42 »Ich bin also ein Mistkerl?«

»Nein«, korrigierte Eirianwen ihren Gefährten, während sie auf der Suche nach brauchbaren Seelen über die Leichen des Kampfes in Sefus Kanalisation stieg. »Ich sagte, du seist manchmal ein kleiner Mistkerl. Ein kleiner.«

»Das Wichtigste ist für dich die Semantik, oder?«

»Semantik, mein lieber Gefährte, macht das Leben einer Kriegsgöttin erfüllt und wunderbar. Die Zerstörung ganzer Gebiete hat schon auf Wortbedeutungen gegründet.«

Rhydderch Hael lehnte an einer Wand. Er war heute in seiner menschlichen Gestalt. Ihr machte es nichts aus. Sie sah ihn in jeder Gestalt gern. »Du hast dich wieder eingemischt, Eir.«

»Ich bin nicht in Izzys Nähe gekommen. Nicht ein einziges Mal.«

»Du weißt, was ich meine.«

Sie wandte sich ihm zu, um ihm mit dem Finger zu drohen, musste aber feststellen, dass sie ihn irgendwann an jemandes Streitaxt verloren hatte. Um genau zu sein, hatte sie ihre halbe Hand verloren.

Dass ihr Gefährte kicherte, machte es auch nicht besser.

Eilig senkte sie die Hand und sagte: »Éibhear gehört mir, Rhy. Mir. Wir waren uns einig. Die Mì-runach kommen nach ihrem Tod zu mir. Zu mir. Also tu nicht immer so, als hätte ich Grenzen überschritten, die nur du sehen kannst.«

»Zuerst Annwyl«, erinnerte er sie.

»Du hattest sie schon an den Minotauren aufgegeben. Ich durfte sie mir nehmen.«

»Dann Talaith.«

»Sie hat noch nie dir gehört, und ihre Menschengötter hatten sie lange vorher verlassen.«

»Jetzt Éibhear …«

»Auch nicht deiner. Aber Izzy gehört ganz dir. Ich habe sie nicht angerührt.« Obwohl Eir die Menschliche und den Klan, aus dem sie stammte, mochte. Eine Kriegerrasse, die Eir gegründet hatte, bevor sie aus dem Pantheon geworfen worden war. »Sie wird dir gut dienen.«

»Tja, dafür ist sie ja eindeutig offen«, sagte er mit triefendem Sarkasmus.

»Was erwartest du, wenn du dich wie ein kleiner Mistkerl benimmst? Sie ist loyal, und du machst mit allen, die ihr wichtig sind, was du willst.«

»Sei’s drum.«

Da sie sah, dass ihr Gefährte kurz davor war, schmollend davonzufliegen, ging Eir auf Rhydderch Hael zu, wobei sie ein paar Schädel unter den Füßen zerquetschte. Sie legte ihm ihre unverletzte Hand an die Wange. »Glaube niemals, mein Liebling, dass die Spiele, die wir spielen, meine Gefühle für dich ändern. Sie werden sich niemals ändern. Ich liebe dich mit meinem ganzen harten Kriegerherzen.«

»Das will ich dir auch geraten haben. Meine Gefühle für dich, Eirianwen, haben sich nicht geändert und werden sich nie ändern. Wenn ich glauben würde, dass irgendetwas von alledem dich wirklich verärgern würde, dass ich dich verlieren könnte …«

Sie drückte sich an ihn und küsste sein Kinn. »Niemals. Weißt du das nicht? Übrigens, was wir jetzt tun, bestimmt, was später mit Chramnesind passiert.«

»Ich habe bemerkt, dass er nicht mehr in der Gegend ist.«

»Er fängt Dinge an, dann flattert er davon«, sagte sie leichthin. Seine fehlende Weitsicht hat mich schon immer gelangweilt.«

Eine Augenbraue in seinem unglaublich schönen Gesicht hochgezogen, blickte Rhy auf sie hinab – und Eir schnappte entsetzt nach Luft. »Nein, nein! Ich meine seine fehlende kreative Weitsicht, und wie dies das Universum beeinflusst, das wir regieren! Nicht seine fehlende tatsächliche … Sicht! Das meine ich nicht! So etwas würde ich nie sagen!«

Rhy lachte. Kein Kichern oder neckendes Lachen, sondern ein echtes, das von ganz tief drinnen kam. Es war so gut, es zu hören, denn er tat es so selten. Und auch wenn sie entsetzt darüber war, was sie gerade gesagt hatte, stimmte Eir mit ein und umschlang ihren Gefährten, während sie an seinen Hals lachte.

Éibhear warf einen Blick an die Decke. »Donner?«, fragte er Aidan.

»Ich weiß es nicht. Gibt es hier Donner? Gibt es Regen?« Er schaute Maskini an. »Habt ihr hier Regen?«

»Wir haben eine Regenzeit. Dann fließen die Flüsse über.«

»Oh. Das ist unglücklich.«

Éibhear ging um seinen Freund herum und sah, wie Izzy auf Brannies Rücken stieg, woraufhin die beiden sich in die Luft erhoben.

