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Drei Wochen lag Jurgis fest. Die Verstauchung war äußerst hartnäckig; die Schwellung wollte nicht zurückgehen, und auch die Schmerzen hielten an. Schließlich aber wurde er zu ungeduldig und begann, jeden Tag ein bißchen umherzulaufen, wobei er sich einredete, es gehe ihm schon besser. Taub gegen alle Einwände, erklärte er nach drei oder vier Tagen, nun wieder arbeiten gehen zu wollen. Er humpelte zur Straßenbahn, und als er zu Brown kam, stellte sich heraus, daß der Meister ihm seinen Arbeitsplatz freigehalten hatte – das heißt, er jagte den in der Zwischenzeit angeheuerten armen Teufel hinaus in den Schnee. Immer wieder zwangen die Schmerzen Jurgis, eine Pause einzulegen, doch er hielt bis fast eine Stunde vor Feierabend durch. Dann aber mußte er sich eingestehen, daß er nicht weitermachen konnte, ohne umzukippen; es brach ihm schier das Herz, und er stand gegen einen Pfeiler gelehnt und weinte wie ein Kind. Zwei Kollegen halfen ihm zur Bahn, und nach dem Aussteigen mußte er sich hinsetzen und dort im Schnee warten, bis ihn jemand holen kam.

Sie steckten ihn also wieder ins Bett und ließen – was sie gleich zu Anfang hätten tun sollen – einen Arzt kommen. Der diagnostizierte eine böse Sehnenzerrung, die ohne Behandlung nie wieder in Ordnung kommen würde. Jurgis hielt sich an beiden Bettkanten fest, biß die Zähne zusammen und wurde kreidebleich vor Schmerz, während der Arzt an dem geschwollenen Knöchel zog und drehte. Beim Weggehen verordnete der Doktor ihm zwei Monate Bettruhe und sagte, wenn er vorher arbeiten geht, könne er sich fürs ganze Leben zum Krüppel machen.

Drei Tage danach gab es einen weiteren schweren Blizzard, und Jonas, Marija, Ona und der kleine Stanislovas machten sich eine Stunde vor Tagesanbruch gemeinsam auf den Weg und versuchten, sich zu den Yards durchzukämpfen. Gegen Mittag kamen Ona und Stanislovas zurück. Der Junge schrie vor Schmerzen; er schien sich sämtliche Finger erfroren zu haben. Die beiden hatten unterwegs aufgeben müssen, waren beinahe in einer Schneewehe umgekommen. Sie wußten sich nicht anders zu helfen, als die erfrorenen Finger ans Feuer zu halten, und das tat Stanislovas so weh, daß er stundenlang von einem Bein aufs andere hüpfte, bis Jurgis schließlich aus der Haut fuhr, irrsinnig zu fluchen anfing und erklärte, wenn er nicht aufhört, bringe er ihn um. Den ganzen Tag und die Nacht über war die Familie außer sich vor Angst, daß Ona und Stanislovas ihre Stellen losgeworden sein könnten, und am Morgen brachen sie noch früher auf, nachdem Jurgis den Jungen mit einem Stock verprügelt hatte. In so einem Fall konnte nicht gefackelt werden, denn es ging um die Existenz, und von dem kleinen Stanislovas war nicht die Einsicht zu erwarten, daß es immer noch besser sei, sich im Schnee Erfrierungen zu holen, als wenn er seinen Platz an der Schmalzmaschine verlor. Ona war überzeugt, ihre Arbeit eingebüßt zu haben, doch als sie dann, schon ganz entmutigt, bei Brown ankam, stellte sich heraus, daß die Aufseherin gestern selber nicht erschienen war und daher Milde walten lassen mußte.

Dieser Zwischenfall hatte zur Folge, daß dem Jungen an drei Fingern die ersten Glieder lebenslang steif blieben und daß er hinfort bei Schneefall immer erst verwamst werden mußte, weil er sich anders nicht dazu bringen ließ, zur Arbeit zu gehen. Das Verwamsen hatte Jurgis zu besorgen, und da ihm dabei sein Fuß weh tat, schlug er erst recht zu; aber sanfter wurde seine Stimmung dadurch auch nicht. Es heißt, der beste Hund werde bösartig, wenn er ständig an der Kette liegen muß, und so war es auch mit Jurgis; er hatte den lieben langen Tag nichts weiter zu tun, als dazuliegen und sein Los zu verfluchen, und es gab Zeiten, da wollte er einfach alles verfluchen.

