20 »Wach auf!«

Éibhear drehte sich um und kuschelte sich wieder in die Laken. Er war noch nicht bereit, sich dem Tag zu stellen, und er war ganz sicher nicht bereit, es mit Izzys Zorn aufzunehmen. Und er hatte das unbestimmte Gefühl, dass genau der auf ihn zukommen würde. Nach ihrer unglaublichen gemeinsamen Nacht war er darauf vorbereitet, dass sie am Morgen nicht in bester Laune sein würde. Aber sie würde ihn nicht abweisen können. Jedenfalls nicht lange.

»Steh auf!«, drängte Izzy. »Wir haben Gesellschaft.«

Éibhear drehte sich auf den Rücken. Izzy stand am offenen Buntglasfenster. Sie war frisch gebadet und angezogen, die nassen Haare hatte sie aus dem Gesicht gekämmt. Sie musste am See hinterm Schloss gewesen sein.

»Wer?«

Sie schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Sie sind bewaffnet. Eine kleine Einheit. Ich sehe aber keine Farben.« Sie warf ihm einen Blick zu. »Sie sehen aus wie eine Schutzeinheit.«

»Sie könnten wegen Bram hier sein.« Er schob die Felldecken von sich und stand auf, ging nackt zum Fenster hinüber und stellte sich neben Izzy. Sie roch wunderbar. Er wollte ihr einen Gutenmorgenkuss geben, entschied sich aber dagegen. Er war nicht recht in der Stimmung, jetzt schon abgewiesen zu werden.

»Erkennst du sie?«, fragte Izzy.

»Nein.« Er beugte sich vor und schnüffelte. Es roch nach Flammen und Macht. »Sie sind Drachen.«

»Bist du sicher?«

»Bin ich.«

»Aber keiner dabei, den du kennst?« Er schüttelte den Kopf, und Izzy schaute wieder hinab auf die kleine Gruppe von Reitern mit langen braunen Umhängen und Fellkapuzen, die ihre Gesichter und Körper verbargen.

Izzy schob den Fuß unter ihr Schwert, das auf dem Boden lag, und ließ es in ihre Hand hochschnellen. »Ich übernehme den Boden, du die Luft.«

Er nickte. »Wir treffen uns draußen.«

Izzy schlüpfte zur Seitentür von Brams Burg hinaus. Am Vorabend hatte Éibhear die Vordertür, die in den Saal führte, geschlossen und verriegelt; wenn sie sie öffnete, würde sie ihre Anwesenheit verraten.

Als Izzy in die kühle Morgenluft hinausschlich, hörte sie ein leises »Wuff« hinter sich und sah Macsen auf sich zukriechen. Ihr Hund besaß erstaunliche Instinkte. Wie ein Wolf wusste er, wann er sich in den Schatten verbergen und wann er angreifen musste. Das war hilfreich, wenn sie in nächtliche Überfälle verwickelt wurde.

Angespannt wartete er an ihrer Seite auf ihr Signal. Izzy bedeutete ihm mit einem Handzeichen, geduckt an ihrer Seite zu bleiben. Dann schlich sie vorwärts und horchte auf alles, was ihr verraten konnte, dass jemand von hinten kam. Sie erreichte das Ende des Gebäudes und spähte um die Ecke. Jetzt, wo sie ein bisschen näher war, konnte sie sehen, dass diese Reiter sich Mühe gaben, wie eine kleine Reisegruppe auszusehen. Die Kleider unter ihren Umhängen waren schlicht, nicht zu teuer, aber auch nicht zu ärmlich. Dennoch sah sie, dass beinahe alle Waffen trugen. Viele Waffen. Dazu die Art, wie sich einige der Reiter bewegten … eindeutig Soldaten.

Die beiden vordersten Reiter – ihrem Auftreten nach die Anführer – schauten sich um, und schließlich machte einer von ihnen den anderen ein Zeichen. Drei der Reiter stiegen ab und wollten sich entfernen, aber einer der Anführer – eine Frau, wie Izzy angesichts der etwas kleineren Gestalt unter dem Kapuzenumhang annahm – hob eine behandschuhte Hand und stoppte die Männer. Auch wenn Izzy das Gesicht der Frau nicht sehen konnte, sie konnte erkennen, dass sie die Front des Gebäudes musterte. Izzy machte einen kleinen Schritt und sah, dass Éibhear … nun ja … in seiner Drachengestalt auf der Fassade stand. Sie hatte ihn so etwas schon öfter tun sehen, aber es faszinierte sie noch immer. Angesichts ihrer Größe schienen Drachen keine großen Probleme mit der Schwerkraft zu haben.

