Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: John Malkovich
»Wer ist eigentlich dieser gewalttätige Mongole, der bei eurer Russendisko ständig durch den Raum irrt, mit einem Gesichtsausdruck, als wollte er jemanden ermorden?«, fragte mich neulich eine Journalistin aus der Schweiz.
»Was für ein Mongole?«, wunderte ich mich.
»So ein großer, mit kräftigen Schultern, bösen Augen und einem Holzkreuz auf der Brust.«
Mir wurde klar, dass sie Malkovich meinte. »Dieser Mongole«, sagte ich, »ist kein Mongole, er kommt aus Saratow und heißt bei uns der Schauspieler Malkovich.« Der Gesichtsausdruck eines Killers ist ihm angeboren. In Wirklichkeit tut er aber keiner Fliege etwas zu Leide, er ist ganz harmlos, ein bisschen verrückt vielleicht, wie alle Schauspieler, aber nicht übermäßig. Er kam wie ich auch 1990 nach Deutschland und beantragte politisches Asyl. Normalerweise dauert es hier Jahre, bis ein Asylbewerber abgelehnt wird, aber im Falle Malkovichs gab sich die deutsche Bürokratie richtig Mühe. Bereits 24 Stunden nach seinem Antrag sollte er schon wieder abgeschoben werden.
In trauriger Stimmung schlich er zu einer Kneipe am Amrumer Platz, um dort sein letztes Geld zu versaufen. Da passierte ein Wunder: Die Wirtin verliebte sich in Malkovich. Sie setzte sich sofort mit einem Rechtsanwalt in Verbindung und schaffte es, den Mann bereits 23 Stunden später zu heiraten. Die Liebe besiegte die Bürokratie. Mit der Wirtin lebte Malkovich danach fünf Jahre zusammen, drei Kinder sind aus dieser Ehe entstanden; zwei Mädchen und ein Junge. Malkovich erwies sich als hoffnungsloser Faulenzer, als der geborene Arbeitslose. Mit seinem finsteren Aussehen konnte er leicht russische Mafiosi in deutschen Filmen darstellen, aber er war ein zu schlechter Schauspieler, besser gesagt eine zu ehrliche Haut: Er konnte niemanden imitieren. Jedes Mal, wenn er etwas vorspielen sollte, wurde er rot im Gesicht und schwitzte. Sofort wusste jeder, dass er schauspielerte.
Für mich ist es immer noch ein Rätsel, wie solch ein Mann Schauspieler werden konnte. Ein russischer Regisseur erzählte mir einmal, wie es früher in der Sowjetunion mit der Schauspielausbildung war: Alles lief nach Plan. Die Theaterschulen bekamen Anweisung vom Kulturministerium, in diesem Jahr zum Beispiel junge Menschen mit einem besonderen Gesichtsausdruck zu finden und sie zum planmäßigen Termin in die zahlreichen Theaterhäuser der Sowjetunion zu liefern, wo sie Soldatenmassen oder das Volk etwa bei der Darstellung der großen Oktoberrevolution mimen mussten. So ein Schauspieler war auch Malkovich – ein typisches Opfer der Planwirtschaft. Lange Zeit hat er überhaupt keine Rollen bekommen, gab aber trotzdem nicht auf und versuchte immer wieder mithilfe einer Agentur seinen Mafiablick zu verkaufen.
1997 gelang ihm endlich der Durchbruch: Er wurde für die Werbespotserie »Ich bin doch nicht blöd« des »Mediamarktes« engagiert. Der Werbefilm lief damals im Fernsehen lange genug, um jeden zu erreichen: Malkovich stand in voller Größe in einem Kaufhaus und hielt eine Tüte mit dem »Mediamarkt«-Logo in der Hand. Er war wie ein Mafiosi gekleidet, mit einer dicken Goldkette um den Hals und allem, was dazugehört. Ein Journalist kam mit dem Mikro in der Hand auf ihn zu und fragte: »Ah, Sie sind auch hier?«»Ich bin doch nicht blöd«, antwortete Malkovich, und wurde ganz rot im Gesicht.
Er sah in dieser Rolle total unglaubwürdig aus. Man hatte ständig das Gefühl, der Mann mit der »Mediamarkt«-Tüte lügt. Doch Malkovich selbst war auf seine schauspielerische Leistung sehr stolz und benahm sich eine Weile wie ein erfolgsverwöhnter TV-Star. »Ah, heute war ich schon wieder im Fernsehen«, seufzte er jedes Mal, wenn wir uns auf der Straße trafen. Leider erwies sich schon wenig später der »Mediamarkt«-Auftritt als der Höhepunkt seiner Karriere. Lange Zeit bekam er keine neuen Aufträge. Doch vor kurzem erschütterte eine neue Nachricht die Szene: Malkovich soll als Fotomodell für den »Heine«-Versandhauskatalog fotografiert worden sein und dabei ganz viel Geld bekommen haben, deswegen säße er nun jeden Tag in einer teuren Kneipe und trinke Whisky. Er selbst wollte uns nicht sagen, für welches »Heine«-Produkt er Werbung gemacht hatte, und sein merkwürdiges Schweigen gab Anlass zu den wildesten Spekulationen. Vielleicht musste er irgendwelche Dessous mit pornografischen Gesten vorführen?
»Sag mal, Malkovich, was steht bei diesem Katalog eigentlich auf dem Cover«, fragten wir ihn.
Er machte ein wichtiges Gesicht und sagte: »Dort steht ‘Heine – immer etwas Besonderes!’«
»Aber dieser Spruch steht doch auf jedem deutschen Katalog«, erwiderten wir, und quälten uns dann später damit, dass wir alle »Heine«-Kataloge, die wir in die Hände kriegen konnten, durchblätterten: Die Sommerkollektion, die Winterkollektion und wieder die Sommerkollektion – alles vergebens. Unser Mann war nirgends darin zu finden. Bis meine Frau ihn eines Tages in einem speziellen »Heine«-Unterwäschekatalog entdeckte: Malkovich trug rote Slips und ein T-Shirt in derselben Farbe und kuckte sehr ernst. So als wäre er gerade von gründlichen Banditen ausgeraubt und entkleidet worden. Doch an seinen Augen konnte man ablesen: »Ein zweites Mal wird mir so etwas nicht passieren.«