Doch hielten die nie sehr lange an, denn wenn Ona zu weinen anfing, konnte Jurgis nicht zornig bleiben. Der arme Kerl sah wie ein aus einem Spukschloß vertriebenes Gespenst aus mit seinen eingefallenen Wangen und den langen schwarzen Haaren, die ihm bis in die Augen hingen; er war zu niedergeschlagen, sie zu schneiden oder überhaupt auf sein Äußeres zu achten. Seine Muskeln schwanden dahin; was ihm an Fleisch auf den Knochen blieb, war weich und schlaff. Er aß schlecht, und für Leckerbissen, die seinen Appetit angeregt hätten, hatten sie kein Geld. Ganz gut, wenn er nichts esse, sagte er, dann könnten sie sparen. Ende März war ihm Onas Sparbuch in die Hände gefallen, und er hatte gesehen, daß alles, was sie noch besaßen, drei Dollar waren.

Aber der wohl härteste Schlag als Folge dieser langen, zermürbenden Zeit war, daß sie ein weiteres Familienmitglied verloren: Bruder Jonas verschwand. Eines Samstagabends kam er nicht nach Hause, und all ihre Bemühungen, ihn aufzuspüren, blieben erfolglos. Sein Aufseher bei Durham erklärte, er habe seinen Lohn abgeholt und gekündigt. Das mußte nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen, denn manchmal sagten sie das auch, wenn es einen tödlichen Unfall gegeben hatte; es war für alle Beteiligten der einfachste Weg, sich aus der Affäre zu ziehen. War zum Beispiel ein Arbeiter in einen der großen Kessel gefallen und zu Feinschmalz oder Super-Doppeldünger zerkocht worden, was hätte es da für einen Sinn gehabt, das an die Öffentlichkeit dringen zu lassen und seine Familie unglücklich zu machen? Weit eher war anzunehmen, daß Jonas sie verlassen hatte, um sein Glück auf der Landstraße zu versuchen. Unzufrieden war er schon seit langem gewesen, und das nicht ohne Grund. Er zahlte reichlich Kostgeld und mußte doch in einer Familie leben, in der niemand satt wurde. Und Marija schoß stets ihr ganzes Geld zu, so daß er natürlich immer das Gefühl hatte, man erwarte das von ihm ebenfalls. Dann ewig die plärrenden Bälger, und wo man auch hinsah, überall nur Dürftigkeit, Not und Elend – um das alles ohne Murren auszuhalten, mußte man schon etwas von einem Helden haben. Aber Jonas war ganz und gar kein Held, sondern einfach ein wettergegerbter alter Bursche, der nach der Arbeit gern sein gutes Essen hatte und dann vorm Schlafengehen in der Ofenecke sitzen wollte, um in Ruhe ein Pfeifchen zu schmauchen. Hier gab es gar keinen Ofen, und am Küchenherd war es den Winter hindurch selten warm genug, um gemütlich zu sein. Was war also wahrscheinlicher, als daß er den abenteuerlichen Gedanken gefaßt hatte, im Frühling auszubrechen? Zwei Jahre lang war er in Durhams dunklen Kellern wie ein Pferd an einen eine halbe Tonne schweren Karren angeschirrt gewesen, hatte nie ausspannen können, abgesehen von sonntags und den vier Feiertagen im Jahr, und nie ein Wort des Dankes erhalten – nur Fußtritte, Püffe und Flüche, wie sie sich kein anständiger Hund hätte gefallen lassen. Und jetzt war der Winter vorbei, die Frühlingswinde wehten, und in einem Tagesmarsch konnte man den Rauch von Packingtown für immer hinter sich gelassen haben und dort sein, wo das Gras grün war und die Blumen in allen Farben des Regenbogens leuchteten.

Aber nun war das Einkommen der Familie um mehr als ein Drittel geschrumpft, der Essensbedarf jedoch nur um ein Elftel, so daß sie schlimmer dran waren denn je. Außerdem liehen sie sich Geld von Marija, verzehrten also deren Sparkonto und machten ihre Hoffnungen auf Heirat und Glücklichsein wieder einmal zunichte. Ja sie verschuldeten sogar bei Tamoszius Kuszleika und ließen ihn allmählich verarmen. Tamoszius hatte keine Verwandten zu unterstützen, und mit seiner wundervollen Begabung hätte er eigentlich genügend Geld zusammenbringen und gut vorankommen müssen; aber er war in Liebe entbrannt und hatte sich damit dem Schicksal ausgeliefert, mit ins Unglück gezogen zu werden.