Was Izzy im Augenblick allerdings Sorgen machte, war, dass die Frau ihn anscheinend sehen konnte. Oder ihn zumindest spürte. Andererseits hatte Izzy erlebt, wie Morfyd, eine mächtige weiße Drachenhexe, direkt durch ihren kleinen Bruder hindurchgeschaut und keine Ahnung gehabt hatte, dass sie praktisch über seinen Kopf ging.

Éibhear rührte sich fast unmerklich, und der Kopf unter der Kapuze zuckte. Vielleicht hörte sie ihn. Vielleicht auch nicht. Izzy wusste es nicht. Sie hörte, wie die Frau Luft holte, ein sicheres Zeichen, dass sie kurz davor war, ihre Flamme zu entfesseln. Das bereitete Izzy keine Sorgen. Auch wenn Feuerdrachen ihre Flammen gegen ihre eigene Art einsetzen konnten, um sie zu schubsen oder zu verprügeln – die Flammen selbst konnten keinen Schaden anrichten. Südlanddrachen bestanden aus Feuer, und ihre Schuppen waren ein zusätzlicher Schutz.

Doch bevor die Frau ihre Flamme entfesselte, rutschte ihre Kapuze nach hinten, und Izzy erkannte sie sofort. Sie erkannte sie und wusste, was die Flamme dieser speziellen Drachin einem blauen Drachen antun konnte, der absolut keine Ahnung hatte, was ihn gleich treffen würde.

Er war sich sicher, dass die Drachin ihn nicht sehen konnte, aber sie spürte ihn. Möglicherweise war sie irgendeine Hexe. Seine Mutter und seine Schwester Morfyd gehörten zu einer der mächtigsten Arten von Drachenhexen, aber es gab auch noch andere mit verschiedenen Graden von Macht. Dennoch war er nicht ernsthaft besorgt. Stattdessen wartete er einfach ab, was sie tun würde, und als er hörte, wie sie tief Luft holte, schwand seine Sorge sogar noch weiter. Bei seiner Größe würde ihn eine Drachenflamme nicht einmal vom Gebäude werfen, geschweige denn ihm Verletzungen zufügen. Doch als die Drachin sich im Sattel vorbeugte, ihr die Kapuze ihres Umhangs verrutschte und ein sehr hübsches menschliches Gesicht enthüllte, erschreckte Izzys Schrei von der anderen Gebäudeseite sie alle.

»Agrippina! Nein!«

Die Drachin riss den Kopf herum, und die Flamme, die sie auf Éibhear hatte spucken wollte, wurde jetzt auf Izzy gelenkt. Die Flamme war so mächtig, dass Éibhear zurückwich und die Steine dieses Teils von Brams Burg auseinanderbrachen und schmolzen. Sie brachte Steine zum Schmelzen.

So etwas hatte Éibhear noch nie gesehen, aber er hatte keine Zeit, groß darüber nachzudenken, denn dort hatte Izzy eben noch gestanden.

Éibhear stieß sich von dem Gebäude ab, breitete die Schwingen aus und zischte um das zerstörte Gebäude herum.

»Izzy!«, brüllte er. »Izzy! Antworte mir!«

»Ich bin hier!« Sie kam hinter einem großen Felsblock auf die Beine. Er hatte vergessen, wie schnell sich Izzy bewegen konnte, aber er war dankbar dafür.

Er landete neben ihr, dass der Boden bebte.

»Geht es dir gut?«

Tränen strömten über ihr Gesicht, und sie schüttelte den Kopf. »Macsen.«

Der Hund? Sie weinte wegen dieses Hundes!

Sie zeigte auf die schwelenden Reste von geschmolzenem Stein und Holzbalken. »Er stand da drüben«, sagte sie schluchzend. »Ich dachte, er sei direkt neben mir.«

Éibhear schnüffelte diskret, und aye, er roch verbranntes Hundefell. Es war allerdings besser, das nicht auszusprechen.

»Es tut mir leid, Izzy. Ich weiß, er hat dir viel bedeutet, aber wir haben andere Sorgen …«

»Macsen!«

Éibhear blinzelte und sah, wie Izzy sich an ihm vorbeidrängte und zu einem Haufen immer noch brennendem Schutt rannte. Unter diesem Schutt schleppte sich Izzys Hund hervor. Sein schmutziges, verfilztes Fell brannte an einigen Stellen, aber das große Tier stolperte auf Izzy zu. Plötzlich blieb er stehen, ließ sich fallen und rollte sich kurz auf der Erde. Als Izzy ihn erreichte, war das Feuer in seinem Fell erloschen und er schüttelte sich kräftig, sodass der ganze Schmutz in alle Richtungen flog. Izzy lachte, ließ sich auf die Knie sinken und umarmte dieses ekelhafte, abartige Biest.

