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In den nächsten Jahren im Internat saß Sebastian fast immer in der Bibliothek und las. Er war in Indien, in der Sierra Nevada oder im Dschungel, er fuhr mit Hundeschlitten und ritt auf Drachen, er fing Wale, war Seefahrer, Abenteurer und Zeitreisender. Er unterschied nicht zwischen den Geschichten und der Wirklichkeit.

Zuerst fiel es dem Bibliothekar auf. Er sah Sebastian einige Male aufgeregt mit jemandem sprechen, obwohl der Junge alleine im Lesesaal war. Dem Bibliothekar kam es seltsam vor und er meldete es der Internatsleitung. Präfekten und Lehrer besprachen den Vorfall, Telefonate wurden mit Sebastians Mutter geführt und schließlich wurde beschlossen, die Sache untersuchen zu lassen.

Der Pater seiner Abteilung fuhr mit Sebastian in die Hauptstadt. Er sagte, sie würden einen Arzt besuchen, der berühmt sei, ein Professor der Universität.

Der Arzt war dick, er roch nach Erbsensuppe und er war schon sehr alt. Aber er sah nicht aus wie ein Arzt und seine Praxis sah auch nicht aus wie die Praxis eines Arztes. An den Wänden hingen afrikanische Masken und auf dem Schreibtisch lag eine Kette, die aus Knochen gemacht war. Sebastian fuhr fünfmal mit dem Pater zu dem dicken Arzt in die Stadt. Es waren schöne Ausflüge, der Pater ging mit Sebastian danach immer in ein Café und er durfte sich einen Kuchen aussuchen.

Beim letzten Mal sagte der dicke Mann, Sebastian müsse jetzt nicht mehr kommen. Er besprach etwas mit dem Pater, was sich Sebastian merken wollte, aber die Männer benutzten Worte, die er nicht kannte. Der dicke Mann sagte: »Visuelle Halluzinationen« und viele andere schwierige Sachen.

Draußen fragte Sebastian den Pater, was der dicke Arzt gesagt habe, er hatte ein wenig Angst, dass er krank sei. Der Pater beruhigte ihn, es sei nichts Schlimmes. Sebastian bilde sich Menschen und Dinge ein, die es nicht gebe. Kinder würden das manchmal tun, die Grenze zwischen der Wirklichkeit und den Dingen im Kopf sei noch nicht so deutlich. Mit der Zeit würde sich das »verwachsen«. Der Pater sah traurig aus, als er es sagte. Dann gingen sie wieder in das Café. Sebastian bestellte einen Marmorkuchen und der Pater bestellte ein Bier.

Es gefiel Sebastian nicht, dass sich etwas in ihm »verwachsen« soll. Die Köchin zu Hause hatte einen schiefen Finger, der sei einfach »verwachsen«, hatte sie gesagt. Sebastian wollte keine krummen und hässlichen Sachen in seinem Kopf. Auf der Rückfahrt dachte er lange darüber nach. Er entschied, dass es nichts ausmache, wenn er sich weiter mit Odysseus, Herkules und Tom Sawyer unterhielt. Aber er durfte niemandem davon erzählen, er musste vorsichtiger werden.