4.
Jahzara Jan-Zela stockte der Atem. Sie konnte nicht glauben, was sie da in der Zeitung entdeckt hatte. Ostentativ starrte sie hinaus auf die Lagune. Das Boot passierte soeben die Friedhofsinsel Cimitero di San Michele, nur wenige Fahrminuten von Venedigs Altstadt entfernt. Sie hatte gelesen, dass auf diesem so wunderschön in der Lagune gelegenen Idyll berühmte Menschen wie der Dichter Esra Pound und der Komponist Igor Strawinsky ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Und von ihrem Bekannten wusste sie, dass auch der berühmte Mönch und Kartograf Fra Mauro einst auf der Insel in einem Kloster gelebt hatte. Für sie war es der schönste Friedhof, den sie jemals gesehen hatte. Das waren ihre letzten Gedanken gewesen, bevor ihr Blick auf dem Titelbild einer italienischen Zeitung haften geblieben war, die neben ihr auf der Bank lag. Sie verstand die in großen roten Lettern gedruckte Bildüberschrift nicht, aber sie kannte den Mann, der dort abgebildet war. Seitdem raste ihr Puls.
Abermals schaute sie auf die Lagune, schielte erneut nach der Zeitung, drehte sich abrupt um und ließ ihren Blick über die Menschenmasse auf dem Vaporetto wandern. Panisch fixierte sie ein männliches Gesicht nach dem anderen. Nein, der Mann war nicht auf dem Boot! Vielleicht versteckte er sich irgendwo vorne bei der Kajüte des Kapitäns? Oder hatte sie sich getäuscht? Bildete sie sich nur ein, dass sie ihn gesehen hatte, diesen Mann mit dem blauen Hemd und den Jeans? Verfolgte er sie? Nervös fuhr sie mit den Händen durch ihr langes Haar, sträubte sich dagegen, wieder auf die Zeitung zu schauen. Sie zitterte am ganzen Leib. Sie wollte, konnte es nicht glauben. Trotzdem prangte das Antlitz des Toten auf der Titelseite: aschfahl, gequält. Und doch hatte sein Gesicht nicht jene Güte verloren, die ihn so ausgezeichnet hatte. Jahzara wusste nicht, was sie tun sollte. Schreien vor Schmerz? Weinen, weil dieser alte Mann, den sie erst vor wenigen Wochen noch gesehen und gesprochen hatte, nun tot, offensichtlich ermordet worden war? Ermordet, kurz bevor sie ihn besuchen konnte! Ja, sie war auf dem Weg zu Charles. Den ganzen Morgen hatte sie sich maßlos darauf gefreut, den alten Mann wiederzusehen.
Vor zwei Jahren hatten sie sich in Kairo zum ersten Mal getroffen hatten, zusammen mit ihrem Vater, der den ehemaligen Mönch viele Jahren zuvor kennen gelernt hatte. Ihr Vater war es auch gewesen, der ihr empfohlen hatte, sich mit Charles in Verbindung zu setzen. »Der alte Mönch wird dir sicherlich sehr behilflich sein können bei deiner Dissertation«, hatte ihr Vater gesagt. Und so war der Kontakt zu Charles Bahri entstanden, dem ehemaligen Franziskanermönch, der so unglaublich viel Aufregendes wusste über die Geschichte des Christentums in Äthiopien und der sich sofort bereiterklärt hatte, ihr bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit zu helfen. Über zwei Jahre hinweg hatten sie einen sehr gedeihlichen und warmherzigen Kontakt gepflegt. Charles war ein Grandseigneur. Sein Charme war umwerfend. Seine kleinen Augen funkelten stets verschmitzt. Und er war ein wandelndes Lexikon in Sachen Afrika. Schon bald hatte er ihr Dokumente und Bücher gegeben, die ihr die Sprache verschlagen hatten.
»Mein Kind«, hatte er mal gesagt, »ich möchte, dass die Öffentlichkeit erfährt, was das päpstliche Rom unseren christlichen Mitbrüdern in Afrika im Zeichen und Namen Christi angetan hat. Die Welt soll erfahren, dass die Stellvertreter Gottes auf Erden nicht ohne Makel, nicht ohne menschliche Schwächen sind. Ja, das möchte ich. Und ich will, dass du, eine Afrikanerin, dies der Welt zur Kenntnis bringst. Denn mir, einem verstoßenen Mönch, wird man nicht glauben. Rachegelüste und von Hass geprägtes Gedankengut würde man mir unterstellen.«
Das war vor wenigen Wochen in Kairo gewesen. In der Folgezeit waren ihr geheimnisvolle Päckchen mit unbekanntem Absender zugestellt worden. Päckchen, um deren Inhalt sie jeder Historiker, jeder Religionswissenschaftler beneidet hätte: jahrhundertealte Dokumente in lateinischer, portugiesischer und spanischer Sprache. Aber auch Dokumente in der altäthiopischen Sprache Ge’ez. Auf keiner dieser mysteriösen Postsendungen stand der Name von Charles Bahri als Absender darauf. Doch sie war sich sicher, dass sie von ihm stammten. Denn jedes Mal, wenn sie miteinander sprachen, stellte er Fragen, die einen direkten Bezug zu dem Inhalt der Päckchen hatten. Charles, darüber war sie sich schnell klar geworden, hatte Angst. Große Angst. Vor wem und warum, würde sie nun wohl nie mehr erfahren. Denn Charles war tot.
