02_Zunehmende_Sichel.tif

11

Nyakalengija, am Vormittag des 11. Juni

Peter saß verkrochen in sein Mobiltelefon an einem Tisch und wandte Andrea den Rücken zu, als sie die Veranda betrat. Sie räusperte sich, und er zuckte zusammen, bevor er sich zu ihr umdrehte.

»Guten Morgen«, begrüßte er sie zögernd. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja ... nein ... nicht so richtig ...«

»Bist du nervös wegen der Tour?« Er setzte ein ernstes Gesicht auf. »Keine Sorge, ich bringe dich gut nach oben. Und auch wieder runter.« Dann lachte er: »Ich habe schon so viele Menschen in den Ruwenzori begleitet, ich werde auch euch sicher zurückbringen.«

Für einen Moment wandte Peter den Blick ab. Andrea stockte. Sie betrachtete ihn skeptisch, während ihre Gedanken rasten: Wollte sie wirklich in diese Berge steigen? Das war unter normalen Umständen schon verrückt. Und dann auch noch mit Peter? Sie war nicht bei Trost. Sie betrachtete die üppig bewachsenen Hänge des Ruwenzori. Aber jetzt einen Rückzieher machen? Nachdem sie so lange gebraucht hatte, um sich zu der Reise durchzuringen? Die Tour war die beste Art, verlässlich herauszufinden, was Peter für ein Mensch war. Einen Rückzieher würde sie sich niemals verzeihen.

Entschlossen setzte sie sich zu ihm an den Tisch. Peters fröhliche Gesichtszüge wirkten verspannt. Andrea bestellte Tee. Dann begann sie ein Gespräch mit ihm. Über das Leben in Ostafrika, über seine Arbeit mit den Touristen, über sein Leben fern der Arbeit. Peter taute langsam auf und zog schließlich Fotos von seiner Familie aus der Tasche. Eines der Bilder zeigte ihn mit seiner Frau. Der zweijährige Sohn saß auf dem Schoß einer älteren Frau. Als Andrea das Bild sah, wanderte ein Leuchten durch ihre Augen. »Mein Bruder hat auch Kinder, und meine Eltern leben nur noch für ihre Enkel«, sagte sie. »Alles dreht sich um die Kleinen. Deine Mutter ist sicherlich auch sehr glücklich über deinen Sohn, oder?«

Über Peters Gesicht zog ein Schatten, und für einen Moment meinte Andrea grenzenlose Trauer in seinen Augen zu bemerken. Doch dann zwang Peter sich wieder zu einem Lächeln.

»Die Frau auf dem Bild ist meine Tante. Bei ihr bin ich aufgewachsen. Meine Mutter ist gestorben, als mein Vater ...« Er unterbrach sich, als hätte er eine Grenze überschritten. Andrea hielt den Atem an.

»Da kommt Tom.« Peter wies in den Garten, durch den Tom auf sie zuspazierte. Er schlenderte mit seiner Kamera in der Hand den Hügel zur Terrasse herauf. Andrea wandte den Kopf, um Tom entgegenzusehen – und um die Enttäuschung zu verbergen, die sich wegen der Unterbrechung in ihr breit machte.

»Ich habe ein paar Bilder von den Kindern hier gemacht«, erzählte Tom, als er sich zu den beiden setzte. »Einer der Jungs hat sofort alle seine Geschwister dazugeholt.« Er lachte. »Und er hat die Situation auch gleich zum Anlass genommen, mich um Geld anzubetteln.«

In der Luft lag eine Anspannung, die sich Tom nicht erklären konnte. Er blickte erst Andrea an, dann Peter. Keiner von beiden sagte ein Wort.

Hans trat auf die Terrasse und eroberte sie augenblicklich mit seiner allgegenwärtigen Präsenz. Er breitete eine brandneue Karte des Ruwenzori vor sich aus, die beinahe den gesamten Tisch einnahm. Er löcherte Peter sofort mit Fragen über den Weg, wobei er die Strecke des Central Circuit auf der Karte genau nachzeichnete. Kurz darauf saß die gesamte Wandergruppe auf der Terrasse. Manfred beobachtete den selbst ernannten Reiseleiter Hans aus der Entfernung. Nach dem ersten Schluck Kaffee verschwand er im Büro des Ruwenzori Mountaineering Service. An der Tür prangte ein selbst gemaltes Schild mit den unterschiedlich großen Buchstaben RMS Office. Als er nach einer Weile von dort zurückkam, hatte sich seine Miene sichtlich verfinstert.

