Mädchen aufreißen in Schwäbisch Hall
Mein Freund und Nachbar Jakob, der in Berlin seit Jahren erfolglos versucht, schauspielerische Karriere zu machen, hatte endlich Glück. Er durfte im »Glöckner von Rotterdam« einen der Soldaten in einer Massenszene spielen, und das im Sommertheater Schwäbisch Hall. Für drei Monate Arbeit gab es 18000,– DM netto auf die Hand. Begeistert verabschiedete er sich von Prenzlauer Berg, packte seine Sachen und fuhr los.
Doch das Geld war nicht so leicht zu verdienen, wie es zunächst den Anschein gehabt hatte. Dort, auf der großen Bühne des Sommertheaters, hatte Jakob jeden Abend mit einer Herde lebendiger Schafe zu kämpfen – eine Regieerfindung. Die Schafe hatten starkes Lampenfieber und schissen meinen Freund von oben bis unten voll. Immer wieder musste er sein Kostüm waschen, doch der Geruch ging nicht mehr heraus. Spätabends, wenn die Vorstellung vorbei war, zog Jakob die stinkenden Klamotten aus, und ging in den Straßen von Schwäbisch Hall spazieren. Seine zweitgrößte Leidenschaft neben der Schauspielerei ist es nämlich, Mädchen aufzureißen. Die jungen Frauen in der Stadt sahen modern aus, sie trugen Biotattoos und Halogenkleider, sie schwärmten herum und lächelten Jakob zu.
Nach geraumer Zeit gelang es ihm, ein Mädchen kennen zu lernen. Sie gingen zusammen essen. Er machte Witze über die kleinstädtischen Sitten, sie lachte gern mit. Nach dem Kaffee, als Jakob sie fragte, ob sie nicht Lust hätte, seine kleine, aber gemütliche Bude zu besichtigen, wurde sie ernst und fragte ihn, ob er schon einen Bausparvertrag hätte. Jakob hatte ihn nicht. Weniger später stellte er fest, dass alle Bewohner der Stadt mehr oder weniger bausparbeschädigt sind.
Nachdem meinem Freund klar wurde, was für eine große Rolle der Bausparvertrag im Privatleben der Schwäbisch Haller spielte, und dass er ohne ihn gar keine Chancen bei Mädels hatte, suchte er verzweifelt nach einem Bordell. In Deutschland gibt es folgende Regelung: Ab 35000 Einwohnern darf jede Stadt offiziell ein Bordell besitzen. Das einzige Bordell in Schwäbisch Hall gab es zwar trotz unzureichender Einwohnerzahl schon lange, nur gut versteckt war es, wie in kleinen Städten üblich. Als dieses Jahr die Zahl der Einwohner endlich um stolze 0,013 Prozent wuchs und 35008 erreichte, nutzten die Bordellbesitzer die neue Lage und hängten eine rote Laterne draußen auf. Sofort fand sich eine Bürgerinitiative für eine »bordellfreie Stadt« zusammen. »Unsere Kinder fühlen sich auf der Straße nicht mehr sicher«, beschwerte sich ihr Sprecher. Kurz darauf wurde die Laterne wieder abgehängt.
Jakob, der ein Halbperser ist, merkte, dass es in Schwäbisch Hall gar keine Ausländerfeindlichkeit gibt. Die Bewohner erklärten mit Stolz den Grund dafür: In Schwäbisch Hall haben sie so gut wie gar keine Ausländer. Das Bordell ist der einzige Ort, wo man Bürger ausländischer Herkunft treffen kann. Nicht dass sie dort nach dem Vergnügen suchen – sie arbeiten hart.
Als Jakob wieder auf der Schönhauser Allee aufkreuzte, war das schöne Geld auch fast alle. Doch seine Glückssträhne verließ ihn nicht. Er ist nun jeden Abend auf Sat1 zu sehen, wo er in einem Werbespot für Radeberger Pilsener gewinnend den Frauen zulächelt.