»Excuse me«, sprach sie einen ihr gegenübersitzenden jungen Mann an, der sie schon die ganze Zeit unverhohlen anstarrte. »Do you speak English or Portuguese? Können Sie mir sagen, was in diesem Artikel steht«, fragte sie und hielt dem Mann die Zeitung entgegen. Der etwa Fünfundzwanzigjährige antwortete in akzentfreiem Englisch: »Ja, natürlich. Ich spreche Englisch. Wie kann ich Ihnen helfen? Woher sind Sie, wenn ich fragen darf?«
»Ich komme aus Lissabon«, antwortete Jahzara und vermied es, ihre wahre Herkunft zum Gesprächsthema werden zu lassen. Sie war diese penetranten Fragen gewohnt und ging ihnen aus dem Weg. Ihr exotisches Aussehen und ihre Attraktivität ließen besonders Männer in Europa sehr einfallsreich werden, um mehr über sie zu erfahren. Die wenigsten von ihnen kamen auf die Idee, dass sie aus Äthiopien stammte.
Ohne auf seine Frage einzugehen, lächelte sie zurück und deutete dezent auf den Artikel in der Zeitung. Gebannt starrte sie den Mann an, der die wenigen Zeilen auf der Titelseite überflog und dabei entsetzt das Gesicht verzog. Er blätterte einige Seiten weiter und las einen weiteren Artikel. Dann atmetet er tief durch, bevor er antwortete: »Allmächtiger! Das ist ja grauenhaft! Ein ehemaliger Mönch wurde im Kloster San Francesco del Deserto umgebracht. Und nur wenige Kilometer entfernt von hier, in Murano, wurde ein weiterer Mönch tot aufgefunden. Einer aus demselben Kloster. Auch er wurde wahrscheinlich ermordet. Wirklich schlimm! Und so etwas in dieser Stadt.«
Abrupt stand Jahzara auf, bedankte sich bei dem jungen Mann und ging schnellen Schrittes zum Bug des Schiffes, um weiteren Fragen auszuweichen. Plötzlich hatte sie grenzenlose Angst. Panisch schaute sie sich um. Schon seit Tagen konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden. Heute glaubte sie die Nähe eines Verfolgers geradezu zu spüren. Vielleicht lag dieses Gefühl aber auch nur an der Brisanz der Unterlagen, die sie vorgestern von dem blinden Gitarristen am Campo San Rocco im Namen von Charles erhalten hatte. Diese geheimnisvolle Übergabe hatte sie aufs Neue in der Erkenntnis bestärkt, dass Charles im Besitz von kompromittierenden Dokumenten war, die den Vatikan in peinliche Erklärungsnöte bringen und die Christen der Welt schockieren würden. Der nette Musiker hatte ihr schließlich mitgeteilt, dass Charles sie heute Mittag um zwei Uhr an der Anlegestelle des Vaporettos in Burano erwarten würde. Und nun war er tot!
Bestimmt war es besser, Venedig bald zu verlassen. Panisch überflog sie den Stadtplan in ihrer Hand. Mit der Linie N würde sie zurück zur Stadt und dann mit der Linie 43 weiter zu ihrem Hotel nahe der Ponte di Rita kommen. Zuvor musste sie allerdings noch etwas erledigen. Eines der Dokumente, das Charles ihr hatte zukommen lassen, verwies auf das Museo Storico Navale, nur eine Haltestelle von der Pizza San Marco entfernt. Sie musste dorthin. Unbedingt! Wenn sie das portugiesische Dokument aus dem 15. Jahrhundert richtig gedeutet hatte, lagen dort Zeugnisse, die vieles beweisen würden. Ohne diese Beweise würde ihr niemand Glauben schenken. Das Unglaubliche würde belächelt, ihre Thesen für verrückt erklärt werden. Ihr Professor würde die Dissertation nicht mal entgegennehmen, wenn sie solch schwere Anschuldigungen gegen die römisch-katholische Kirche, gegen den Papst, nicht beweisen konnte. Sie musste dorthin. Auch wenn sie Angst hatte. Angst vor einem unsichtbaren Verfolger – und vor dem, was ihre sensationelle Entdeckung weltweit bewirken würde. Sie ahnte, dass sich ihr Leben bald radikal ändern würde.