Sie beschlossen, noch zwei der Kinder von der Schule zu nehmen. Nach Stanislovas, der jetzt fünfzehn war, kam ein Mädchen, die zwei Jahre jüngere Kotrina, und dann folgten zwei Jungen, der elfjährige Vilimas und der zehnjährige Nikalojus. Beide waren aufgeweckte Burschen, und warum sollte ihre Familie darben, wenn Zehntausende von Kindern, die nicht älter waren als sie, ihren Lebensunterhalt selbst verdienten? So bekamen sie eines Morgens jeder einen Vierteldollar und eine Wurstsemmel in die Hand gedrückt und wurden, den Kopf mit guten Ratschlägen vollgestopft, in die City geschickt, um dort Zeitungen verkaufen zu lernen. In Tränen aufgelöst kamen sie am späten Abend nach Hause, nachdem sie die fünf oder sechs Meilen zu Fuß zurückgelegt hatten, und berichteten, ein Mann habe ihnen angeboten, sie dorthin zu bringen, wo es die Zeitungen gibt, sich von ihnen das Geld geben lassen, sei dann in einen Laden gegangen, um sie zu holen – und nie wiedergekommen. Sie erhielten dafür eine Tracht Prügel und wurden am nächsten Tag erneut losgeschickt. Diesmal fanden sie die Verkaufsstelle und besorgten sich ihren Vorrat, und nachdem sie bis fast mittags herumgelaufen und jedem, den sie sahen, »Zeitung?« zugerufen hatten, nahm ihnen ein erwachsener Zeitungsverkäufer, in dessen Revier sie eingedrungen waren, den ganzen Packen weg und verdrosch sie obendrein. Zum Glück hatten sie bereits ein paar Zeitungen verkauft, und so kamen sie wenigstens mit beinahe soviel Geld heim, wie ihnen mitgegeben worden war.

Nach einer Woche ähnlicher Mißgeschicke lernten die beiden Knirpse allmählich ihr Gewerbe: wie die verschiedenen Zeitungen hießen, wie viele Exemplare sie von jeder brauchten, welche sie welchen Leuten anbieten mußten und wo man am besten hinging und wo besser nicht. Jetzt brachten sie, wenn sie früh um vier das Haus verlassen hatten und erst mit Morgenzeitungen und dann mit Abendblättern durch die Straßen gezogen waren, spätabends jeder zwanzig bis dreißig, vielleicht auch mal vierzig Cent heim. Davon ging noch ihr Fahrgeld ab, denn zum Laufen war der Weg zu weit. Aber nach einer Weile machten sie die Bekanntschaft anderer Zeitungsjungen und lernten manches dazu, zum Beispiel ohne Billett zu fahren. Sie stiegen ein, wenn der Schaffner nicht hinschaute, und verkrochen sich in der Menge; in drei von vier Fällen fragte er sie nicht nach dem Fahrschein, weil er sie entweder nicht bemerkte oder annahm, sie hätten schon bezahlt. Fragte er sie aber doch, durchwühlten sie ihre Taschen und fingen schließlich an zu weinen, worauf hin meist irgendeine gütige alte Dame für sie bezahlte; wenn nicht, versuchten sie den Trick noch mal in einer anderen Bahn. Sie empfanden das nicht als etwas Unrechtes. Was konnten denn sie dafür, wenn die Wagen während des Berufsverkehrs so überfüllt waren, daß die Schaffner mit dem Kassieren gar nicht durchkamen? Und außerdem sagten die Leute ja, die Straßenbahngesellschaften wären selber unehrlich und hätten sich ihre Streckengenehmigungen mit Hilfe korrupter Politiker unter den Nagel gerissen.

 


