Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Mickey Rourke

In den »Schönhauser Arcaden« fand eine Pokémon-Werbeveranstaltung statt. Ein Pokémon-Sammelspiel wurde angeboten und das nicht nur für Kinder. Alle albernen Erwachsenen, die sonst schon morgens früh in den »Arcaden« sitzen und mit Biergläsern spielen, durften ebenfalls mitmachen. Die drei Stockwerke des Kaufhauses waren von Pokémon-Fans jeden Alters überfüllt. Die Männer vom Sicherheitsdienst – als Pokémon-Figuren verkleidet – versuchten vergeblich, die Ordnung zu bewahren. Ein Dutzend kostümierter Nintendo-Freaks agierte ebenfalls in den Gängen. Als riesengroße Monster in Gelb, Braun und Violett drängten sie durch die Konsumentenmassen. Sie zerrten irgendwelche Kinder aus der Menge und gaben sie erst dann wieder frei, wenn die Eltern für fünf Mark ein Polaroidfoto von den Monstern gekauft hatten.

Meine dreijährige Tochter Nicole und ich gingen vorsichtig Hand in Hand durch die »Arcaden« und versuchten, die bunten Gestalten zu meiden. Wir wollten eigentlich nur Schnaps und Zigaretten kaufen, an dem großen Sammelspiel waren wir nicht interessiert.

Ein zwei Meter großer, gelb-brauner Magmar mit den Augen eines hungrigen Vampirs blockierte plötzlich die Rolltreppe vor uns. Er wedelte aggressiv mit seinem Schwanz und richtete seine Polaroidkamera auf die nichts ahnenden spielenden Kinder. »Diese Verbrecher gehören in den Knast«, meinte meine Tochter, und schubste mit einem Fußtritt in den Hintern das Magmar die Rolltreppe herunter. Sein Fotoapparat blieb oben liegen.

»Wir müssen die Kinder von diesem Spuk befreien, bevor wir nach Hause gehen«, sagte sie.

»Aber vielleicht wollen sie gar nicht befreit werden?«, widersprach ich.

Doch meine Tochter blieb hart und kündigte eine Aktion an: »Befreiung des Kaufhauses von der Invasion fremder Monster«, das Motto dafür hatte sie auch schon: »Deutsche Kaufhäuser für deutsche Monster.« Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr zu helfen. So fingen wir an, alle japanischen Eindringlinge ausfindig zu machen. Wir drängten einen ekligen Sleima in die Ecke und verpassten ihm ein paar aufs Maul. Der violette Sleimok spürte die Gefahr rechtzeitig, und versteckte sich auf der Männertoilette. Danach gingen wir zum »Otto-Bönicke«-Geschäft Zigaretten kaufen. Der Laden war leer. Überall in den Regalen lagen Waffen: bunte Gaspistolen mit und ohne Munition, Schlagstöcke aus Plastik, handliche Stromschocker, Luftgewehre, Handschellen, Bögen und frische Zeitungen zum Fliegen erschlagen. Nicole meinte, wir müssten unbedingt ein Luftgewehr kaufen, damit könnte man von unserem Balkon aus problemlos die Pokémon-Monster abschießen, wenn sie das Einkaufscenter verließen und nach Hause gingen. Ich widersprach dem Kind und erklärte, dass diese Monster niemals das Kaufhaus verlassen würden, weil sie dort zu Hause wären. Nur ein Weg führt für sie heraus – wenn sie von jemandem gekauft werden. »Dann kaufen wir sie«, erwiderte meine Tochter tapfer, »und anschließend erschießen wir sie alle draußen an der frischen Luft.«

Plötzlich kam ein Monster in den Laden. Es war wesentlich größer als die anderen und von Kopf bis Fuß in glänzendes Leder eingepackt. Die Haut in seinem roten Gesicht schälte sich heftig, keinerlei Gesichtszüge waren zu erkennen. Zwei kleine dreieckige Augen blitzten bösartig in die Gegend. Mit einer verrauchten Stimme forderte es den Verkäufer auf, ihm alle Messer zu zeigen, deren Klingen länger als 25 Zentimeter waren, dabei kehrte es uns den Rücken zu. Ich erkannte das Monster trotzdem sofort.

»Ein Pokémon-König«, staunte Nicole.

»Nein Liebling, das ist Mickey Rourke, ein berühmter Schauspieler aus Hollywood«, erklärte ich ihr.

Meine mutige Tochter klopfte dem Schauspieler ans Knie und fing ein Gespräch an: »Guten Tag, was hat Sie hierher verschlagen?«

Mickey Rourke hatte gerade ein riesengroßes Messer gekauft und wickelte es nun in eine Zeitung ein. Eine Minute irrten seine Augen umher, auf der Suche nach der Stimme, dann schaute er nach unten und entdeckte Nicole.

»Ich gehe auf Elefantenjagd«, antwortete er knapp, und lächelte meiner Tochter freundlich zu.

Wir gingen zusammen aus dem Geschäft. Die anderen Kinder und ebenso die Pokémon-Figuren machten uns ehrfürchtig den Weg frei, als sie Mickey Rourke sahen. Draußen sprang er auf seine Harley Davidson, die vor dem Eingang stand, und machte sich aus dem Staub.

»Gute Jagd«, rief meine Tochter ihm noch hinterher. »Und grüßen Sie Ihre Frau!«

»Woher weißt du, dass er eine Frau hat?«, fragte ich sie misstrauisch. »Davon habe ich noch nie etwas gehört.«

»Je hässlicher ein Monster, desto verheirateter«, erwiderte meine dreijährige Tochter sorglos.

Wir gingen nach Hause.