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Zwei Wochen später saß das Modell für die Werbekampagne auf einem Hocker vor der Ziegelsteinwand in Eschburgs Atelier. Es würde ein gutes Bild werden, so wie alle Bilder gut wurden. Eschburg sah durch den Sucher der Kamera. Er wusste nicht, wie oft er dieses Foto schon gemacht hatte. Die Frau hatte Brust und Kopf vorgeschoben, sie straffte ihren Hals, sie lächelte. Ihr Gesicht hatte eine perfekte Symmetrie. Die Glieder ihrer Halskette werden auf dem Bild als Ovale sichtbar sein, sie werden die Helligkeit ihrer Zähne haben, dachte Eschburg. Er sah alles vor sich, noch bevor er auf den Auslöser drückte. Es kam ihm falsch vor, das Bild zu machen. Er konnte die Menschen vor der Kamera nicht mehr unterscheiden.

»Es tut mir leid«, sagte er leise zu der Frau. »Sie sind sehr hübsch, aber ich kann Sie nicht fotografieren.«

Das Modell blieb sitzen. Sie sah zu dem Manager der Werbeagentur, dann hörte sie auf zu lächeln. Der Manager begann zu reden, er wurde lauter, er sagte etwas von Bezahlung und Terminen, er drohte mit Schadensersatz und mit Anwälten. Eschburg legte den Apparat vorsichtig in die Holzkiste zurück.

Am Nachmittag ging er in die Alte Nationalgalerie. Das Bild, das er sehen wollte, hing im zweiten Stock. Es war kleiner, als er es in Erinnerung hatte: 1,10 Meter hoch, 1,70 Meter breit, daneben stand auf einem Schild: »Caspar David Friedrich, Mönch am Meer, 1810«. Der Maler hatte das Bild nie signiert, er hatte ihm keine Jahreszahl und keinen Titel gegeben. Die Konstruktion war einfach: Himmel, Meer, Fels. Nichts sonst, keine Häuser, keine Bäume, keine Sträucher. Nur links von der Mitte steht eine winzige Figur mit dem Rücken zum Betrachter, die einzige Vertikale. Friedrich hatte zwei Jahre lang daran gearbeitet, er hatte Depressionen gehabt, während er es malte.

1810 wurde das Bild das erste Mal ausgestellt. Heinrich von Kleist schrieb damals, wenn man es betrachte, sei es, als ob einem die Augenlider weggeschnitten wären.