Parasiten der Hölle

Mutter fragt mich den ganzen Abend aus. Sie will, dass ich irgendeine Verfehlung gestehe, damit sie einen Grund hat, mich nicht wieder nach Todtglüsingen zu lassen. Aber ich bin gut vorbereitet und habe auf jede Frage eine Antwort. Außerdem tue ich so, als wäre es nicht besonders schön gewesen und als hätte ich alles nur aus Nächstenliebe Oma Emmi gegenüber mitgemacht. In den blumigsten Worten berichte ich über die alte Frau Donath und rege mich so sehr über Herrn Brettschneider und seinen Alkoholkonsum auf, dass ich es schließlich selber glaube. Ich steigere mich total hinein. Dass er Reval ohne raucht und Oma Emmis Haus verpestet, bis sogar der Hund sich verkriecht. Das hätte ich nicht sagen sollen. Als ich Herrn Brettschneiders Zigarettensorte erwähne, merke ich, wie Mutter plötzlich misstrauisch wird. Seit wann ich mich für Zigaretten interessiere? Irgendwas ist faul im Staate Dänemark, sagt sie, und ich weiß, was die Stunde geschlagen hat. Jetzt bleibt mir als letztes Mittel nur noch die Gegenoffensive. Wie gemein ich es fände, dass sie kein Vertrauen zu mir hat, und überhaupt. Ich habe solches Selbstmitleid, dass ich weinen muss. Jetzt bekommt wiederum Mutter ein schlechtes Gewissen. Immer schön hin und her.


Die nächsten Tage vergehen mit bangem Warten, denn Mutter hält sich bedeckt. Als ich frage, ob ich wieder nach Todtglüsingen darf, sagt sie, dass das auch von Oma Emmi abhängt. Vielleicht ist es der ja zu anstrengend mit einem Jungen in meinem Alter, wir müssten sie auf jeden Fall erst fragen. So ein Quatsch! Heute muss eine Entscheidung fallen, denn morgen sollte es eigentlich zurück nach Todtglüsingen gehen. Den ganzen Tag schiebt Mutter das Telefonat mit Oma Emmi vor sich her, bis ich so quengele, dass sie schließlich ein Einsehen hat und um sechs Uhr abends endlich zum Hörer greift. Ich höre heimlich von der Treppe aus mit. Und es kommt, wie ich es mir gedacht habe: Sie verhört Oma Emmi genau so, wie sie mich sonst immer verhört. Was ich den ganzen Tag treibe und ob sich irgendein Verdacht ergeben hätte, dass ich Zigaretten rauche. Oma Emmi schweigt wie ein Grab. Einen Teufel wird sie tun, irgendwas auszuplaudern, sie will ja schließlich auch, dass ich wiederkomme, da wäre sie ja schön dumm, Mutter Munition in die Hand zu geben. Jedenfalls beißt sich Mutter so richtig schön die Zähne an ihr aus und muss schließlich unverrichteter Dinge auflegen.

Dann nimmt sie mich wieder in die Mangel und unternimmt einen letzten Versuch. Sie zählt auf, was wir hier alles gemeinsam unternehmen könnten, ohne viel Geld auszugeben. Und dass es für unser Mutter-Sohn-Verhältnis gut wäre, wenn wir einmal außerhalb des Alltags gemeinsam Zeit verbringen würden.

«Aber wenn du lieber zu Oma Emmi willst … Es ist deine Entscheidung, Mathias.»

So eine Gemeinheit. Sie weiß genau, was sie da wieder anrichtet.

«Du kannst es dir ja in aller Ruhe überlegen, Mathias.»

In aller Ruhe! Morgen soll’s losgehen, was gibt’s denn da noch zu überlegen? Sie schaut mich mit einem Mal so traurig an, dass es mir durch Mark und Bein geht. Das ist zu viel. Dann bleibe ich eben hier, und sie hat ihren Willen, und dann bin ich am Drücker und habe für den Rest der Ferien schlechte Laune. Und sie kann nichts machen, weil sie genau weiß, was los ist. Außerdem kommen nächsten Montag Axel und Heike aus dem Urlaub, und wir haben den Fußballplatz bis zum Ende der Ferien fast ganz für uns alleine, und überhaupt werde ich die Zeit schon rumkriegen. Doch es naht Rettung in Gestalt der Großeltern, die plötzlich hereinschneien. Das passt Mutter gar nicht. Ich sehe ihr richtig an, wie sich ihr schöner Plan in Luft auflöst. Zwei Minuten später, und ich hätte klein beigegeben und wäre hiergeblieben. Und dann hätte es auch kein Zurück mehr gegeben, denn ich hätte ihr mein Wort geben müssen, und wortbrüchig werden kommt unter keinen Umständen in die Tüte. Oma lächelt mich freudestrahlend an:

«Na, Mathias, morgen geht’s wieder nach Todtglüsingen, freust du dich schon?»