»He!«, rief er ihnen nach. »Wo wollt ihr hin?«

»Wir sind gleich zurück«, versprach Izzy.

»Liegt das an mir, oder klingt Izzy immer, als führte sie nichts Gutes im Schilde, wenn deine Cousine dabei ist?«, fragte Aidan.

»Nein«, gab Éibhear zu. »Das liegt nicht an dir.«

Vateria raste durch die Wüstenländer, ignorierte die Hitze der Sonnen, die ihr auf den Kopf brannten. Sie wollte so viel Entfernung zwischen sich und dieses verfluchte Gebiet bringen, wie sie konnte.

Ihr Götter! Konnte man heutzutage niemandem mehr trauen? Verdammte Eiferer und ihre verdammten Götter!

Doch dieser Rückschlag würde Vateria nicht aufhalten. Sie würde sich ihr Geburtsrecht zurückholen, und wenn sie die ganze verdammte Welt dafür in Schutt und Asche legen musste! Nichts konnte sie aufhalten. Keine Südländer. Keine Eiferer. Keine Götter. Niemand.

Vateria hörte den Flügelschlag hinter sich und wurde schneller. Sie hatte sich von dem Drachen losgerissen, der sie von diesem … diesem Ungetüm dort in der Kanalisation befreit hatte, aber er war ein riesiges Biest. Auf keinen Fall konnte er auf offener Strecke schneller fliegen als sie.

Egal, wie schnell Vateria flog, sie wurde ihren Verfolger einfach nicht los. Doch sie hielt auch nicht an. Sie flog weiter, versuchte immer wieder Ausweichmanöver. Auch als der Drache über ihr war.

Vateria wollte gerade wieder einen Sturzflug starten, in der Hoffnung, dass der Drache sich mit dem Gesicht voraus in den harten Boden bohren würde, doch da landete etwas Leichtes auf ihrem Rücken.

»Hallo, Vateria. Kennst du mich noch?«

Vateria drehte den Kopf. Diese Menschenfrau von vorhin? Die, deren Schwester sie eigentlich hatte haben wollen?

»Was willst du, Menschliche?«

»Ich fand, wir waren noch nicht fertig.«

»Und ich dachte, du wolltest mich retten. Ich bin gerettet. Du kannst jetzt gehen.«

Und um ihr dabei behilflich zu sein, drehte sich Vateria um dreihundertsechzig Grad. Die Menschliche klammerte sich jedoch mit den Schenkeln an ihren Hals und hielt sich mühelos fest. Verdammt!

»Geht es um deine Schwester?«, fragte Vateria, als ihr klar wurde, dass die Menschliche nicht so leicht aufgeben würde.

»Nein. Es geht um deine Cousine.«

»Meine …«

Natürlich. Agrippina. Diese Schlampe.

»Tja, du kannst meiner Cousine ausrichten, sie kann sich …«

»Wie wäre es, wenn du ihr diese guten Wünsche persönlich sagst, wenn du sie wiedersiehst? Hier«, bot die Frau an, »ich helfe dir dabei.«

Da stieß eine Klinge zwischen die Schuppen auf ihrem Rücken, durchtrennte den Muskel, der ihre Flügel steuerte. Ihre Flügel blieben mitten im Schlag stehen, und plötzlich raste Vateria haltlos auf den Boden zu.

Sie kämpfte um Kontrolle, versuchte, sich in der Luft zu halten. Es glückte, aber nur knapp. Sie landete hart auf dem Boden, rutschte auf dem Bauch über den groben Sand, scheuerte sich einen Teil ihrer schützenden Schuppen ab.

Als Vateria schließlich liegen blieb, glitt die Menschliche elegant von ihrem Rücken und kam um sie herum, bis sie ihr in die Augen schauen konnte.

Keuchend fragte Vateria: »Gibst du mir jetzt den Rest?«

»Nein, nein. Ich habe nicht vor, dir den Rest zu geben. Deshalb bin ich nicht hier. Genauso, wie ich nicht diejenige war, die deinem Vater den Rest gegeben hat. Aber ich habe ihn davon abgehalten, davonzulaufen. So, wie ich dich gerade aufgehalten habe. Und jetzt … wenn Agrippina so weit ist, wird es viel einfacher für sie sein, dich aufzustöbern und das zu beenden, was du in deinem Kerker mit ihr begonnen hast.«

»Deine Cousine!« Eine schwarze Drachin von niederer Geburt erschien, seufzte theatralisch und schüttelte den Kopf. »Deine eigene verdammte Cousine. Du kranke Schlampe«, zischte sie, bevor sie Vateria vor die Klauen spuckte. »Gehen wir, Iz. Ich ertrage den Anblick dieses Miststücks keine Sekunde länger.«

»Viel Glück, Vateria«, sagte die Menschliche. »Möge Agrippina Gnade mit deiner nichtsnutzigen Seele haben. Ich hätte sicherlich keine.«

Die Menschliche stieg auf den Rücken der niederen Drachin, und die beiden flogen davon, zurück in Richtung Sefu.