Jetzt, da der Winter vorbei war, keine weiteren Schneestürme drohten, keine Kohlen mehr gekauft werden mußten und ein zweiter Raum warm genug war, um die Kinder dort hineinzuverfrachten, wenn sie laut wurden, ließ Jurgis’ Reizbarkeit spürbar nach. Der Mensch vermag sich mit der Zeit an alles zu gewöhnen, und Jurgis hatte sich daran gewöhnt, zu Hause herumzuliegen. Ona erkannte das und war sehr darauf bedacht, seinen Seelenfrieden nicht dadurch zu zerstören, daß sie ihn wissen ließ, wie schlecht es um ihre Gesundheit bestellt war. Bei dem häufigen Frühjahrsregen jetzt mußte sie oft, so teuer es auch war, mit der Bahn zur Arbeit fahren; sie wurde von Tag zu Tag blasser, und ungeachtet ihrer guten Vorsätze tat es ihr zuweilen weh, daß Jurgis das nicht bemerkte. Sie fragte sich, ob er für sie überhaupt noch so viel empfinde wie früher, ob all dieses Elend seine Liebe nicht zermürbt habe. Sie konnte ja die meiste Zeit nicht mit ihm zusammen sein, mußte mit ihren Sorgen allein fertig werden, so wie er mit den seinen; kam sie nach Hause, war sie völlig erschöpft, und wenn sie sich dann unterhielten, ging es immer nur um ihre bedrückende finanzielle Situation – bei einem solchen Leben war es wirklich schwer, Gefühle wachzuhalten. Manchmal stieg in Ona Schmerz darüber auf; in der Nacht schlang sie dann plötzlich die Arme um ihren großen, starken Mann, brach in leidenschaftliches Schluchzen aus und fragte ihn, ob er sie auch wirklich liebe. Der arme Jurgis, der unter dem ständigen Druck der Not tatsächlich etwas nüchterner geworden war, wußte das nicht zu deuten und konnte nur versuchen, sich zu erinnern, wann er das letzte Mal unbeherrscht gewesen war. Ona mußte ihm dann vergeben, und danach weinte sie sich in den Schlaf.

Ende April ging Jurgis zum Arzt, bekam dort eine Bandage für seinen Knöchel und durfte wieder arbeiten. Dazu gehörte jedoch mehr als die ärztliche Erlaubnis, denn als er in der Schlachthalle von Brown erschien, eröffnete ihm der Meister, man habe ihm seine Stelle nicht freihalten können. Er begriff: Der Meister hatte wen anders gefunden, der die Arbeit genauso gut machte, und wollte jetzt nicht wieder umbesetzen. Jurgis stand im Eingang, blickte traurig zu seinen werkenden Kollegen hinüber und kam sich wie ausgestoßen vor. Dann ging er hinaus und reihte sich in die Schar der Arbeitsuchenden am Tor ein.

Diesmal aber hatte Jurgis nicht mehr so viel festes Selbstvertrauen wie damals und auch nicht mehr so viel Grund dazu. Er war nicht mehr der stattlichste Mann in der Menge, und die Meister rissen sich nicht mehr um ihn; hager geworden und schäbig gekleidet, machte er einen erbärmlichen Eindruck. Und es gab Hunderte, die ebenso aussahen, denen ebenso zumute war wie ihm und die schon seit Monaten in Packingtown um Arbeit bettelten. In Jurgis’ Leben war das eine kritische Zeit, und wäre er ein schwächerer Charakter gewesen, hätte er denselben Weg genommen wie die anderen. Diese armen Teufel von Arbeitslosen standen jeden Morgen vor der Fabrik herum, bis die Polizei sie vertrieb, und dann verliefen sie sich in die Lokale. Sehr wenige von ihnen hatten die Nerven, sich den barschen Abweisungen auszusetzen, mit denen sie rechnen mußten, wenn sie versuchten, in die Fabriken hineinzugelangen und persönlich mit den Aufsehern zu sprechen; hatten sie morgens kein Glück, blieb ihnen nichts weiter zu tun, als den Rest des Tages und den Abend über in den Kneipen herumzulungern. Jurgis wurde davor bewahrt – zum Teil sicherlich auch durch den Umstand, daß das Wetter angenehm war und keine Notwendigkeit bestand, sich drinnen aufzuhalten, aber hauptsächlich doch weil er immer das traurige kleine Gesicht seiner Frau vor Augen hatte. Ich muß unbedingt Arbeit finden! sagte er sich und kämpfte unablässig gegen das Verzweifeln an. Ich muß wieder eine Stelle haben und ein bißchen Spargeld, ehe der nächste Winter kommt!

Aber es gab keine Arbeit für ihn. Er suchte all seine Kameraden von der Gewerkschaft auf – selbst in dieser schweren Zeit war er nicht ausgetreten – und bat sie, ein Wort für ihn einzulegen. Er ging alle, die er kannte, um eine Chance an, dort bei ihnen oder anderswo. Von morgens bis abends lief er durch die Yards, von Fabrik zu Fabrik, von Firma zu Firma, und als er schon in jedem Gebäude, in jeder Halle, wo er hinein konnte, gewesen war und überall gesagt bekommen hatte, man habe keine offene Stellen, redete er sich ein, vielleicht sei inzwischen dort, wo er es zuerst versucht hatte, etwas frei geworden, und so begann er die Runde wieder von vorn, bis die Wachmänner und Werkpolizisten sein Gesicht schon kannten und ihn unter Drohungen hinauswarfen. So blieb auch ihm am Ende nur, morgens mit den vielen anderen zu warten, sich in der vordersten Reihe zu halten, einen alerten Eindruck zu machen und dann, wenn es wieder nichts geworden war, nach Hause zu gehen und mit der kleinen Kotrina und dem Baby zu spielen.

