16 Izzy schob ihren leeren Teller von sich. Als ihr klar wurde, dass sie es nicht mehr vermeiden konnte, hob sie den Blick zu dem Drachen, der still zu ihrer Linken saß.

»Na gut, also schön«, gab sie schließlich zu. »Es war unglaublich.«

Éibhear tätschelte ihre Hand. »Ich weiß, es hat wehgetan, das zuzugeben.«

Izzy schlug nach ihm, schob ihren Stuhl zurück, stand auf und drehte sich, sodass sie mit baumelnden Beinen auf dem Tisch sitzen konnte.

»Hast du etwas gegen Stühle?«

»Sie engen ein.«

»Genau wie die Armee.«

»Die Art von Einengung hat mir nie etwas ausgemacht.« Sie zog ein Bein hoch, legte die Fußsohle an die Innenseite des Oberschenkels und drehte den Körper weit genug, dass sie Éibhear anschauen konnte. »Aber ehrlich, das war köstlich.«

Mit einem stolzen Lächeln nickte Éibhear. »Danke. Es freut mich, dass es dir geschmeckt hat. Und jetzt kannst du mir vielleicht sagen, was zur Schlachtenscheiße los ist.«

Sofort zog Izzy ihre Abwehr hoch, das konnte Éibhear sehen. Wie riesige Backsteinmauern. »Was soll los sein?«

»Ich gebe es zu, ich habe eine ganze Weile den Alltag meiner Sippe nicht geteilt. Aber ich merke es, wenn etwas nicht stimmt, Izzy. Das hat sich nicht geändert, fürchte ich. Irgendetwas stimmt nicht, und ich glaube, du weißt es.«

»Bist du mir deshalb hierher gefolgt? Weil du glaubst, du kannst mich zwingen, dir zu sagen, was mein Vater und meine Onkels dir nicht sagen wollen?«

»Ich würde nie versuchen, dich zu irgendetwas zu zwingen. Aber ich würde sehr wohl versuchen, dich zu locken und zu ködern. Vielleicht auch dich zu umschmei…« Er dachte kurz nach. »Ist das falsch?«

Sie schaute ihn an, sagte aber nichts.

»Ich verspreche«, fuhr er fort, denn das kleine Lächeln, das er sah, gab ihm eine gewisse Hoffnung, »dass es das Letzte ist, was ich versuchen würde, dich oder sonst jemanden zu etwas zu zwingen. Aber ich will wissen, was los ist. Es regt dich eindeutig auf und macht meinen Brüdern Sorgen. Meine Brüder machen sich um nichts Sorgen. Sie sind seelenlose Mistkerle. Ich liebe sie«, fügte er hinzu, »aber sie sind seelenlose Mistkerle.«

»Sie sind keine seelenlosen Mistkerle, und das weißt du auch.«

»Sag mir, was los ist.«

»Warum?«

»Weil das meine Familie ist, und egal, was meine Brüder glauben: Mir ist nicht egal, was ihnen passiert.«

Izzys Wut schmolz dahin, aber ihre Abwehr war noch oben. Immer noch bereit. »Warum sollten sie glauben, es sei dir egal?«

»Ich weiß nicht«, meinte er achselzuckend. »Es scheint nur, als habe sie die Entscheidung, mich zu einem Mì-runach zu machen, enttäuscht.«

»Wer hat dir diese Lüge erzählt?« Als er die Stirn runzelte, fügte sie hinzu: »Jedes Mal, wenn sie über dich und deine barbarischen Freunde sprechen …«

»Sie sind keine Barbaren.«

»… höre ich nur Bewunderung, gemischt mit einem bisschen Respekt und einer ordentlichen Dosis Sorge.«

»Sorge?«

»Um deine Sicherheit. Um dein Leben.« Sie beugte sich ein wenig vor, die Hände verschränkt. »Stimmt es, dass ihr ohne Rüstung in die Schlacht zieht … und ohne Waffen?«

Éibhear lehnte sich zurück. »Was?«

»Nackt? Nur mit euren Krallen?«

»Warte, warte, warte.« Éibhear rieb sich das Gesicht. »Wir sind Krieger, Izzy. Nicht verrückt.« Ihr Götter, was hatten seine Brüder ihr erzählt? »Wir tragen leichte Panzerung, je nach Weisung, manchmal auch gar keine Rüstung. Aber wir sind immer bewaffnet. Mehr bewaffnet als alle anderen, die ich kenne.«

