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Jurgis frühstückte noch mit Ostrinski und seiner Familie und ging dann zu Elzbieta. Er hatte keine Angst mehr davor – als er eintrat, sagte er nichts von dem, was er sich zu sagen vorgenommen hatte, sondern fing gleich an, Elzbieta von der Revolution zu erzählen! Zuerst glaubte sie, er habe den Verstand verloren, und sie brauchte Stunden, um diesen Verdacht loszuwerden. Doch als sie sich schließlich vergewissert hatte, daß er bis auf die Politik noch ganz normal war, machte sie sich weiter keine Sorgen. Jurgis sollte noch erfahren, daß Elzbietas Panzer für den Sozialismus absolut undurchdringlich war. Ihre Seele hatte sich im Feuer der Not verhärtet, daran ließ sich jetzt nichts mehr ändern; das Leben hieß für sie Jagd nach dem täglichen Brot, und Ideen existierten für sie nur, soweit sie darauf Auswirkungen hatten. An diesem neuen Tick ihres Schwiegersohnes interessierte sie einzig und allein, ob ihn das zu Nüchternheit und Fleiß anhalten werde, und als sie merkte, daß es ihm ernst war, sich Arbeit zu suchen und seinen Teil zum Unterhalt der Familie beizusteuern, gestattete sie ihm, sie zu überzeugen, wovon er wollte. Elzbieta war eine wunderbar weise kleine Frau; sie konnte so schnell denken wie ein von Hunden gehetzter Hase, und binnen einer halben Stunde hatte sie ihre lebenslange Einstellung zur sozialistischen Bewegung gefunden. Sie gab Jurgis in allem recht, außer darin, daß es notwendig sei, den Parteibeitrag zu zahlen; und ab und an ging sie sogar mit ihm zu einer Versammlung, wo sie dann inmitten des Begeisterungssturms dasaß und sich überlegte, was sie am nächsten Tag kochen sollte.

 


Nachdem Jurgis Sozialist geworden war, ging er weiter täglich auf Arbeitssuche, und nach einer Woche lächelte ihm endlich das Glück. Er kam an einem von Chicagos unzähligen kleinen Hotels vorbei und beschloß nach einigem Zögern hineinzugehen. Ein Mann, den er für den Besitz er hielt, stand im Vestibül, und er sprach ihn um Arbeit an.

»Was für Arbeit würden Sie denn machen wollen?« fragte der Mann.

»Alles«, sagte Jurgis und fügte rasch hinzu: »Ich bin schon sehr lange arbeitslos, Sir, aber ich bin ehrlich und kräftig und außerdem sehr willig ...«

Der andere musterte ihn scharf. »Trinken Sie?«

»Nein, Sir.«

»Nun, ich beschäftige einen Hausdiener, der ein Säufer ist. Siebenmal habe ich ihn schon hinausgeworfen, und ich finde, jetzt ist das Maß voll. Wollen Sie bei mir Hausdiener werden?«

»Gern, Sir.«

»Das ist keine leichte Arbeit. Sie müssen Fußböden schrubben, Spucknäpfe säubern, Lampen nachfüllen, Koffer schleppen ...«

»Mach ich alles, Sir.«

»Na gut. Ich zahle Ihnen dreißig im Monat plus freies Essen. Wenn Sie wollen, fangen Sie gleich an. Sie können die Sachen von dem andern anziehen.«

Und so schritt Jurgis sofort ans Werk und arbeitete wie ein Pferd bis zum Abend. Dann ging er zu Elzbieta, erzählte ihr die Neuigkeit, und trotz der späten Stunde machte er auch noch einen kurzen Besuch bei Ostrinski, um ihm von seinem Glück zu berichten.

Dort erwartete ihn eine große Überraschung, denn als er beschrieb, wo das Hotel lag, unterbrach ihn Ostrinski: »Etwa das von Hinds?«

»Ja«, sagte Jurgis, »so heißt der Besitzer.«

»Dann hast du den besten Chef in Chicago erwischt«, erklärte Ostrinski. »Er ist Parteiorganisator für Illinois und einer unserer bekanntesten Redner!«

Als Jurgis am nächsten Morgen zu seinem Arbeitgeber ging, erzählte er ihm alles. Hinds nahm seine Hand und schüttelte sie. »Da fällt mir ein Stein vom Herzen!« rief er. »Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen, weil ich einen guten Sozialisten entlassen habe.«

Von da an war Jurgis für seinen Chef »Genosse Jurgis«, und umgekehrt mußte er ihn mit »Genosse Hinds« anreden. Tommy Hinds, ein untersetzter kleiner Mann mit breiten Schultern und rosigem, von einem grauen Backenbart eingerahmten Gesicht, war der gutmütigste Mensch unter Gottes Sonne, und der lebhafteste dazu; unermüdlich in seiner Begeisterung, sprach er Tag und Nacht vom Sozialismus. Er verstand es großartig, Leute in Stimmung zu bringen und eine Versammlung zu tosendem Beifall hinzureißen; war er einmal in Fahrt, ließ sich der Sturzbach seiner Beredsamkeit nur noch mit den Niagarafällen vergleichen.

