KAPITEL 16

»Und jetzt?«, fragte Shelton.

Ich wusste keine Antwort. Chance’ letzte Worte gingen mir nicht aus dem Kopf.

»Dann behalten wir die Münzen eben für uns«, freute sich Hi.

Inzwischen waren wir fast am Yachthafen. Ben schickte eine SMS an seinen Vater, der darauf wartete, uns zurück nach Morris Island zu bringen. Aber ich wollte so schnell nicht aufgeben.

»Ich fahre nach Loggerhead«, sagte ich.

»Wozu?« Shelton runzelte die Stirn. »Willst du zum LIRI

»Wir müssen den zweiten Cache untersuchen«, antwortete ich, »aber dazu habe ich nicht die nötige Ausrüstung. Kit überlässt mir bestimmt ein Labor, wenn ich einen plausiblen Grund habe.«

Eigentlich war ich mir dessen gar nicht sicher, doch etwas anderes fiel mir nicht ein. Außerdem würde mich die Beschäftigung mit dem verschmorten Cache von Chance ablenken.

Shelton machte mir einen Strich durch die Rechnung.

»Sollten wir nicht über das reden, was Chance gesagt hat?«, fragte er leise. »Dieser komische Scherz über Gold und leuchtende Augen … Das saß.«

Ich war absolut der gleichen Meinung. Der Spruch, den Chance uns zum Abschied reingereicht hatte, erschien mir wie eine Herausforderung. Wie Hohn. Oder schlimmer noch: als Warnung.

Wie viel wusste er? Wie viel vermutete er? An wie viel konnte er sich erinnern?

Wir waren am Wasser. Tom Blue wartete am Anleger, der Motor der Hugo schnurrte schon.

»Ein Problem nach dem anderen«, sagte ich. »LIRI. Die Cache-Reste.«

»Ohne mich«, antwortete Ben. »Ich habe jede Menge Hausaufgaben und kann es mir nicht leisten, wegen einer fixen Idee den ganzen Weg nach Loggerhead zu fahren. Zeitverschwendung.«

Besten Dank auch.

»Wie sollen wir denn ohne die Sewee hinkommen?«, fragte Hi. »Schwimmen?«

»Mein Dad will von Morris aus gleich zum LIRI weiter. Fahrt doch mit ihm und nehmt dann das Abendshuttle.«

»Ich komme auch nicht mit«, sagte Shelton. »Meine Mutter hat beschlossen, dass ich mein Zimmer aufräumen muss. Und zwar vorm Abendessen.«

Hoffnungsvoll sah ich Hi an. »Bitte, bitte? Du bist doch der ungekrönte König des Labors.«

Hi rieb sich das Kinn, als müsste er nachdenken. »Warum habe ich das Gefühl, ich würde jemandem auf den Leim gehen?« Dann zuckte er mit den Schultern. »Okay, warum nicht? Aber ich darf die Geräte bedienen.«

»Abgemacht.«

Hi und ich betraten Gebäude 1 durch die Glastür.

»Oh, super!«, murmelte ich. Sicherheitschef Hudson stand am Tresen.

Seine Stirn zeigte tiefe Falten. Er erhob sich und strich sorgsam die makellose blaue Uniform glatt.

»Was möchtet ihr?«

»Ich möchte zu meinem Vater.« Kurze Pause. »Und was ich von ihm möchte, ist für gewöhnlich meine Sache.«

Hudson hatte dafür kein Lächeln übrig. »Wirst du von Direktor Howard erwartet?«

Von seinem förmlichen Getue verärgert, ging ich aufs Ganze: »Nicht nur erwartet. Wir sind schon spät dran.«

Hudson richtete den Blick auf Hi. »Beide?«

»Beide«, erwiderte Hi rasch. »Er ist unser Völkerballtrainer und wir wollen uns ein paar neue Verteidigungszüge überlegen.«

Hudson kniff die Augen zusammen. »Völkerball?«

»Bezirksmeisterschaft.« Hi klopfte sich auf die Brust. »Ich bin unser Topwerfer. Zuerst muss man die Bälle ja abfangen und dann werfen, aber mit leichtem Effet, damit …«

»Soll ich mich eintragen?« Ich griff nach seinem Klemmbrett.

Hi konnte sich kaum zurückhalten, aber er bewegte sich auf dünnem Eis. Auf gar keinen Fall wollte ich riskieren, dass Robocop oben anrief.