»Was ist los?«, fragte ihn Tom.

»Ach, diese Afrikaner! Die malen immer gleich den Teufel an die Wand. Die wollten mir gerade weismachen, dass der Weg nicht sicher ist. Aber wenn ihr mich fragt, ist das nur eine Masche, um uns noch mehr Träger mitzuschicken, für die wir natürlich zusätzlich bezahlen sollen. Aber nicht mit mir!« Er setzte sich, stürzte seinen kalten Kaffee runter und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

»Was haben sie denn gesagt?« Tom blickte ihn fragend an.

»Auf der kongolesischen Seite hat es angeblich Rebellenbewegungen gegeben«, sagte Manfred. »Aber die gibt es dort seit Jahren. Und es ist schon ewig nichts mehr passiert.«

»Rebellen? Aber doch nicht auch auf unserer Seite?«, fragte Andrea. »Du hast selber gesagt, die Rebellen seien tiefer in den Kongo gezogen. Ich habe gedacht, die kämen nicht über die Grenze. Selbst das Auswärtige Amt warnt schon lange nicht mehr.«

Tom wandte ihr neugierig den Kopf zu und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, als er sie ins Visier nahm.

Manfred und Peter warfen sich einen schnellen Blick zu, dann räusperte sich Peter: »Naja, bis Ende der 90er Jahre war es ziemlich gefährlich, in den Ruwenzori zu gehen.«

»Also hat es Überfälle gegeben, richtig?« Andrea ließ nicht locker.

»Ruandische Milizen hatten sich in der Grenzregion niederge-lassen ...« Peters Stimme klang leicht belegt, als er sprach. »Doch sie sind nach einer Intervention des ugandischen Militärs vertrieben worden.«

»Ruandische Milizen?«, mischte sich jetzt Michael ein. »Bis Ruanda sind es doch über hundertfünfzig Kilometer von hier ...«

Manfred schaute in die Runde, holte einmal tief Luft, und dann setzte er zu einer Erklärung an.

»Seit Generationen leben in Ruanda, diesem kleinen Land, eingeklemmt zwischen Uganda, Tansania, Burundi und der Demokratischen Republik Kongo, zwei Volksgruppen zusammen, die sich nicht grün sind. Die meisten gehörten der Gruppe der Hutu an. Nur etwa neun Prozent der gut zehn Millionen Einwohner Ruandas waren Tutsi.

Um 1900 war Ruanda deutsch. Zumindest auf dem Papier. Auf der Kongo-Konferenz wurde das Territorium 1885 Teil der neuen Kolonie Deutsch-Ostafrika. Die Zeit der deutschen Herrschaft endete allerdings 1916 mit dem Einmarsch belgischer Truppen in die Hauptstadt Kigali. Die Belgier wollten damals wissen, wer da in ihrem Land lebte, und so haben sie in den 1930er Jahren eine Volkszählung durchgeführt, bei der die Menschen anhand der Zahl ihrer Rinder einer Volksgruppe zugeordnet wurden. Wer mehr als zehn Rinder besaß, wurde kurzerhand Tutsi genannt, wer nur bis zu zehn Rinder vorweisen konnte, wurde zum Hutu. Menschen ohne Rinder hießen ab sofort Twa. So einfach war die belgische Welt.

Dieses rassistische Denken hat die Geschichte Ruandas geprägt, auch weit über die Unabhängigkeit 1962 hinaus. Quotenregelungen haben das gesellschaftliche Leben bestimmt. Und immer wieder kam es zu sehr hässlichen Übergriffen auf die Tutsi.

1973 setzte der Verteidigungsminister Juvénal Habyarimana seinen diktatorisch regierenden Vetter ab und ließ ihn zusammen mit seiner Frau an einem bis heute nicht bekannten Ort verhungern, nur um selbst mit ebenso harter Hand weiterzuregieren. Die Konflikte zwischen den beiden Volksgruppen haben in dieser Zeit beständig zugenommen und wurden von den Machthabern bereitwillig unterstützt.

Als Habyarimana im April 1994 zusammen mit seinem burundischen Amtskollegen auf dem Flughafen von Kigali landen wollte, erlosch mit einem Mal die Beleuchtung der Landebahn. Zwei Raketen sind in das Flugzeug eingeschlagen und haben es vom Himmel geholt.

