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Berlin, 19. Juni
»Wir benötigen ein Lebenszeichen, Herr Kayibanda.« Sven Wiese spürte den Impuls, das Telefonat zu beenden. Sie kamen mit diesem Mann nicht weiter. »Woher sollen wir wissen, dass die Geiseln leben? Wo befinden sich die Geiseln, und in welchem Zustand sind sie?«
Er saß in seinem Arbeitszimmer und telefonierte mit dem angeblichen Präsidenten der ALR. Der Mann hatte sich wieder bei ihm gemeldet.
»Ach, Herr Wiese, Sie sind so ungeduldig«, scherzte Kayibanda. »Dabei haben wir doch so viel Zeit. Und im Grunde sind wir uns doch einig darüber, dass es Ihnen in erster Linie um Andrea von Schellenburg geht, nicht wahr?« Der Mann am anderen Ende der Leitung lachte leise.
»Das sehen Sie vollkommen falsch. Für uns sind selbstverständlich alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig.«
Natürlich hatte Kayibanda Recht: Wenn Andrea von Schellenburg etwas zustoßen sollte, dann wäre das mediale Echo erheblich größer, als wenn einem Schreiner aus Erfurt etwas geschah. Allerdings würde Wiese sich hüten, das irgendjemandem zu sagen. Kayibanda lachte wieder.
»Ich verstehe Sie voll und ganz«, sagte er. »Sie müssen das sagen. Ich kenne die Verfassung Ihres Landes sehr gut. Genauso, wie ich mich umfassend mit allen legislativen, judikativen und exekutiven Aspekten Ihres Landes befasst habe und recht gut im Bilde bin.«
»Herr Kayibanda, ich wiederhole mich ungern. Ohne ein Lebenszeichen der Geiseln wird es keine weiteren Verhandlungen geben.«
»Fragen Sie Herrn von Schellenburg nach seinen besten Freunden aus Studienzeiten. Sie werden erstaunt sein, ihn die Namen Stefan, Georg und Hans aussprechen zu hören. Das sollte als Lebenszeichen von seiner Tochter reichen.«
Wiese war einen Moment lang baff. Hatte der Ruander diese Namen schon die ganze Zeit gewusst? Und welchen Wert hatte diese Information, wenn sich herausstellen sollte, dass er die Wahrheit sprach? War der Hans etwa Hans Meyer, dessen Villa sie durchsucht hatten? Wenn dem so war, dann hatten die Namen keinen Wert, solange nicht klar war, welche Rolle er in der Geiselnahme spielte. Sollte er an der Organisation und Durchführung beteiligt gewesen sein, dann wusste er durch seine Recherchen über die von Schellenburgs so viel, dass er vermutlich jede der Proof-Of-Life-Fragen mit Leichtigkeit hätte beantworten können. Dabei waren die POL-Fragen ein elementarer Bestandteil seiner Arbeit. Ihm blieb nichts anderes übrig, als darauf weiter aufzubauen, bis sie etwas Besseres in der Hand hielten.
»Ich werde ihn fragen. Allerdings verstehen Sie sicher, dass ich mich damit nicht zufrieden geben kann. Wir wollen auch von den anderen Geiseln wissen, ob sie leben. Also werden sie sie alle nach den Namen der Großmütter mütterlicherseits fragen.«
Und wieder lachte der Mann am Telefon.
»Ach, Ihr Deutschen. Ihr hängt alle sehr an euren Müttern und Großmüttern, nicht wahr?«
Er schien sich köstlich zu amüsieren. Doch dann wurde er plötzlich ernst: »Sie glauben doch nicht etwa, dass das hier alles nur ein Spiel für mich ist, oder? Hören Sie zu – und es ist mir sehr ernst damit: Sie werden noch heute mit dem Generalbundesanwalt über die Möglichkeit sprechen, das Verfahren gegen mich auszusetzen. Sollte das nicht geschehen, dann werden Sie keine Möglichkeit mehr haben, Fragen an unsere Gäste zu stellen. Ist das klar?«
Wiese lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Er atmete unhörbar durch und antwortete gleichmütig: »Herr Kayibanda, dies war zu keiner Zeit ein Spiel.«
»Gut, dann haben wir uns ja verstanden.« Es klickte in der Leitung, und das Gespräch war beendet.
»Verdammt«, fluchte Wiese. Dann erhob er sich aus seinem Schreibtischstuhl, griff nach dem Sakko und marschierte in den Konferenzraum am Ende des Flures, wo das gesamte Team des Krisenstabs bereits versammelt war. Die anderen sahen ihn erwartungsvoll an, als er sich auf seinen Stuhl setzte.