Tommy Hinds hatte als Schmiedegehilfe begonnen und war dann bei Ausbruch des Bürgerkrieges weggelaufen, um als Freiwilliger in die Nordstaatenarmee einzutreten. Dort hatte er zum ersten Mal erfahren, was Schiebergeschäfte sind, und zwar in Form von nicht richtig funktionierenden Gewehren und lumpenwollenen Schlafdecken. Einem Gewehr, das im entscheidenden Moment versagt hatte, schrieb er die Schuld am Tod seines einzigen Bruders zu, und die minderwertigen Decken machte er für das qualvolle Leiden seiner alten Tage verantwortlich. Bei feuchter Witterung plagte ihn nämlich Gelenkrheuma, und dann brummte er mit schmerzverzerrtem Gesicht: »Der Kapitalismus, mein Junge, der Kapitalismus! Écrasez l’Infâme!« Für alle Übel der Welt hatte er ein unfehlbares Heilmittel, und er predigte es jedem; egal, ob dem ein geschäftlicher Fehlschlag, eine Verdauungsstörung oder eine zänkische Schwiegermutter zu schaffen machte, Hinds sagte mit leuchtenden Augen: »Wissen Sie, was Sie dagegen tun müssen? Sozialistisch wählen!«

Nach dem Krieg war er Geschäftsmann geworden. Dabei fand er sich dann im Konkurrenzkampf mit jenen, die sich Vermögen zusammengestohlen hatten, während er Soldat gewesen war. Die Stadtverwaltung hatten sie fest in der Hand und waren mit den Eisenbahngesellschaften im Bunde; der ehrliche Handel wurde an die Wand gedrückt. Da stieg Hinds aus, steckte sein Geld in Chicagoer Immobilien und machte sich auf eigene Faust daran, die Flut der Korruption einzudämmen. Er war erst reformistischer Abgeordneter im Magistrat, dann Labor-Unionist, dann Greenbacker, dann Populist, dann Bryanist – und nach dreißig Jahren des Kampfes überzeugte ihn das Jahr 1896, daß sich die Macht des konzentrierten Kapitals niemals in Schranken halten lassen würde, sondern nur zerschlagen werden konnte. Er veröffentlichte eine kleine Schrift darüber und wollte schon eine eigene Partei gründen, als ihm zufällig eine Broschüre der Sozialisten in die Hände fiel und ihm zeigte, daß ihm bereits andere zuvorgekommen waren. Nun kämpfte er seit acht Jahren für die Partei, allenthalben und allerorten; ob ein Veteranentreffen, eine Hoteliertagung, ein Bankett afro-amerikanischer Geschäftsleute, ein Picknick der Bibelgesellschaft – Hinds verschaffte sich eine Einladung, um den Teilnehmern die Beziehungen zwischen dem Sozialismus und dem jeweils auf der Tagesordnung stehenden Thema zu erklären. Dann wieder reiste er auf eigene Faust los und landete irgendwo zwischen New York und Oregon; kaum zurück, ging er abermals auf Reisen, um in Illinois neue Ortsgruppen zu gründen. Und dann kam er endlich nach Hause, um sich auszuruhen – und in Chicago für den Sozialismus zu werben. Hinds’ Hotel bildete das reinste Agitationszentrum; alle Beschäftigten gehörten der Partei an, und wer nicht schon bei der Einstellung Sozialist gewesen war, wurde es todsicher, bevor er wieder wegging. Der Hotelier fing im Vestibül mit jemanden ein Gespräch an, und wenn die Unterhaltung lebhaft wurde, scharten sich andere zum Zuhören herum, bis schließlich alle Gäste eine Gruppe bildeten und eine regelrechte Debatte lief. Das ging so jeden Abend, und weilte Hinds auf Reisen, brachte der Hotelsekretär die Diskussion in Gang, und war der ebenfalls aushäusig, um irgendwo zu agitieren, dann übernahm das sein Gehilfe, während seine Arbeit am Empfangsschalter von Mrs. Hinds weitergeführt wurde. Der Sekretär, Amos Struver, war ein alter Freund von Hinds, ein ungeschlacht wirkender, hagerer Hüne mit knochigem, fahlem Gesicht, breitem Mund und Kinnbart – das Urbild des Präriefarmers. Farmer war er auch sein ganzes Leben lang gewesen; fünfzig Jahre hatte er sich in Kansas gegen die Eisenbahngesellschaften gewehrt, erst in der Granger-Bewegung, dann in der Farmers’ Alliance und später als gemäßigter Populist. Schließlich war ihm von Tommy Hinds der großartige Gedanke dargelegt worden, daß man die Trusts übernehmen müsse, statt sie zu zerschlagen, und da hatte er seine Farm verkauft und war nach Chicago gegangen.

