Das Wasserbett
Dreimal versuchte unsere Freundin Marina eine eheähnliche Beziehung mit einem Landsmann aufzubauen. Alle drei Kandidaten schienen richtig in sie verliebt und auch opferbereit zu sein, doch jedes Mal scheiterte Marinas Vorhaben. Die Russen waren enttäuschend: »Sie fangen schnell Feuer, doch noch schneller brennen sie durch«, meinte Marina. Der letzte Russe, den sie übrigens auf unserer Veranstaltung »Russendisko – zum Tag des Sieges« am 9. Mai kennen gelernt hatte, wirkte sehr solide. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der deutsches Schweinefleisch in Rindfleischdosen nach Mittelasien verkaufte. Auf diese Weise rettete er dort viele Moslems vor dem Hungertod, ohne sie in die Sünde zu treiben, und gleichzeitig bereicherte er sich. Der Geschäftsmann litt jedoch unter Einsamkeit. Als er Marina erblickte, wie sie sich mit ihren blonden Haaren auf dem Parkett des Kaffee Burger drehte, verschlug es ihm zunächst die Sprache. Er hielte sich an seiner Bierflasche fest und durchbohrte Marina mit begeisterten Blicken. Es war Liebe auf den ersten Blick. Kurz vor Sonnenaufgang kamen sie ins Gespräch: Marina erzählte ihm, wie schwer ihr Leben sei, dass sie im Architekturbüro, in dem sie arbeitete, noch immer keinen anständigen Vertrag habe, dass ihre vierzehnjährige Tochter sich von ihr nichts mehr sagen ließe, und dass ihre neue Wohnung in Charlottenburg dringend renoviert werden müsste.
Schon am nächsten Tag stand der Geschäftsmann vor ihrer Tür und machte sich sofort an die Arbeit. Nach sechs Stunden hatte er bereits die Hälfte des Fußbodens mit Laminat ausgelegt. Und das nicht einmal schlecht – fürs erste Mal. Der Geschäftsmann durfte bleiben.
In den nächsten drei Tagen entwickelte er eine unglaubliche Aktivität bei der Lösung der Haushaltsfragen: Die Wohnung glänzte, alles was er in die Hände bekam, wurde repariert und verbessert, die Tochter brachte er erst zum Volleyball, dann zum Fechten und anschließend noch zum Tanzunterricht. Er stand als Erster auf, bereitete das Frühstück und brachte Marina den Kaffee ans Bett. Er verließ die Wohnung nur, um einzukaufen und die Tochter herumzufahren. Seine Geschäfte vernachlässigte er völlig. »Die Moslems in Mittelasien müssen lernen, in Zukunft ohne Schweinefleisch auszukommen, ich will mich nur noch dem Familienleben widmen«, versprach er. Doch in Marinas Ohren klang das schon bald wie eine Drohung; dieses übertriebene Familienleben ging ihr nämlich langsam auf die Nerven. Sie hatte sich zwar etwas Derartiges gewünscht – mit einem starken Mann zusammenzuleben –, aber nicht von heute auf morgen. Außerdem war sie schon längere Zeit alleine und nicht mehr gewohnt, dass von früh bis spät jemand in ihrer Wohnung hin und her wuselte. Der Mann erzählte mehrmals am Tag – zum Frühstück, zum Mittag- und zum Abendessen – wie gut es ihm tue, so ein Familienleben zu haben, und dass er sich für den Rest seines Lebens nichts anderes wünsche. Ferner, dass er durch Marina ein anderer Mensch geworden sei und sich ein Leben ohne sie überhaupt nicht mehr vorstellen könne. Am fünften Tag ging er zum Videoverleih um die Ecke, um eine Kassette zurückzugeben und Zigaretten zu holen; und kam nicht wieder zurück.
»Ich habe von den Russen die Nase gestrichen voll«, meinte Marina auf der nächsten Russendisko zu mir. »Sie haben alle eine Macke, von ihren Müttern und Vätern. Sie wissen einfach nicht, was sie wollen. Ich brauche einen deutschen Freund, der praktisch denkt und seiner Sache immer sicher ist.« Meine Frau und ich waren skeptisch. Die Macke ist international, behaupteten wir. Sie kommt nicht von irgendwelchen Müttern und Vätern. Es fällt allen immer schwerer herauszufinden, was sie eigentlich wollen.
Der Wunsch von Marina, einen praktischen Deutschen zu finden, ging schon bei der übernächsten Russendisko »Wildes Tanzen im Sommerloch« in Erfüllung. Das wunderte uns überhaupt nicht: Genau dafür hatten wir uns die Russendisko ja ausgedacht: um all das zusammenzuführen, was nicht zusammengehört. Ihr neuer deutscher Freund trug ein weißes Hemd und arbeitete bei einem Autogroßhändler. Er wohnte in Karlshorst, Marina auf der Schönhauser Allee. Er besuchte sie regelmäßig, zuerst alle drei, dann alle zwei Tage. Stets brachte er Wein und Kerzen und zur Sicherheit sogar Streichhölzer mit, und auch sonst war er sehr nett. Manfred war praktisch und romantisch zugleich. Er war in Marina ernsthaft verliebt, und an einem Wochenende fuhren beide nach Koblenz, wo er sie mit seiner Mutter bekannt machen wollte. Doch von einem Zusammenleben war nie die Rede. Bis Manfred eine Nachricht vom Versandhaus Neckermann bekam: Das von ihm vor gut einem halben Jahr bestellte Wasserbett zum Preis von 2800,– DM sei wieder vorrätig und werde in den nächsten Tagen angeliefert. Nun stellte sich die Frage, wohin damit? Das Wasserbett in Karlshorst aufzustellen, obwohl er jede zweite Nacht in der Schönhauser Allee bei Marina verbrachte, wäre total unpraktisch gewesen. Abends kam er mit einem Blumenstrauß zu Marina und schlug ihr vor, zusammenzuziehen. Von dem neuen Wasserbett erzählte er ihr natürlich auch. »Ich habe nicht einmal einen Schrank«, regte sich Marina auf, »so ein Wasserbett ist wirklich das Letzte, was ich brauche.«»Für einen Schrank ist momentan nicht genug Geld da; zuerst müssen wir das Wasserbett abbezahlen«, erwiderte Manfred leise, »warte noch drei, vier Monate mit dem Schrank.«
Inzwischen sind beide schon über zwei Monate zusammen, das Wasserbett hat sich als eine ganz tolle Sache erwiesen, und der Schrank ist auch schon bestellt – er wird demnächst geliefert.