich auf ihr aus und verschloss ihren Mund mit einem brutalen Kuss. Sie stemmte sich gegen seine Schultern, während sich ihre Beine um seine Taille legten. Immer noch seine Annwyl: sie musste immer bis zum bitteren Ende kämpfen, während sie ihn nach Strich und Faden ausnahm. Er packte ihre Handgelenke und hielt ihre Arme wieder über ihrem Kopf fest. Sie knurrte als Antwort, während sie seine Zunge tief in ihren Mund einsaugte. Er legte sich zwischen ihre Schenkel und versenkte sich in sie. Feucht und bereit, zitterte ihr Körper vor kaum gezügelter Lust. Ihr Stöhnen und ihre Schreie erklangen verzweifelt an seinen Lippen. Ihre Hüften wölbten sich ihm entgegen, und er stieß hart in sie.

Sie war zu lange von ihm getrennt gewesen. Zu viele Nächte, die er allein verbracht und sich gefragt hatte, ob sie in Sicherheit war. Ob sie glücklich war. Ob sie ihn vermisste. Eine zu lange Zeit für sie beide, und das würde er nie wieder zulassen.

Also nahm er sie in Besitz. Noch einmal. Und er sorgte dafür, dass sie es auch merkte.

 

Annwyl schlang ihre Beine um seine Taille und fragte sich, wie sie es so lange ausgehalten hatte, ohne ihn in sich zu spüren. Ohne dass er sie vollkommen ausfüllte und sie an nichts anderes als an ihn denken ließ. Und nichts weiter wollte als ihn. Ein brutaler Akt , aber einer, den sie verstand. Er nahm sie in Besitz. Noch einmal. Und sie hätte es auch niemals anders gewollt. Sie brauchte es genauso wie er. Um zu wissen, dass sie ihm gehörte. Und dass er ihr gehörte.

Sie versuchte, ihre Arme aus seinem stählernen Griff zu befreien und wusste, dass er niemals loslassen würde. Sie wollte ihn berühren. Seine Haut unter ihren Fingern spüren. Doch den Kampf liebte sie genauso. Er würde keinen Zentimeter nachgeben. Ihr niemals irgendetwas durchgehen lassen. Sie würde immer seine Herausforderung sein, und er würde ihr immer mit seiner üblichen ungedämpften Kraft begegnen.

Annwyl presste sich an ihn. Jeder harte Stoß brachte sie dem Höhepunkt näher. Er küsste ihr Gesicht. Ihr Kinn. Ihren Hals. Doch als er seine Zähne in die Haut unter ihrem Schlüsselbein grub, gab er ihr den Rest. Die Erlösung. Sie schrie auf. Ein Kampfschrei. Doch er machte weiter. Hörte nicht auf, bis er ihr ein paar Minuten später einen weiteren Schrei entlockt hatte. Und diesmal kam er mit ihr. Sein Aufbrüllen übertönte beinahe ihres.

Fearghus ließ ihre Arme los und legte seinen Kopf an ihre Brust. Sie brachte ein müdes Lächeln heraus, als sie sich an ihn schmiegte. »Also gut. Ich habe dich ein bisschen vermisst«, gab sie schließlich zu.

Er lachte, und sie schloss die Augen und das Gefühl seiner tiefen Stimme rollte durch ihren Körper. Sie war in Sicherheit. Zu Hause.

»Nein, nein, Annwyl! Hör bitte auf! Du erstickst mich ja mit deinem ganzen Gefühl!«, lachte er, während seine Hände sanft ihren schweißbedeckten Körper liebkosten. »Und nur damit du es weißt: Ich habe dich auch vermisst.«

»Warum bist du mich dann nicht holen gekommen?«

 

Fearghus hörte den Schmerz in ihrer Stimme und hasste sich selbst dafür, dass er der Verursacher war. »Weil ich ein Idiot bin, Annwyl. Deshalb.«

»Solange wir uns verstehen …«

Er lächelte. »Das tun wir.«

»Also, … gut.« Er umarmte sie fest und leckte die Seite ihrer Brust. Sie seufzte leise, und Fearghus wusste, dass er nie wieder ohne dieses Geräusch sein wollte.

»Und warum ist überhaupt deine Mutter zu mir gekommen, Fearghus?«

»Ich glaube, ich habe ihr ein bisschen Sorgen gemacht.«

»Oh? Und wie das?«

Er zuckte die Achseln. »Na ja, weißt du …«

»Du hast allen eine Höllenangst eingejagt, oder?«

»Nur ein bisschen.«

Annwyl hielt ihn fester. »Närrische höhere Wesen.«

Er sah in das Gesicht seiner Gefährtin, in diese schönen grünen Augen. »Du solltest Angst haben. Ich bin ein Drache, Annwyl. Ein geborener Jäger und Mörder. Der Urtypus des Zerstörers.«

Annwyl brach in Lachen aus. »Du bist so süß, wenn du versuchst, Furcht einflößend auszusehen.« Sie kniff ihm mit Daumen und Zeigefinger in die Nase.

»Was zum Teufel soll ich nur mit dir machen, Weib?«

Sie fuhr mit der Hand an seinem Kiefer entlang. »Regiere mit mir, Fearghus.«

»Was?«

»Regiere mit mir.«

»Du willst, dass ich mit dir nach Garbhán komme?« Und natürlich würde er das tun. Er hätte alles aufgegeben, um bei ihr zu sein. Er hatte nicht vor, sie je wieder gehen zu lassen. Er wollte nur, dass sie es sagte.