»Du armes Ding! Geht es dir gut?«

»Izzy!«, blaffte Éibhear. »Wir haben viel größere Sorgen als deinen götterverdammten Teufelshund!«

»Iseabail?«, fragte da eine andere Stimme, und Éibhear sah einen der Reiter an der Ecke dessen stehen, was noch von dem Gebäude übrig war. Er kannte die Stimme nicht.

Der Reiter streifte die Kapuze seines Umhangs ab und enthüllte einen Wasserfall von langen, dunkelsilbernen Haaren … und eine Augenklappe. Der Drache trug eine Augenklappe.

Izzy blickte von dem sabbernden Biest auf, das überhaupt nicht verletzt zu sein schien, nachdem es in Flammen gestanden und unter all diesem Schutt gelegen hatte, und ihr Lächeln war so breit und strahlend, dass Éibhear annahm, dass es daran lag, dass sie froh war, dass es ihrem Hund gut ging. Doch plötzlich ließ sie den Hund los und rannte zu dem einäugigen Drachen hinüber, um sich ihm in die Arme zu werfen.

»Gaius!«, rief sie freudig. Da wusste Éibhear, dass es Gaius Lucius Domitus war – der Rebellenkönig der quintilianischen Provinzen. Ein Eisendrache und Nachkomme der Feinde der Südlanddrachen und der Idiot, der Izzy gerne Bücher mit seltsamen Widmungen schickte. Diesen Drachen umarmte Iseabail die Gefährliche gerade.

Bastard.

»Was tust du denn hier?«, fragte Izzy, während sie einen Schritt zurücktrat. Es war Jahre her, seit Izzy Gaius zum letzten Mal gesehen hatte, aber das war nie wichtig gewesen. Ihre Freundschaft war während des blutigen Endes des quintilianischen Lehnsherrn Thracius geschmiedet worden. Seit damals versuchte Gaius, die volle Herrschaft über die quintilianischen Provinzen zu erlangen, aber Thracius’ Tochter und ein oder zwei seiner Söhne lebten noch und machten immer noch Probleme. Große Probleme. Es gab viele, die der Meinung waren, Thracius’ Nachkommen seien die rechtmäßigen Thronerben. Wenn das bedeutete, dass man Gaius loswerden musste, würden sie das nur zu gern erledigen.

Deshalb war Izzy klar: Egal, was los war, es musste wichtig sein, denn Gaius verließ die Provinzen normalerweise nicht lange. Er konnte es sich selten leisten.

»Ich hatte gehofft, eine Audienz bei Königin Annwyl und Königin Rhiannon zu bekommen, und ich wusste, Lord Bram könnte uns dabei helfen. Wir haben seinem Assistenten Robert gestern eine Nachricht geschickt. Er hat sich gestern Nacht mit uns in der Stadt getroffen, und wir haben unser Anliegen zuerst mit ihm besprochen. Heute hat er uns dann hierhergeführt, damit wir bis zu Brams Rückkehr bleiben, doch als er sah, dass das Tor geschlossen war – von dem er sicher war, dass er es offen gelassen hatte –, ließen wir ihn ein Stück weiter die Straße entlang warten, während wir alles auskundschafteten.« Er lächelte. »Ich muss zugeben, ich bin froh, dass nur du es bist. Schließlich steht keine meiner Legionen bereit.«

Izzy schüttelte kurz den Kopf. »Ich verstehe das nicht, Gaius. Warum hast du keinen Gesandten geschickt, statt selbst zu kommen?«

»Oh … das haben wir. Aber wir haben ihn direkt nach Garbhán geschickt, und anscheinend hatte Annwyl das Gefühl, er sage nicht ehrlich, wer er sei und, äh …«

Izzy hob die Hand. Sie brauchte nichts weiter zu hören. »Der Gesandte stand dir nicht nahe, oder?«

»Nein. Varro« – der menschliche General und Freund des Königs – »war weise genug, einen Boten zu schicken, den eigentlich keiner mochte. Als der Kopf uns dann zurückgesandt wur-de … haben wir ihn unter ›Lektion gelernt‹ abgehakt.«

Izzy verzog das Gesicht und nickte. »Ich verstehe.« Sie klopfte ihm auf die Schulter. »Das trifft sich übrigens gut. Onkel Bram ist gerade bei Annwyl und Rhiannon. Ich kann euch nach Garbhán eskortieren.«

»Das wüsste ich wirklich zu schätzen. Ein Auge zu verlieren war eine Sache – den ganzen Kopf zu verlieren, wäre problematischer.«

Lachend umarmte Izzy Gaius noch einmal kurz. »Ich suche schnell meine Sachen zusammen, dann können wir aufbrechen.«

»Das klingt gut, aber, äh …« Seine Worte verhallten und sein Blick richtete sich auf einen Punkt hinter ihr.