Es dauerte fast eine Stunde, bis sie endlich die Haltestelle San Zaccaria erreichte. Sie hatte sich verfahren, hatte versehentlich jenes Vaporetto der Linie 43 genommen, das entgegen dem Uhrzeigersinn um die Altstadt von Venedig herumfuhr. Die ungewollte Bootstour durch die schönsten Kanäle, vorbei an prächtigen Palästen und unter der [{([{([{([{(Rialto-Brücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke)}] Rialtobrücke hindurch, hatte ihre Nerven übermäßig strapaziert. In Höhe des Yachthafens vor der mächtigen Kuppel der Kirche San Georgio Maggiore hatten grauenhafte Kopfschmerzen begonnen, sie zu quälen. Der Lärm der Touristenscharen, die sich beim Anlegen des Bootes nahe der Piazza San Marco an Deck drängten, hatte das Hämmern in ihrem Kopf verstärkt. Die frühe Nachmittagssonne hatte in ihrem Nacken gebrannt, und ihr war übel geworden.
Nun beim Verlassen des Bootes musste sie sich am Geländer des Stegs festhalten. Wohl zum hundertsten Mal suchte sie die Menschenmassen nach dem Mann mit den arabischen Gesichtszügen ab. Aber ihr Blick war verschwommen. Leicht schwankend ging sie rechts am Kai entlang über eine weiße Sandsteinbrücke auf ein neuzeitliches Ziegelbauwerk zu. Die Fassade des fünfstöckigen Gebäudes war mit Plastikplanen verhüllt. Handwerker trugen Zementsäcke umher. Erleichtert betrat sie die herrlich kühlen Räume des Museums, in dem die Geschichte Venedigs als seefahrende Weltmacht präsentiert war. Dem Reiseführer war zu entnehmen, dass hier neben Modellen von Kriegs- und Handelsschiffen auch die Bucintoro stand, die Prunkbarke, auf der der Doge in den Blütezeiten Venedigs einmal im Jahr die rituelle Vermählung mit dem Meer vollzog. Jahzara fühlte sich jedoch zu schwach, war zu angespannt, um auch nur einen schnellen Blick auf diese zeitgeschichtlich so bedeutsamen Ausstellungsstücke zu werfen. Sie wusste, wonach sie suchen musste, allerdings nicht genau, wo.
Doch schon im ersten Raum in der ersten Etage spürte sie, dass sie hier richtig war. Ein monströser, wunderschön handbemalter Holzglobus von Vincenzo Coronelli aus dem 17. Jahrhundert ließ ihr Herz schneller schlagen. Ja, hier war sie richtig! Überall hingen mittelalterliche nautische Karten von Europa und Nordafrika an den Wänden. In den Vitrinen waren prächtige, handkolorierte Sphärenkarten ausgestellt.
Ihr Blick huschte über ein Türschild. Das Büro des Museumsdirektors! Ein Mann saß hinter einem Schreibtisch. Zigarettenqualm nebelte ihn ein. Sein strähniges, dunkles Haar schimmerte im Gegenlicht des Fensters. Ihr Herz schlug schneller. Er war da! Was für ein Glück! Sie überflog eine Tafel neben der Tür des Direktors. Es war ein Dekret des Magistrats von Venedig aus dem 16. Jahrhundert: »Die Stadt der Venezianer von edler Herkunft, gegründet in den Gewässern, geschützt von ihnen selbst, ist behütet durch eine Mauer aus Wasser. Wer immer es wagt, aus welchen Gründen auch immer versucht, den Gewässern Schaden zuzufügen, wird als Staatsfeind gesehen.«
Blitzschnell wanderte ihr Blick nochmals zu dem Mann hinter dem Schreibtisch. Was sollte sie ihm sagen? Wie würde er reagieren, wenn sie ihm Grüße von Charles ausrichtete? Wusste er bereits, dass Charles tot war? Würde er ihr Zeit widmen, ihr das erzählen, was sie wissen wollte? Verunsichert ging sie weiter. Niemand sonst war in der ersten Etage anwesend. Die Ruhe in den Ausstellungsräumen entspannte sie. Dann sah sie es: Schon von Weitem erkannte sie die große, in satten Farben handkolorierte Portelan-Karte an der Wand. Sie war wunderschön. Die Jahrhunderte hatten ihr eine fast mystische Brillanz angedeihen lassen. Ehrfurchtsvoll blieb sie vor der Karte stehen. Sie betrachtete den Kupferdruck, fixierte Details, bis sie das Kreuz mit den zwölf Ecken, die an die zwölf Apostel erinnern sollen, fand. Jenes Kreuz, das seit dem ersten Jahrhundert nach Christus mit dem heiligen Evangelisten und Märtyrer Markus von Ägypten aus einen Siegeszug des Glaubens durch das nordöstliche Afrika feierte – bis die Päpste der römisch-katholischen Kirche ihren Bannstrahl gen Afrika und Konstantinopel schleuderten und die Christen Äthiopiens als Häretiker abstempelten.
Jahzara war aufgewühlt. Sie atmete schnell und laut. Aus ihrem Studium der Religionswissenschaften wusste sie nur zu gut, dass die Päpste Roms alles in ihrer Macht Stehende versucht hatten, sich die abtrünnigen so genannten Ostkirchen Untertan zu machen, sie zu isolieren, sie in die Bedeutungslosigkeit zu verbannen oder sie zu vernichten.