In Kigali kursierten damals an jeder Straßenecke Gerüchte. Die Tutsi wurden für diesen Anschlag verantwortlich gemacht. Und die radikalen Hutu des Landes haben die Gelegenheit genutzt, um Rache zu nehmen. Sie haben innerhalb von hundert Tagen etwa eine Million Menschen umgebracht. Sie erschossen sie in ihren Wohnungen oder massakrierten sie auf offener Straße mit Macheten. Die Vereinten Nationen und die von ihnen ausgesandten Blauhelme haben dem Treiben tatenlos zugesehen. Erst der Einmarsch ugandischer Truppen aus dem Norden hat das Morden beendet.

Zwei Millionen Menschen sind in der folgenden Zeit aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen über die Grenze in den Kongo geflohen; die meisten von ihnen waren Hutu. Das Elend in den Flüchtlingslagern muss entsetzlich gewesen sein.

Im Schutz der Flüchtlinge sind aber auch die Hutu-Milizen der Interahamwe in den Kongo entkommen und haben sich dort neu formiert. Von Nord-Kivu im Kongo aus sind sie danach an der Grenze immer weiter nach Norden gewandert. Damals hielten sie sich auch für eine Weile im Ruwenzori auf. Aber heute agiert die ALR viel weiter nördlich.«

»Was wollten die denn jetzt hier?«, fragte Andrea. Ihre Augen flackerten leicht.

»Die Hutu-Milizen haben die Bevölkerung tyrannisiert, haben Nahrungsmittel gestohlen, danach sind sie aber meistens wieder verschwunden.« Manfred sprach in ruhigem Ton.

»Ja, meistens ...«, sagte nun Hans. Er blickte Andrea durchdringend an.

»Was meinst du damit?«, wollte Andrea mit belegter Stimme wissen.

»Na, dass sie manchmal auch mehr als Essen mitgenommen haben.«

»Jetzt sag doch einfach, was du meinst!«

»Frauen. Junge Mädchen eher.«

Ein bedrückendes Schweigen legte sich über die Gruppe. Gerade, als Manfred den Mund öffnete, um etwas zu sagen, sprach Hans weiter:

»Einmal haben sie auch Touristen entführt.«

Andrea erschauerte unter seinem Blick, der unentwegt auf sie gerichtet war.

»Das ist lange her«, unterbrach ihn Manfred barsch. »1999. Und außerdem fand die Entführung nicht hier statt, sondern im Bwindi-Nationalpark, viel weiter im Süden. Hier wie dort ist es heute ruhig und sicher.«

»Aber wenn der RMS doch sagt, dass es Rebellenbewegungen gegeben hat ...«, meinte Michael besorgt.

»Das ist völliger Unsinn«, mischte sich Peter ein. »Die wollen nur mehr Geld haben, wie Manfred schon vermutet hat. Sie werden aber nichts anderes tun, als uns einen weiteren Träger mitzuschicken, der ein verrostetes Gewehr dabei hat und damit noch nicht einmal einen Elefanten treffen würde. Ganz zu schweigen davon, dass er eine Gruppe Touristen vor einer Rebellen-Miliz schützen könnte. Die es hier aber nicht gibt. Glaub mir: Du hast keinen Grund zur Beunruhigung.«

In diesem Moment kam eine Gruppe junger Männer den Hügel hinauf. Sie trugen zerschlissene Klamotten, die meisten hatten Gummistiefel an den Füßen, einige aber auch fast auseinanderfallende Wanderschuhe. Die Männer kamen nicht bis zur Terrasse hinauf, sondern ließen sich mitten auf dem Platz in der Sonne nieder und blickten erwartungsvoll zu den Touristen hinüber.

»Die Träger«, sagte Manfred und erhob sich, um zu den Männern zu gehen. Peter folgte ihm. Kurz darauf entspann sich ein lauter Streit zwischen Manfred und Peter auf der einen und den Trägern auf der anderen Seite. Sie diskutierten lautstark, bis schließlich einige der Männer mit langen Gesichtern wieder abzogen, während etwa zwanzig auf dem Gelände blieben und sogleich in Aktionismus verfielen. Peter schickte sie hin und her. Nzanzu, der alte Guide, kam dazu und rief mit seiner leisen Stimme Befehle. Dann stellte sich Steve bei den Touristen vor, ein junger Guide, der sie begleiten würde.

