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18 Der Feuerball verpasste sie knapp, und sie klammerte sich verzweifelt an Fearghus’ Hals und Haare, während er mitten im Kampf herumwirbelte und abtauchte. Ein paar quälende Augenblicke lang stand ihre Welt auf dem Kopf, und sie war sich sicher, dass sie sich jeden Augenblick würde übergeben müssen, als der Drache sich zu ihrem Glück wieder umdrehte. Egal, was er dazu sagte: Sie würde ihm einen Sattel besorgen!
Als sie sich dem Boden näherten, erblickte sie Brastias. »Dort! Lass mich dort runter!«
Fearghus sank tiefer, pflügte durch einen Trupp berittener Soldaten und kam schlitternd vor einem verblüfften Brastias zum Stehen.
Annwyl glitt vom Rücken des Drachen. Sie zog beide Schwerter und wandte sich zu ihrem geliebten Drachen um.
Die beiden sahen sich an.
»Bleib gesund, Lady Annwyl.«
»Bleib am Leben, Drachenfürst.«
Fearghus entfaltete seine mächtigen Schwingen und schwang sich in die Luft, um sich der Schlacht anzuschließen, die bereits zwischen den anderen Drachen und seinen Geschwistern tobte.
»Wir sind froh, dass du hier bist.« Brastias stand jetzt neben ihr, voller Blut, von dem sie glaubte, dass es größtenteils nicht von ihm selbst stammte.
»Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, mein Freund.« Sie wog ihre Klingen. Wie immer fühlten sie sich gut in ihren Händen an. Sie war bereit.
»Wo ist er, Brastias?«
»Da oben.« Er deutete auf einen Bergrücken, wo sie die Kampfschreie von Männern hören konnte. Doch zwischen ihr und ihrem Bruder befand sich eine Batterie von Soldaten, die alle nach ihrem Blut schrien.
Ein Soldat rannte auf sie zu; der Blutdurst hatte Besitz von ihm ergriffen. Sie hieb ihre beiden Schwerter zusammen und trat zur Seite, als der Kopf des Mannes von seinem Körper abgetrennt wurde.
Annwyl lächelte Brastias an. »Vielleicht solltest du das von hier an mir überlassen.«
Sie fragte sich, was er in ihrem Gesicht las, als sie ihn ansah, denn er erbleichte sichtlich und wich vor ihr zurück. »Wie immer, Annwyl. Sie sind alle dein.«
Annwyl lächelte und ging zum Angriff über, tötete alles, was ihr im Weg stand und nicht die Farben ihrer Armee trug.
Ein Blitz traf Fearghus direkt in die Brust. Mit einem Brüllen flog er zurück. Hefaidd-Hen und seine Blitzdrachen. Violette Bestien aus den Nordlanden mit unglaublichen Kräften, doch er hatte die stechenden Schmerzen bereits satt, die ihre Blitze verursachten. Außerdem wusste er, dass sie seine Haare versengten.
Er sah Gwenvael hinter dem Drachen auftauchen. Also griff er noch einmal an, um ihn abzulenken und konnte gerade noch dem Blitz entkommen, den das Biest losschickte. Als der Drache sich zurücklehnte, um noch einen zu schleudern, nahm Gwenvael seinen Hals zwischen die Kiefer und hielt ihn fest. Fearghus kam im Sturzflug heran und rammte dem Biest seine Klauen in Weichteile und Bauch und riss sie auf. Der Drache brüllte vor Schmerz, während sich seine Eingeweide über dem Schlachtfeld verteilten. Und als sie ihn losließen, fiel er zu Boden und erschlug dabei ein paar von Lorcans Männern.
Die zwei Brüder sahen sich an. Nie kamen sie so gut miteinander aus als wenn sie gemeinsam eine Schlacht fochten. Und Fearghus gab endlich vor sich selbst zu, dass es ihm Freude machte, dass seine Familie heute mit ihm kämpfte.
Die beiden Brüder trennten sich, und Fearghus gesellte sich zu Morfyd, um ihr zu helfen. Doch als sie zwei Drachen erledigte – einen mit Flammen und den anderen mit einem Zauber –, war er sich nicht mehr sicher, warum er sich Sorgen um sie gemacht hatte.
Dann sah er Éibhear an sich vorbeipurzeln. Er schnappte seinen Bruder am Arm, bevor der auf die Erde fallen konnte, während er den feindlichen Drachen mit seiner Flamme traf und zurückschlug.
»Éibhear! Bist du in Ordnung?«, fragte er in der alten Sprache der Drachen.
