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Mit einem Familienmitglied als »Knochenfieslerin« in einer Konservenfabrik und einem anderen, das in einer Wurstfabrik arbeitete, kannten unsere Freunde die meisten der in Packingtown üblichen Betrügereien aus erster Hand. Zum Beispiel, daß hier alles verdorbene Fleisch, das zu nichts anderem mehr zu verwenden war, entweder in die Konserven wanderte oder aber durchgedreht und zu Wurst verarbeitet wurde. Zusammen mit dem, was sie von Jonas wußten, der in einer Pökelabteilung gearbeitet hatte, verfügten sie über einen internen Einblick in die Praktiken und das Geschäft mit dem Schadfleisch, und sie erkannten einen neuen und bösen Hintersinn in dem alten Packingtowner Witz, daß vom Schwein nichts unverwertet bleibe bis auf das Quieken.

Von Jonas hatten sie gehört, daß das Fleisch oft sauer sei, wenn es aus der Lake kommt, und daß man es dann mit Soda einreibe, um den Geruch herauszubringen, und es danach an die Kneipen für deren Freibüfetts verkaufe. Er hatte auch erzählt, was sie alles für Wunder mit Hilfe der Chemie vollbrachten, indem sie jeder Sorte Fleisch, ob frisch oder eingesalzen, ob im Stück oder gehackt, jede gewünschte Farbe und jeden gewünschten Geschmack gaben. Zum Pökeln von Schinken hatten sie einen raffinierten Apparat, der Zeit sparte und die Produktion steigerte. Er bestand aus einer an eine Pumpe angeschlossenen Hohlnadel; stieß man diese Kanüle in das Fleisch und betätigte mit dem Fuß die Pumpe, wurde in Sekundenschnelle ein ganzer Schinken mit Pökellake durchgespritzt. Trotzdem stellten sich immer wieder Schinken als verdorben heraus, und manche davon stanken so, daß man es im gleichen Raum kaum aushalten konnte. Diese ließen die Fabrikanten dann mit einer konzentrierten Lake spritzen, die den Geruch wegnahm; die Arbeiter nannten das »dreißig Prozent verpassen«. Auch nach dem Räuchern erwiesen sich manche Schinken als schlecht. Früher hatte man die als »Güteklasse III« verkauft, doch dann war ein findiger Kopf auf ein neues Verfahren gekommen, und so löste man jetzt den Knochen heraus, um den herum die faulige Stelle gewöhnlich liegt, und brannte das Loch mit einem glühenden Eisen aus. Seitdem gab es keine drei Sorten mehr, jetzt war alles »Güteklasse I«. Überhaupt ließen sich die Fabrikanten da ständig etwas einfallen. Eine ihrer Neuheiten nannten sie »Kalifornischen Schinken«, und das war nichts weiter als Schulterstücke mit viel Gelenkknorpel, von denen man fast das ganze Fleisch weggeschnitten hatte. Ein anderes Produkt hieß »Feinschinken ohne Haut«; der stammte von den ältesten Schweinen, deren Schwarte so zäh war, daß sie sich erst verkaufen ließ, wenn man sie gekocht, kleingehackt und als »Sülzwurst« auf den Markt gebracht hatte. Und das, was sie als »Schinkenwurst« vertrieben, waren lediglich in Därme gepreßte Schweinefleischabfälle.