Jetzt ließ Vateria den Kopf auf den Boden sinken und versuchte zu weinen. Aber sie hatte diese Art von Schwäche einfach nicht in sich.

Also schmiedete sie stattdessen Pläne, während sie darauf wartete, dass die Blutung an ihrem Rücken aufhörte. Und dieses Pläneschmieden … ihr Götter, dieses Pläneschmieden fühlte sich so gut an.

Izzy traf ihre Wüstenlandfamilie in ihrem Haus an; eine Heilerin versorgte alle Wunden, die sie während des Kampfes in der Kanalisation erlitten hatten. Als Izzy und Branwen in den Hinterhof kamen, war Zachariah sofort an ihrer Seite.

»Da bist du ja. Alles in Ordnung?«

»Mir geht es gut. Ich musste mich nur noch um etwas kümmern.«

»Na ja, dein Onkel schien furchtbar besorgt, als du nicht sofort zurückgekommen bist.«

Brannie prustete, und Izzy versetzte ihrer Cousine einen Stoß mit dem Ellbogen.

»Ähm, Zachariah, was Éibhear und mich angeht …«

»Da bist du ja!« Éibhear kam mit großen Schritten durch den Hof auf Izzy zu, und ihr Großvater war gezwungen, dem Drachen eilig aus dem Weg zu gehen. »Geht es dir gut?«

»Alles in Ordnung.« Warum fragten sie das nur alle ständig?

»Ich dachte, du würdest sofort zurückkommen.«

»Ich habe doch gesagt, ich hatte noch etwas zu tun.«

»Mit Vateria? Wenn du sie getötet hast …«

»Habe ich nicht, aber ich bin dir keine Rechenschaft schuldig, Truppenführer.«

»Hättest du das nicht mit noch mehr Geringschätzung sagen können?«

»Hätte ich tatsächlich.«

»Ich sehe, unsere Verzogenes-Gör-Seite hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten nicht verändert.«

»Und ich sehe, unsere allwissende Ich-finde-die-Welt-sollte-sich-vor-mir-verneigen-Seite ist immer noch ein ziemlicher Mistkerl!«

»Na schön! Dann mache ich mir eben keine Sorgen mehr um deinen Knackarsch!«

»Gut! Denn mein Knackarsch ist nicht auf deinen Knackarsch angewiesen!« Izzy hielt inne und dachte kurz nach. »Jetzt werfen wir uns gegenseitig Komplimente an den Kopf.«

»Es ist nicht meine Schuld, dass wir toll sind.«

Sie lachten, und Éibhear kam ein wenig näher, hob die Hand, strich ihr sanft über den Kiefer, schaute ihr in die Augen. »Ich bin nur froh, dass es dir gut geht, Izzy«, gab er zu. »Ich habe mir Sorgen gemacht.«

»Mir geht es gut. Jetzt küss mich einfach.«

Éibhear beugte sich vor, und seine starken Finger umrahmten Izzys Gesicht, als er flüsterte: »Wenn wir zurück sind, Iseabail, haben wir viel zu besprechen.«

»Ihr Götter, noch mehr Gespräche?«

»Du kannst es nicht ewig meiden.«

»Nein. Aber ich kann es versuchen.« Dann stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn stattdessen. Doch sobald sie das tat, wurde Éibhears Griff fester, seine Zunge glitt dreist in ihren Mund, neckte sie, spielte mit ihr. Izzy legte ihm die Arme um die Taille und umklammerte seinen Rücken. Ihr Götter, war sie versucht, ihm hier und jetzt sein Hemd vom Leib zu reißen!

Izzy hatte keine Ahnung, wie lange sie da selbstvergessen standen und sich küssten, aber Zachariah, der brüllte: »Was für ein Onkel bist du eigentlich, verdammt?«, riss sie aus ihrer Versunkenheit.

Sie machten einen Schritt auseinander und sahen sich einer Gruppe von Leuten – ihrer Familie – gegenüber, die sie anstarrte. Da wusste Izzy, dass sie und Éibhear in Schwierigkeiten steckten. In großen. Man fing nicht an, jemanden vor der ganzen Familie leidenschaftlich zu küssen, es sei denn, man war einfach nur unverschämt, und Izzy hielt sich selbst für eine sehr höfliche Person. Aber Éibhear hatte sie völlig verwirrt und ganz sehnsüchtig gemacht, und um ehrlich zu sein: verdammt geil.

Dieser Mistkerl.

Zarah, die neben mehreren von ihren Töchtern stand, schüttelte den Kopf über das peinlich berührte Paar und tadelte lächelnd: »Das ist aber ein sehr ungezogener Onkel.«

»Und eine sehr schlimme Nichte«, fügte Maskini hinzu.

Éibhear warf den Kopf herum, schaute Izzy mit zusammengebissenen Zähnen und geballten Fäusten wütend an, und Izzy sprang rückwärts, bevor schwarzer Rauch aus seiner Nase strömte. Sie hasste es, wenn das passierte.

Als der Drache sie weiter finster anstarrte, fragte Izzy: »Was schaust du mich so an? Ich habe ihnen nicht befohlen, das zu sagen!«