»Aye, Bruder. Dieses Miststück hat mich nur überrumpelt, das ist alles.«
»Tja, dann achte darauf, was hinter dir los ist, Kleiner! Ich würde es mir ewig anhören müssen, wenn dir etwas passiert. Du bist ihr Liebling.«
Éibhear stieg wieder in die Luft und jagte der Drachenfrau nach, die gerade versucht hatte, ihn zu töten.
»Morfyd!« Fearghus flog zu seiner Schwester. »Hefaidd-Hen. Wo ist er?«
Seine Schwester schloss die Augen und versuchte, die Fühler ihrer Magie auszustrecken und den Drachen zu finden. Plötzlich riss sie die Augen auf und sah ihren Bruder an.
»Was ist los?«
»Annwyl.«
Annwyl riss eine Schneise in die Truppen ihres Bruders. Die meisten von ihnen köpfte sie, wie es ihre Art war. Sie verlor nur Zeit mit Armen und Beinen, wenn der Kopf nicht bequem erreichbar war. Und diese Gliedmaßen hackte sie nur ab, um den Feind lange genug zu bremsen, damit sie den Kopf abschlagen konnte.
Ein Soldat warf sich auf sie. Sie parierte seinen Schlag, hieb ihm mit ihrem anderen Schwert den halben Schädel weg und ließ die Schreie des Mannes verstummen. Sie drehte sich um, als ein weiterer Soldat hoffte, sich von hinten anschleichen zu können. Sie schlitzte ihm den Bauch auf, was sie ebenfalls gerne tat. Vor allem, wenn ihre Klinge die Gedärme löste.
Mit einem Lächeln wurde ihr bewusst, dass sie ihren Namen ehrlich verdiente. Sie war tatsächlich Annwyl die Blutrünstige. Und stolz darauf. Doch sie wurde es müde, ihre Zeit an diese Männer zu verschwenden. Sie wollte ihren Bruder. Seinen Kopf wollte sie. Und bei den Göttern, sie würde ihn bekommen.
Sie schlachtete zwei weitere Soldaten ab, die dumm genug waren, ihr in den Weg zu geraten, dann stürmte sie den Bergkamm hinauf und schrie dabei nach Lorcan. Oben kam sie in dem nassen Gras rutschend zum Halten. Lorcan wartete auf sie. Mit seinem Drachen.
Sie warf einen Blick hinter sich und sah, dass weitere seiner Soldaten ihr den Fluchtweg abschnitten.
Annwyl sah ihren Bruder böse an. »Na, Angst, dich mir allein zu stellen, Lorcan?« Er sah ihr nicht einmal in die Augen. »Kannst du mir nicht antworten, Bruder?«
»Du kannst deine Fragen an mich richten, Lady Annwyl.«
Der Sprecher konnte nur Hefaidd-Hen sein. Anders als bei Fearghus und seiner Sippe sah sie in dieser Bestie keine Schönheit. Keine Anmut oder Eleganz. Nur einen kaltblütigen Mörder. Sein Drachenkörper schien fast wie ein Skelett. Seine Farbe war ein widerwärtiges Madenweiß. Seine Drachenaugen waren von einem blassen, wässrigen Blau. Allein sein Anblick verursachte ihr eine Gänsehaut.
»Bist du jetzt der Herrscher der Dunklen Ebenen, Hefaidd-Hen?«
»Ich bin lediglich Lorcans Berater.«
»Und was war dein Rat an meinen Bruder?«
»Dass er seine Zeit nicht damit verschwenden soll, dich zu töten. Das sollte er mir überlassen.«
Annwyl unterdrückte ihre Panik. Die Königin hatte ihr ein Geschenk gemacht, das ihr helfen sollte, Hefaidd-Hen zu bekämpfen. Sie hatte keine Ahnung, was ihre Flammen bewirkt haben sollten, doch sie betete, dass die Königin ihr wirklich geholfen hatte. Sie betete inbrünstig. Denn obwohl sie Brastias’ Rufe an seine Männer hörte und hören konnte, wie sie kämpften, um die Linie von Soldaten zu durchbrechen, die sie von ihr trennte, wusste sie es doch. Sie wusste, als Hefaidd-Hen sich zurücklehnte, um eine Lunge voll Luft einzusaugen, dass sie niemals rechtzeitig bei ihr sein würden.