Hudson musterte uns finster. Möglicherweise machte er sich Sorgen, dass wir getarnte Al-Qaida-Mitglieder sein könnten. »Unterschreiben. Direkt nach oben.«

Kurz darauf betraten wir im dritten Stock den Flur des Direktors. Der Drache war nicht da, vermutlich hatte sie sich hinter irgendeiner Ecke versteckt und frönte ihrer Nikotinsucht. Ich ging direkt zu Kits Tür durch und klopfte.

»Herein.«

Kit saß hinter einem mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch und hielt sich einen Telefonhörer ans Ohr. Überrascht von unserem Erscheinen, gab er uns mit einem Wink zu verstehen, wir sollten uns setzen, während er das Telefonat beendete.

»Aber ich will die Zuwendung gar nicht kürzen, Pete.« Kit rieb sich die Augen. »Das Institut hat sich schon immer an der Finanzierung des Delfinexperten im Aquarium beteiligt. Ich sehe keinen Anlass, daran etwas zu ändern.« Pause. »Ja, natürlich kostet das Geld. Aber das LIRI ist dabei, das kann ich Ihnen versichern.«

Kit deckte den Hörer ab. »Eine Sekunde. Dieser Typ findet nie ein Ende.«

Seit Karstens Zeit hatte sich wenig im Büro verändert. In der Ecke stand ein Kleiderständer zwischen zwei überfüllten Bücherregalen. Hinter dem Schreibtisch konnte man durch ein großes Eckfenster hinaus auf den Atlantik blicken. Ein Sideboard und zwei niedrige Aktenschränke standen darunter.

Kits größter Beitrag zur Einrichtung war eine Sammlung von gerahmten uralten Tierarztschaubildern an der Wand. Die sahen echt cool aus.

Auf dem Schreibtisch standen ein Laptop und zwei Bilder. Eins zeigte mich und Kit beim Essen auf der Dachterrasse. Auf dem anderen sah man Kit und Whitney, wie sie sich ein Eis teilten.

»Heilige Scheiße.« Hi deutete auf das zweite Foto. »Dein Vater ist ein ziemlicher Trottel, was?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Die Beweislast ist erdrückend, ja.«

Kit legte auf und seufzte laut. »Diese Anzugträger denken nur ans Geld. An Etats. Einkünfte kontra Ausgaben. Verstehen die nicht, dass wir gemeinnützig sind? Dass uns die Tiere am Herzen liegen?«

Ich nickte mitfühlend. »Immer für die gute Sache kämpfen!«

»Natürlich. Und glücklicherweise verfügt das LIRI über einiges an Mitteln.« Kit lächelte. »Dank euch.«

»Gern geschehen«, sagten Hiram und ich wie aus einem Mund.

»Was kann ich für euch tun? Warum seid ihr hier?«

Zeit, den lieben Daddy zu umgarnen. Mal wieder.

»Wegen eines Schulprojekts. Wir sollen ein paar Tests für den Leistungskurs Chemie machen. Du könntest uns nicht zufällig für ein paar Stunden ein Labor überlassen?«

Kit wurde hellhörig. »Schulprojekt? Das habe ich doch schon einmal irgendwo gehört.«

»Ehrlich! Wir sollen einen Gegenstand auf Spuren untersuchen. Absolut sauber. Wir wollen uns nur ein paar Extrapunkte sichern.«

Hi sagte nichts und nickte nur grinsend. Das war vermutlich nicht sehr hilfreich.

»Nehmt Labor 2, wenn es offen ist.« Kit beugte sich vor. »Aber wenn ihr etwas ausheckt, ich bin auf Draht! Die Tage von Kit dem Ahnungslosen sind vorüber. Ich habe euch im Auge wie ein … ein … ein wirklich wachsamer Aufpasser.« Er legte den Kopf schief. »Wie eine Eule vielleicht?«

»Etwas aushecken?« Ich hob beschwichtigend die Hand. »Wir wissen gar nicht, wie das geht.«

»Kit hat es nicht so mit Vergleichen«, sagte ich, während ich die Metalloberfläche eines Labortresens abwischte. »Ich hätte einen Habicht genommen oder das Hubble-Teleskop. Na ja, Eule geht wohl auch.«

Wir richteten uns in Labor 2 ein. Es war das kleinste im Hauptgebäude und lag ein wenig abseits im zweiten Stock, was bestens war, wenn man nicht gestört werden wollte. Glücklicherweise hatten wir den Raum ganz für uns.

