Gespräche

Kieran saß dem Terroristen auf einem Klappstuhl aus Metall gegenüber. Er ignorierte den Nachhall des Dröhnens in seinem Kopf, das seit dem Verlassen der Krankenstation in einen bohrenden Schmerz übergegangen war. Der Mann atmete lautstark durch haarige Nasenlöcher, seine kleinen Augen waren auf Kierans Brust gerichtet. Er weigerte sich zu reden. Das Waschbecken an der Rückwand der Zelle war undicht, und die herunterplatschenden Tropfen hallten dröhnend in Kierans Ohren wider.

»Wie lautet Ihre Mission?«, fragte er den Mann ein weiteres Mal, erntete aber nur dumpfes Schweigen.

Aus der Zeit seiner eigenen Gefangenschaft wusste Kieran, dass man nach einer langen Zeit des Alleinseins gewillt war, mit jedem zu reden, auch wenn man denjenigen eigentlich hasste. Vielleicht hatte er den Gefangenen nicht lange genug isoliert, die Einsamkeit hatte ihn noch nicht mürbe gemacht. Aber er konnte sich keinen weiteren Zeitverlust leisten. Möglicherweise hatte er Fallen oder Sprengsätze im Schiff plaziert. Er brauchte einen Zugang zu diesem Mann, und zwar schnell.

»Max Brent«, sagte Kieran und schwieg dann, um den Namen nachwirken zu lassen. »So hieß der Junge, den Sie vergiftet haben. Er war vierzehn Jahre alt. Macht es Ihnen Spaß, Kinder zu töten?«

Der Blick aus Schweinsaugen wanderte über Kierans Gesicht.

»Und Philip Grieg. Er war Waise und trug seinen Teddybären überall mit sich herum. Sie haben ihm so hart auf den Kopf geschlagen, dass er Gehirnblutungen bekam. Er wird nie wieder der Alte sein. Sind Sie stolz darauf?«

Das schien den Mann erreicht zu haben. Seine Augen wurden ein kleines bisschen weicher, dann sagte er traurig: »Ich habe erst gemerkt, wie jung er war, als er auf dem Boden lag.«

Er hatte gesprochen! Kieran durfte sich seine Aufregung nicht anmerken lassen und antwortete: »Sie haben außerdem versucht, zwei unserer Crewmitglieder zu erwürgen, beide fünfzehn Jahre alt.«

Bei diesen Worten legte sich ein Schatten über die Augen des anderen. »Das Miststück hatte es verdient.«

»Ach ja?«, fragte Kieran und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall. »Und warum?«

»Sie hat meinen … Freund getötet. Kaltblütig ermordet hat sie ihn.«

»Ich kenne Waverly, und sie würde so etwas nicht tun, es sei denn, sie war davon überzeugt, dass er sie töten wollte.«

»Shelby war kein schlechter Mensch.«

»Dann meinen Sie, Waverly hätte zulassen sollen, dass Anne Mather mit ihr tat, was immer sie wollte? Dass Waverly nicht hätte versuchen sollen zu fliehen?«

»Nachdem eure Crew unsere Frauen sterilisiert hat«, sagte der Mann, »sind eure Mädchen uns was schuldig.«

»Wovon reden Sie?«

»Tu nicht so, als würdest du es nicht wissen«, fuhr der Mann ihn geringschätzig an. »Ihr habt unsere Frauen zerstört.«

»Das kann unmöglich sein.«

»Ihr habt uns eine falsche Formel geschickt. Ihr habt uns versichert, sie sei getestet worden und sicher.«

»Hat Anne Mather Ihnen befohlen, das zu sagen?«

»Sie weiß nicht mal, dass ich hier bin.«

»Natürlich weiß sie das. Warum sollten Sie sonst in der Sternwarte gewesen sein, wenn nicht, um mit ihr zu kommunizieren?«

»Ich sehe mir gern die Sterne an«, sagte der Mann ausdruckslos.

»Sie sagen, unsere Crew hätte Ihnen eine falsche Formel geschickt? Sie haben sie nicht selbst getestet, bevor Sie sie benutzt haben? Klingt in meinen Ohren ziemlich dämlich.«

»Wir haben euch vertraut!«, brüllte der Mann. Er sprang von der Pritsche, auf der er eben noch gesessen hatte, aber die Ketten um seine Handgelenke hielten ihn zurück. Er funkelte Kieran an, als hätte er die Absicht, ihn zu töten.

Mit einer halben Kopfdrehung vergewisserte Kieran sich, dass Hiro noch hinter ihm stand und die Hand griffbereit am Schlagstock hatte. Er atmete leise und langsam aus, um sich zu beruhigen.