Damit ist der Zug für Mutter endgültig abgefahren, und sie verzieht sich gleich nach dem Abendbrot auf ihr Zimmer und übt Flöte. Man hört dem Gefiepe richtig an, wie wütend sie ist. Ich gehe auch schlafen, denn morgen werde ich bereits um 9 Uhr 06 abhauen, ich kann’s gar nicht erwarten.


Ich habe das Gefühl, den Weg zu Oma Emmis Haus doppelt so schnell zurückzulegen wie beim ersten Mal. Obwohl die Sommerhitze wie sonst was runterhämmert, habe ich schon wieder Appetit auf Kotelett. Und siehe da: Es gibt schon wieder Kotelett! Oma Emmis Koteletts schmecken ganz eigen und anders, als Koteletts normalerweise schmecken, auf jeden Fall besser. Frau Donath bleibt während des Mittagessens stumm am Tisch sitzen und starrt ins Leere, als ob sie schon nicht mehr richtig da wäre.

Manfred erwartet mich bereits.

«Wir können heute nicht zur Tonkuhle. Kempermanns sind da.»

Ich bin total enttäuscht.

«Echt? Und nun?»

Er deutet auf einen Sack, in dem ein Gegenstand ist, der von Größe und Gestalt her eigentlich nur eins sein kann. Mein Herz hüpft vor Aufregung.

«Kannst dir denken, was drin ist? Los!»

Überraschend macht Manfred dann aber erst noch an der Eisenbahnbrücke halt. Wir klettern runter an die Böschung und legen uns auf die Lauer. Ich weiß zwar nicht genau, wieso, aber Manfred schichtet zwei Haufen auf, einen mit Steinen, den anderen mit Pflaumen, die er in einer Umhängetasche mitgebracht hat. Rätselhaft. Als der erste Zug heranbraust, ist Manfred gleich konzentriert bis in die Haarspitzen und greift sich einen Stein. Ein Güterzug. Seine Hand erschlafft, er lässt den Arm sinken und steckt sich eine Zigarette an. Ich verstehe den Zusammenhang nicht. Nach endlosen Minuten der nächste Zug. Wieder ein Gütertransport. Beim dritten Zug scheint er endlich am Ziel seiner Wünsche zu sein: ein Autozug! Darauf hat er nur gewartet! Fieberhaft feuert er einen Stein nach dem anderen ab und versucht, so viele Wagen wie möglich zu demolieren. Der Zug will und will nicht enden, eine endlose Reihe von Autos zieht an uns vorüber. Irgendwann gehen ihm die Steine aus. Er wird richtig wütend.

«SCHEISSDINGER, HAUT BLOSS AB.»

Ich halte lieber die Klappe. Wenn man uns nun erwischt? Aber Manfred kennt keine Angst, er scheint Routine zu haben. Als Nächstes naht ein Personenzug, und ich ahne schon, was jetzt kommt: Die Pflaumen gelangen zum Einsatz. Plumm, plumm, plumm.

«Die Leute sollen einen Schrecken kriegen», sagt Manfred. Und dann: «Los, ab jetzt.»

Wir gehen die Brücke runter Richtung Tonkuhle. Kurz vorher biegt er links ab auf einen Trampelpfad und steuert zielsicher ein Fleckchen Erde ganz in der Nähe unseres Badeparadieses an. Erst müssen wir noch durch ein Stoppelfeld, und meine Beine sind bald vom scharfen Gras zerstochen. Dann plötzlich bleibt Manfred stehen, packt das Gewehr aus, und wir legen uns auf die Lauer. Er drückt mir die Waffe in die Hand.

«Du hast den ersten Schuss.»