Fasziniert starrte sie auf das Kreuz. Es war südlich von Ägypten, nahe dem Horn von Afrika eingezeichnet. Ihr Herz schlug schneller. Sie beugte sich noch näher an die Karte heran. Die Konturen Afrikas schienen vor ihren Augen zu verschwimmen. Schließlich entdeckte sie die vier Symbole der Evangelisten neben dem Kreuz, von Meisterhand in Kupfer gestochen, klein, in zartem Braun koloriert. Ein Engel für Matthäus, der Löwe für Markus, ein Stier für Lukas und… ja, da war er, der Adler! Sein Symbol, Johannes’ Symbol! Der Evangelist, nach dem wahrscheinlich der mystische Priesterkönig Johannes benannt worden war, von dem auch in dem Buch, das Charles ihr über den blinden Gitarristen hatte zukommen lassen, so viel geschrieben stand. Sogar ein angeblicher Brief dieses Priesterkönigs aus der Zeit von Papst Eugen III. war darin abgebildet. Es war ein ungewöhnlich langes, vor Selbstbewusstsein, mithin vor Arroganz strotzendes Schreiben, das mit den Worten begann: »An alle christlichen Herrscher, insbesondere an Kaiser Friedrich I.« Ein Antwortschreiben von Papst Alexander III. aus dem Jahre 1177 war auch abgebildet, gerichtet an »Johannes, erhabener und herrlicher König«. Alles in diesem Buch über die geheimnisvollen und spektakulären Geschehnisse im mittelalterlichen Äthiopien war sensationell.
Sie erinnerte sich noch an die ersten Zeilen: »Ich habe geschrieben, dass vor geraumer Zeit, als Eugen III. auf dem Stuhl Petri saß, der syrische Bischof Hugo von Gabala, der mit einer armenischen Gesandtschaft zu Besuch beim Papst war, ihm erzählte, dass es in der Nähe des Irdischen Paradieses das Reich eines Priesterkönigs gab, des so genannten Presbyters Johannes, der ein christlicher König sei, wenn auch ein Anhänger der nestorianischen Häresie, und dessen Vorfahren jene Magier aus dem Morgenlande gewesen seien, Priesterkönige auch sie, aber Inhaber einer uralten Weisheit, die das Jesuskind an der Krippe besucht hatten.«
Gänsehaut lief ihr über den Rücken. Vor ihr an der Wand hing eine Karte, die beinahe identisch war mit der in jenem Buch. Vor ihr hing der Beweis, zumindest ein Indiz. Alles, was ihr alter Freund erzählt hatte, stimmte.
Jahzara spürte, wie Tränen der Freude über ihre Wangen rannen. Ihre Dissertation würde weltweit für Furore sorgen. Die Medien würden sie hofieren. Ihr Professor, die Universität von Lissabon würden sie in höchsten Tönen loben. Und in ihrer äthiopischen Heimat würde das, was sie nun beweisen konnte, für Sonderausgaben der Zeitungen und für stundenlange Fernsehberichte sorgen. Sie, Jahzara Jan-Zela, würde berühmt werden. Weltberühmt. Im Vatikan würde es gewaltige Turbulenzen geben. Papst Benedikt XVI. würde nicht umhinkommen, die Mitschuld der römisch-katholischen Kirche am Tod und an der Versklavung vieler christlicher Glaubensbrüder durch die Araber in Nordostafrika einzugestehen. Menschen, die der Machtgier der römisch-katholischen Kirche zum Opfer gefallen waren. Wenn sie mit ihrem Wissen an die Öffentlichkeit ginge, würde sich der Papst dafür entschuldigen müssen, dass seine Vorgänger dieses einst so mächtige Christenreich am Horn von Afrika dem Untergang geweiht hatten. Sie, Jahzara Jan-Zela, aus einem kleinen Dorf am Tanasee, würde den Christen Äthiopiens nach 600 Jahren die Genugtuung zukommen lassen, die ihnen zustand.
»Salam aleikum!« Die arabischen Worte aus dem Munde eines Mannes rissen sie aus ihren Träumen, ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren. Paralysiert verharrte sie in der leicht gebückten Stellung. Sie wagte nicht, sich umzudrehen. In der Glasscheibe vor ihr spiegelte sich ein schlanker Mann. Er stand dicht hinter ihr. Sie fühlte seinen Atem in ihrem Nacken. Der Mann trug ein blaues Hemd. So wie der Araber, den sie auf dem Vaporetto gesehen hatte.
Commissario Franco Toscanelli tobte. Keiner seiner venezianischen Kollegen hatte ihn je zuvor derart aufgebracht gesehen. Wutschnaubend rannte er im Raum hin und her. Sein Assistent blickte betroffen aus dem Fenster auf den Innenhof des Polizeipräsidiums. Der Einsatzleiter der Spezialeinheit, Gianfranco Telleddu, schluckte verlegen.