»Und ihr trinkt das Blut eurer Feinde? Und tragt ihre Köpfe als Totems?«

»Nein! Was haben meine Brüder dir erzählt?«

»Um genau zu sein, stammt der letzte Teil von Celyn.«

Éibhear verdrehte die Augen. »War ja klar.«

»Stimmt es nicht?«

»Die Mì-runach haben über die Jahrhunderte einen weiten Weg hinter sich gebracht.«

»Und das bedeutet …?«

»Wir trinken weder das Blut unserer Feinde noch tragen wir ihre Köpfe als Totems … heutzutage nicht mehr. Und ich habe nie irgendetwas dergleichen getan.«

Sie verengte die Augen, als sie ihn musterte. »Beschmiert ihr euch mit dem Blut eurer Feinde?«

»Manchmal«, blaffte er genervt, »aber ich will nicht darüber reden. Ich kann nicht darüber reden. Es gibt ein paar heilige Riten, die wir immer noch durchführen und die dich nichts angehen. Genauso wenig wie meine Brüder.«

»Hmmm.« Sie dachte kurz nach. »Na gut.«

»Hör mal, Izzy, wir sind das, was man eine … Spezialeinheit nennt. Wir gehen rein, normalerweise im Schutz der Nacht, und töten entweder jemand Bestimmten oder so viele feindliche Soldaten, wie wir können. Wie du dir vorstellen kannst, wären eine volle Drachenrüstung oder auch eine Menschenrüstung nicht sehr nützlich für uns. Also schützen wir unsere wichtigsten Teile, bewaffnen uns bis an die Zähne und tun das, was wir am besten können.«

»Dann ist das ein guter Job für dich«, sagte sie nach einem Augenblick des Schweigens.

»Was meinst du damit?«

»Weil du ein Chamäleon bist, dich in der Dunkelheit und auch tagsüber bewegen kannst, ohne entdeckt zu werden, nicht wahr? Aber diese ganze Rüstung macht Lärm, was dem Zweck widersprechen würde, mit der Umgebung zu verschmelzen.«

Schockiert stammelte Éibhear: »Warte … was willst du … Ich weiß nicht, was du …«

Sie wischte den Versuch seiner Lüge beiseite. »Ich weiß es, Éibhear. Ich habe es immer gewusst.«

»Woher? Wer hat es dir erzählt?«

»Niemand. Ich kann dich sehen.«

»Warte.« Éibhear holte verwirrt Luft. »Was meinst du damit, du kannst mich sehen?«

»Ich kann dich sehen. Ich konnte dich immer sehen.« Sie kicherte. »Beim ersten Mal dachte ich, du wärst verrückt. Du bist herumgeschlichen und um alle herumgegangen. Du hast absolut irre ausgesehen. Aber dann wurde mir klar, dass die anderen dich nicht ignorierten … sie konnten dich nicht sehen. Ich schon. Aber keine Sorge«, fügte sie hinzu. »Ich habe es nie jemandem erzählt. Weder von dir noch von Gwenvael.«

»Gwen … Gwenvael ist ein …«

»Oh, Mist. Das wusstest du nicht?«

»Weiß er, dass du es weißt?«

»Nein. Und bitte sag es ihm auch nicht.«

»Warum?«

»Es würde Dagmar nur in Verlegenheit bringen.«

»Warum sollte es … oooh.« Er machte sich nicht die Mühe, seinen Ekel zu verbergen. »Er macht Dinge mit ihr, wenn keiner ihn sehen kann, oder?«

»Sie haben da ziemlich was am Laufen. Das willst du gar nicht wissen.«

»Nein, wirklich nicht.«

»Aber«, sagte sie, plötzlich lächelnd, »er liebt sie wirklich. Es ist so süß!«

»Iiiks.«

»Iiiks? Ist das überhaupt ein Wort?«

»Ist es nicht. Aber ich glaube, es umschreibt meinen Ekel ganz gut.« Er zeigte auf die immer noch ungeöffneten Flaschen Bier. »Dessert?«