Struvers Gehilfe hieß Harry Adams. Er war ein blasser, gelehrtenhaft aussehender Mann, der aus Massachusetts kam und seine Abstammung auf die Pilgerväter zurückführen konnte. Adams war Facharbeiter in einer Baumwollspinnerei in Fall River gewesen, und die anhaltende Krise in dieser Branche hatten ihn und seine Familie so zermürbt, daß sie schließlich nach South Carolina übersiedelten. In Massachusetts gibt es unter den Weißen nur 0,8 Prozent Analphabeten, in South Carolina dagegen 13,6 Prozent; außerdem ist dort das Wahlrecht an den Besitz eines bestimmten Vermögens gebunden. Aus diesen und noch anderen Gründen ist Kinderarbeit die Regel, und so verdrängen die Baumwollspinnereien von South Carolina die von Massachusetts vom Markt. Adams hatte davon keine Ahnung gehabt, sondern nur gewußt, daß es in den Spinnereien des Südens keine Stillegungen gab. Erst an Ort und Stelle wurde ihm klar, wenn sie nicht alle verhungern wollten, würde seine gesamte Familie arbeiten müssen, und das von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens. So begann er, die Spinnereiarbeiter hier nach dem Muster von Massachusetts zu organisieren, und wurde daraufhin prompt entlassen. Es gelang ihm jedoch, eine neue Stelle zu finden und sie auch zu behalten. Schließlich kam es zu einem Streik um kürzere Arbeitszeiten, und als Adams versuchte, auf der Straße eine Rede zu halten, war das sein Ende. In den Südstaaten werden Sträflinge als Arbeitskräfte an Bau- und andere Unternehmer vermietet, und wenn man nicht genug Sträflinge dafür hat, macht man eben welche. Adams wurde von einem Richter verurteilt, der ein Vetter jenes Spinnereibesitzers war, dessen Geschäfte er gestört hatte. Obwohl dieses Leben ihn fast umbrachte, war er klug genug, nicht aufzumucken, und nach Ablauf der Strafe verließ er mit seiner Familie South Carolina – den Hinterhof der Hölle, wie er es nannte. Sie hatten kein Geld für die Bahn, aber da gerade Erntezeit war, wanderten sie immer einen Tag und arbeiteten den anderen, und so kamen sie nach Chicago, wo sich Adams dann der Sozialistischen Partei anschloß. Er war zurückhaltend und kein großer Redner, aber er studierte viel; unter dem Hotelschalter hatte er immer einen ganzen Stapel Bücher liegen, und Artikel aus seiner Feder begannen in der Parteipresse Aufmerksamkeit zu erregen.

Man sollte meinen, all dieser Radikalismus hätte dem Hotel schaden müssen, tatsächlich aber war eher das Gegenteil der Fall: Die Sozialisten kamen in Scharen, und die Handlungsreisenden fanden es in der Regel unterhaltsam. Seit jüngster Zeit stiegen hier auch zunehmend Viehzüchter aus dem Westen ab. Jetzt, da der Fleisch-Trust mit dem Trick arbeitete, die Preise erst heraufzusetzen, damit die Züchter riesige Mengen Vieh verfrachteten, und sie dann wieder zu senken und somit billig zu kaufen, was sie brauchten, konnte es einem Rancher passieren, daß ihm in Chicago nicht einmal genügend Geld blieb, seine Frachtrechnung zu bezahlen; er konnte sich daher nur ein billiges Hotel leisten, und wenn er dort im Vestibül einen Agitator reden hörte, so war das nicht zum Nachteil für ihn. Diese Burschen aus dem Westen waren für Hinds ein gefundenes Fressen — er scharte ein Dutzend von ihnen um sich und skizzierte ihnen »das System«. Natürlich dauerte es keine Woche, bis er Jurgis’ Lebensgeschichte kannte, und danach hätte er seinen neuen Hausdiener für nichts in der Welt mehr hergegeben. »Wissen Sie«, pflegte er mitten in einer Diskussion zu sagen, »einer meiner Leute hat dort gearbeitet und weiß genau, was die da machen.« Dann mußte Jurgis seine Arbeit, was es auch sein mochte, stehen und liegen lassen und herbeikommen. »Genosse Jurgis«, sagte Hinds, »erzähl diesen Herren doch mal, was du in den Schlachthallen erlebt hast.« Anfangs schwitzte der arme Jurgis dabei immer Blut und Wasser, und man mußte ihm die Worte förmlich aus dem Munde ziehen, mit der Zeit aber begriff er, worauf es ankam, und lernte schließlich, mit Verve vorzutragen, was er zu sagen hatte. Sein Arbeitgeber saß dabei und ermutigte ihn durch Ausrufe und beifälliges Kopfnicken. Wenn Jurgis das Rezept für die »Schinkenpaste« zum besten gab oder von den durch die Fleischbeschau nicht freigegebenen Schweinen erzählte, die in dem oberen Stockwerk in die »Verbrennungsöfen« hinabgelassen und im unteren Stock sofort wieder herausgeholt wurden, um in einen anderen Staat verschickt und dort zu Schmalz verarbeitet zu werden, schlug sich Hinds aufs Knie und rief: »Meinen Sie, so etwas könnte sich jemand bloß ausdenken?«