»Habe ich es hier mit Anfängern, mit Idioten zu tun, verdammt noch mal? Das kann doch nicht wahr sein! Was, glaubt ihr, geschieht, wenn das an die Presse durchsickert, hm? Tolle Titelseiten werden das: ›Venezianische Spezialeinheit lässt Mörder von zwei Priestern entkommen!‹. Toll, wirklich toll«, echauffierte sich der Kommissar, setzte sich hinter seinen Schreibtisch und zwang sich zur Ruhe. »Wie konnte das nur passieren, Gianfranco?«
Der Einsatzleiter kratzte sich verlegen im Nacken. »Es war eine fatale Aneinanderreihung unglücklicher Umstände, Commissario! Die Statur war ähnlich, die Kleidung -Jeans und ein blaues Hemd – nahezu identisch. Die Festnahme erfolgte außerdem nur wenige hundert Meter entfernt von der Haltestelle, nach der sich der Täter bei der Fahrkartenkontrolleurin auf der Rückfahrt vom Tatort nach Venedig erkundigt hatte. Das Hotel Sofitel liegt in unmittelbarer Nähe. Und der Teint des Festgenommenen war auffallend braun, weil er unlängst mehrere Wochen in Afrika war. Fast schwarze Haare hat er auch. Der geht schnell mal als Araber oder als ein Mann südlicher Herkunft durch – «
Der Commissario unterbrach ihn. »Und Sie, Gianfranco, Sie, ein Mann mit mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung, halten es für möglich, dass ein Täter faktisch zwei Tage lang in ein und derselben Kleidung herumläuft? Sie halten es für möglich, dass ein Mörder sich seelenruhig mit einer Frau turtelnd vor eine Bar setzt, nachdem er tags zuvor zwei Menschen umgebracht hat? Sie halten das wirklich für denkbar?« Bevor der Einsatzleiter antworten konnte, stand Commissario Toscanelli auf, signalisierte seinem Assistenten Pietro, ihm zu folgen, und verließ das Büro. Auf dem Flur dachte er nach. Die Situation war mehr als unangenehm. Es bestand so gut wie keine Chance, der Presse dieses Missgeschick vorzuenthalten. Die spektakuläre Festnahme vor der Bar am Canale Tolentini hatte für so viel Aufsehen gesorgt, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis die Presse Fragen stellen würde. Das Schlimmste, was außerdem passieren konnte, war, dass der festgenommene Deutsche und seine Freundin an die Öffentlichkeit gehen würden. Damit würde wahrscheinlich die letzte Chance, den wirklichen Täter zu fassen, zunichtegemacht werden. Immerhin war es nicht auszuschließen, dass der Täter noch in der Stadt war. Eine kleine Chance, ihn dingfest zu machen, bestand noch. Aber dafür musste man sich der Verschwiegenheit der beiden in seinem Büro sicher sein können. »Seien Sie extrem nett zu den beiden, Pietro«, flüsterte er vor der Tür seines Büros, »die da drinnen haben keine besonders hohe Meinung von der venezianischen Polizei. Und das zu Recht!«
Als sich die Bürotür öffnete, tupfte Peter Föllmer gerade mit einem Papiertaschentuch die noch leicht blutende Schürfwunde seiner Freundin ab, die sie sich während des Zugriffs der Polizei zugezogen hatte. Yvonne Steimer schaute den eintretenden Commissario und dessen Assistenten verächtlich an. Ihre linke Schulter schmerzte, und der Schock über das, was vor zwei Stunden geschehen war, saß tief. Noch nie in ihrem Leben hatte sie in die Mündung einer Waffe geschaut. Kaum, dass sie samt Stuhl umgestürzt und auf dem Rücken zum Liegen gekommen war, hatte sich eine Frau mit kurzen Haaren auf sie geworfen und ihr die Pistole so Furcht erregend nahe vor den Kopf gehalten, dass sie geglaubt hatte, sterben zu müssen. Dass zwei Männer, einer von ihnen mit einem unglaublich kantigen Schädel, den gestürzten Peter ebenfalls mit Waffen bedroht hatten, war dann zu viel für sie gewesen. Sie hatte das Bewusstsein verloren und war erst in einem Ambulanzwagen wieder zu sich gekommen. Neben ihr war ein Beamten in Uniform gesessen, und sie hatten angefangen zu ahnen, dass sie nicht von Verbrechern, sondern von Polizisten überfallen worden waren. Im Polizeipräsidium hatte sich dann auch schnell herausgestellt, dass es sich bei dem brutalen Zugriff um ein Missverständnis gehandelt hatte. Einerseits konnten Peter und sie anhand ihrer Flugtickets und Bordkarten nachweisen, dass sie zur Tatzeit noch nicht in Venedig gewesen waren. Andererseits hatte die Fahrscheinkontrolleurin eines Vaporettos bei einer Gegenüberstellung zweifelsfrei erklärt, dass Peter nicht der gesuchte Mann sei. Wobei weder Peter noch sie wussten, wer eigentlich gesucht wurde. Der Commissario hatte sich zwar mehrfach für das Missgeschick entschuldigt. Aber um was es wirklich ging, hatte man ihnen nicht gesagt. Das empfand sie als ungerecht. Wenn sie schon wie eine Kriminelle behandelt wurde, dann wollte sie zumindest wissen, mit wem Peter da verwechselt worden war. »Commissario – «, wollte sie ihren Unmut erneut kundtun, als Peter sie abrupt mit sehr ernster Stimme unterbrach.