»Herr von Schellenburg«, setzte Wiese an, »sagen Ihnen die Namen Stefan, Georg und Hans etwas?«
Der höchste Staatsanwalt der Bundesrepublik wurde blass um die Nase. Dann hatte die Information also doch etwas zu bedeuten. Wiese sah den Mann konzentriert an und hatte immer noch keinen blassen Schimmer, wie der Generalbundesanwalt mit Hans Meyer und mit Idi Amin zusammenzubringen war.
»Herr Kayibanda hat gerade am Telefon behauptet, dies seien die Namen Ihrer besten Freunde. Und diese Information käme von Ihrer Tochter.«
Johannes von Schellenburg öffnete den Mund, doch keine Silbe kam über seine Lippen. Langsam erhob er sich, nahm seinen Mantel von der Rückenlehne des Stuhls und wandte sich der schweren Stahltür zu.
»Bevor sie gehen: Sagen Sie uns doch bitte wenigstens, ob dies der Wahrheit entspricht«, forderte Wiese ihn in scharfem Ton auf. »Das ist dringend nötig, um sicher zu gehen, dass Ihre Tochter lebt.«
Von Schellenburg drehte sich zögerlich um, blickte Wiese an und sagte: »Diese drei Herren waren einmal meine besten Freunde. Das ist lange her. Aber meine Tochter kennt diese Namen nicht.« Die beiden Männer sahen sich schweigend an, dann nickte Wiese und von Schellenburg verließ den Raum.
»Was war das denn?«, flüsterte Anja Paffrath ihrem Chef zu.
»Wir haben jetzt ein paar neue Informationen«, antwortete Wiese ebenso leise. »Erstens kennen wir nun den Namen des vierten Mannes auf dem Foto, das in Afrika entstanden ist. Er heißt Stefan. Zweitens wird hier gerade ein Spiel gespielt, das an uns vorbeigehen soll. Von Schellenburg hat offenbar soeben eine Information erhalten, die wir noch entschlüsseln müssen. Offenbar sind die Namen der Freunde viel mehr als ein Lebensbeweis von Andrea von Schellenburg. Irgendeine Information ist dem Generalbundesanwalt gerade zugespielt worden. Und die hat etwas mit den Namen zu tun. Wir müssen also umgehend herausbekommen, was mit den anderen Männern auf dem Foto ist. Und wir müssen von Schellenburg im Blick behalten.«
»Sie wollen den Generalbundesanwalt observieren lassen?« Die junge Frau sah Wiese fassungslos an.
»Das muss so unauffällig wie möglich über die Bühne gehen.«
»Okay«, sagte Paffrath, während sie aufstand. »Ich klemme mich hinter die Namen und sorge für die Überwachung.«
»Danke.«
Die anderen im Raum hatten das leise Gespräch zwischen den beiden nicht verstanden und sahen Wiese nun fragend an. Der ignorierte ihren Wunsch, sortierte einen Moment lang seine Unterlagen und hob dann den Kopf, um Klaus Huber herauszufordern.
»Herr Huber, wollen wir nicht anfangen?«, fragte er provokant.
»Ich dachte, Sie hätten uns noch etwas mitzuteilen ...«
Hubers Stimme hallte einen kurzen Moment nach, bevor Stille eintrat.
»Was genau möchten Sie wissen?«, fragte Wiese, ohne den Blick von dem Staatssekretär abzuwenden.
»Nun, Sie haben offenbar gerade mit Herrn Kayibanda telefoniert. Was hat er gesagt?«
»Wie Sie schon gehört haben, hat er sich zu einer Information hinreißen lassen. Und der Herr Generalbundesanwalt hat die Namen bestätigt.«
»Aber seine Tochter kennt die Namen nicht. Was kann das bedeuten?«
»Das sagt uns, dass diese Information von Herrn Kayibanda vollkommen wertlos ist.« Wiese griff zu einer Thermoskanne und schenkte sich Kaffee ein.
»Nicht ganz«, beharrte Huber. »Wenn Andrea von Schellenburg die Männer nicht kannte – woher wusste dann Herr Kayibanda ihre Namen?« Der Staatssekretär erhob sich nervös von seinem Stuhl, zog ein Taschentuch aus der Hose und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Hans Meyer wird sie ihm gesagt haben.«
»Damit hätten wir also ein Lebenszeichen von Meyer. Das ist zumindest ein kleiner Hoffnungsschimmer«, entgegnete Huber, während er gemessenen Schrittes eine Runde um den großen Konferenztisch zog.