Und dann erklärte Hinds ihnen, wieso einzig und allein die Sozialisten solche Mißstände abschaffen können, wieso es allein ihnen in bezug auf den Fleisch-Trust wirklich ernst sei. Bekam er darauf zur Antwort, das ganze Land sei deswegen ja schon in Aufruhr, die Zeitungen wären voll von Anklagen, und die Regierung unternähme bereits Schritte, holte Hinds zum K.-o.-Schlag aus. »Gewiß«, sagte er, »aber aus welchem Grunde wohl? Sind Sie denn so naiv zu glauben, das geschehe der Bevölkerung zuliebe? Es gibt hierzulande doch noch andere Trusts, die mit genauso räuberischen und ungesetzlichen Mitteln arbeiten wie der Fleisch-Trust: den Kohlen-Trust zum Beispiel, der im Winter die Armen frieren läßt, oder den Stahl-Trust, der den Preis von jedem Nagel in Ihren Schuhen verdoppelt, oder den Öl-Trust, der verhindert, daß Sie abends lesen. Weshalb, glauben Sie wohl, richtet sich der Zorn der Presse und der Regierung ausgerechnet gegen den Fleisch-Trust?« Und wenn der andere erwiderte, über den Öl-Trust gebe es doch ebenfalls genug Geschrei, fuhr Hinds fort: »Schon vor zehn Jahren machte Henry D. Lloyd die Wahrheit über die Standard Oil Company publik, aber man hat sein all die Fakten anführendes Buch untergehen lassen, so daß es kaum jemand kennt. Jetzt endlich haben zwei Zeitschriften Mut, den Fall Standard Oil wieder aufzugreifen, und was geschieht? Die Zeitungen machen die Autoren lächerlich, die Kirchen stehen den Verbrechern bei, und die Regierung – tut gar nichts. Und warum ist das nun alles beim Fleisch-Trust so ganz anders?«

Hier gestand der andere gewöhnlich ein, daß er mit seinem Latein am Ende sei. Hinds erklärte es ihm dann, und es war ein Vergnügen mit anzusehen, wie dem Mann die Augen aufgingen. »Wenn Sie Sozialist wären«, sagte der Hotelier, »wüßten Sie, daß die Macht, die heute die Vereinigten Staaten wirklich regiert, der Eisenbahn-Trust ist. Wo Sie auch leben mögen, die Regierung Ihres Bundesstaates wird stets vom Eisenbahn-Trust gelenkt, und ebenso der Bundessenat. Und all die Trusts, die wir eben erwähnt haben, gehören zum Eisenbahn-Trust – nur der Fleisch-Trust nicht. Der bietet den Bahngesellschaften die Stirn, bringt sie täglich durch seine eigenen Bahnlinien um Profit, und deshalb schürt man den Zorn der Öffentlichkeit, läßt die Zeitungen nach Maßnahmen schreien und schickt die Regierung auf den Kriegspfad! Und ihr, das arme Volk, ihr seht zu und klatscht noch Beifall, weil ihr glaubt, man tue das alles für euch. Es kommt euch überhaupt nicht in den Sinn, daß dies in Wirklichkeit der Höhepunkt des schon ewig währenden ökonomischen Konkurrenzkampfes ist – die um Tod und Leben gehende Endphase des Kampfes zwischen den Magnaten des Fleisch-Trusts und der Standard Oil um Beherrschung und Besitz der Vereinigten Staaten von Amerika!«

 