Erst bei völligem Verdorbensein kam der Schinken in die Abteilung von Teta Elzbieta. Und war er dann von den mit zweitausend Umdrehungen in der Minute laufenden Messern zerhackt und einer halben Tonne anderem Fleisch untergemengt worden, ließ sich von seinem faulen Geruch nichts mehr merken. Nie wurde auch nur im geringsten darauf geachtet, was alles in die Wurstmasse wanderte. Aus Europa kamen alte Würste zurück, die man nicht losgeworden war und die einen weißen Schimmelbelag hatten – sie wurden mit Borax und Glyzerin behandelt und dann noch mal durchgedreht, um schließlich im Inland verkauft zu werden. Fleisch, das auf den Fußboden gefallen war, in den Schmutz und das Sägemehl, auf dem die Arbeiter herumgetrampelt waren und in das sie Milliarden Tuberkulosebazillen gespuckt hatten, wanderte ebenso in die Fülltrichter; desgleichen das Fleisch, das gestapelt in Hallen lagerte, wo von lecken Dächern Wasser drauf tropfte und Tausende von Ratten auf ihm herumhuschten. Um etwas zu erkennen, war es dort zu dunkel, aber wenn man mit der Hand über diese Fleischstapel fuhr, konnte man wahre Mengen von getrocknetem Rattenkot hinunterfegen. Die Ratten waren eine Plage, und man legte vergiftetes Brot aus, woran sie krepierten, und dann kamen Ratten, Brot und Fleisch zusammen in die Trichter. Das ist kein Märchen und auch kein Witz; das Fleisch wurde auf Karren geschaufelt, und der Mann, der das tat, hielt sich nicht damit auf, Ratten auszusortieren, auch wenn er welche sah – wanderten doch noch ganz andere Dinge in die Wurst, gegen die eine vergiftete Ratte ein Leckerbissen war. Es gab keinen Ort, wo sich die Arbeiter vor dem Mittagessen die Hände waschen konnten, und so hatten sie sich angewöhnt, das in dem Wasser zu tun, das in die Wurstmasse kam. Die Endstückchen von Geräuchertem, die Schabsei von Corned Beef und alle möglichen anderen Abfälle wurden in alte Fässer im Keller geschüttet, und dort ließ man sie vorerst stehen. Bei dem von den Fabrikanten praktizierten System strengster Wirtschaftlichkeit lohnten manche Arbeiten nur in großen Zeitabständen; dazu gehörte das Entleeren der Abfallfässer, und so wurde das nur jedes Frühjahr vorgenommen. In den Fässern befanden sich auch Dreck, Rost, alte Nägel und fauliges Wasser – und Karren auf Karren davon wurde nach oben geholt, wanderte zusammen mit dem frischen Fleisch in die Trichter und später auf die Frühstücks- und Abendbrottische. Einiges davon wurde zu »Räucherwurst« verarbeitet – aber da das Räuchern Zeit und somit Geld kostete, mußte die chemische Abteilung ran zum Haltbarmachen mit Borax und zum Braunfärben mit Gelatine. Alle Wurst kam aus demselben Kessel, nur wurde beim Verpacken eine bestimmte Menge mit dem Etikett »ff.« beklebt, und davon kostete das Pfund dann einen Cent mehr.

 


Das also war Elzbietas neue Umgebung, und so sah die Arbeit aus, zu der sie gezwungen war. So stumpfsinnig das, was sie hier tun mußte, auch war, es ließ ihr keine Zeit zum Denken, keine Kraft für irgend etwas anderes. Elzbieta war ein Teil der Maschine, die sie bediente, und jede Fähigkeit, die nicht für die Maschine gebraucht wurde, war zum Verkümmern verurteilt. Ein Gutes nur hatte diese grausame Schinderei: Elzbieta wurde unempfindlich. Nach und nach versank sie in Apathie – sie wurde schweigsam. Wenn sie sich abends mit Jurgis und Ona traf und sie gemeinsam heimgingen, sprachen sie dabei oft kein einziges Wort. Auch Ona wurde immer stiller – Ona, die früher wie ein Vogel gezwitschert hatte. Sie fühlte sich krank und elend, hatte oft kaum noch die Kraft, sich nach Hause zu schleppen. Dort aßen sie dann, was sie zu essen hatten, und weil es ja doch keinen anderen Gesprächsstoff gab als ihre drückende Not, krochen sie anschließend gleich ins Bett, fielen sofort in den Schlaf der Erschöpfung und kamen aus dieser Starre erst wieder zu sich, wenn es Zeit zum Aufstehen war, sie sich bei Kerzenlicht anzogen und zurück an die Maschinen gingen. Sie waren so abgestumpft, daß sie nicht einmal mehr besonders unter dem Hunger litten; nur die Kinder jammerten noch, wenn Schmalhans Küchenmeister war.