»Ich habe ihm gesagt, dass er alle Geiseln nach den Mädchennamen ihrer Mütter fragen soll.«
»Gut. Bis wann können wir mit einer Antwort rechnen?«, erkundigte sich Huber und blieb drohend am gegenüberliegenden Ende des Raumes stehen. »Sie haben ihm sicherlich eine Frist gesetzt, oder?« Er sah Wiese scharf an.
»Dazu hat er sich nicht geäußert«, antwortete der. »Er hat das Gespräch abrupt beendet.«
»Alles in allem können wir also zusammenfassend sagen, dass wir nicht vorankommen.« Huber ging zu seinem Platz zurück und setzte sich genervt auf seinen Stuhl.
In der hinteren Ecke steckten der Mitarbeiter des BND und ein Beamter des Auswärtigen Amts die Köpfe zusammen und blickten auf den Bildschirm eines Laptops, das zwischen den leeren Kaffeebechern, fleckigen Thermoskannen und einem vollen Aschenbecher kaum Platz zu finden schien. Sie diskutierten leise, bis der BND-Kollege die Aufmerksamkeit der anderen Anwesenden auf sich zog.
»Hier ist eine Meldung bei Bild Online«, sagte er mit belegter Stimme. »Deutsche Reisegruppe in Uganda entführt. Es werden keine Namen genannt, aber sie vermuten eine politische Verbindung hinter der Entführung.«
Wiese sprang von seinem Stuhl auf und umrundete den Tisch so schnell er konnte. Tatsächlich. Irgendjemand musste geplaudert haben. Sie hatten doch absolute Geheimhaltung vereinbart, und normalerweise war das in einer so brisanten Situation auch selbstverständlich.
»Wer hat den Artikel geschrieben?«, fragte er.
»Sebastian Teichel«, sagte der BND-Mitarbeiter.
»Noch nie gehört«, warf der Beamte des Auswärtigen Amts mürrisch ein.
Wiese kannte den Namen irgendwo her. Wer war der Kerl? Dann fiel es ihm ein: der Journalist vor Hans Meyers Haus. Aber woher hatte er die Information?
»Suchen Sie mir die Telefonnummer des Schreiberlings raus«, sagte Wiese zu dem Beamten des Auswärtigen Amtes. Der schaute ihn irritiert an.
»Ich glaube nicht, dass das in meinen Verantwortungsbereich fällt ...«
Wiese stöhnte auf, ging an seinen Platz zurück, klappte den dort liegenden Laptop auf und begann zu suchen. Innerhalb weniger Minuten hatte er Teichels Nummer gefunden und rief ihn sofort an.
»Wer hat Ihnen denn den Bären von der Geiselnahme aufgebunden?«, flötete Wiese ins Telefon, nachdem er sich knapp vorgestellt hatte.
Sebastian Teichel lachte. »Na, wenn Sie mich anrufen, dann nehme ich das als Kompliment für meinen guten Spürsinn. Wie ist denn der Stand der Dinge?«
»Wer hat Sie informiert?«, blaffte Wiese nun mit scharfem Ton. »Und kommen Sie mir nicht mit dem Schutz Ihrer Quellen. Das ist kein Spiel, das hier ist bitterer Ernst.«
»Wie Sie schon vermuten, kann ich Ihnen den Namen nicht preisgeben«, gab Teichel kühl zurück. »Allerdings war der Informant nicht besonders zurückhaltend und hat mir weiteres brisantes Material für heute angekündigt.«
»Sie behindern mit Ihrer Arbeit massiv unsere Ermittlungsarbeit«, zischte Wiese.
»Und ich mache Sie darauf aufmerksam, dass hier Menschenleben auf dem Spiel stehen.«
»Wer sind die Geiseln?«, wollte der Redakteur wissen. »Wenn Sie mir die Namen nennen, dann sage ich Ihnen vielleicht auch einen Namen.«
Wiese überlegte einen kurzen Moment. Dann war sein Entschluss gefallen: »Gut, ich gebe Ihnen die Namen, und Sie sagen mir, wer Sie informiert hat.«
Huber sprang entsetzt von seinem Stuhl auf. Er wedelte wild mit den Armen, um Wiese von seinem Vorhaben abzubringen.