So sah Jurgis’ neuer Wirkungskreis aus; hier lebte und arbeitete er, und hier wurde seine Erziehung vollendet. Die Annahme, daß er dort nicht besonders viel zu tun brauchte, wäre ein Trugschluß. Für seinen »Genossen Hinds« hätte er sich eine Hand abhacken lassen, und dessen Hotel in Schuß und auf Hochglanz zu halten war die Freude seines Lebens. Daß ihm bei der Arbeit viele sozialistische Argumente durch den Kopf gingen, störte überhaupt nicht; im Gegenteil, Jurgis scheuerte die Spucknäpfe und polierte das Geländer noch einmal so hingebungsvoll, wenn er dabei innerlich mit einem imaginären Opponenten rang, der sich nicht überzeugen lassen wollte. Zu berichten, er habe sofort dem Trinken und seinen sonstigen schlechten Gewohnheiten abgeschworen, wäre zwar sehr schön, entspräche aber wenig der Wahrheit. Diese Revolutionäre waren keine Engel, sondern auch nur Menschen, noch dazu welche, die von ganz unten kamen und mit dem Unflat von dort behaftet waren. Manche von ihnen tranken, manche fluchten, manche aßen mit dem Messer; zwischen ihnen und der übrigen Bevölkerung bestand nur ein Unterschied: Sie lebten mit einer Hoffnung und wußten, daß sie für eine gute Sache kämpften. Es kamen Zeiten, in denen Jurgis die Vision sehr fern, sehr blaß und sehr klein erschien, ein Glas Bier dagegen aber riesengroß; doch wenn ein Glas zum anderen kam und schließlich zu viele daraus wurden, dann war da am nächsten Morgen etwas, das seine Reue weckte und ihn neue Vorsätze fassen ließ: Es sei doch eine offenkundige Schlechtigkeit, sein Geld zu vertrinken, während die Arbeiterklasse in der Finsternis umherirrt und auf Erlösung harrt; für das, was ein Bier kostet, könne man fünfzig Flugblätter kaufen, sie an die noch Unbekehrten verteilen und sich dann an dem Gedanken berauschen, wieviel Gutes dadurch erreicht wird. Auf solche Weise sei die Bewegung entstanden, und nur so könne sie Fortschritte machen; bloßes Wissen um sie nutze gar nichts, wenn man nicht auch für sie kämpfen will – schließlich handle es sich um eine Sache, die alle angeht, nicht bloß einige wenige! Aus dieser Erkenntnis ergab sich natürlich, daß jeder, der sich weigerte, das neue Evangelium anzunehmen, persönlich dafür verantwortlich war, wenn Jurgis die Erfüllung seines Herzenswunsches versagt blieb, und das gestaltete den Umgang mit ihm leider etwas schwierig. Er lernte einige von Elzbietas Nachbarn kennen, mit denen sie Freundschaft geschlossen hatte, und wollte sie samt und sonders gleich zu Sozialisten machen, wobei es etliche Male um ein Haar zu Handgreiflichkeiten kam.

Für ihn selbst war alles so einleuchtend, so sonnenklar! Es schien ihm unbegreiflich, wie jemand das nicht ebenfalls sehen konnte. Alles, was im Lande etwas einbrachte – der Grund und Boden, die Gebäude darauf, die Eisenbahnen, die Bergwerke, die Fabriken und die Warenhäuser –, befand sich in den Händen einiger weniger Privatpersonen, nämlich der Kapitalisten, für die das Volk um Lohn arbeiten mußte. Und alles, was das Volk sonst noch erzeugte, diente nur dazu, das Vermögen dieser Kapitalisten zu vermehren, sie reicher und immer noch reicher zu machen, obwohl sie und die Menschen in ihrer Umgebung sowieso schon in unvorstellbarem Luxus lebten! Und lag es nicht auf der Hand, daß sich, wenn das Volk den Anteil der »Nur-Besitzenden« kürzte, der Anteil der Arbeitenden wesentlich vergrößern mußte? Das war doch so klar wie die Tatsache, daß zwei mal zwei vier ist – etwas Einfacheres ließ sich kaum denken! Und dennoch waren da Leute, die das nicht einsahen, die sich noch um alles mit einem stritten. Sie suchten einem weiszumachen, der Staat könne nicht so wirtschaftlich arbeiten wie Privatpersonen; damit kamen sie immer wieder an, bildeten sich ein, das wäre ein Argument! Es war ihnen nicht beizubringen, daß die »wirtschaftliche« Arbeitsweise der Privatunternehmer nichts weiter bedeutete, als daß man sie, das Volk, härter arbeiten ließ, sie stärker auspreßte und schlechter bezahlte. Sie waren Lohnsklaven und Knechte, abhängig von Ausbeutern, die nur den einen Gedanken hatten, soviel wie möglich aus ihnen herauszuschinden, und sie nahmen auch noch Anteil daran, machten sich Sorgen, daß dies nicht gründlich genug geschah! So etwas anhören zu müssen konnte einem wahrlich über die Hutschnur gehen.

Aber das war noch nicht das Schlimmste. Da begann man mit irgendeinem armen Teufel zu reden, der seit dreißig Jahren in derselben Fabrik arbeitete und in all der Zeit doch nicht einen Cent hatte sparen können; der jeden Morgen um sechs aus dem Haus ging, um eine Maschine zu bedienen, und abends so abgearbeitet heimkam, daß er zu müde war, um sich auch nur auszuziehen; der nie im Leben eine Woche Urlaub gehabt, nie eine Reise gemacht, nie etwas Aufregendes erlebt, nie etwas gelernt, nie etwas gehofft hatte – und wenn man ihm dann etwas über den Sozialismus erzählen wollte, rümpfte er die Nase und sagte: »Das interessiert mich nicht – ich bin Individualist!« Anschließend suchte er einem einzureden, Sozialismus sei »Bevormundung durch den Staat«, und sollte er sich jemals durchsetzen, wäre es mit dem Fortschritt in der Welt vorbei. Über solche Argumente lachten ja die Hühner! Dabei war es, wie man sah, ganz und gar nicht zum Lachen – denn wie viele Millionen solcher armen, betrogenen Hungerleider gab es, deren Leben durch den Kapitalismus so verkümmert war, daß sie gar nicht mehr wußten, was Freiheit bedeutete! Und sie hielten es im Ernst für »Individualismus«, daß sie als jeweils zehntausendköpfige Herde den Befehlen eines Stahlmagnaten gehorchten, ihm ein Vermögen von einigen hundert Millionen Dollar schufen und sich dann dafür von ihm eine Bibliothek schenken ließen; während die Industrie zu übernehmen, sie zum eigenen Nutzen zu betreiben und sich selber Bibliotheken zu bauen für sie »Bevormundung durch den Staat« wäre!