Er saß am Schreibtisch und hantierte an seiner Digitalkamera herum, die man ihnen nebst ihren anderen persönlichen Gegenständen wieder zurückgegeben hatte. »Sie sagten, Commissario, dass sie mich mit einem Mann verwechselt haben, der mir ähnelt – zumindest in der Statur und in der Kleidung. Ist das richtig?«
Commissario Toscanelli hatte noch nicht Platz genommen. Er blieb mitten im Raum stehen. Der Unterton in den Worten des gut Englisch sprechenden Deutschen ließ ihn aufmerken. »Das ist richtig, Signore Föllmer. Wir haben eine sehr gute Beschreibung von dem Mann, den wir suchen. Wie ich schon mit Bedauern zum Ausdruck brachte, hat er wirklich eine gewisse Ähnlichkeit mit Ihnen. Was unsere Leute zu diesem peinlichen Zugriff veranlasst hat, war die Tatsache, dass Sie ebenso wie der Verdächtige Jeans und ein blaues Hemd getragen haben. Und, das vermuten wir, dass der Täter sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ebenfalls in einem Hotel nahe der Piazzale Roma aufgehalten hat – also irgendwo in der Nähe des Hotels, in dem Sie und Ihre Begleiterin wohnen. Das sind viele Gemeinsamkeiten, deshalb bitte ich nochmals um Ihr Verständnis, dass es zu dieser Verwechslung kam. Ich möchte mich auch nochmals entschuldigen, dass – « Peter unterbrach den Kommissar mit einem Handzeichen und richtete sich langsam auf. Er hatte einen ungewöhnlich angespannten Gesichtsausdruck, als er nach seiner Digitalkamera griff und auf Commissario Toscanelli zuging. Er atmete sehr schnell, suchte nach Worten: »I think… ich denke, ja, doch, ich bin mir fast sicher!« Er blickte von dem Display der Kamera auf und schaute verlegen zu Yvonne. Abermals atmete er tief durch: »Ich denke, ich habe ein Foto von dem Mann, den Sie suchen!«
Im Raum herrschte plötzlich angespannte Stille. Yvonne schaute ungläubig zwischen Peter und dem Commissario hin und her. Ihr Blick blieb an Peters Augen haften. Sie kannte diesen Blick, wusste aber nicht, was er zu bedeuten hatte. Ihr Freund sprach plötzlich sehr leise, sehr konzentriert, dabei wirkte er verlegen.
»Als wir auf dem Canal Grande entlangfuhren, habe ich einige Fotos gemacht…« Peter räusperte sich und vermied jeglichen Augenkontakt mit Yvonne, »… dann sah ich eine ungewöhnlich hübsche Afrikanerin auf dem Boot. Ich habe sie durch den Sucher meiner Kamera hindurch lange beobachtet. Und ich habe sie auch fotografiert. Mehrmals.«
Yvonne erstarrte. Warum Peter das erzählte, wusste sie nicht. Aber sie fühlte, wie maßlose Eifersucht in ihr aufwallte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte. Also doch, dachte sie. Er hat sie begehrt! Ja, das hat er. Er hat nur so getan, als fotografiere er die Paläste entlang des Kanals. In Wirklichkeit hat er diese Afrikanerin heimlich beobachtet, ihren reizvollen Körper mit seinen Blicken abgetastet. Und er hat sie fotografiert. Warum hat er sie fotografiert? Peters Worte unterbrachen ihre Gedanken. »Während ich diese Afrikanerin durch die Kamera hindurch beobachtete, fiel mir im Hintergrund ein Mann auf, der irgendwie arabische Gesichtszüge hatte. Er stand vielleicht fünf Meter von der Frau entfernt. Zuerst dachte ich, er gehöre vielleicht zu ihr, weil sie auch arabische Gesichtszüge hatte. Doch dann merkte ich, wie unangenehm es dem Mann offensichtlich war, dass ich mit meiner Kamera in seine Richtung fotografierte. Er hat sich umgedreht. Ich sah sein blaues Hemd nur noch von hinten. Doch er ist auf zwei der Fotos drauf.«
Commissario Toscanelli hatte das Gefühl, noch nie in seinem Leben so perplex dreingeschaut zu haben. Das war ja unglaublich.