»Selbst wenn wahr wäre, was Sie sagen, gibt Ihnen das noch lange nicht das Recht, zwei Jungen zu töten.«

Der Blick des Terroristen heftete sich auf den von Kieran, und er schloss seine wulstigen Lippen, als würde er so vermeiden wollen, noch etwas zu sagen.

Kieran stand auf und bedeutete Hiro, die Zellentür aufzuschließen. Sollte der Terrorist doch eine Weile schmoren.

Harvey und zwei andere Wachen standen mit Tränengas und Schlagstöcken bewaffnet vor dem Eingang zur Brig.

»Niemand geht zu ihm oder spricht mit ihm, verstanden?«, bellte Kieran sie an.

»Klare Sache«, sagte Harvey, wich seinem Blick jedoch aus. Er war im Zentralrat, und Kieran schätzte, dass seine Loyalität bereits auf die Probe gestellt worden war. Er dachte daran, Harvey mit einer weniger wichtigen Aufgabe zu betrauen, aber das könnte ihm den Jungen noch weiter entfremden.

Zurück in seinem Büro, öffnete Kieran die unterste Schublade seines Schreibtischs. Der Datenspeicher mit Mathers Dateien war noch immer dort, wo er ihn zurückgelassen hatte. Er hätte erwartet, dass sie ihn noch einmal kontaktieren und versuchen würde, ihn zu überreden, die Vid-Files anzusehen und eventuell mit ihr zusammenzuarbeiten, aber er hatte nichts mehr von ihr gehört.

Er loggte sich in das Radarsystem der Kommandozentrale ein und kontrollierte die Position der New Horizon. Das Schiff war ihnen 8,75 Millionen Meilen voraus. Er hatte es geschafft, die Distanz zwischen ihnen um eine Viertelmillion Meilen zu verringern, aber bei dieser Geschwindigkeit würde es mindestens ein Jahr dauern, bis sie sie eingeholt hatten. Und was dann? Wenn sie sie je erreichten, würde seine Crew von Ödemen, Muskelzerrungen und verschlissenen Gelenken so geschwächt sein, dass sie kampfunfähig war. Bereits jetzt schmerzte sein ganzer Körper, und er konnte in den Gesichtern seiner Crew sehen, dass es ihnen ebenso erging.

Er hatte sich Dutzende Pläne überlegt, wie man das andere Schiff angreifen könnte, ohne die Eltern an Bord zu gefährden. Bei einer Offensive wären nur die älteren Kinder für ihn nützlich – also ungefähr vierzig, maximal fünfzig. Sie würden an Bord des Schiffs gehen und die Eltern gewaltsam befreien müssen, aber Mather hatte alle Vorteile auf ihrer Seite. Er würde es nie schaffen, sich ihrem Schiff unbemerkt zu nähern; sie konnte die Position der Empyrean mit Leichtigkeit überwachen. Das Schlachtfeld würde ihr eigenes Schiff sein, das sie nach Belieben darauf vorbereiten konnte. Und, was am schlimmsten war, er und seine Leute würden nicht die leiseste Ahnung haben, wo sie nach den Eltern suchen sollten. Je länger er darüber nachdachte, desto klarer wurde ihm, dass ein offener Angriff niemals funktionieren würde.

Obgleich sich ihm allein schon bei dem Gedanken daran der Magen umdrehte, öffnete er das Langstrecken-Komsystem und rief die New Horizon. Als das blasse Gesicht einer Frau auf dem Bildschirm erschien, sagte Kieran: »Ich möchte mit Anne Mather sprechen.«

»Ich habe Anweisungen, dich zu fragen, ob du die Vid-Files gesehen hast, die sie dir geschickt hat.«

»Dazu hatte ich noch keine Zeit. Wir mussten uns um einen Terroristen an Bord unseres Schiffs kümmern.«

»Ich habe Anweisungen, dir zu sagen, dass Pastorin Mather nicht verfügbar ist.«

»Ich möchte ihr nur eine Frage stellen.«

»Wenn du die Vid-Files …« Die Frau hob eine Hand an ihr Headset und sah Kieran dann wieder mit farblosen Augen an. »Einen Moment, bitte.«

Und kurz darauf füllten Mathers feiste rosa Wangen den Bildschirm aus. »Hallo, Kieran.«

»Wir haben Ihren Mann gefasst.«

»Welchen Mann?«, fragte sie und zog neugierig eine Augenbraue hoch.

»Den Neandertaler, den Sie geschickt haben, um unser Schiff zu sabotieren. Er befindet sich in unserem Arrestbereich.«

»Willst du damit sagen, dass ein Mitglied meiner Crew an Bord der Empyrean ist?«, fragte sie und blinzelte überrascht.

