Neulich in den »Schönhauser Arcaden«

Das XXI. Jahrhundert ist gerade im Sonderangebot. Damit jeder davon ein Stück mit nach Hause nehmen kann, werden überall in Berlin neue gigantische Einkaufscenter gebaut. Dort lernen die Bürger den Konsumspaß der Zukunft. Diese neuen Kaufhäuser sind die Vorboten des kommenden Paradieses. Mit immer größer werdenden Unterhaltungsprogrammen, Erlebnisrestaurants, Kosmetikstudios, Kinderspielplätzen und Swimmingpools, mit einem Wort: alles für alle und eine Kleinigkeit kostenlos dazu für jeden. Das Flaggschiff vom Prenzlauer Berg heißt »Schönhauser Arcaden«. Dort könnten einige tausend Menschen hundert Jahre leben und nichts würde ihnen fehlen. Eigentlich leben dort bereits sehr viele, jedenfalls sieht man immer dieselben Gesichter.

Neulich hatte man auf allen drei Stockwerken Hobelbänke aufgestellt. An jeder Hobelbank stand ein wie ein Tischler aussehender Mann mit einem Hobel in der Hand. Auf darüber hängenden Plakaten stand: »So baue ich mir ein eigenes Zuhause«. Zwischen den Hobelbänken befanden sich lauter einsatzbereite Computer mit kostenlosen Internetzugängen. Dazu Plakate: »In der virtuellen Welt gibt es Arbeitsplätze für alle«... Diese Veranstaltung war vom Arbeitsamt-Nord organisiert worden, das – immer auf der Jagd nach Arbeitslosen – die »Schönhauser Arcaden« entdeckt hatte. Ein Volltreffer. Denn wer geht um 12.00 Uhr einkaufen? Wer isst um diese Zeit ein Kabeljaufilet mit Knoblauchsauce? Wer hockt dort so früh schon mit einem Bier in der Hand? Natürlich Leute, die sonst nichts zu tun haben. Die Milleniumsmenschen. Sofort integrierte sich das Arbeitsamt in das Unterhaltungsprogramm des Einkaufscenters, zwischen singenden ABM-Cowboys aus Köpenick und dem Lambadaseniorenverein »Tanzender Oktober«.

Ich war auf dem Weg zum Telekom-Shop »T-Punkt« und musste mich dazu durch eine Reihe von Kosmetiksesseln schlängeln, an denen Arbeitsamtsleute mit dem Spruch »Wir machen Ihnen ein neues Gesicht für Ihr Bewerbungsgespräch« allen, die es wünschten, ein tolles Make-up anboten. Den »T-Punkt« besuchte ich bereits zum dritten Mal wegen einer phantastischen Telefonrechnung in Höhe von 530,– DM. Die freundliche Mitarbeiterin dort sagte, als sie mich sah, wie immer: »Entschuldigen Sie mich eine Sekunde«, und verschwand im hinteren Zimmer. Zwanzig Minuten lang hörte ich von dort nur schrecklichstes Husten und Würgen. Neugierig wagte ich mich hinter den Tresen und lugte um die Ecke. Das Zimmer war das absolute Gegenteil des Ladenraums: dunkel, schmutzig und kalt, überall lagen aufgerissene Kartons herum. Die Frau war nirgendwo zu sehen, man hörte sie nur keuchen. Ich verließ den »T-Punkt« und fuhr die Rolltreppe runter, um bei »Kaiser's« einzukaufen. Dort sorgte neuerdings Pro Sieben für die Unterhaltung. Die beiden Unternehmen hatten anscheinend fusioniert. »Es wird heute ein langer Fernsehabend werden, liebe Kunden«, verspricht eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher, »ein langer, langer Fernsehabend. Und Sie, liebe Kunden, haben Sie sich schon etwas zum Naschen besorgt? Zum Lutschen und Knabbern und Kauen? Bei uns sind gerade Salzstangen in der Kilopackung im Sonderangebot. Für 0,99 DM, beziehungsweise 0,51 Euro.«

Nach und nach kommen auch die Arbeitsamtsleute. Sie haben inzwischen ihre Tische zusammengeklappt, ihre Computer ausgeschaltet und füllen nun ihre Einkaufswagen. Bald ist Weihnachten, dann ein guter Rutsch ins neue Jahr, Jahrhundert, Jahrtausend. Es wird ein langer Fernsehabend werden, und sie haben sich noch nichts zum Naschen besorgt.