Martin blickte neugierig auf Steve. Als dieser ihn bemerkte und ihm zulächelte, deutete Martin ebenfalls ein Lächeln an.

Tom suchte sich mit Peters Hilfe einen zusätzlichen persönlichen Träger aus, der seine umfangreiche Fotoausrüstung schleppen sollte. Er hieß Gharib und wirkte noch sehr jung, schien allerdings viel über die Landschaft und die Berge, die Fauna und Flora zu wissen.

Hans suchte sich kurzerhand einen jungen Mann namens Imarika als persönlichen Träger aus, da er großen Wert auf seine Ausrüstung legte. Sagte er.

»Brauchen wir wirklich so viele Leute?« Andrea beobachtete das Geschehen, währende Tom neben ihr ununterbrochen Fotos schoss. Der wandte ihr kurz den Kopf zu und nickte.

»Da oben gibt es absolut nichts.« Er hielt sich seine Kamera wieder ans Auge. »Wir müssen das Essen für die gesamte Tour mitnehmen. Darüber hinaus Holzkohle zum Kochen, die Töpfe und schließlich auch noch Ersatz-Zelte, falls eines der Lager weggeschwemmt worden ist.« Er setzte die Kamera wieder ab und sah sie an. Andrea starrte ihn blass an. Tom grinste. »Keine Sorge, so schlimm ist es nicht. Ich werde dich gegen die bösen Geister beschützen.« Dann fotografierte er weiter.

»Apropos böse Geister ...«, sagte sie.

Tom wandte sich ihr wieder zu. »Ja?«

»Da war diese Nacht jemand an meiner Tür ...« Sie erforschte sein Gesicht genau.

»Hast du einen heimlichen Verehrer?«, fragte er belustigt.

»Ach, lass doch die Sprüche, Tom.«

»Das war vermutlich nur der Nachtwächter. Die haben hier einen, allerdings schläft der eigentlich die ganze Zeit. Hin und wieder sieht man ihn aber über das Gelände streifen wie ein Gespenst.«

»Wer auch immer das war, er hat dies hier verloren.« Andrea fischte die kleine Gorillafigur aus der Hosentasche. Tom blickte auf ihre Handfläche. Dann nahm er die Figur in die Hand, um sie genauer zu begutachten.

»Wo hast du das gefunden?«

»Vor meiner Tür. Ich habe nachgeschaut, weil ich jemanden weglaufen hörte.«

»Aber du hast niemanden gesehen?«

»Ich war nicht schnell genug.«

Tom gab ihr die Figur zurück. »Vermutlich ist das eine Figur, wie es sie hier zu Tausenden in den Souvenirshops gibt.«

Auf der Wiese flammte ein neuer Streit auf. Diesmal waren es zwei Träger, die laut aufeinander einredeten. Andrea und Tom konnten kein Wort verstehen. Die anderen Träger unterbrachen ihre Arbeit, um dem Schauspiel beizuwohnen. Der eine oder andere mischte sich ein, doch im Großen und Ganzen spielte sich der Zwist zwischen zwei Leuten ab.

»Kannst du etwas verstehen?«, wollte Andrea von Manfred wissen.

»Nicht viel. Es geht wieder um die Rebellen. Und um die Geister der Mondberge. Der eine von ihnen scheint etwas zu sagen, woran die anderen nicht glauben.«

»Ich weiß nicht recht, ob wir wirklich da raufgehen sollten ...«, sagte Andrea leise.

»Mach dir keine Sorgen. Die Leute hier wissen genau, was sie tun«, beruhigte Tom sie.

Andrea atmete tief durch. »Vielleicht sollte ich endlich lernen, den Menschen um mich herum zu vertrauen. Ständiges Misstrauen ist auf Dauer ziemlich anstrengend.« Sie straffte ihren Rücken und lächelte gequält.

Auf dem Platz mischte sich nun auch Peter in den Streit ein. Er sprach mit einem der aufgebrachten Träger, der ihn um irgendetwas zu bitten schien. Doch schließlich gab der Mann auf. Die Tasche, die er die ganze Zeit in der Hand gehalten hatte, warf er wütend zu Boden, rief den anderen noch einmal etwas zu, wofür er Gelächter erntete, und wandte sich dann ab. Dabei streifte sein Blick Andrea. Obwohl er weit weg war, sah sie Angst in seinen Augen. Er hatte Andrea ebenfalls wahrgenommen, stockte in der Bewegung, fixierte sie durchdringend. Er rief ihr etwas zu, doch Peter ging energisch dazwischen, stieß ihn kräftig in die Seite und schob ihn vom Grundstück.