Besonders bitter für Jurgis war, daß er so klar erkannte, woran das alles lag. Als er herkam, hatte er frisch und kräftig ausgesehen und deshalb gleich am ersten Tag Arbeit erhalten; jetzt aber wirkte er bereits abgenutzt, war sozusagen Gebrauchtware, und da wollten sie ihn nicht mehr. Sie hatten das Beste aus ihm herausgeholt – hatten ihn mit ihrem Tempovorlegen und ihrer Rücksichtslosigkeit verschlissen und dann auf den Schrotthaufen geworfen. Jurgis lernte andere Arbeitslose kennen und erfuhr, daß es denen allen genauso ergangen war. Natürlich befanden sich auch Zugewanderte darunter, aber die waren vorm Herkommen schon anderswo in ähnlichen Mühlen zermahlen worden; und ein paar standen auch aus eigener Schuld auf der Straße – manche hatten es zum Beispiel nicht geschafft, die Schinderei ohne Alkohol durchzuhalten. Bei der Mehrzahl jedoch handelte es sich schlicht um abgenutzte Teile der großen erbarmungslosen Yard-Maschine; sie hatten dort geschuftet, zehn oder zwanzig Jahre lang, bis die Zeit gekommen war, da sie das verlangte Tempo nicht mehr durchstehen konnten. Manchen war unverblümt gesagt worden, sie wären zu alt, es müsse jemand Fixeres her; bei anderen hatte ein Versehen oder ein kleiner Fehler ihrerseits den Anlaß gegeben, bei den meisten aber war es genauso gewesen wie bei Jurgis. Schon so lange überarbeitet und unterernährt, waren sie schließlich von irgendeiner Krankheit niedergeworfen worden, oder sie hatten sich geschnitten und sich eine Blutvergiftung zugezogen, oder es war ihnen ein anderer Unfall zugestoßen. Kam der Arbeiter danach zurück, hing es einzig und allein vom Wohlwollen des Meisters ab, ob er seine Stelle wiedererhielt. Eine Ausnahme davon gab es nur, wenn die Firma für den Unfall haftpflichtig war; da schickten sie einen wortgewandten Anwalt zu dem Verunglückten, der ihn zum Unterschreiben einer Verzichterklärung auf jegliche Ansprüche zu beschwatzen suchte und, wenn der Mann nicht dumm genug war, das zu tun, mit der Zusicherung nachhalf, man würde ihm und seinen Angehörigen immer Arbeit geben. Und sie hielten dieses Versprechen auch getreulich ein – ganze zwei Jahre lang. Dann war nämlich die Verjährungsfrist abgelaufen, nach der das Opfer nichts mehr einklagen konnte.

Was aus einem Arbeiter nach so einer Sache wurde, hing von den jeweiligen Umständen ab. Gehörte er zur Schicht der hochqualifizierten Facharbeiter, hatte er wahrscheinlich genug Rücklagen, um sich über Wasser zu halten. Die bestbezahlten Leute, die »Spalter«, verdienten fünfzig Cent die Stunde, was in der Hochsaison fünf bis sechs und in der Flautezeit einen bis zwei Dollar am Tag ergab; davon konnte man leben und auch noch was auf die hohe Kante legen. Aber Spalter gab es in jeder Firma nur ein halbes Dutzend; Jurgis kannte einen, der hatte zweiundzwanzig Kinder, und die wollten natürlich alle einmal dasselbe werden wie ihr Vater. Bei einem Hilfsarbeiter, der in der guten Zeit zehn und in der schlechten fünf Dollar wöchentlich verdiente, kam es darauf an, wie alt er war und für wie viele Personen er zu sorgen hatte. Ein Junggeselle konnte davon noch sparen, wenn er nicht trank und egoistisch genug war, niemanden zu unterstützen – weder seine alten Eltern noch seine jüngeren Geschwister oder sonstige Verwandte, weder seine Gewerkschaftskameraden noch seine Freunde oder die Leute nebenan, die vielleicht am Verhungern waren.