Sie sah ihren Bruder an. »Egal, was passiert: Wir sind noch nicht miteinander fertig, Bruder.«
Fearghus flog so schnell er konnte; Morfyd tat ihr Bestes, um mitzuhalten und rief seinen Namen. Er ignorierte sie. Morfyd sah den Hinterhalt. Ein Hinterhalt, allein für Annwyl. So stark sie jetzt auch war: Sie würde niemals allein mit Hefaidd-Hen fertig werden. Sie konnte nicht gegen ihn gewinnen. Er war nicht nur ein Drache, sondern auch ein Zauberer. Seine Flamme würde, genau wie manchmal auch die von Morfyd, mit alter Magie getränkt sein.
Doch als Fearghus nun dem Bergrücken näher kam, auf dem seine Frau stand, konnte er sehen, dass er nicht rechtzeitig dort sein würde. Egal, wie schnell er flog. Egal, was er tat. Er würde sie verlieren.
Brastias konnte die feindlichen Soldaten nicht aus dem Weg räumen und es auf den Bergrücken hinauf schaffen, bevor das widerliche Biest eine Flamme spie, die seine Anführerin komplett in weiß glühendes Feuer hüllte. Und zwar keine normale Flamme wie die, die er ihren Drachenliebhaber hatte spucken sehen. Es war etwas anderes. Und scheinbar eine Verschwendung von Magie, wenn man bedachte, dass sie nur ein Mädchen war.
Doch als die Flamme und der Rauch sich verzogen, stand sie immer noch da. Die Augen fest zugekniffen, das Gesicht abgewandt. Alles war, wie es sein sollte. Sogar ihr Kettenhemd und ihr Wappenrock.
Brastias blieb stehen. Das war nicht möglich. Eigentlich hätte nichts von ihr übrig sein dürfen. Nicht einmal Asche.
Er sah den Drachen verwirrt zurückweichen, als Annwyl langsam die Augen öffnete und sich umsah. Sie erwartete höchstwahrscheinlich, von ihren Vorfahren umgeben zu sein, die sie in der nächsten Welt willkommen hießen. Stattdessen richtete sich ihr Blick auf einen verblüfften und ein kleines bisschen beunruhigten Brastias.
Sie grinste ihn an und wackelte mit den Augenbrauen. »Sie ist wirklich irre«, flüsterte er, als sie sich umdrehte und den Drachen ansah.
»Hast du mich verfehlt?«, fragte sie honigsüß.
Der Drache sah aus, als wolle er antworten, doch er kam nicht dazu. Fearghus schoss herab und riss ihn nach oben, die schöne Morfyd direkt hinter sich.
Brastias warf sich wieder ins Schlachtgetümmel, allerdings nicht ohne gehört zu haben, wie Annwyl sich an Lorcan wandte: »Dann bleiben wohl nur noch wir beide übrig, was, Bruder?«
Lorcan lächelte. Die Lage hatte sich zu seinen Gunsten gewendet. Er wusste, dass er Hefaidd-Hen nicht allein besiegen konnte. Er hatte schon vorher Drachen getötet. Doch Hefaidd-Hen war kein gewöhnlicher Drache. Er war etwas ganz anderes. Unnatürlich. Böse. Schrecklich. Doch nun, als Hefaidd-Hen fort war, um gegen seine eigene Art zu kämpfen, konnte Lorcan endlich tun, was er schon seit dem Tag tun wollte, als diese kleine Schlampe Teil seines Lebens geworden war.
Er würde seine einzige Schwester töten.
Lorcan hob sein Schwert und griff an.
Annwyl parierte den Schlag und schlitzte ihrem Bruder den Rücken auf, als er an ihr vorbeikam. Doch ihre Klinge berührte ihn kaum. Er wirbelte wieder zu ihr herum.
»Du bist schnell geworden, kleine Schwester.« Er grinste sie offen anzüglich an. »Hat der Drache dir das beigebracht, bevor er dich auf die Knie zwang?«
Die Geschwister belauerten sich gegenseitig. Sie bewegten sich langsam, vorsichtig. Warteten, dass der andere den nächsten Schritt tat.
Annwyl wusste genau, was ihr Bruder vorhatte. Er köderte sie. Und es hätte funktioniert … vor ein paar Wochen.
»Er hat mir vieles beigebracht, Bruder. Allerdings glaube ich, dass du es bist, der zur Hure eines Drachen geworden ist. Hat dich Hefaidd-Hen zum Stöhnen gebracht, als er dich nahm?«
Lorcan begann zu knurren, doch es wurde rasch zu einem ausgewachsenen Brüllen. Er griff an. Ein direkter Stoß in Richtung ihres Bauches. Annwyl parierte ihn mit einer Klinge und schlitzte seine Körpermitte mit der anderen auf. Dann tänzelte sie rückwärts von ihm weg.