»Was ist denn los?«, wollte Andrea wissen, als Peter zurückkam.

Doch der winkte nur ab. »Nichts, was dich beunruhigen sollte ... Die und ihre verdammten Geister der Mondberge«, murmelte er, bevor er sich wieder seiner Arbeit zuwandte.

»Mir sind diese ganzen Andeutungen unheimlich ...«, murmelte Andrea. Sie starrte die Berghänge an. Dann rieb sie sich mit den Händen über das Gesicht, schüttelte den Kopf und fragte Tom: »Was ist das eigentlich für eine Geschichte mit den Mondbergen? Warum heißt der Ruwenzori so?«

»Es gibt unterschiedliche Geschichten, die den Namen erklären. Angeblich sehen die weißen Gipfel manchmal aus wie der Mond. Andere sagen, dass die Berge vor langer Zeit als die Grenze des bis dahin bekannten Universums angesehen wurden. Heute lässt sich nicht mehr nachvollziehen, woher der Name genau stammt. Allerdings gibt es ganz im Norden einen kleinen See, der Lac de la Lune heißt.«

»Aber irgendwer muss doch diesen Begriff geprägt haben ...«

»Ptolemäus hat ihn ins Spiel gebracht. Hier ganz in der Nähe befindet sich eine Region, die von den Einheimischen Wunyamwezi genannt wird: das Land des Mondes. Vielleicht hat Ptolemäus diesen Begriff gekannt.«

»Das ist doch verrückt. Da bezeichnet alle Welt ein Gebirge mit dem Namen Mondberge, aber keiner weiß, warum.«

Birgit kam auf die beiden zu und unterbrach das Gespräch. Sie wirkte immer noch missmutig. »Ist dir aufgefallen, dass wir nur männliche Träger haben?«, meinte sie fast beiläufig zu ihrer Freundin.

»Ja, aber ist das nicht üblich? Das Gepäck sieht ziemlich schwer aus«, entgegnete Andrea.

»Die Frauen aus dieser Gegend sind bekannt dafür, dass sie viel Kraft haben«, sagte Birgit, während sie sich auf das kleine Rattansofa fallen ließ. »Der Grund ist ein ganz anderer. Die Einheimischen glauben, dass die Berggeister in Unruhe geraten, wenn eine Frau mitgeht.« Sie lachte.

»Ach, hör doch auf mit diesen Geistergeschichten«, warf Tom ein.

»Die Menschen hier glauben, dass die Toten als Geister weiterleben, und zwar genau da oben«, sagte Birgit.

»So ein Quatsch. Wenn ein Mensch stirbt, dann ist er tot. Bei uns genauso wie in Uganda.« Tom wischte den Gedanken mit einer unwirschen Handbewegung zur Seite.

»Jeder glaubt nun mal das, was ihm in die Wiege gelegt worden ist. Andrea zum Beispiel glaubt an die Macht des Geldes.« Birgit sah ihre Freundin herausfordernd an. »Ich hingegen glaube an die ausgleichende Gerechtigkeit, daran, dass Gutes und Böses sich die Waage halten.«

Tom blickte nachdenklich zwischen Birgit und der perplexen Andrea hin und her.

Die Vorbereitungen auf dem Hof waren inzwischen beendet. Einige der Träger nahmen Rucksäcke auf den Rücken, andere trugen Taschen in den Händen. Die meisten jedoch hatten die Gepäckstücke, die allesamt in weiße Plastiksäcke verpackt worden waren, traditionell mit einem Stoffstreifen umwickelt, den sie sich vor die Stirn spannten. Sie trugen das Gepäck auf dem Rücken, während die Zuglast nach vorne umgelenkt war. Nach und nach trotteten sie langsam auf das Tor zu, das das Gelände der Hostelanlage vom Rest des Dorfes Nyakalengija abschirmte. Peter rief zum Aufbruch. Also schulterten die Europäer ihre Tagesrucksäcke, in denen sich nur etwas Wasser, Regenjacken, wasserdichte Hosen und einige persönliche Gegenstände befanden, und setzen sich in Bewegung. Die Tour hatte begonnen.