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Vier Jahre nach seinem Umzug in die Linienstraße rief eine Frau in Eschburgs Studio an und fragte, ob er Zeit habe, sie sei in der Nähe und würde gerne vorbeikommen. Sie nannte den Namen eines französischen Energiekonzerns, den sie berate. Eine halbe Stunde später klingelte sie. Sie trug ein dünnes gelbes Kleid, ihre Haare hatte sie hochgesteckt.

»Sagen Sie einfach Sofia, mein Nachname ist zu kompliziert.« Ihre Hand war warm. Auf ihrer Visitenkarte stand, sie sei Geschäftsführerin eines Unternehmens für Public Relations. Sie sagte, der Stromkonzern, den sie berate, wolle eine Werbekampagne mit dem Gesicht einer Frau machen. Sie fragte, ob er Lust habe, die Fotos dafür zu machen.

»Wieso haben Sie mich ausgesucht?«, fragte Eschburg.

Sie lächelte. »Nicht wegen Ihrer bekannten Porträts. Ich habe vor Jahren eines Ihrer Fotos bei Ihrem früheren Arbeitgeber gesehen. Sie selbst waren an diesem Tag nicht da. Es hing in Ihrem Büro. Ein kleines Schwarz-Weiß-Foto einer Frau.«

Eschburg hatte die Bilder der nackten Frau, die er in dem Brot-und-Butter-Studio des Fotografen gemacht hatte, aufgehoben. Eines hing über seinem Arbeitstisch.

»Ja, das meine ich«, sagte sie und zeigte auf das Bild. Sie ging zu dem Schreibtisch und sah es an. Eschburg stellte sich neben sie. Sofia beugte sich vor, ihr Nacken war schmal.

»Ich mag dieses Bild, es ist ehrlich. Genau so etwas bräuchten wir für die Kampagne«, sagte Sofia. Sie drehte sich zu schnell zu ihm um, ihre Gesichter berührten sich fast. Einen Moment blieben sie so.

»Zeigen Sie mir bitte noch andere Fotos«, sagte sie.

Eschburg legte die Bilder auf den Tisch, die er in den letzten Jahren gemacht hatte. Sie nahm jedes einzelne in die Hand. Manchmal sagte sie: »Das ist gut.« Sie war sich in ihren Urteilen sicher.

»Möchten Sie einen Kaffee?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf, sie war so konzentriert, dass sie nichts anderes mehr wahrzunehmen schien. Nach einer halben Stunde hatte sie eine Auswahl getroffen.

»Kann ich diese Bilder mitnehmen? Sie bekommen sie zurück«, sagte sie. Das Licht aus den hohen Fenstern fiel auf ihr Gesicht.

»Darf ich Sie fotografieren?«, fragte Eschburg.

Sie lachte. »Ich müsste etwas anderes anziehen, ich sehe furchtbar aus …«

»Nein, bitte nicht, wir machen es jetzt. Sie werden sehen, es wird gut.«

Er holte die 10 × 15-Laufbodenkamera aus seiner Wohnung, sie war aus Holz, er hatte sie vor Jahren auf einem Flohmarkt gekauft. Manchmal machte er Fotos mit ihr, er mochte ihre Schwere, die komplizierte Mechanik, die umständliche Entwicklung der Bilder in der Dunkelkammer. Er hatte die Kamera für moderne Planfilme umgebaut.

»Sie dürfen sich nicht bewegen«, sagte er, während er die Kamera auf das Stativ schraubte und die Kassette vorbereitete. »Eine Sekunde nur. Die Kamera hat keine Tiefenschärfe, wenn Sie sich bewegen, ist das Bild verloren.«

Sofia stand vor der hinteren Wand des Studios. Plötzlich zog sie den Reißverschluss ihres Kleides auf und ließ es zu Boden gleiten. Sie zog sich aus und stand nackt vor den groben Ziegelsteinen. Obwohl sie Mitte dreißig war, hatte sie den Körper eines jungen Mädchens. Sie faltete ihre Hände auf dem Rücken.

Als er mit dem Bild fertig war, sagte sie, jetzt würde sie gerne etwas trinken. Er holte eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank. Als er zurückkam, hatte sie sich wieder angezogen. Sie schloss die Augen, während sie trank, verschluckte sich, das Wasser lief ihren Hals hinunter. Sie wischte sich mit dem Handrücken über den Mund.

Eine halbe Stunde später ging sie. Auf dem Tisch ließ sie den Vertrag für die Fotos des Energiekonzerns und ihre Visitenkarte liegen. Sie hatte auf die Rückseite ihre Handynummer geschrieben.

In den letzten Jahren hatte es viele Frauen in Eschburgs Leben gegeben. Die Frauen mochten ihn, er hatte es nie besonders schwer. Er schlief mit ihnen, aber es berührte ihn nicht. Meistens erinnerte er sich nach ein paar Tagen nicht mehr an ihre Namen. Wenn er sie zufällig noch einmal traf, war er höflich, blieb aber unverbindlich. Zweimal hatte er geglaubt, dass er eine Frau mochte, aber dieses Gefühl hatte nicht länger als eine Woche gehalten.

Noch in der Nacht entwickelte er das Bild von Sofia. Er vergrößerte es, aber er retuschierte nichts. Er hängte den Abzug an eine Wand im Studio. Der Hintergrund war verschwommen und dunkel, eine Haarsträhne fiel ihr in die Stirn, ihr Gesicht war konzentriert und weiß.

Ihre Arme waren abgeschnitten, sie war nur ein Torso.