»Das ist ein Deal. Ich höre und schreibe mit.«
Huber ließ sich auf seinen Stuhl fallen und raufte sich die Haare. Wiese gab dem Journalisten die Namen der Geiseln, abgesehen von zweien: Andrea und Hans.
»Sieben Geiseln? Mein Informant sprach von neun. Welche Namen halten Sie zurück?«
»Ich habe Ihnen gesagt, was ich weiß.«
»Und ich glaube Ihnen kein Wort. Dafür kann ich Ihnen den Namen meines Informanten nicht geben. Ich kann Ihnen jedoch eines verraten: Er kommt aus ihren Reihen. Direkt aus dem Krisenstab.«
Wiese blickte entsetzt in die Runde. Vor ihm saßen die Mitglieder eben jenes Gremiums und hielten die Luft an. Sie beobachteten jedes Mienenspiel von ihm, konnten jedoch die Worte des Journalisten am anderen Ende der Leitung nicht hören.
»Also ist es ein Mann?«, fragte Wiese trocken.
»Das sagen Sie. Für mich sind Informanten geschlechtslos ...«
»Wissen Sie eigentlich, in welch prekärer Lage wir uns befinden?«, fauchte Wiese den Journalisten an. »Die Menschen, deren Namen ich Ihnen genannt habe, können sterben, wenn Sie sich weiter so unkooperativ und verantwortungslos verhalten.«
»Ich mache nur meine Arbeit, mehr nicht ...«
»Ach, lecken Sie mich doch am Arsch!«, raunte Wiese in sein Telefon und legte auf.
Als er den Kopf hob, sah er in das irritierte Gesicht seiner Mitarbeiterin Anja Paffrath. Für einen Moment fragte er sich, ob sie der Maulwurf sein konnte. Sofort verwarf er den Gedanken als völlig absurd.
»Ich habe den Namen des vierten Mannes auf dem Foto«, sagte sie. »Wir haben also Hans Meyer und seinen Bruder Georg Meyer. Dann den Generalbundesanwalt. Und der letzte ist Stefan Luhrmann.«
»Dann sorgen Sie dafür, dass die beiden, dieser Bruder und der Luhrmann, so schnell wie möglich hier auf der Matte stehen.« Er stürzte seinen Kaffee herunter, der mittlerweile nur noch lauwarm war.
»Das ist leider nicht möglich«, sagte seine Mitarbeiterin bestimmt.
»Warum nicht?« Wiese stellte seine Tasse mit Schwung auf den Tisch.
»Georg Meyer ist Wissenschaftler, Biologe. Im Moment ist er in Uganda und erforscht das Leben der Berggorillas an der Grenze zu Ruanda.«
»Scheiße. Und der andere?«
»Der war ebenfalls Biologe. Und auch er war in Uganda. In derselben Forschungsstation«, sagte die Kollegin und machte eine bedeutungsvolle Pause. »Allerdings ist er verschollen und wurde vor drei Jahren für tot erklärt, weil man keine Nachricht mehr von ihm bekommen hat.«
»So ein Dreck«, schimpfte Wiese.
»Die vier sind damals zusammen nach Afrika gegangen. Die beiden Meyers, der Luhrmann und unser Freiherr.« Paffrath legte die Fotografie vor ihm auf den Tisch. »Mehr habe ich bislang nicht herausbekommen können«, fügte sie noch hinzu.
»Gute Arbeit, danke!« Wiese wusste, was er an seiner Referentin hatte. Wie hatte er sie auch nur eine Sekunde verdächtigen können? Die anderen wandten sich wieder ihrer Arbeit zu. Wiese erzählte seiner Kollegin knapp von dem Journalisten, als ihm etwas einfiel.
»Wohin ist denn von Schellenburg gefahren?«, wollte er leise von ihr wissen.
»Der ist auf der Autobahn nach Hamburg.« Paffrath lächelte, wohl, weil sie wusste, dass sie damit den Trumpf ausgespielt hatte.
»Nach Hamburg?« Wiese sprang auf . »Der wird doch nicht etwa auf eigene Faust mit Kayibanda sprechen wollen?«
Huber sah ihn erstaunt an.
»Sieht ganz danach aus ...«
»Dann müssen wir jetzt schleunigst handeln.«
»Könnte er der Informant sein?«, fragte sie gedämpft.
»Nein, welches Interesse sollte er daran haben?« Wiese überlegte. Dann schaute er erstaunt auf. »Kiguli war heute gar nicht da. Wollte er nicht eine Rückmeldung seiner Regierung mitbringen, ob wir auf ihrem Territorium agieren dürfen?« Er blickte nervös in die Runde.