Manchmal war Jurgis die Qual, die ihm solche Dinge bereiteten, fast unerträglich. Doch man kam da nicht drum herum; es blieb einem nichts weiter übrig, als diesen Berg von Unwissenheit und Vorurteilen von unten her abzutragen. Man durfte so einen armen Kerl nicht als hoffnungslosen Fall aufgeben, sondern mußte, so sehr das auch die Geduld strapazierte, immer wieder mit ihm diskutieren und auf die Gelegenheit warten, ein paar Gedanken in seinen Kopf zu pflanzen. Und in der Zwischenzeit mußte man die Waffen schärfen – mußte man sich mit neuen Antworten auf seine Einwände wappnen und sich neue Fakten zurechtlegen, um ihm zu beweisen, wie töricht seine Ansichten waren.

So gewöhnte sich Jurgis das Lesen an. Stets hatte er in der Tasche eine Broschüre oder eine Aufklärungsschrift, die ihm von jemandem geliehen worden war; in jeder freien Minute ging er einen Absatz durch, und wenn er dann weiterarbeitete, dachte er darüber nach. Außerdem las er Zeitungen und stellte Fragen über das, was er gelesen hatte. Einer der anderen Hausdiener des Hotels war ein gescheiter kleiner Ire, der über all das Bescheid wußte, was Jurgis wissen wollte. Bei der Arbeit erklärte er ihm die Geographie Amerikas, seine Geschichte, seine Verfassung und seine Gesetze; er vermittelte ihm auch einen Begriff vom Wirtschaftssystem des Landes, von den Eisenbahn- und anderen Aktiengesellschaften samt den Leuten, denen sie gehörten, von den Gewerkschaften und den großen Streiks sowie den Männern, die sie angeführt hatten. Und abends ging Jurgis, wenn er abkommen konnte, zu sozialistischen Versammlungen. Während des Wahlkampfes war man nicht auf Seifenkistenagitatoren angewiesen, sondern es fanden jeden Abend Veranstaltungen in Sälen statt, wo man vom Wetter unabhängig war und landesweit bekannte Redner hören konnte. Diese erörterten die politische Lage von allen Seiten, und Jurgis’ einziger Kummer war, daß er nur einen Bruchteil der dargebotenen Schätze heimtragen konnte.

Einer der Redner war in der Partei als »der kleine Riese« bekannt. Der liebe Gott hatte, als er seinen Kopf schuf, so viel Material verbraucht, daß für die Beine nicht mehr genug übriggeblieben war, aber auf dem Podium verstand dieser gnomenhafte Mann sich zu bewegen, und wenn er seinen rabenschwarzen Bart schüttelte, erbebte der Kapitalismus in seinen Grundfesten. Er hatte ein umfassendes Werk über das Thema geschrieben, eine wahre Enzyklopädie, ein Buch beinahe so groß wie er selbst. Dann war da ein junger Schriftsteller, der aus Kalifornien kam, Lachsfischer, Austernpirat, Hafenarbeiter und Seemann gewesen und als Tramp durchs Land gezogen war, der im Gefängnis gesessen, in den Slums von Whitechapel gelebt und am Klondike Gold gesucht hatte. Das alles schilderte er in seinen Büchern, und da er ein Genie war, zwang er die Welt, ihn anzuhören. Obwohl inzwischen berühmt, predigte er, wohin er auch kam, nach wie vor das Evangelium der Armen. Ein anderer wurde »der Millionär-Sozialist« genannt. Er hatte in der Wirtschaft ein Vermögen gemacht und fast alles davon in die Gründung einer Zeitschrift gesteckt, die dann durch Unterdrückungsversuche seitens des Postministeriums nach Kanada vertrieben worden war. Er war ein Mann von ruhigem Wesen, den man für alles andere als für einen sozialistischen Agitator gehalten hätte. Bei seinen Reden blieb er stets gelassen – er konnte nicht verstehen, weshalb man sich über diese Dinge ereifern sollte. Es handle sich doch um einen ökonomischen Entwicklungsprozeß, erklärte er und legte dessen Gesetzmäßigkeit dar. Das Leben sei ein Kampf ums Dasein, der Starke bezwinge den Schwachen und werde seinerseits von dem noch Stärkeren bezwungen. Die Verlierer in diesem Kampf gingen im allgemeinen zugrunde, doch hin und wieder hätten sie bekanntlich überlebt, und zwar dann, wenn sie sich zusammengeschlossen hatten – und dadurch eine neue und höhere Art von Stärke erreichten. Auf diese Weise hätten sich in der Natur die Herdentiere gegen die Raubtiere gehalten und in der Geschichte der Menschheit die Untertanen gegen die Könige durchgesetzt. Die Arbeiter seien einfach die Untertanen der Industrie, und die sozialistische Bewegung wäre der Ausdruck ihres Überlebenswillens. Die Zwangsläufigkeit der Revolution ergebe sich daraus, daß sie keine andere Wahl haben, als sich entweder zusammenzuschließen oder aber zugrunde zu gehen. Diese harte und unerbittliche Tatsache hänge gar nicht vom Willen der Menschen ab, sondern sei das Gesetz des ökonomischen Prozesses. Und den legte der Redner dann mit bewundernswerter Genauigkeit in allen Einzelheiten dar.