Ich kann schlecht zugeben, dass ich noch nie geschossen habe. Zum Glück weiß ich, wie man ein Luftgewehr spannt und die Munition, Eierbecher heißen die Dinger, einlegt. Die schlimmste Blamage bleibt mir also erspart.

«Worauf soll ich denn schießen?»

«Irgendwas. Egal. Vogel.»

Die Amseln, die hier rumhocken, verfehle ich sämtlich, eine erwische ich mit Streifschuss, scheint sie aber nicht weiter zu stören. Sie bedenkt mich mit einem spöttischen Blick und fliegt davon. Sie singt und kackt gleichzeitig, als ob sie mich veräppeln will. Vorne stößt sie lange Triller aus, und hinten schießen kleine, weiße Spritzer hervor.

«Was ist denn mit dir los? Zielst du absichtlich daneben?»

«Ich bin nicht mehr richtig im Training.»

«Mann, du Eddel, Schießen ist wie Radfahren, das verlernt man nicht. Wann hast du denn überhaupt das letzte Mal geschossen?»

«Paar Wochen.»

Wir warten und warten und warten. Manfred steckt sich eine Zigarette nach der anderen an. Gesprochen wird nicht. Dann endlich setzt sich ein Rotkehlchen nur wenige Meter entfernt auf einen Ast und beginnt zu tirilieren. Manfred drückt die Kippe aus und stößt mich an.

«Los jetzt.»

«Aber das ist doch ein Singvogel!»

«Ach was. Außerdem ist das egal, alle Vögel sind Schädlinge.»

Ich lege an und ziele diesmal wirklich daneben, damit der Vogel durch den Schuss verscheucht wird, aber sofort fällt er mit einem Piepen ins Moos.

«Sauber. Voll getroffen.»

Doch der Vogel ist nicht tot, sondern flattert hilflos mit den Flügeln, verdreht den Kopf und versucht davonzuhüpfen, was natürlich nicht mehr geht. Manfred ist ganz aufgeregt.

«Los, hin da, dem musst du den Gnadenschuss versetzen.»

Am liebsten würde ich ihn zum Tierarzt bringen, aber auf der anderen Seite ist das totaler Quatsch, weil er bis dahin wahrscheinlich längst tot ist, und außerdem ist fraglich, ob ein Arzt einem so kleinen Tier überhaupt helfen kann. Mit Manfred würde ich es mir dann wohl auch endgültig verscherzen. Er wiederholt seinen Befehl:

«Los jetzt, sonst ist das Tierquälerei!»

Ich spanne also das Gewehr und halte dem Vogel den Lauf direkt an den Kopf. Mir schießen die Tränen in die Augen. Der Vogel atmet ganz schnell, und mit jedem Ein- und Ausatmen kommt ein leises Pfeifen aus seinen Lungen. Ich drücke ab. Er rührt sich nicht mehr, und an seinem Köpfchen bildet sich schnell ein roter Fleck. Mein Magen wird hart wie Eis. Ist das alles schrecklich.

«Nicht schlecht. Komm jetzt, wir gehen nach Hause.»

Ganz geheuer scheint Manfred die Sache aber auch nicht zu sein, das kann man ihm anmerken. Mir ist übel. Was habe ich da nur getan? Eine größere Schweinerei lässt sich ja wohl kaum vorstellen. Ich komme mir vor wie ein Verbrecher, und das Einzige, was mich tröstet, ist, dass ich es allein niemals gemacht hätte. Mit hängenden Köpfen trotten wir nach Hause.

«Bis morgen dann.»

«Ja, bis morgen.»


Am nächsten Tag geht es auf Verdacht wieder zur Tonkuhle. Kempermanns sind abgereist, Glück gehabt, jetzt haben wir dieses Plätzchen wieder für uns allein. Oma Emmi erzähle ich, wir würden heute ins Freibad nach Tostedt fahren. Ohne weiter nachzufragen, macht sie uns einen Picknickkorb fertig. Neben Pflaumenkuchen finden sich diesmal auch hartgekochte Eier, belegte Brote, Knackwürste und eine Tube Senf im Gepäck. Über den gestrigen Vorfall sprechen Manfred und ich nicht, aber ich habe in der Nacht lange wach gelegen und nachgedacht. Wenn meine Mutter oder Oma Emmi auch nur annähernd wüssten, was wir hier so treiben, dürfte ich niemals mehr auf den Holzapfelhof. Ich bin mir sicher, dass Manfred seelisch verroht ist. Hoffentlich kommt er nicht noch auf mehr solcher Ideen wie Vögel erschießen oder Autos zu Klump werfen. Andererseits sind das Erfahrungen, die ich zu Hause nie machen würde.