»Ist das der nächste Schritt in deinem großen Plan, mich zum Reden zu bringen? Mich betrunken zu machen?«

»Bei anderen Menschen hat es schon funktioniert.«

»Éibhear«, sagte sie, als sie ihm den Becher abnahm. »Ich habe Tante Ghleanna unter den Tisch getrunken.« Sie hob zwei Finger. »Zweimal.«

»Oh.« Éibhear stellte seufzend die Flasche ab. »Onkel Addolgar?«

Sie schüttelte den Kopf. »Kann nicht mit mir mithalten. Er hat mir immer noch nicht verziehen, dass ich ihm damals ›Ich liebe Menschen‹ auf die Stirn geschrieben habe, als er ohnmächtig wurde.«

Éibhear lachte, ein Laut, den Izzy schon ewig nicht mehr gehört hatte. »Das kann ich ihm nicht verdenken!«

Sie stimmte in das Lachen ein. »Es war Ghleannas Schuld. Sie hat mich angestiftet! Ihr Götter, ich war noch funktionstüchtig, aber ich weiß nicht, wie viele Flaschen vom Bier deines Vaters wir in dieser Nacht vernichtet haben.«

»Das Bier meines Vaters? Du kannst das Bier meines Vaters trinken?«

»Ich liebe das Bier deines Vaters. Putzt mir den Rauch aus den Lungen, wenn wir eine Festung niedergebrannt haben.«

»Du bist eine ziemlich bemerkenswerte Frau geworden.«

»War das ironisch gemeint?«

»Überhaupt nicht. Selbst ich kann das Bier meines Vaters nicht trinken. Deine Lungen putzt es vielleicht durch – meine verbrennt es.« Er schaute sie einen Augenblick kopfschüttelnd an. »Du kannst mich wirklich sehen? Und Gwenvael auch?«

»Aye.« Sie zeigte auf das Brandmal an ihrer Schulter, das ihr ein Bastard von Gott vor so vielen Jahren eingebrannt hatte. »Ich bin einfach davon ausgegangen, dass mir diese Fähigkeit von Rhydderch Hael verliehen wurde.«

Éibhear goss sich einen Becher Bier ein. »Was glaubst du, was du noch von ihm hast?«

»Keine Ahnung. Ich dachte mal, es sei meine Kraft, aber Mum glaubt, die käme von der Magie, die nicht eingesetzt wurde, als ich geboren wurde.«

»Das verstehe ich nicht.«

»Wenn eine Nolwenn ein Mädchen bekommt, führt sie Zauber durch und bringt Opfer, um die Magie zu lenken, mit der es geboren werden wird.«

»Wohin zu lenken?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht in ihre Seele oder so. Jedenfalls konnte meine Mutter das damals nicht bei mir machen, und anscheinend hat sich jede Magie, die ich vielleicht gehabt hätte, aufgelöst und stattdessen mit meinen Muskeln, meiner Kraft verbunden. Ich denke, das ergibt Sinn … aber bei Annwyl erklärt es das nicht, und sie ist genauso stark wie ich.«

»Nichts kann Annwyl erklären.« Er stellte die Flasche zurück auf den Tisch. »Aber ich bin mir sicher, ihre Kraft kommt aus ihrer Wut. Kein Gott und keine Magie kann das bekämpfen.«

»Sehr wahr.« Sie hob ihren Becher. »Auf die Familie.«

Éibhear nickte und stieß mit ihr an. »Auf die Familie.«

Sie nahmen beide einen großen Schluck. Als Izzy ihren Becher senkte, wischte sie sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Nicht schlecht. Sehr mild.« Sie warf einen Blick auf Éibhear. »Was meinst du?«

Er schüttelte nur wortlos den Kopf.

»Alles klar?«

Noch ein Kopfschütteln.

Izzy legte ihre Hand auf seine. »Was ist los?«

»Ich glaube, ich bin blind«, keuchte er schließlich und hustete.

Jetzt lachte Izzy, nahm Éibhear den Becher ab und goss den Rest seines Biers in ihren. »Ja, klar. Du wolltest mich betrunken genug machen, dass ich dir alles erzähle.«