»Zeigen Sie her!«, schoss es aus seinem Mund. Zusammen mit seinem Kollegen Pietro schritt er hastig auf den Deutschen zu. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie dessen Freundin plötzlich sehr wütend aussah. Er konnte sich nicht erklären, warum. Hektisch drängte er sich am Schreibtisch vorbei. Der Deutsche hielt die Kamera in der Hand. Commissario Toscanelli stierte auf das große Display.
Das Bild war gestochen scharf. Vor dem Hintergrund der Palazzi zeigte es eine sehr attraktive dunkelhäutige Frau, die unzweifelhaft kokett in die Kamera blickte. Plötzlich verstand er, warum diese Yvonne Steimer ihren Freund die ganze Zeit so entgeistert anstarrte. Ja, sie wusste, dass da auf dem Boot etwas geschehen war. Und er, Commissario Toscanelli, ahnte, um was es ging.
»Wahnsinn!«, riss er sich selbst aus seinen Gedanken heraus. »Absoluter Wahnsinn, Signore Föllmer.«
Er beugte sich näher über die Kamera und fixierte einen Mann, der, ein wenig verdeckt durch eine Wand, nur wenige Meter hinter der Afrikanerin stand. Der etwa 45-jährige Mann, bekleidet mit einem blauen, kurzärmligen Hemd, hatte kurze, krause Haare und einen auffällig braun-schwarzen Teint. Und doch war er anscheinend kein Afrikaner. Dafür war seine Nase zu schmal und zu dünn. Die Stirn war auffällig hoch. Aber er war auch kein Araber. Der Commissario atmete hektisch ein und aus. Er konnte die Augen des Mannes deutlich sehen. Er hatte genug Lebens- wie auch Berufserfahrung, um zu erkennen, dass es zwischen diesen beiden Menschen eine unsichtbare, imaginäre, nur intuitiv spürbare Verbindung gab. Man sah es in den Augen des Mannes. Der Mann kannte die Frau. Er sah die Afrikanerin nicht direkt an. Und doch beobachtete er sie. So wie ein Täter, der sein Opfer nicht spüren lassen möchte, dass er es beobachtet. Es war ein Blick, etwas, was auf keiner Polizeiakademie gelehrt wurde, weil es nicht gelehrt werden kann. Und über eins war sich Commissario Toscanelli im Klaren: Dieser Mann war nicht zufällig auf dem Boot gewesen. Er war der Verfolger, der Jäger. Vielleicht war er der Mörder. War die Frau sein nächstes Opfer?
»Signore Föllmer, Sie werden verstehen, dass wir diese Fotos unbedingt als Beweismittel einbehalten müssen. Vieles spricht tatsächlich dafür, dass Sie einen Täter fotografiert haben, den wir als extrem gefährlich und brutal einschätzen. Vielleicht ist er sogar noch in der Stadt. Wenn ich bloß eine Ahnung hätte, welcher Nationalität dieser Mann auf dem Foto sein könnte. Seine Physiognomie ist ungewöhnlich, erschwert eine deutliche Einordnung. Aber genau das würde uns bei einer Fahndung sehr helfen. Wenn wir wüssten, woher dieser Mann kommt, wüssten wir wahrscheinlich auch, wohin er fliehen wird. Oder bereits geflohen ist.«
Peter wagte immer noch nicht, seine Freundin direkt anzuschauen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sie mit gesenktem Kopf den Gesprächen lauschte. Er wusste, in welch dumpfe Gedankenwelt sie bereits abgetaucht war. Und er ahnte, dass diese Angelegenheit noch ein Nachspiel haben würde.
»Ich denke, ich weiß, woher dieser Mann auf dem Foto kommt.«
Die Worte von Peter ließen den Commissario herumwirbeln. »Woher?«
»Es ist wahrscheinlich ein Fellache aus Ägypten. Die meisten Fellachen sind Bauern. Eventuell stammt er vom oberen Nil. Dort haben sich, vereinfacht ausgedrückt, über die Jahrtausende altägyptische und arabische Ethnien mit schwarzhäutigen Menschen aus dem so genannten Nubien vermischt. Die Nubier sind sehr schwarzhäutig, meistens sehr groß. Der Mann dort hat zwar arabische und auch einige für Ägypter typische Gesichtszüge, aber auch afrikanische. Und er hat ein Zeichen auf seiner Stirn.« Peter flüsterte fast, als er weiter sprach: »Er hat ein Kreuz eintätowiert. Ein koptisches Kreuz. Der Mann auf diesem Foto scheint Christ zu sein. Ein koptischer Christ. Und wenn Sie sich jetzt mal das Foto der Frau genau anschauen, Commissario, erkennen Sie, dass sie eine goldene Kette mit einem orthodoxen Kreuz trägt. Solche Kreuze sehen Sie oft in Äthiopien. Sie ähneln den Kreuzen der Kopten. Was immer diese beiden sonst noch verbindet: Beide sind offensichtlich orthodoxe Christen. Ein seltsamer Zufall, oder?«
