37 Izzy war noch bei ihrer ersten Tasse Tee, während Éibhear – jetzt in Menschengestalt und angekleidet – und Elisa schon beinahe mit ihrer zweiten fertig waren. Die Hexe hatte außerdem Kekse herausgeholt und war ausgesprochen liebenswürdig, aber im Moment bedeutete das Izzy nichts. Gar nichts. Nicht nach dem, was gerade zwischen Izzy und ihrer Großmutter geschehen war. Diese abscheuliche Ziege. Izzy hatte immer gewusst, dass diese Frau nicht einmal eine Sekunde von Rhis kostbarer Zeit wert war. Aber dann dachte Izzy wieder daran, was Rhi wirklich in ihrem Leben brauchte.
»Deine Wut strahlt förmlich von dir ab, Iseabail.«
Izzy blickte zu ihrer Urgroßmutter Elisa auf. Ihrer Schätzung nach war Elisa gut sechshundert Jahre alt, und doch sah sie nicht älter aus als um die fünfzig Winter. Izzy musste zugeben, ihr Gefiel der Gedanke, in ihrem sechs- oder siebenhundertsten Winter auch noch so gut auszusehen.
Abgesehen davon war sie allerdings einfach stinksauer über die ganze Sache.
»Ich habe diese Frau schon gehasst, bevor ich sie überhaupt gesehen hatte«, sagte Izzy rundheraus, »und jetzt hasse ich sie noch mehr.«
»Du bist deiner Mutter so ähnlich. Sie war genauso ehrlich.«
»Sie ist es auch heute noch.«
»Und Haldane hat sie dafür gehasst.«
»Dann bin ich froh, dass ich das Erbe meiner Mutter weitertragen konnte.«
»Ich auch. Ich mochte meine Tochter selbst nie besonders. Also scheint es, du trägst auch mein Erbe weiter.« Sie hielt einen Teller hoch. »Kekse?«
Izzy nahm ihr den Teller ab und warf das ganze Ding an die Wand. Samt Keksen und allem.
»He!«, schnauzte Éibhear. »Die wollte ich noch essen!«
Als Izzy ihm einen wütenden Blick zuwarf, fügte er eilig hinzu: »Na ja … sie sahen allerdings schon ein bisschen trocken aus.«
»Keine Sorge«, sagte Elisa lächelnd. »Ich habe noch mehr.« Sie stand auf und ging zu einem kleinen Schrank in einem Raum, den Izzy für ihr Arbeitszimmer hielt. Es war vom Boden bis zur Decke voller Bücher und Kisten mit Hexenbedarf. Wenigstens nahm sie an, dass es das war, denn die Sachen sahen aus wie die, die sie ihre Mutter und Morfyd immer an Vollmond benutzen sah.
Elisa kam zum Tisch zurück und stellte einen weiteren Teller Kekse vor Éibhear hin. Dann setzte sie sich, immer noch lächelnd, wieder hin.