»Er verliert schnell den Faden«, stimmte Hi zu. »Aber es ist mehr die Art, wie er spricht.«

»Auch richtig.«

Währenddessen breitete Hi ordentlich unsere Beweisstücke aus: iPad, Rätselschachtel, Brief von Loggerhead, der versengte Behälter aus Castle Pinckney. Nicht viel, doch mehr hatten wir nicht. Als er fertig war, faltete er die Hände. »Und jetzt?«

»Ich weiß nicht genau«, gab ich zu. »Jetzt könnten wir Ben und Shelton gut gebrauchen.«

Hi schnaubte. »Ben hält es für Zeitverschwendung, schon vergessen?«

»Wie könnte ich das vergessen?« Das sah ihm gar nicht ähnlich. »Sonst steht Ben doch auf solchen Kram. So wie es momentan aussieht, ist dieses ›Spiel‹ todernst. Irgendein mordlustiger Irrer will Menschen umbringen. Deshalb verstehe ich nicht, warum …«

Die Tür ging auf und Anders Sundberg steckte den Kopf herein.

»Hey, ihr beiden.« Anders trug einen weißen Laborkittel über seiner Arztkleidung. »Was gibt’s? Kann ich euch irgendwie helfen?«

»Nein, danke.« Bloß nicht am Haar herumfummeln. »Wir kommen schon zurecht.«

Anders sah einfach zu gut aus. Unheimlich gut.

Aus dem Augenwinkel konnte ich beobachten, wie Hi den Brief des Spielleiters in eine Schublade legte. Wir müssen uns an die Regeln halten.

»Wir brauchen das Labor nur für eine Weile«, sagte ich. »Kit dachte, es wäre frei.«

»Iglehart ist für heute fertig, also könnt ihr es haben.« Anders grinste dümmlich. »Und ich will ehrlich sein. Kit hat mich zum Spionieren geschickt.«

Tatsächlich? Vielleicht war meine Show nicht ganz so überzeugend, wie ich gedacht hatte. Das könnten wir aber möglicherweise in einen Vorteil umkehren.

»Ich möchte nicht den Spielverderber geben«, sagte Hi, »aber es geht nur um Schulkram.«

Anders betrachtete die Ansammlung auf unserem Labortisch. »Interessantes Projekt.«

»Ziemlich.« Dann mal los. »Wir sollen diese Gegenstände auf Spuren untersuchen.«

»Eine forensische Aufgabe?« Anders wurde neugierig. »Kriminaltechnik? Hört sich spannend an.«

»Sicher.« Hi kam mir zu Hilfe. »Auf einem dieser Gegenstände gibt es eine Spur. Die sollen wir finden.«

»Ich bin dabei.« Sundberg holte eine Schachtel Latexhandschuhe aus einem Schrank. »Erste Regel bei forensischen Untersuchungen: Kontaminierung durch Berührung vermeiden. Man will ja keine zusätzlichen Spuren hinzufügen.«

Ich zuckte zusammen. Bislang hatte ich den Kram einfach in meinem Rucksack herumgeschleppt.

Passiert ist passiert.

»Und wonach genau sollen wir suchen?«, fragte Hi und zog sich einen Latexhandschuh über.

»Nach irgendetwas. Spurenmaterial ist alles, was ausgetauscht wird, wenn zwei Objekte Kontakt haben.«

Anders kam zum Labortisch. »Häufig wird der Kontakt durch Hitze erleichtert, die bei der Reibung entsteht. Bei einem Fingerabdruck zum Beispiel.« Vorsichtig hob er das iPad hoch. »Der Touchscreen dürfte die perfekte Stelle sein, um danach zu suchen.«

Ich sah Hi an, der säuerlich die Stirn runzelte. Das iPad hatten wir alle in der Hand gehabt. Wenn darauf Fingerabdrücke gewesen waren, war dieser Zug abgefahren.

»Darum geht es bestimmt nicht«, wandte ich ein. »Wir haben es zur Bearbeitung unserer Aufgabe schon selbst benutzt, also dürften unsere Fingerabdrücke drauf sein.«

Sundberg zuckte mit den Schultern und legte es zurück, um sich der Geheimschachtel zuzuwenden. »Was ist das?«

»Ein Himitsu-Bako.« Hi zwinkerte. »Das ist Japanisch.«

»Kann man es öffnen?«

»Hoffentlich.« Ich packte die Seiten und versuchte, Sheltons Griffe nachzumachen, konnte mich jedoch nicht mehr genau an die Abfolge erinnern. Nach drei Versuchen gab ich auf. Hi hatte auch nicht mehr Glück.