Commissario Toscanelli machte keinen Hehl aus seiner Hochachtung für ihn. »Ich bin begeistert, Signore Föllmer. Woher wissen Sie das alles?«
»Ich kenne mich in Afrika recht gut aus«, antwortete Peter leise. Seine Gedanken waren längst woanders. Es fiel ihm schwer, unbedarft zu klingen: »Sagen Sie, Commissario, um was geht es hier eigentlich wirklich? Was ist geschehen? Was hat dieser Mann mit dem blauen Hemd getan – wenn er es denn war?«
Commissario Toscanelli entschied sich, mit offenen Karten zu spielen. Seine Intuition sagte ihm, dass dieser Peter Föllmer ihm noch hilfreich sein konnte. »Wenn dieser Mann auf dem Foto wirklich der Mann ist, den wir mit einem Großaufgebot an Polizisten seit gestern suchen, Signore Föllmer, dann ist es ein sehr gefährlicher Täter. Wahrscheinlich hat er zwei Männer getötet oder war maßgeblich an ihrem Tod beteiligt. Es waren zwei Mönche. Einer stammt aus dem Kloster San Francesco del Deserto, draußen in der Lagune vor Venedig. Und der andere war ein ehemaliger Mönch aus demselben Kloster. Beide wurden gestern umgebracht beziehungsweise starben eines unnatürlichen Todes. Einer von den beiden lebte zuletzt in Ägypten. Wir fanden in seinem Mund ein Blatt Papier, eine mysteriöse Karte, an der er elendiglich erstickt ist. Es ist ein sehr ungewöhnliches Dokument. Unsere Kriminaltechniker und Spezialisten tun sich schwer, diese Karte einzuordnen. Scheint nur wirres Zeug zu sein. So wie es aussieht, wird der Tote sein Geheimnis mit ins Grab nehmen. Offensichtlich war er aber bereit, für dieses Geheimnis zu sterben. Das Einzige, was ich im Moment mit Sicherheit weiß, ist, dass diese hübsche Afrikanerin ebenfalls in sehr großer Gefahr schwebt. In Lebensgefahr. Ich kann mir bloß nicht erklären, warum.«
Langsam drehte sich Commissario Toscanelli zu Peter Föllmer um. Der Deutsche war blass geworden. Seine Betroffenheit schien echt. Dennoch wirkte er gefasst. Abermals sagte ihm sein Instinkt, dass dieser Föllmer mehr mit der ganzen Sache zu tun hatte, als sich vordergründig darstellte.
»Kennen Sie einen Mann namens Charles Bahri, Signore Föllmer?« Commissario Toscanelli hatte sich entschieden, auf den Überraschungseffekt zu setzen.
Der Deutsche schaute ihn selbstbewusst an. Seine Augen signalisierten, dass er die Wahrheit sagen wollte, doch er kam nicht dazu.
»Ja, er kennt ihn!« Die Worte von Yvonne Steimer hallten wie Schüsse durch den Raum.
Commissario Toscanelli und sein Assistent Pietro schauten verwundert auf. Sie verstanden nicht, warum sie geantwortet hatte.
Aber Peter wusste es: Yvonne wollte sich rächen. Sie war maßlos eifersüchtig. Sie wollte ihm wehtun. Oder vielleicht hatte sich so auch nur die unerträgliche Anspannung entladen. Die Geschehnisse der letzten Tage überforderten sie.
Mit zittriger Stimme stotterte sie auf Italienisch: »Er kennt den Mönch schon seit Jahren. Bevor wir nach Venedig kamen, war er in Ägypten. Dort wollte er sich mit Bahri in dessen Haus am Roten Meer treffen. Aber der Mönch war nicht da. Stattdessen wäre Peter beinahe umgebracht worden. Vielleicht sogar von diesem Mann da auf dem Foto. Und heute oder morgen hätten wir Charles Bahri in einem Kloster treffen sollen. Es geht um diese Karte.«
Peter war wütend, beherrschte sich jedoch. Noch während er sprach, ahnte er, dass die Zwischenfälle der letzten 24 Stunden nicht ohne Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Yvonne und ihm bleiben würden.
»Ja, es stimmt, was sie sagt.« Er presste die Worte kaum hörbar hervor. »Es geht um diese Karte und um Informationen über ein frühes Christenreich in Ostafrika. Doch nichts davon wäre ein Grund, Charles umzubringen. Hier geht es um mehr. Allerdings weiß ich nicht, worum. Ich weiß nur, dass mir alles, was derzeit geschieht, grenzenlos Angst macht. Ich habe damit nichts zu tun. Aber die Konsequenzen überfordern mich.«
Seine letzten Worte waren kaum mehr hörbar gewesen. Yvonne wusste, dass diese Sätze auch an sie gerichtet waren. Sie hatte abermals einen Fehler begangen. Einen großen Fehler. Sie schaute Peter in die Augen. Seine Augen verrieten, dass er aufgebracht und traurig war. Doch da lag noch etwas anderes in seinem Blick. Etwas, das sie bei Peter noch nie gesehen hatte.