»Also«, sagte Elisa, als wäre nicht eben Izzys Temperament mit ihr durchgegangen, »du willst, dass wir die kleine Rhianwen aufnehmen.«
»Sie ist keine Waise, die ich euch anzuhängen versuche.«
»Nein. Sie ist ein mächtiges Wesen, über das ihr keine Kontrolle habt.«
Izzy musterte ihre Urgroßmutter. »Vielleicht.«
»Du glaubst, wir können dabei helfen?«
»Meine Mutter glaubt es. Ich habe keine Ahnung, was ihr könnt.«
»Wir können deine Schwester lehren, die Macht in sich zu beherrschen. Wir können dafür sorgen, dass sie kein Risiko für ihre Lieben darstellt.«
»Und woher weißt du das alles?«
»Die Macht deiner Schwester strahlt über Tausende von Meilen aus. Selbst die Magier weit in den Ostländern spüren ihre Macht – und fürchten sie.«
»Dann werdet ihr also versuchen, sie zu einer Nolwenn zu machen?«
»Das wird nie passieren, das kann ich dir versichern.«
Leicht beleidigt, konnte Izzy sich nicht zurückhalten zu fragen: »Und warum nicht?«
»Ich wurde in dieses Leben hineingeboren, Iseabail. Genau wie Haldane und deine Mutter. Und wenn Talaith geblieben wäre, wäre sie auch eine Nolwenn. Von Geburt an in der Kunst unterwiesen. Aber deine Schwester kann genauso wenig wie du plötzlich in dieses Leben hineinspringen. Sie ist sechzehn Winter alt, über ihre erste Blutung hinaus …«
»Und zu einem frei denkenden menschlichen Wesen erzogen, das eigene Entscheidungen treffen kann?«
Elisa lächelte. »So könnte man es ausdrücken. Eigentlich, Iseabail, geht es darum, deine Schwester auf etwas vorzubereiten, das über diese erhabenen Mauern hinausgeht. Das heißt … falls wir beschließen, ihr zu helfen.«
»Warum solltet ihr das nicht tun? Ich würde deiner Tochter mit Freuden die Keh…«
Éibhear hustete plötzlich und zeigte auf seinen Hals. »Hab einen Keks in den falschen Hals bekommen.« Er warf Izzy einen finsteren Blick zu und knurrte mit zusammengebissenen Zähnen: »Entschuldigung.«
»Deine Gefühle gegenüber meiner Tochter, Iseabail, waren zu erwarten, und ich muss leider sagen, auch ziemlich normal. Sie hat sich gegenüber meiner Enkelin verabscheuungswürdig verhalten, aber Haldane war schon immer stur.«
»Ich bin stur. Sie ist eine Fo…«
Ein erneutes Husten schnitt ihr das Wort ab. »Noch ein Keks, der in deiner Speiseröhre quer hängt?«, fragte Izzy süßlich.
»Sie sind ein bisschen trocken.«
Izzy wandte sich an Elisa. »Was willst du? Ich weiß, du willst etwas.«
Die Hexe stützte die Arme auf den Tisch und beugte sich vor. Ihr Lächeln erinnerte Izzy an ihre Mutter, aber ohne die Wärme, die Izzy immer tröstete. »Ich nehme deine Schwester auf, sorge für ihre Sicherheit, lasse sie ausbilden, aber dafür gibt es etwas zu tun.«
»Natürlich.« Izzy seufzte laut. »Wen muss ich umbringen?«
»Die Aufgabe ist nicht für dich.« Elisa wandte sich an Éibhear. »Sie ist für dich.«
»Für mich?«, sagte Éibhear mit einem weiteren Keks im Mund. Wie viele waren das inzwischen?
»Das hat nichts mit ihm zu tun!«
»Ist er nicht Rhis Onkel?«
»Rhis Onkel bin ich definitiv.«
Izzy verdrehte die Augen. »Wir lassen das Thema offensichtlich nicht ruhen.«
»Nö.«
Elisa bot Éibhear noch mehr Tee an, den er gerne annahm. Hielt er das für eine Art Teeparty? Das war es ganz und gar nicht.
»Du willst also, dass ich jemanden töte?«, fragte Éibhear.
»Ihr zwei scheint ziemlich fixiert darauf zu sein. Werdet ihr oft gebeten zu töten?«
Izzy und Éibhear zuckten die Achseln. »Manchmal.«
»Na ja, ich will euch nicht enttäuschen, aber es geht nicht ums Töten. Es geht um eine Rettung.«
»Eine Rettung?« Éibhear war überrascht. Bisher hatte ihn noch keiner gebeten, jemanden zu retten. Nie. »Das kann ich.«
Izzy schaute ihn an. »Hast du wirklich Zeit?«
»Warum nicht?«
»Deine Mutter hat dir einen Auftrag gegeben, Éibhear. Informationen über Vateria einholen.«
»Na dann«, schaltete sich Elisa ein. »Das macht es viel einfacher.«
»Du willst jemanden vor Vateria retten lassen?«
»Nein. Vor der letzten Nacht des Vollmonds sollst du Vateria retten, bevor sie geopfert wird.«
»Hm«, knurrte Éibhear ehrlich überrascht. »Das habe ich jetzt nicht kommen sehen.«