Anja Paffrath zuckte mit den Schultern.
Wiese richtete sich an die Kollegen im Raum: »Wo ist der ugandische Botschafter?«
»Herr Kiguli lässt sich entschuldigen, da er persönlich mit dem Inhaftierten in Hamburg sprechen wollte«, sagte Huber.
Wiese sog hörbar die Luft ein, warf einen Bestätigung suchenden Blick zu seiner Kollegin hinüber und sagte: »Ich bin sicher: Kiguli ist der Informant, der mit dem Redakteur gesprochen hat«, meinte Wiese. »Welches Interesse kann er daran haben, diese Geiselnahme öffentlich zu machen?«
Schweigen breitete sich im Raum aus.
Dann führte Wiese seinen Gedanken weiter: »Er will uns unter Druck setzen und wird weitere Informationen an die Presse herausgeben, wenn wir nicht auf die Forderungen der Geiselnehmer eingehen. Er muss mit denen unter einer Decke stecken.«
Klaus Huber erhob sich umständlich aus seinem Sessel. »Ich muss doch sehr bitten. Herr Kiguli ist der offizielle Vertreter der Republik Uganda. Ich kann nicht zulassen, dass Sie diese Worte so im Raum stehen lassen.«
»Wir sollten sofort die Möglichkeit eines Zugriffs von kongo-lesischer Seite prüfen.« Wiese ignorierte Huber so gut es ging, als er den Kollegen der Bundespolizei ansprach: »Wie sieht es von der Seite aus?«
»Kinshasa hat grünes Licht gegeben«, sagte der Angesprochene.
»Dann soll die GSG 9 sofort losfliegen.« Ohne weitere Reaktionen abzuwarten verließ Wiese den Raum.
Huber kam ihm wutschnaubend nach. »Was fällt Ihnen ein, mich so zu übergehen?«
Wiese wirbelte herum. »Was schlagen Sie denn vor?«
»Wir sollten Herrn Kayibanda in die Mangel nehmen«, zischte Huber.
»Vergessen Sie es. Aus dem ist nichts rauszukriegen. Der Mann hat vielleicht die Fäden in der Hand, aber wie mir Ihr Minister schon am Telefon sagte: Der deutsche Staat lässt sich nicht erpressen.«
Wiese ließ den verdutzten Mann auf dem Flur stehen, eilte in sein Arbeitszimmer und knallte die schwere Tür hinter sich zu.
Anja Paffrath folgte ihm kurz darauf und setzte sich auf die andere Seite des Schreibtisches auf einen Stuhl. Die beiden sahen sich an; schließlich einigten sie sich mit einem kurzen Nicken darauf, weiterzumachen. Diese belastende Arbeit hinterließ bei allen deutliche Spuren.
»Was hat diese Vierergruppe mit der Geiselnahme zu tun?«, fragte er sich und seine Kollegin ein paar Minuten später.
»Offenbar sind sie im Streit auseinandergegangen«, dachte diese laut nach. »Sonst hätte von Schellenburg doch nicht gesagt, dass die Freundschaft lange her sei. Eine Verbindung zu Kayibanda kann ich im Moment noch nicht erkennen.«
»Ist es vorstellbar, dass Kayibanda gar nicht weiß, welche Information er uns weitergegeben hat?« Wiese sah seine Mitarbeiterin fragend an. »Was wäre, wenn er das Geschehen in Afrika gar nicht mehr im Griff hat?«
»Das würde bestätigen, dass Kayibanda die Information nicht von Andrea bekommen hat, sondern von jemand anderem.«
»Hans Meyer.« Er dachte einen Moment nach. »Was ist damals geschehen?« Er richtete sich auf. »Wann war das überhaupt?«
»Das Foto ist 1970 entstanden.«
»Und mir gegenüber hat von Schellenburg gesagt, dass sich die Wege in den Siebzigern getrennt haben. Was sagt denn seine offizielle Vita dazu?«
Paffrath blätterte durch einen Stapel Papier, bis sie gefunden hatte, was sie suchte.
»Ab Sommer 1971 hat er in Deutschland gearbeitet.«
»Und Idi Amin ist im Januar 1971 an die Macht gekommen. Irgendetwas muss in den Monaten dazwischen geschehen sein.«
»Dann sollten wir dem nachgehen!«, sagte Anja Paffrath und erhob sich, um die Recherchen wieder aufzunehmen.