Und doch war Onas Seele nicht erstorben – ihrer aller Seelen waren das nicht, sondern schliefen nur; dann und wann erwachten sie, und das waren grausame Momente. Da taten sich dann die Tore der Erinnerung auf; alte Freuden streckten ihnen die Arme entgegen, Hoffnungen und Träume von einst riefen nach ihnen, und sie regten sich unter der Bürde, die auf ihnen lag, und empfanden deren unermeßlich schweres und sich nie verringerndes Gewicht. Nicht einmal aufzuschreien vermochten sie darob, doch überkamen sie Ängste, die schlimmer waren als Todesangst. Es war etwas Unausgesprochenes – etwas, das alle Welt unausgesprochen läßt, denn wer will schon seine eigene Niederlage erkennen?

Sie waren besiegt, hatten das Spiel verloren, wurden beiseite gekehrt. Es wurde nicht weniger tragisch dadurch, daß es so gewöhnlich war, mit Löhnen zu tun hatte, mit Anschreibbeträgen beim Kaufmann und mit der Miete. Sie hatten von Freiheit geträumt, von einer Chance, sich umzutun und etwas zu lernen, anständig und sauber zu leben, ihr Kind zu einem tüchtigen Menschen heranwachsen zu sehen. Und nun war das alles aus – es würde nie so werden. Noch sechs Jahre Plackerei lagen vor ihnen, ehe eine kleine Entlastung in Aussicht stand, nämlich das Ende der Ratenzahlungen für das Haus, aber wie grausam klar war ihnen, daß sie dieses Leben nicht noch sechs Jahre durchhalten würden! Sie waren erledigt, es ging abwärts mit ihnen, und es gab keinen Ausweg, keine Hoffnung, denn was Hilfe für sie betraf, hätte die Riesenstadt, in der sie lebten, ebensogut das weite Meer, eine Wildnis, eine Wüste oder eine Totengruft sein können. Dieses Gefühl beschlich Ona oft, wenn sie in der Nacht durch irgend etwas wach gemacht wurde; sie lag dann da, fürchtete sich vor dem eigenen Herzschlag und sah vor sich die blutunterlaufenen Augen jener Lebensangst, die so alt ist wie die Menschheit. Einmal schrie sie laut auf und weckte dadurch Jurgis, der müde war und gereizt reagierte. Hinfort nahm sie sich zusammen und weinte nur noch lautlos. Ihrer beider Stimmungen hatten jetzt so selten Gleichklang! Es war, als lägen ihre Hoffnungen in getrennten Gräbern begraben.

Als Mann hatte Jurgis seine eigenen Sorgen. Ihn verfolgte ein anderer Dämon. Er sprach nie darüber und hätte das auch keinem anderen erlaubt – gestand er es sich doch nicht einmal selber ein. Aber der Kampf dagegen erforderte seine ganze Kraft, und leider reichte die nicht immer aus. Jurgis hatte den Alkohol entdeckt.

Tag für Tag, Woche für Woche arbeitete er in dem dampfenden Höllenschlund – bis schließlich kein Organ seines Körpers mehr ohne Schmerzen Dienst tat, bis es Tag und Nacht in seinem Kopf dröhnte wie das Tosen der Meeresbrandung und bis die Häuser auf der Straße vor seinen Augen schwankten. Und von dem endlosen Schrecken alles dessen boten sich Befreiung und Ruhe – wenn er trank! Da konnte er die Schmerzen vergessen, konnte die Last abschütteln; er sah wieder klar, war wieder Herr über sein Hirn, seine Gedanken, seinen Willen. Sein verschüttetes Ich regte sich, und er konnte wieder lachen und mit seinen Freunden Witze reißen – er war wieder ein Mann und Meister seines Lebens.

Es fiel Jurgis nicht leicht, über zwei oder drei Gläser hinauszugehen. Beim ersten konnte er dazu eine kostenlose Mahlzeit essen und sich einreden, daß er so Geld spare; beim zweiten konnte er abermals etwas essen – aber danach war er satt, und sich dann einen Schnaps zu leisten war eine unerhörte Verschwendung, gegen die sich all die uralten Instinkte seiner vom Hunger verfolgten Klasse sperrten. Eines Tages jedoch wagte er den Sprung, vertrank alles, was er in den Taschen hatte, und ging halb »angeteert«, wie die Männer hier sagten, nach Hause. Er war so glücklich wie schon seit einem Jahr nicht mehr, doch da er wußte, daß dieses Hochgefühl nicht anhalten konnte, war er zugleich auch bitterböse auf jene, die es ihm zerstören würden, auf die ganze Welt und auf sein Leben; und dann wieder, mehr unterschwellig, war ihm elend zumute, weil er sich vor sich selbst schämte. Später, als er die Verzweiflung seiner Familie sah und nachrechnete, wieviel Geld er vertrunken hatte, kamen ihm die Tränen, und er begann seinen langen Kampf mit dem Dämon.