Ihr Bruder sah nach unten auf das Blut, das unter seiner Rüstung heraussickerte. Annwyl wusste, dass es nur eine leichte Verletzung war. Doch Lorcans Schock kam daher, dass wenige vor ihr so dicht davor gewesen waren, ihn zu treffen. In diesem Augenblick wusste sie, dass sie ihn hatte, wo sie ihn haben wollte.
Seine Wut brach aus ihm heraus und umschloss sie. Sie wusste, dass sie Angst bekommen sollte. Oder wütend werden. Nichts davon fühlte sie. Seine Wut beruhigte sie. Besänftigte sie. Sie wusste, dass sie die Kontrolle hatte, während er in seiner eigenen Raserei erstickte.
Sie blieb in der Defensive, ließ ihn auf sich zukommen. Er griff erneut an; diesmal zielte er auf ihren Hals. Sie parierte die Klinge und warf sich mit ihrem Körper gegen ihn. Lorcan stolperte rückwärts. Er richtete sich jedoch schnell wieder auf und traf Annwyl mit einem brutalen Hieb. Ihr Körper flog mehrere Fuß weit, bevor er auf dem Boden landete. Doch ihr Drache hatte sie beim Training auch schon so getroffen, deshalb spürte sie Lorcans Faust kaum. Sie war schon wieder auf den Beinen, bevor er sie erreicht hatte.
Nach den Kämpfen mit Fearghus erschienen ihr Lorcans Bewegungen langsam und ungelenk. Nicht wie die flüssigen Bewegungen ihres Drachen. Plötzlich verstand sie nicht mehr, was sie all diese Jahre so gefürchtet hatte. Zum Teufel, sie hatte sich Bercelak dem Großen gestellt und ihn fast getötet. War ihr Bruder wirklich eine so große Herausforderung?
Sie merkte, wie sie immer ruhiger wurde. Sah seine Bewegungen voraus, lange, bevor er sie ausführte. Außerdem sah sie seine Wut in seinem ganzen Körper brennen. Er wollte sie so dringend tot sehen, dass seine Angriffe schlampiger wurden. Bald war er voller Blut. Und es war nicht ihres.
Fearghus schleppte Hefaidd-Hen hoch hinauf zu den Sonnen, seine Krallen in seinen weichen weißen Bauch gegraben. Er besaß nicht mehr die schützenden Schuppen ihrer Art.
Was hat dieser Drache sich angetan?
Hefaidd-Hen spie einen Zauber aus, und ein beinahe unerträglicher Schmerz durchlief Fearghus’ Körper. Ein Schmerz, der von innen kam. Jetzt sah er, dass die Bestie Teile von sich selbst opferte für die Magie, die durch ihre Adern floss. Die Magie, die Hefaidd-Hen nun gegen ihn richtete. Doch Fearghus würde den Mistkerl nicht loslassen. Er würde nur wieder Annwyl verfolgen. Das konnte er nicht riskieren. Also hielt er seine Krallen weiterhin tief in Hefaidd-Hens Fleisch vergraben und hielt ihn fest.
Eine erneute Schmerzwelle brandete durch Fearghus’ Körper. Er brüllte. Doch sein Brüllen konnte sich nicht mit Hefaidd-Hens gellendem Schrei messen. Er öffnete die Augen und sah, dass Morfyd sich an Hefaidd-Hens Rücken festhielt. Ihre Klauen gruben sich tief in das weiße Fleisch, während sie einen Zauber sprach, der die Bestie in Brand setzte. Und ohne Schuppen hatte er keinerlei Schutz vor den schrecklichen Flammen, die Morfyd auf ihn abschoss.
»Jetzt, Fearghus! Jetzt!«
Fearghus grub seine Krallen noch tiefer in Hefaidd-Hens Unterleib und riss ihn von den Eingeweiden bis zur Kehle auf.
Hefaidd-Hen schrie. Ein Schrei der Überraschung und des äußersten Schmerzes. Fearghus und Morfyd ließen seinen Körper los. Die widernatürliche Bestie stürzte der Erde entgegen, während sie vergeblich versuchte, ihre Eingeweide im Körper zu halten und das Feuer zu löschen, das sie einhüllte. Morfyd spie der sich entfernenden Gestalt noch einen Zauber hinterher, und Hefaidd-Hen zerbarst in Stücke.
