Berühmte Persönlichkeiten auf der Schönhauser Allee: Elvis Presley

Ein Zeichen des modernen Lebens ist der volle Briefkasten. Nicht nur die unvermeidlichen Pizzerien und gierigen Lottovereine, auch durchaus solide Unternehmen fühlen sich verpflichtet, jedem Briefkasteninhaber mitzuteilen, was sie gerade so treiben. Mir völlig unbekannte Banken kündigen per Post ihre Fusionierungspläne an, und Pharmakonzerne aus Westdeutschland werben für ihre Blutdruckmessgeräte. Jeder Briefkasten ist wichtig, hinter jedem verbirgt sich ein potenzieller Kunde. Auch der Ärmste, der nichts hat und wahrscheinlich auch früher nie etwas hatte. Aber wer weiß das schon, die Konsumrealität ist so flexibel geworden: Heute noch arm, aber schon morgen erbt der Mann vielleicht ein Vermögen und entwickelt sich rasch zu einem starken Konsumenten.

Ein weiteres Zeichen des modernen Lebens ist: Die meiste Post landet im Mülleimer, ohne gelesen zu werden. Keiner gibt sich mehr Mühe, einen dicken Briefumschlag mit der Aufschrift »Ihre persönliche Million« aufzumachen. Dafür steht auch bei uns im Haus ein extra Karton unter den Briefkästen. Und alle Mitbewohner benutzen ihn. Jeden Tag. Außer meinen vietnamesischen Nachbarn aus dem Gemüseladen im Erdgeschoss. Sie nehmen jeden Brief ernst, den sie bekommen, studieren jeden Zettel und antworten sogar manchmal, obwohl es gefährlich ist. »Man kann auf diese Weise ganz leicht etwas erwerben, was man nicht braucht«, warnte ich sie. Doch die ganz anders erzogenen Asiaten sind der Meinung, dem Absender liege etwas daran, speziell sie anzuschreiben. Deswegen sind die Vietnamesen zum Beispiel schon mehrmals Mitglieder des Bertelsmann Leseclubs geworden, und haben viele wichtige Bücher, unter anderem »Das große biografische Lexikon der Deutschen«, bekommen.

Wenn ihre zehnjährige Tochter mit der Übersetzung der Post nicht fertig wird, dann kommen sie zu mir.

Sehr geehrter Herr Wan Dong!

las ich neulich in einem Schreiben, das mein Nachbar zusammen mit einer sehr hohen Rechnung bekam.

Vielen Dank für Ihre Interesse an unseren Produkten. Die deutsche Wurlitzer GmbH und Elvis Presley Enterprises gratulieren Ihnen zu einem tollen Einkauf. Sie haben die richtige Wahl getroffen: ein einmaliges Erzeugnis zum außergewöhnlich günstigen Preis: Die ONE MORE TIME ELVIS MASCHINE in limitierter Auflage, handsigniert von unserem Geschäftsführer – im original Elvis-Schriftzug. Die weiße Schleiflacklackierung, die samtblaue Lautsprecherbespannung sowie die goldfarbenen Zierelemente mit Elvis-Motiven stehen symbolisch für die nostalgische Zeit des Rock 'n' Roll.

Bestückt mit 120 Elvis-CDs und einem 400-Watt-Verstärker kann die ONE MORE TIME ELVIS MASCHINE bis zu 1200 Songs gleichzeitig abspielen, die aber auch über eine Infrarot-Elvis-Bedienung angewählt werden können. Sechs integrierte Lautsprecher sorgen für den echten Elvis-Sound rund um die Uhr. Spezielle Elvis-Zusatzlautsprecher sind ebenfalls als Zubehör erhältlich. Gewicht: 157 Kilo.

Ich schaute meinem Nachbarn nachdenklich in die Augen. Ist er nun völlig durchgedreht, oder hat man den Mann ganz einfach reingelegt?

»Hast du das Ding etwa bestellt?«, fragte ich ihn und zeigte auf die kleine Zeichnung, auf der eine Musikbox im Form eines dicken Mannes mit dem Kopf von Elvis Presley abgebildet war. Mein Nachbar verstand mich aber nicht.

»Kennst du diesen Mann?«, fing ich noch einmal an und zeigte auf den Kopf von Elvis.

»Ja«, sagte Herr Wan Dong. »Ja, ja, ja.«

Ich hatte es geahnt, schon in der ganzen letzten Zeit hatte mit dem Kerl irgendwas nicht gestimmt. Er hatte sich einen dicken Ohrring besorgt und eine goldgelbe Jacke gekauft. Vielleicht hatte Wan Dong das falsche Gemüse in seinem Laden gegessen?

»Ja, ja, ich kenne den Mann«, sagte Herr Wan Dong noch einmal. »Das ist doch Peter, der Barmann aus der Schwulen-Kneipe von nebenan. Aber was will er von mir? Hat er etwa Geburtstag?«

»Nein«, sagte ich, »Wan, du irrst dich. Das ist nicht Peter aus der Kneipe nebenan, das ist ein ONE MORE TIME ELVIS PRESLEY-Musikautomat, den du bei der Firma Deutsche Wurlitzer GmbH bestellt hast.«

»So?«, wunderte sich Herr Wan Dong. »Und was soll ich jetzt damit machen?«

»Entweder du schmeißt diesen Brief und die Rechnung in den Müll, wie alle es hier tun, oder du kaufst das Ding wirklich«, sagte ich, »und dann gibt es ganz viel Rock 'n' Roll in unserem Haus, dann tanzen wir.«