Es war ein Kampf, der kein Ende nahm, kein Ende nehmen konnte. Dessen wurde sich Jurgis allerdings nicht recht bewußt; es blieb ihm ja nicht viel Zeit, über sich nachzudenken. Er wußte nur, daß er ständig dagegen anzugehen hatte. So von Elend und Verzweiflung zermürbt, wie er war, bedeutete es für ihn schon eine Folter, nur die Straße langzugehen. An der nächsten Kreuzung war bestimmt eine Kneipe – vielleicht befanden sich sogar an jeder ihrer vier Ecken welche und in der Mitte des Häuserblocks auch noch ein paar. Und jede winkte ihm einladend zu – jede hatte ihre eigene Atmosphäre, ihre eigenen Verlockungen. Wenn er zur Arbeit ging und ebenso auf dem Heimweg – vor dem Hellwerden und nach Einbruch der Dunkelheit –, immer waren dort Wärme und Lichterschein, der Dampf von warmem Essen und vielleicht auch Musik oder ein freundliches Gesicht und ein aufmunterndes Wort. Jurgis entwickelte einen Hang, Ona stets untergehakt an seiner Seite zu haben, wenn er auf die Straße ging; er drückte sie eng an sich und schritt schnell aus. Daß Ona den Grund dafür ahnte oder gar wußte, war mehr als demütigend – nur daran zu denken machte ihn wild; es war wirklich ungerecht, denn Ona hatte noch nie Alkohol gekostet und konnte es also gar nicht verstehen. Manchmal in Stunden der Verzweiflung, ertappte er sich bei dem Wunsch, daß auch sie erfahren möge, was einem das Trinken geben kann, so daß er sich nicht mehr vor ihr zu schämen brauchte. Dann könnten sie gemeinsam trinken und dem Elend entfliehen – für eine Weile zumindest, egal, was nachher werde.

So kam eine Zeit, da Jurgis’ Sinnen und Denken nahezu gänzlich von dem Kampf mit dem Verlangen nach Schnaps in Anspruch genommen wurde. Er hatte Stunden übler Laune, in denen er Ona und die ganze Familie haßte, weil sie ihm im Wege standen: Er sei ein Narr gewesen zu heiraten, habe sich gebunden und damit zum Sklaven gemacht. Nur weil er verheiratet ist, müsse er in den Yards bleiben; sonst könnte er so wie Jonas einfach davonlaufen und auf die Fabrikanten pfeifen. Ledige Männer gab es in der Düngerbude zwar nur wenige – und die arbeiteten auch bloß deshalb dort, um die Zeit bis zu ihrem Abhauen zu überbrücken. Inzwischen aber hatten sie bei der Arbeit wenigstens etwas, das ihre Gedanken beschäftigte, nämlich die Erinnerung an ihr letztes Besäufnis und die Vorfreude auf das nächste. Von Jurgis dagegen wurde erwartet, daß er jeden Cent heimbrachte; nicht einmal mittags konnte er mit den anderen in die Kneipe gehen – ihm mutete man zu, sein Essen auf einem Düngerhaufen einzunehmen.

Natürlich war Jurgis nicht immer in solcher Stimmung, denn er liebte seine Familie noch. Aber in dieser Zeit kam eben alles zusammen. Der arme kleine Antanas zum Beispiel – der es stets geschafft hatte, ihn mit einem Lächeln zu gewinnen –, der kleine Antanas lächelte jetzt nicht, denn er war am ganzen Körper mit roten Pusteln besät. Er hatte kurz hintereinander die üblichen Kinderkrankheiten durchmachen müssen, im ersten Jahr Scharlach, Ziegenpeter und Keuchhusten, und nun hatte er die Masern. Außer Kotrina war niemand da, ihn zu pflegen, und es sah auch kein Arzt nach ihm, weil sie dazu zu arm waren und Kinder ja im allgemeinen an Masern nicht sterben. Ab und an fand Kotrina zwar Zeit, meist aber mußte sie ihn sich selbst überlassen in seinem verbarrikadierten Bettchen; unten am Fußboden zog es stets, und wenn er sich erkältete, konnte er sich den Tod holen. Nachts wurde er festgebunden, damit er die Zudecke nicht wegstrampelte, während die Familie im bleiernen Schlaf der Erschöpfung lag. Manchmal schrie er stundenlang, fast schon so, als habe er Schreikrämpfe, und versagte ihm schließlich die Stimme, lag er da und wimmerte vor sich hin. Er glühte vor Fieber und hatte stark entzündete Augen; bei Tage war er geradezu unheimlich anzuschauen: ein einziger Klumpen schweißverklebter Pusteln, ein feuerrotes Häufchen Elend.