»Da drin haben wir einen Brief gefunden«, sagte ich und ließ mir meine Enttäuschung nicht anmerken. »Aber die weitere Untersuchung wird wohl warten müssen.«

»Wenn ihr es offen habt«, schlug Anders vor, »solltet ihr nach Haaren, Kosmetik, Glas oder Fasern suchen.« Nachdenklich sah er zur Decke. »Und Erde oder botanischen Stoffen wie Pollen. Vielleicht Farbsplitter oder -abriebe. Ihr wisst schon, was ich meine. Und mit Klebeband fixiert ihr sie.«

»Was ist damit?«

Ich tippte an den Cache aus Castle Pinckney. Trotz Brandspuren und Beulen war er noch in einem Stück. Auf den Behälter setzte ich die größten Hoffnungen.

»Okay, das ist ja wirklich interessant.« Sundberg betrachtete eine verkohlte Stelle an der Außenseite. »Da wurde Brandbeschleuniger benutzt. Irgendeine Art von Öl vielleicht oder ein anderer Kraftstoff.«

Hi kam näher. »Hilft uns das weiter?«

»Brandbeschleuniger verbrennen nicht vollständig. Sie hinterlassen Rückstände.« Anders hob eine Hand. »Für einen richtigen Chemiker sind Brandbeschleuniger nur Verbindungen und Gase, die die Verbrennung fördern – so wie Gase mit hohem Sauerstoffanteil –, und nicht so sehr der Brennstoff selbst. Dazu zählen Benzin, Azeton, Kerosin und so weiter. Doch bei den Forensikern gilt alles als Brandbeschleuniger, was ein Feuer heißer brennen lässt, zur schnelleren Ausbreitung beiträgt oder das Löschen erschwert.«

»Wenn wir die Rückstände identifizieren, sagt uns das, welcher Brandbeschleuniger verwendet wurde«, dachte ich weiter. »Und dann wissen wir, wodurch das Feuer ausgelöst wurde.«

»Und solches Wissen kann zu einem Verdächtigen führen«, fügte Hi hinzu. »Wenn eine Bombe mit Butan gefüllt ist, könnten wir uns Raucher vornehmen, weil man damit Feuerzeuge füllt.«

»Exakt.« Anders holte Material aus einer Schublade. »Das beste Beispiel sind die Rückstände von Schießpulver. Obwohl unsichtbar, klebt es an der Hand des Schützen. Das ist sehr nützlich, wenn man herausfinden will, wer wen erschossen hat.«

»Echt interessant, Mann«, sagte Hi. »Was wäre der nächste Schritt?«

Anders sah sich den Cache genau an. »Ein Versuch kann nicht schaden.« Indem er den versengten Bereich mit einem langen Wattestäbchen abtupfte, nahm er einen dunklen Schmierfilm auf.

»Bingo.« Anders war mit sich zufrieden. »Was auch immer das ist, es hat die Flammen beschleunigt, die diesen Behälter verbrannt haben. Das ist der Jackpot für Spurensucher.«

»Super.« Meine Laune verbesserte sich zunehmend. Vielleicht würde das ja funktionieren. »Wie können wir die Substanz identifizieren?«

»Am besten mit einem Massenspektrometer oder auch mit einem Rasterelektronenmikroskop. Brandermittler benutzen manchmal auch eine Technik namens Headspace-Gaschromatografie, bei der Gasproben in ihre Bestandteile zerlegt werden. Wenn man eine Ahnung hat, um welchen Brandbeschleuniger es sich handelt, kann man auch einen chemischen Test machen.«

»Großartig!« Ich rieb mir die Hände. »Womit fangen wir an?«

Anders zog die Augenbrauen hoch. »Tory, das kannst du knicken. Diese Maschinen sind sehr teuer. Die kann ich euch leider nicht für ein Schulprojekt überlassen.« Er zögerte und schob die Lippen vor. »Eure Lehrer können doch nicht eine vollständige Analyse erwartet haben. Wie solltet ihr die durchführen? Ich denke, mit dem Tupfer dürftet ihr schon recht gut dastehen.«

»Na klar.« Hi verpasste mir einen Ellbogenstoß in die Seite. »Tory ist ein echter Scherzkeks. Lassen wir mal das Massenspektrometer laufen, haha.« Er zog eine Fratze und deutete mit dem Daumen über die Schulter auf mich. »Sehr lustig!«

»Ja, du hast recht.« Ich lachte bemüht. »Die Probe vom Rückstand ist mehr als genug.«

Aber wie sollten wir die Probe auswerten?

