KAPITEL 13
Nach meinem Abendspaziergang mit Wuff kam mir eine Idee. Ich war immer noch davon überzeugt, dass es Mikaela gewesen sein musste, die mein Fahrrad geklaut hatte, und nicht Hedvig. Hedvig sammelt Schrott und ist echt durchgeknallt, aber eine Diebin ist sie nicht. Außerdem war ich mir keineswegs sicher, dass das Fahrrad vor Hedvigs Bruchbude tatsächlich gestreift gewesen war.
Ich überlegte eine Zeit lang, wo ich suchen sollte. Mikaela würde ein gestohlenes Fahrrad kaum vor oder neben dem Haus stehen lassen, wo jeder es sehen konnte. Demnach müsste es hinter dem Haus stehen, wenigstens, wenn es sich nicht in der Garage befand.
Mit angespannten Nerven schlich ich mich in Mikaelas Garten. Wenn ich entdeckt würde, wäre es schwierig, meine Anwesenheit dort zu erklären. Aber ich war dunkel gekleidet, und um mich zu erkennen, müsste man bewusst nach mir Ausschau halten. Außerdem gab es reichlich Möglichkeiten, sich zu verstecken, weil in diesem Garten viel mehr angepflanzt ist als bei uns. Keine große Leistung, weil unser Grundstück hauptsächlich aus von Wuff gebuddelten Löchern besteht.
Irgendjemand war daheim. In der Küche und hinter einem Fenster im Obergeschoss brannte Licht, im übrigen Haus war alles dunkel.
Falls Mikaela mein Fahrrad genommen hatte, befand es sich jedenfalls nicht hinter dem Haus, so viel konnte ich schnell feststellen. Allerdings stand ein rotes Damenfahrrad dort.
Ich ging näher hin. Das war Mikaelas Rad.
Da fuhr irgendwas in mich, ein kleiner Teufel mit schwarzen Flügeln, der meinen Kopf übellaunig umschwirrte und mir Bosheiten ins Ohr flüsterte. Er brachte mich dazu, das kleine Klappmesser an meinem Schlüsselbund in den Hinterreifen zu stechen. Während die Luft herauszischte, schraubte ich auch noch den Sattel ab.
Jetzt hab ich’s dir heimgezahlt!, dachte ich zufrieden.
Dann suchte ich weiter und umrundete das Haus.
An der einen Giebelwand lehnte noch ein Fahrrad. Auch das war nicht meins, ähnelte allerdings sehr dem von Mikaela.
Womöglich gehörte es Mikaelas Mutter?
Ich erstarrte.
Oder?
Herauszufinden, welches wem gehörte, war kein Problem. Wenn mir das nur früher eingefallen wäre! Mikaela hat lauter kleine Herzchen unter den Rahmen ihres Fahrrads geklebt. Auf denen steht jeweils der erste Buchstabe der Namen aller Jungs, die sie geküsst hat. Ihre Mutter wird das kaum gemacht haben.
Mit bösen Vorahnungen tastete ich mit den Fingern unter den Rahmen. Ich fand eine ganze Reihe, neun, nein, zehn Aufkleber. Sicherheitshalber ging ich zu dem Fahrrad zurück, das ich vorhin sabotiert hatte. Keine Aufkleber.
Shit!
Das falsche Fahrrad.
Plötzlich zuckte ich zusammen.
Jemand brüllte: „Wie kannst du nur!?“
Meine Gedanken suchten in turbomäßigem Tempo nach einer einleuchtenden Erklärung für die Tatsache, dass ich in einem fremden Garten herumschlich und außerdem das Fahrrad von Mikaelas Mutter kaputt gemacht hatte.
„Ich …“, fing ich an.
Die Stimme fuhr fort, ohne auf eine Fortsetzung meinerseits zu warten.
„Wie kannst du nur? Glaubst du etwa, ich hätte sie entführt?“
Das war Samuel Wester.
Erst jetzt entdeckte ich, dass die Terrassentür nur angelehnt war. Wester stand nicht weit von der Tür entfernt im Wohnzimmer.
„Ist das ein Wunder?“, rief Mikaelas Mutter aus. „Wenn man bedenkt, dass …“
„Als ob ich noch nicht gestraft genug wäre!“
Danach geschah alles sehr schnell. Die Terrassentür flog auf und Wester kam herausgestürzt.
Ich hatte keine Chance, konnte weder fliehen noch mich verstecken.
Plötzlich fiel mir Wuff ein, die in der Gegend herumgeschnüffelt hatte, während ich vollauf damit beschäftigt gewesen war, fremdes Eigentum zu zerstören. Ich musste sie unbedingt aufhalten, bevor sie sich auf Samuel stürzte.
„Wuff!“, zischte ich. „Wuff!“
Kein Hund kam. Wester hingegen blieb stehen und starrte mich finster an. Dann schüttelte er den Kopf, als wäre ich nicht ganz bei Trost, und lief mit großen Schritten davon, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Ich hörte die Autotür zuschlagen und das Auto mit quietschenden Reifen starten.
Ich floh nach Hause. Wuff stand vor der Tür, die Schnauze in den Türspalt gepresst, und wedelte hoffnungsvoll mit dem Schwanz.
Ich schloss auf und trat ein, verwirrt und durcheinander nach der peinlichen Begegnung mit Samuel Wester und dem Streit, den ich mit angehört hatte.
Mikaelas Mutter hatte Wester vorgeworfen, etwas mit Mikaelas Verschwinden zu tun zu haben! War es möglich, dass er ihr etwas angetan hatte? Etwas richtig Schlimmes, das ich mir kaum vorzustellen wagte?
Sollte ich irgendjemanden über diesen Streit informieren? Die Polizei? Dann wüsste Wester natürlich sofort, dass ich diejenige war, die ihn verraten hatte.
Oder war es besser, den Mund zu halten? Vielleicht hatte sich Mikaelas Mutter das bloß eingeredet, weil sie so traurig und voller Angst und Sorge war?
In dem Fall würde ich alles nur noch schlimmer machen. Ich brauchte mir bloß vorzustellen, wie es wäre, wenn jemand den ganzen Unsinn verbreiten würde, den ich von mir gab, wenn ich wütend war!
Ich versuchte eine Lösung zu finden, doch stattdessen fielen mir nur immer neue Fragen ein. Ich beschloss, erst mal in aller Ruhe abzuwarten.
Aber Samuel Wester anzurufen und so zu tun, als käme der Anruf von einer Autowerkstatt, das war unmöglich. Er würde meine Stimme sofort erkennen und glauben, ich hätte es auf ihn abgesehen.
Es musste eine andere Möglichkeit geben, um herauszufinden, ob sein Auto in einer Werkstatt gewesen war.