Annwyl wandte den Blick ab und sah zum See hinüber. Er konnte es in ihrem Gesicht erkennen. Sie hatte bereits einen Plan; sie musste nur überlegen, wie sie ihn dazu brachte zuzustimmmen. »Das ist eine Möglichkeit.«

»Und eine andere Möglichkeit ist …«

»Wir regieren die Dunklen Ebenen von hier aus.«

»Nein.«

»Warum? Es ist perfekt!«

»Annwyl, ich glaube, die Adligen würden sich hier nicht wohlfühlen.« Und er wollte sie nicht in der Nähe seiner Höhle haben.

Doch Annwyl schnaubte angewidert. »Ich will diese Leute nicht hier haben!«, schnauzte sie ihn an, offensichtlich verärgert, dass er es auch nur vorschlug. »Bei uns! Wage bloß nicht, das anzubieten!«

»Was meinst du dann?«

»Die Insel Garbhán ist nicht mein Zuhause, Fearghus. Dies hier ist mein Zuhause. Du bist mein Zuhause.«

Er dachte an den Teil seiner Höhle, den er zu ihrem Zuhause gemacht hatte. Er hatte ihn mit allem ausgestattet, wovon er dachte, dass ein Mensch es brauchen oder wollen könnte, und hatte dann das größte Bücherregal und das größte Bett hinzugefügt, das er finden konnte. Damals hatte er sich ständig gefragt, warum er es überhaupt versuchte. Er hatte immer gedacht, eine Königin müsse ihren Hofstaat bei sich haben. Andererseits würde Annwyl niemals eine normale Königin sein.

»Ich habe so eine Ahnung, Frau, dass du das alles schon geplant hast.«

Ihre Augen sprühten vor Begeisterung, als sie sich aufsetzte und sich von ihm losmachte. »Ich habe mir das alles schon genau überlegt. Die Soldaten können Schutzwälle außerhalb der Schlucht aufbauen. So wären wir geschützt. Und natürlich werde ich nur meine besten und vertrautesten Männer einsetzen. Morfyd und Brastias können sich um das Tagesgeschäft auf Garbhán kümmern. Das ist sowieso alles todlangweilig. Es geht die ganze Zeit nur um Bauholz und Getreide und … igitt! Es interessiert mich einfach beim besten Willen nicht.« Er schüttelte den Kopf und grinste, als sie fortfuhr: »Deine Familie und die anderen Drachen werden sich hier sicherer fühlen, wenn sie es wagen, uns zu besuchen. Und wenn es irgendeinen Vorstoß auf unseren Thron gibt, kann Morfyd uns Bescheid sagen. Und jetzt, wo deine Mutter auf unserer Seite ist, können wir alle niederschlagen, die uns in die Quere kommen. Wir zerquetschen sie wie Ameisen!«

Den letzten Teil sprach sie zu Ende als erzähle sie ihm von einem schönen Kleid, das sie fertigen ließ oder von neuen Pferden, die sie kaufte. Nicht dass sie tatsächlich über ein Bündnis sprach, das es in den Dunklen Ebenen seit mehr als tausend Jahren nicht mehr zwischen Menschen und Drachen gegeben hatte. Ein Bündnis, das sie eindeutig zu nutzen beabsichtigte.

Er starrte sie an, nicht sicher, was er sagen sollte.

»Komm schon, Fearghus. Du kannst mir nicht sagen, dass es nicht verflucht genial ist!«

Er lachte. »Ja, Annwyl. Es ist verflucht genial.« Fearghus beugte sich vor und rieb seine Nase an ihrem Hals, während seine Finger ihre harten Nippel streichelten.

Sie kicherte und schob sein Gesicht weg. »Das ist keine Antwort, Drache!«

»Oh, du wolltest wirklich eine Antwort? Ich dachte, du hättest dich schon entschieden.«

Sie zuckte die Achseln, ein alles andere als unschuldiges Lächeln auf den Lippen. »Das stimmt. Ich wollte nur höflich sein.«

Er starrte sie an, dann schüttelte er den Kopf. »Nein.«

»Was meinst du mit Nein?«

Er streckte sich neben ihr aus, seine Hände hinter dem Kopf verschränkt. »Ich meine Nein. Ich glaube nicht.«

Annwyl schubste ihn. »Warum nicht?«

Jetzt zuckte er die Achseln. »Mir ist einfach nicht danach.«

Annwyl verschränkte die Arme vor ihrem prachtvollen Busen, der ihm nie aus dem Kopf gegangen war. »Wirklich?«

»Annwyl, ich lebe schon seit deutlich mehr als hundert Jahren allein. Ich bin daran gewöhnt, für mich zu sein. Ich denke, das braucht ein bisschen … Überzeugungsarbeit deinerseits.«

»Überzeugungsarbeit?« Sie hob eine Augenbraue. »Wie viel Überzeugungsarbeit?«

»Na ja, ich bin ein sturer Drache. Sehr stur. Wir sprechen hier von Stunden, wenn nicht Tagen an Überzeugungsarbeit … oder auch Jahren.« Er sah ihr in die grünen Augen. »Vielleicht ein ganzes Leben.«

Annwyl streckte sich auf seiner Brust aus, den Kopf auf einen Arm gestützt. »Dann fange ich wohl besser gleich damit an.«

»Ja, das wäre wohl besser, Weib.«

Annwyl küsste ihn. Und Fearghus ließ sie nie wieder los.