Doch war das alles nicht ganz so schlimm, wie es sich anhört, denn trotz seiner Masern blieb der kleine Antanas das am wenigsten unglückliche Mitglied der Familie. Er konnte seine Leiden durchaus ertragen – es war, als bekomme er all diese Krankheiten nur, um zu beweisen, welch Ausbund an Gesundheit er war. Gewöhnlich trapste er den ganzen Tag mit hungrigen Augen in der Küche umher – sein Anteil an der Familienration war ihm nicht groß genug, und in seinem Verlangen nach mehr ließ er sich kaum bändigen. Obwohl Antanas erst etwas über ein Jahr alt war, konnte niemand als sein Vater mit ihm fertig werden.

Es schien, als habe er seiner Mutter alle Kraft genommen – und nichts für nachkommende Geschwister übriggelassen. Ona erwartete wieder ein Kind, und allein schon daran zu denken war furchtbar; selbst in seiner jetzigen Dumpfheit konnte Jurgis nicht übersehen, daß weitere Not auf sie zukam, und bei diesem Gedanken schauderte ihm.

Denn Ona verfiel zusehends. Zum einen hatte sie einen Husten, der jenem glich, an dem der alte Antanas dahingesiecht war. Geholt hatte sie ihn sich an jenem Unglücksmorgen, als sie von der geldgierigen Verkehrsgesellschaft aus der Straßenbahn hinaus in den Regen gejagt worden war; anfangs hatte sie nur gehüstelt; jetzt aber waren es schon richtige Anfälle, von denen sie nachts aufwachte. Noch schlimmer war die schreckliche Nervosität, an der sie litt; sie wurde von entsetzlichen Kopfschmerzen und grundlosen Weinkrämpfen geplagt, und manchmal kam sie abends zitternd und stöhnend nach Hause, warf sich aufs Bett und brach in Tränen aus. Mehrere Male war sie völlig außer sich und hysterisch, und Jurgis wurde dann halb verrückt vor Angst. Elzbieta erklärte ihm, man könne da nichts machen, das hänge mit der Schwangerschaft zusammen, doch das überzeugte ihn nicht recht, und er drang in sie, ihm doch zu sagen, was sie wirklich habe. Sie sei ja früher nicht so gewesen, argumentierte er, und das jetzt wäre doch unnormal und nicht geheuer. Es sei das Leben, das sie führen muß, vor allem aber diese verfluchte Arbeit, die mache sie langsam kaputt. Sie sei dafür nicht geschaffen – keine Frau sei das, keine Frau dürfte solche Arbeit machen; wenn die Welt sie nicht anders am Leben erhalten kann, dann solle sie sie doch lieber gleich umbringen, dann hätte das wenigstens ein Ende. Sie dürften nicht heiraten und Kinder kriegen; überhaupt sollten Arbeiter nicht heiraten – hätte er gewußt, wie Frauen sind, hätte er sich eher die Augen ausstechen lassen, als zu heiraten. In diesem Stil redete er weiter, wurde selber bald hysterisch, was bei einem großen, starken Mann gar nicht mit anzusehen war. Ona riß sich zusammen, warf sich in seine Arme und bat ihn, doch aufzuhören und still zu sein, es würde ja wieder besser mit ihr, und alles werde wieder gut. So schluchzte sie ihren Kummer an seiner Schulter aus, während er sie mit den hilflosen Blicken eines waidwunden Wildes ansah, das unsichtbaren Jägern ausgeliefert ist.