Vor Enttäuschung hätte ich beinahe geknurrt. Und vor Sorge. Die Drohungen des Spielleiters kreisten in meinem Kopf. Ich durfte Anders nichts verraten, aber wir brauchten diese Tests.

Hi fing an, unsere Beweisstücke einzupacken, und redete dabei vor sich hin. »Ich denke, wir sind ein ganzes Stück vorangekommen. Das wird einschlagen wie eine Granate. Der erste Platz im … Hausaufgabenwettbewerb ist auf jeden Fall drin. Wir bekommen vielleicht ein Abzeichen mit einem Periodensystem …«

Ich hörte nicht mehr hin.

Eine chemische Analyse war ein bisschen viel verlangt. Allerdings fiel mir etwas anderes ein. Trotz seiner superreichen Herkunft hatte Jasons Vater sich als junger Mann über die Familientradition der Taylors hinweggesetzt und sich für eine Karriere bei den Freunden und Helfern entschieden. Nach Jahren bei der Mordkommission hatte man ihn zum Leiter der Abteilung Gewaltverbrechen bei der Polizei von Charleston ernannt.

Sollte ich es auf der Schiene versuchen? Beim letzten Mal hatte das nicht so gut geklappt und welche Geschichte müsste man Jason dazu auftischen? Wenn es um seltsame Bitten ging, hatte meine Glaubwürdigkeit stark gelitten. Sogar bei meinem Vater.

»Kennen Sie jemanden, der auf solche Analysen spezialisiert ist?«, fragte ich beiläufig.

»Die Polizei«, antwortete Sundberg. »Wir haben die bessere Ausrüstung, aber die haben das Know-how.« Ein misstrauischer Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Wieso?«

»Für die Hausaufgabe. Wir sollen … wir haben eine Liste mit Fragen über Forensik. Ich glaube, dazu müsste man einen Fachmann ausquetschen.«

»Ach, kein Problem.« Anders tippte sich ans Kinn und dachte nach. »Im Labor des CPD, der Polizei von Charleston, arbeitet ein Bursche namens Eric Marchant. Hudson kennt ihn ziemlich gut – wenn ihr euch traut, ihn darauf anzusprechen. Nach allem, was ich höre, ist Marchant einer der Forensikexperten der Stadt. Ein sehr guter Ballistiker.«

Hmm, immerhin ein Anfang.

»Danke für die Hilfe.« Hi klopfte Sundberg auf die Schulter, was diesen zu erschrecken schien. »Sie kommen auf jeden Fall in der Dankesrede vor, wenn wir uns den Nobelpreis für Fantastische Forschung abholen.«

»Zu freundlich.« Sehr trocken. »Kann ich Kit sagen, dass ihr hier fertig seid?«

»Ja.« Hi drehte sich zu mir um. »Bist du so weit, Tory?«

Ich nickte. »Danke, Anders.«

»War mir ein Vergnügen.« Er winkte knapp und ging hinaus.

»Wenigstens etwas haben wir herausgefunden.« Hi holte den Brief vom Spielleiter aus der Schublade und steckte ihn in seinen Rucksack. »Hat sich doch gelohnt.«

»Absolut. Erzählen wir es den anderen.«

Auf dem Weg zur Tür hatten meine Schritte wieder ein bisschen mehr Schwung. Auch wenn wir noch keine endgültigen Antworten hatten, so gab es einen Punkt, an dem wir anknüpfen konnten. Einen Fortschritt.

Zum ersten Mal, seit Coop verletzt worden war, hatte ich das Gefühl, die Sache ein bisschen unter Kontrolle zu haben. Die Demütigung, nach der Pfeife des Spielleiters tanzen zu müssen, ließ ein wenig nach.

Pass bloß auf, Spielleiter!

Als wir auf den Fahrstuhl warteten, hätte ich sogar fast gelächelt.

Du hast dir die Falschen ausgesucht!