Fearghus sah seine Schwester an. »Das war ein bisschen viel, findest du nicht?«
Sie zuckte unschuldig die Achseln. »Ich gehe gern auf Nummer sicher.«
Annwyl sah eine Lücke in seiner Deckung und ergriff die Gelegenheit. Sie machte einen Ausfallschritt und versenkte ihre Klinge in seinen Oberschenkel. Lorcan brüllte vor Schmerzen auf; er schlug ihr ins Gesicht, und seine behandschuhte Hand riss ihr die Wange auf. Sie ging bäuchlings zu Boden, und er schwang sich auf ihren Rücken, beide Hände an ihrer Kehle. Seine Wut hatte die Kontrolle übernommen, doch sie hätte nie gedacht, dass er seine bloßen Hände benutzen würde, um sie zu töten. Sie hatte nur Sekunden, bevor ihr schwarz vor Augen wurde. Sie zog ihren Dolch und holte nach hinten aus. Schreiend taumelte er von ihr fort.
Annwyl sprang auf, bevor Lorcan sich erholen konnte, wandte sich um und sah ihren Bruder, der sich die Hand vors Gesicht hielt, während das Blut zwischen seinen Fingern hindurchströmte. Sie hatte ihn am Auge getroffen. Rasch, weil sie ihm keine Zeit lassen wollte, sie erneut anzugreifen, lief sie um ihn herum, während er auf dem Boden kniete und sich das blutende Auge hielt. Ihr Vater hatte ihr immer gesagt: Wenn du die Beine eines Mannes zerstörst, hast du den ganzen Mann vernichtet. Daran erinnerte sie sich nun und zerschnitt die Bänder an der Hinterseite von Lorcans Füßen. Sie ignorierte seine Schreie, die sich um das Zehnfache steigerten. Im Bewusstsein, dass er nicht gehen oder laufen konnte, trat sie ihm in den Rücken und warf ihn damit zu Boden.
Annwyl setzte sich rittlings auf ihn, genau wie er es bei ihr getan hatte. Sie schnappte sich das Lederband, das sie benutzte, um ihre Haare zurückzubinden, schlug die Hände ihres Bruders aus dem Weg und wickelte es um seine Kehle. Sie zog die Enden fest und achtete nicht auf seine fuchtelnden Arme, sondern hielt den Zug aufrecht.
Er würde keinen heldenhaften Tod haben. Sie würde ihm nicht den Kopf abschlagen, während er noch atmete, wie sie es mit jedem anderen Krieger getan hätte. Er verdiente solche Höflichkeit nicht. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und zog.
Bald verlangsamten sich seine Bewegungen, und verzweifelte, leidende Geräusche stiegen tief aus seiner Kehle. Sie wartete, bis er ohnmächtig war, und brach ihm dann mit einem festen Ruck das Genick.
Sie ließ ihn los, und sein lebloser Körper fiel zu Boden. Ihr wurde bewusst, dass sie weniger Zeit gebraucht hatte als sie gedacht hatte, um ihren eigenen Bruder tatsächlich zu töten.
»Annwyl.«
Annwyl riss ihren Blick vom Leichnam ihres Bruders los und sah zu der über ihr aufragenden Gestalt ihres Drachengeliebten auf.
»Du musst die Schlacht wenden.«
Sie blickte über das Schlachtfeld und sah, dass ihre Männer und die von Lorcan sich festgefahren hatten. Beide Seiten kämpften gleich gut. Keine Partei gab auch nur im Geringsten Boden preis.
Sie nickte und nahm ihr Schwert auf. »Du hast recht.«
Brastias hob seine Axt, um einen weiteren Mann in zwei Hälften zu spalten, als er ihre Stimme hörte. Klar und fest donnerte sie über das Schlachtfeld und das Land.
»Hört mich an!«
Auf ihren Befehl hörten sie alle auf zu kämpfen und konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf sie. Selbst die Feinde hielten inne. Sie stand auf dem Rücken des schwarzen Drachen, als wäre sie dafür geboren worden.
»Ich bin die Herrin über die Dunklen Ebenen! Ich führe diese Soldaten an! Und jetzt gehört die Insel Garbhán mir!« Mit diesem abschließenden Schrei hob sie den Kopf ihres Bruders hoch in die Luft.
Ihre Männer schrien ihren Namen, und Brastias wandte sich wieder dem Soldaten vor sich zu. »Wo waren wir stehen geblieben?«, fragte er, bevor er den Mann in zwei Hälften zerteilte.