Einige Zeit später fand die große Wahlversammlung statt, auf der Jurgis die beiden Bannerträger seiner Partei reden hörte. Vor einem Jahrzehnt waren in Chicago hundertfünfzigtausend Eisenbahner in den Ausstand getreten. Da hatten die Bahngesellschaften Rowdys gedungen, Gewalttaten zu begehen. Diese wurden den Streikenden angelastet, woraufhin der Präsident der USA Militär entsandte, den Streik zu brechen. Die Gewerkschaftsführer wurden verhaftet und ohne Gerichtsverfahren ins Gefängnis gesteckt. Der Vorsitzende der Gewerkschaft verließ seine Zelle zwar als geschlagener Mann, aber dafür war er während der Haft zum überzeugten Sozialisten geworden, und nun reiste er schon zehn Jahre durchs Land und trat überall in flammenden Worten für Gerechtigkeit ein. Es ging etwas Elektrisierendes von ihm aus; er war hochgewachsen und hager, mit einem Gesicht, das Kampf und Leid gezeichnet hatten. Der Zorn der beleidigten Menschheit loderte in diesem Gesicht – die Tränen leidender Kinder schwangen in seiner Stimme. Beim Sprechen schritt er auf dem Podium auf und ab, geschmeidig und auf dem Sprung wie ein Panther. Er beugte sich vor, streckte den Arm aus und wies mit eindringlichem Zeigefinger in die Herzen seiner Zuhörer. Von seinen vielen Reden war er stark heiser, aber die riesige Menschenmenge im Saal lauschte so still, daß man eine Stecknadel hätte zu Boden fallen hören können, und alle verstanden ihn.

Als Jurgis nach Ende der Versammlung ging, drückte ihm jemand eine Zeitung in die Hand. Er nahm sie mit nach Hause, las sie, und so lernte er den »Appeal to Reason« kennen. Vor etwa zwölf Jahren war ein Bodenspekulant aus Colorado zu dem Schluß gekommen, daß es ungerecht sei, mit dem, was Menschen zum Leben brauchen, Spekulationsgeschäfte zu machen; er hatte dann damit aufgehört und angefangen, ein sozialistisches Wochenblatt mit dem programmatischen Namen »Appeal to Reason« – Appell an die Vernunft – herauszugeben. Der Start war schwer gewesen; es gab Zeiten, da mußte er sein Blatt eigenhändig setzen, doch er hatte durchgehalten, und jetzt war der »Appeal« zu einer Institution geworden. Jede Woche verbrauchte er einen ganzen Waggon Papier, und auf dem Bahnhof der kleinen Stadt in Kansas mußten die Postzüge stundenlang warten, bis die vielen Versandexemplare alle verladen waren, denn die Zeitschrift, die aus vier Seiten bestand und keinen halben Cent kostete, hatte eine Viertelmillion Abonnenten und wurde an das Postamt jedes kleinsten Nestes im Lande verschickt.

Der »Appeal« war ein »Propaganda«-Blatt mit ganz eigener Note – schmissig und spritzig, voll Pfeffer und auch voll Slang. Er sammelte Nachrichten über das Treiben der »Plutos« und setzte sie dem »amerikanischen Arbeitsgaul« als Futter vor, und zwar in Form von vernichtenden Gegenüberstellungen: hier der für Millionen Dollar gekaufte neue Brillantschmuck einer Dame der Gesellschaft oder das seidenbezogene Himmelbett ihres Schoßhündchens, dort das Schicksal der Mrs. Murphy in San Francisco, die auf der Straße verhungert war, oder des John Robinson in New York, der sich nach einem Krankenhausaufenthalt erhängte, weil er keine Arbeit hatte finden können. Meldungen der Tagespresse über Korruption und Elend wurden umgeschrieben zu sarkastischen Notizen: »South Dakota. Drei Geldinstitute in Bungtown bankrott – wieder mal Spargelder von Arbeitern zum Teufel!« – »Oklahoma. Bürgermeister von Sandy Creek mit 100.000 Dollar durchgebrannt! Solche Stadtväter stellen die alten Parteien!« – »Florida. Präsident der Florida Flying Machine Company wegen Bigamie verurteilt! Er war ein erklärter Gegner des Sozialismus, weil der die Familie zerstören würde!« Der »Appeal« hatte eine engere Gefolgschaft, die er seine »Armee« nannte, etwa dreißigtausend Getreue, die für ihn arbeiteten und von ihm immer wieder angespornt wurden, gelegentlich sogar durch Preisausschreiben, bei denen alles mögliche zu gewinnen war, von einer goldenen Uhr bis zu einer Segeljacht oder gar einer kompletten Kleinfarm. Sein Personal war der Armee mit Spitznamen bekannt; da gab es den »Tinten-Tommy«, »Kit den Kahlen«, die »Rothaarige«, die »Bulldogge«, den »Bürohengst« und den »Stoppelhopser«.