Heute liegen wir nur faul am Strand und jumpen ab und an ins kühle Nass. Die Sonne dringt bis in die Knochen in mich ein, herrlich ist das schon wieder. Ich habe mir wieder «Parasiten der Hölle» vorgenommen, auch schon mindestens zum dritten Mal. Als Manfred kurz einpennt, spucke ich mir in die Handfläche, bis sich eine kleine Pfütze bildet, dann moddere ich den Speichel mit einem Finger um. Ganz schön eklig, bringt aber Spaß. Ich schnuppere an meinen Spuckehänden, sie riechen angenehm säuerlich. Das Badehäuschen ist ziemlich verrottet und abgeschabt, mit wurmstichigen Brettern und allem. Wenn man nicht aufpasst, läuft man Gefahr, sich einen Nagel in den Fuß zu treten. Egal, ich kann mir keine schöneren Stunden vorstellen als hier in unserem geheimen Versteck. Wieder ein Vorteil gegenüber zu Hause, dort kann man lange nach solchen Plätzen suchen. Gesprochen wird wie immer nicht viel, Manfred ist maulfaul wie nix Gutes. Als ich ihn auf seine behinderte kleine Schwester anspreche, sagt er nur kurz und knapp «Epileppi, aber happy». Hat keinen Zweck mit ihm. Wenn ich sagen würde, dass Epileptiker und Mongoloide nichts miteinander zu tun haben, würde er das sowieso wieder nicht verstehen, und dann gibt’s Streit. Ich beschließe, von jetzt an mehr oder weniger gar nichts mehr zu sagen und mich nur dann mit Manfred zu unterhalten, wenn er anfängt. Nachdem die Mücken uns zum Aufbruch gestochen haben, kommt uns ein Kadett B in der gleichen Farbe wie der von Onkel Horst entgegen. Mich durchläuft es heiß und kalt, und ich öffne wie ferngesteuert die Hand. Als ob mir aus jedem Kadettauto automatisch fünfzig Pfennig herausgereicht würden, wie Onkel Horst es immer getan hat! Doch Manfred holt mich zurück in die Realität.

«Da sind die Spastis ja wieder!»

Ich verstehe nur Bahnhof. Manfred klärt mich auf, dass es sich um das Auto von Herrn Ristoff handelt, der gerade seine Söhne Jens und Kai von den Reiterferien abholt. Ristoffs sind Rübenbauern, sagt Manfred in einem Tonfall, der so klingt, als wären Rübenbauern das Niederste überhaupt. Er erzählt, dass die Ristoffsöhne vierzehn Tage in Rothenburg ob der Tauber Reiten gelernt haben. Ich frage mich, was wohl ob der Tauber heißt. Manfred sagt, er und Wilfried junior hätten den Reitunterricht schon im letzten Jahr absolviert. Er schaut mich forschend an und fragt, ob ich auch reiten könnte. «Wahrscheinlich», sage ich, merke aber sofort, was für eine mongomäßig bescheuerte Antwort das war. Manfred guckt seltsam.

«Was jetzt, ja oder nein?»

«Ja.»

Ich ärgere mich über mich selber. Was ist denn so schlimm daran, dass ich noch nie auf einem Gaul gesessen habe? Ganz im Gegenteil ist es vielleicht unglaubwürdig, dass ich als Städter des Reitens mächtig sein soll. Außerdem kann ich Pferde nicht ab, und ich frage mich seit Ewigkeiten, warum alle Welt so ein Gedöns um sie macht. Schweine, Hunde und selbst Ratten sind viel intelligenter als Pferde, hat Mutter mal gesagt, und ausnahmsweise gebe ich ihr recht. Ich hoffe jedenfalls, dass die Ristoffsöhne jetzt nicht alles durcheinanderwirbeln. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, was passiert, wenn sie sich gegen mich zusammentun. Dann hätte ich absolut keine Chance. Na ja, mal abwarten.