»Kennst du den?«, fragte Gaius.

Izzy schaute über die Schulter und sah, dass Éibhear seine menschliche Gestalt angenommen hatte und jetzt hinter ihr stand. Nackt.

Sehr subtil.

»Das ist … mein Onkel« – der finstere Blick, den sie dafür erntete, war unbezahlbar –, »Königin Rhiannons jüngster Sohn.«

»Ach ja«, sagte Gaius, dessen ganzer Körper sich unter seinem Umhang spannte. »Éibhear der Verächtliche.«

»Éibhear, das ist Gaius Lucius Domitus, der Rebellenkönig.«

Éibhear grunzte. Er grunzte. Selbst Fearghus, der bekannt für sein Grunzen war, grunzte keine anderen Mitglieder von Königshäusern an.

Gaius’ eines Auge wurde schmal. »Ich gehe zurück zu meiner Schwester«, sagte er mit wachsamem Gesichtsausdruck, während er Éibhear genau im Auge behielt. »Wir treffen uns draußen, Izzy.«

»Aye.«

Sie wartete, bis er um die Ecke war, bevor sie sich zu Éibhear umdrehte und fragte: »Hat man dir beigebracht, so einen anderen königlichen Besucher zu empfangen? Selbst mein Vater macht das besser als du. Und, meine Götter, das sagt einiges.«

»Ich bin dein Onkel?«

Oh. Das war also sein Problem. Izzy hätte in diesem Augenblick eine Menge tun können, um Éibhears Zorn zu mildern. Eine Menge.

Sie tat nichts davon.

Stattdessen sagte sie: »Na ja … du bist schließlich auch mein Onkel.« Sie strich ihm ein wenig nichtexistenten Schmutz von der nackten Schulter. »Und ich war deine Schutzbefohlene, bis du schließlich Jahre später deinen widerwärtigen, schmutzigen Onkel-Spaß mit mir hattest.«

»Izzy.«

»Ich schätze, ich sollte einfach dankbar sein, dass keine Strafen nötig waren. Schmutzige, schmutzige Strafen mit Ketten, Peitschen und einer Krankenmagd.«

»Izzy.«

Sie tippte ihm mit den Fingerspitzen an die Wange. »Keine Sorge, Onkel Éibhear. Ich erzähle es keinem. Die letzte Nacht wird unser schmutziges kleines Geheimnis bleiben.«

»So habe ich das nicht …«

»Wir müssen gehen. Was auch immer los ist – Annwyl wird es sofort wissen wollen.« Sie wandte sich zum Gehen, doch ein starker Arm legte sich um ihre Taille und drehte sie wieder um. Éibhear zog sie an sich, hielt sie fest und starrte ihr ins Gesicht.

»Glaubst du wirklich, ich lasse dich nach dem, was gestern Nacht passiert ist, einfach so gehen?«, fragte er. Er klang nicht wütend … nur provoziert.

»Glaubst du wirklich, du kannst mich aufhalten?« Izzy grinste. »Willst du das wirklich versuchen?«

Gleichzeitig senkten beide den Blick. Weil ihre Körper sich so nahe waren, konnte keiner von beiden die Erektion zwischen ihnen sehen, aber Izzy konnte sie sehr wohl fühlen. Sie war hart wie ein Stahlspeer, alsooo …

»Tja, ich schätze, das war Antwort genug.« Sie löste sich von ihm. »Komm mit, Macsen!«, rief sie, und ihr Hund kam an ihre Seite gelaufen. Teile seines Fells waren versengt, aber es schien ihm immer noch gut zu gehen. Auch wenn sie ihm ein Stück immer noch brutzelnden, geschmolzenen Stein aus dem Maul ziehen musste. Ihr Götter, er kaute wirklich auf allem herum!

Éibhear schaute Izzy nach, als sie mit diesem lächerlichen Hund wegging, von dem er nicht ganz überzeugt war, dass er tatsächlich ein Hund war.

Sie hatte ihn stehen lassen. Er kannte die Zeichen. Nach Jahren unter den Nordlanddrachen und einem Leben mit seiner Sippe erkannte Éibhear, wann er weggeschickt wurde wie eine nervige Mücke, die ihr um die Nase schwirrte.

Er war schon so oft so behandelt worden, dass er sich normalerweise nicht darum kümmerte, es sei denn, jemand ging ihm auf die Nerven. Aber Izzy ging ihm nicht auf die Nerven. Sie machte ihn stinkwütend. Immer noch!

Und sie würde endlich lernen müssen, dass das immer ein Fehler war.