Aber manchmal konnte der »Appeal« auch verdammt ernst werden. Er schickte einen Korrespondenten nach Colorado und brachte seitenlange Berichte, wie in diesem Bundesstaat die amerikanischen Einrichtungen mit Füßen getreten wurden. In einer bestimmten Großstadt des Landes hatte er über vierzig Angehörige seiner Armee in der Zentrale des Telegraphen-Trusts sitzen, und es ging dort keine für Sozialisten auch nur einigermaßen wichtige Nachricht durch, von der nicht eine Abschrift an den »Appeal« geschickt wurde. Jetzt zum Wahlkampf gab er eine große Sondernummer mit einem flammenden Aufruf an die streikenden Arbeiter heraus, und davon wurde nahezu eine Million Exemplare in jenen Industriezentren verteilt, wo die Arbeitgeberverbände ihre Politik der Diskriminierung von Gewerkschaftlern betrieben. »Ihr habt den Streik verloren!« lautete die Überschrift. »Was könnt Ihr nun unternehmen?« Es war eine sogenannte Brandrede, verfaßt von einem Mann, in dessen Seele die Saat aufgegangen war. Zwanzigtausend dieser Sondernummer wurden zum Yard-Viertel geschickt und dort im Hinterzimmer eines kleinen Zigarrenladens versteckt, wo sich dann die Mitglieder der Untergruppe Packingtown abends und auch sonntags jeder einen Armvoll holten und sie auf den Straßen und in den Häusern verteilten. Wenn jemals Arbeiter ihren Streik verloren hatten, dann die von Packingtown, und darum interessierte sie der Aufruf an sie sehr, so daß die zwanzigtausend Stück kaum reichten. Jurgis hatte eigentlich seine alte Gegend nicht wieder aufsuchen wollen, doch als er das hörte, hielt er es nicht mehr aus, und eine Woche lang fuhr er jeden Abend mit der Straßenbahn hinaus zu den Yards, um sein Werk vom vergangenen Jahr wiedergutzumachen, als er Mike Scullys Kegelaufsteller zu einem Sitz im Stadtrat verholfen hatte.

Es war ganz erstaunlich, wie sich in den zwölf Monaten die Stimmung in Packingtown verändert hatte – dem Volk gingen langsam die Augen auf! Bei diesem Wahlkampf fegten die Sozialisten alles nur so vor sich her, und Scully und der Parteiapparat der Demokraten waren um einen Gegenschlag verlegen, wußten nicht mehr ein noch aus. Ganz am Schluß der Kampagne besannen sie sich darauf, daß der Streik von Negern gebrochen worden war, und ließen deshalb aus South Carolina einen Renommierredner kommen, den »Mistgabel-Senator«, wie er genannt wurde, einen Mann, der sich den Rock auszog, wenn er mit Arbeitern sprach, und der wie ein Landsknecht fluchte. Für diese Veranstaltung rührten sie mächtig die Trommel, und die Sozialisten warben ebenfalls dafür – mit dem Ergebnis, daß an dem Abend rund tausend von ihnen im Saal waren. Etwa eine Stunde lang hielt der Mistgabel-Senator ihrem Hagel von Fragen stand, dann schob er verärgert ab, und der Rest der Versammlung war reiner Parteikram. Für Jurgis, der sich das nicht hatte nehmen lassen wollen, wurde es der Abend seines Lebens; er zappelte herum, fuchtelte wild mit den Armen – und auf dem Höhepunkt machte er sich von seinen Freunden los, stürzte hinaus auf den Mittelgang und schickte sich an, selber eine Rede zu halten! Der Senator hatte abgestritten, daß die Demokratische Partei korrupt sei; es wären immer die Republikaner, die die Stimmen kaufen, erklärte er. Doch da schrie Jurgis aufgebracht dazwischen: »Das ist gelogen! Das ist gelogen!« Dann sagte er, wieso er das behaupten könne – weil er selber Stimmen gekauft habe! Und er hätte dem Mistgabel-Senator noch all seine Erlebnisse mitgeteilt, wäre er nicht von Harry Adams und einem Freund zurückgezerrt und wieder auf seinen Platz gedrückt worden.