Jens Ristoff ist zehn und sein kleiner Bruder Kai acht, sieht aber irgendwie zurückgeblieben aus, wie sechs oder fünf. Er trägt wie Wolfgang Thorwardt eine Brille, die ihn aber nicht klüger aussehen lässt, sondern eher im Gegenteil. Er scheint einen Hau wegzuhaben; was genau mit ihm los ist, werde ich schon rausbekommen. Jetzt gilt erst mal weiterhin die goldene Devise, sich nicht durch dumme Fragerei unbeliebt zu machen. Am nächsten Tag radeln wir als Dreiergespann zur Tonkuhle, Jens, Manfred und ich. Kai muss zu Hause bleiben. Kaum haben wir uns gesetzt, tut sich Jens ungefragt an Oma Emmis Lebensmitteln gütlich. Er vertilgt ein Stück Kuchen nach dem anderen und danach noch ein Wiener Würstchen mit ungefähr einer Dreivierteltube Senf, und das in einer Art, dass ich ihm das Essen am liebsten aus der Hand schlagen möchte. Ich koche vor Wut darüber, wie sich der Bauernlümmel in wenigen Augenblicken reinstopft, was sich Oma Emmi vom Munde abgespart hat. Ob ich wohl mit ihm fertigwerden würde? Ich bin zwar größer, aber er ist stämmiger. Und überhaupt ist die Landbevölkerung zweikampferfahrener als wir Städter, man sollte also in dieser Hinsicht nicht allzu viel riskieren. Ich werde mich in Zukunft schon vorher bei Oma Emmi gründlich satt essen und satt trinken und zur Tonkuhle nichts mitnehmen, außer vielleicht einer Flasche Brause. Da sehe ich schon sein enttäuschtes, hungriges Gesicht vor mir, wie er in den Korb hineinschaut, und dann ist da bloß gähnende Leere! Ansonsten ist Jens ein sehr guter Schwimmer, das muss man ihm lassen. Tauchen kann er auch wie eine Eins, ich zähle mit, er bleibt über eine Minute unter Wasser. Keine Ahnung, wie er das macht. Als ich einmal auf der Hälfte der Tonkuhle angekommen bin, wo es am tiefsten ist und am weitesten vom Ufer entfernt, kommt er angeschwommen wie ein Weltmeister und duckert mich unter, bis ich voll Panik bekomme und laut zu schreien anfange:

«HILFE, HILFE!»

Sofort mischt sich Manfred ein:

«EY, LASS IHN MAL GANZ SCHNELL IN RUHE HIER!»

Ich glaube, ihm geht es gar nicht um mich, sondern um den Lärm, den ich veranstalte, er hat wohl Angst, dass durch mein Geschrei jemand aufmerksam wird auf uns. Jens lässt mich jedenfalls sofort los und wird mich sicher auch nicht wieder anfassen, sonst kriegt er es mit Manfred zu tun, und gegen den hat er niemals eine Chance. Niemals. Doof, dass auch Jens Raucher ist und ich wohl oder übel mitbarzen muss. So richtig habe ich mich immer noch nicht daran gewöhnt. Ich werde mir morgen eine Packung Kippen besorgen und vor dem Mittagessen Rauchen üben. Gegen meine Fahne gibt’s ja Katjes.

Als ich erst um kurz vor halb sieben nach Hause komme, zieht Oma Emmi ein langes Gesicht.

«Das ist aber nicht schön, dass du schon wieder so lange weg warst, Mathias.»

«Tut mir leid. Das ist wegen Jens Ristoff, der ist wieder da, und deshalb.»

Schon klar, dass das keine Begründung ist, aber Oma Emmi lässt es gelten. Sie hat schon Abendbrot gegessen, leistet mir aber Gesellschaft und trinkt eine Tasse kalten Hagebuttentee. Wie sie so dasitzt und die abgestandene Plörre trinkt, tut sie mir leid, und ich nehme mir vor, mich mehr um sie zu kümmern, schließlich opfert sie sich tagtäglich für mich auf und liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Wenn ich sie dann aber nur immer mit Frau Donath und Herrn Brettschneider allein lasse, hat sie nichts und wieder nichts von meinem Besuch, und wer weiß, ob sie es sich nicht wirklich anders überlegt und ich beim nächsten Mal nicht wiederkommen darf. Morgen werde ich zur Abwechslung jedenfalls mal die Einkäufe erledigen.