Er versuchte, in ihrem Gesicht abzulesen, ob sie ihm etwas vorspielte. Ihr Blick war ruhig und ihre Stirn gerunzelt, als würde es ihr missfallen, dass jemand ihrer Crew sich ohne Erlaubnis vom Schiff entfernt hatte.

»Er wollte uns seinen Namen nicht nennen, aber er ist sehr groß und hat Geheimratsecken und markante Gesichtszüge …«

»Jake«, flüsterte Mather. »Jacob Pauley ist seit einiger Zeit nicht zum Dienst erschienen. Ich dachte, es ginge ihm vielleicht nicht gut und er wäre einfach in seinem Quartier geblieben.«

Das war offensichtlich gelogen. Die New Horizon war ebenso groß und komplex wie die Empyrean, jedes Crewmitglied hatte wichtige Pflichten und musste mit gravierenden Strafen rechnen, wenn es diese Aufgaben vernachlässigte. Nein, sie musste ihn hierhergeschickt haben oder wusste zumindest seit langem, dass er hier war.

»Ich nehme an, du hast dir die Videos angesehen«, sagte sie.

»Nein, und ich habe auch nicht vor, sie mir anzusehen, wenn Sie es genau wissen wollen.«

Ihre Augenbrauen zuckten bei dieser Aussage hoch. »Ich dachte, du wolltest eure Familien zurückhaben.«

»Woher sollen wir denn wissen, ob sie überhaupt noch leben? Sie haben uns keinerlei Beweis geliefert.«

Mather nickte, ihre Augen schweiften vom Kom-Bildschirm ab. »Ja, da hast du wohl recht. Du möchtest Beweise, ja?« Sie lehnte sich nach vorn und drückte ihre Fingerspitzen zusammen, so dass sie fünf Zacken bildeten. »Sobald du dir die Vid-Files angesehen hast, gebe ich dir eine Teilliste mit Namen von Überlebenden. Je weiter wir in unseren Verhandlungen kommen, desto mehr Namen bekommst du.«

»Ich werde mich nicht manipulieren lassen.«

»Ich würde nicht im Traum daran denken«, sagte sie mit süffisantem Grinsen. Dann wurde der Bildschirm schwarz.

Sie war hassenswert, aber zumindest gab sie nicht vor, seine Freundin zu sein.

Kieran starrte widerwillig auf den Data-Dot und hatte Angst davor, was er darauf finden würde. Er hätte ihn fast wieder in den Ordner auf dem Desktop zurückgelegt, aber er hatte gerade eben erst ein Graffiti vor dem Zentralbunker gesehen, das Seth Ardvale und Waverly Marshall wegen der Ergreifung des Terroristen als Helden feierte. Sarek hatte ein Video von dem Sprayer aufgenommen, der sich ein schwarzes Laken übergeworfen hatte. Es war unmöglich zu erkennen, ob es sich um einen Jungen oder ein Mädchen handelte. Sollten wir unsere Helden einsperren?, stand in großen blauen Lettern an der Wand. Kierans Kapitänssitz wackelte – und das war noch freundlich ausgedrückt.

Wenn er es schaffte, alle überlebenden Eltern zurückzuholen, würde seine Position nie wieder in Frage gestellt werden.

Kieran klickte erneut nach dem Data-Dot und schob die Datei auf dem Desktop hin und her. In seinem Inneren rumorte es, und er schluckte den letzten Rest Spucke hinunter.

Gott, was tue ich da? Er betete um ein Zeichen, aber sein Herz war viel zu sehr erfüllt von Zweifeln und der vor ihm liegende Weg kaum zu erkennen.

Mit einer hastigen Bewegung klickte Kieran die Datei an und aktivierte sie.

Augenblicklich erschien das Bild eines viel jüngeren Captain Jones, der in die Kamera lächelte. Sein Haar war hellrot und nicht schlohweiß, wie Kieran es kannte. Er saß auf dem Stuhl, auf dem Kieran jetzt saß, vor dem Goya-Gemälde, das nun hinter ihm hing. Was er sah, flößte Kieran ein unheimliches Gefühl von Vergänglichkeit ein. Der Captain auf dem Bildschirm hatte sich noch keinen Bart wachsen lassen, und ohne ihn hatte er Hängebacken und ein fliehendes Kinn mit Grübchen. Er sah aus wie ein komplett anderer Mensch. »Anne, du wirst es nicht glauben«, sagte Captain Jones.

»Habt ihr sie entdeckt?«, fragte Mather eifrig. Sie war auf dem Bildschirm nicht sichtbar, nur der Captain war zu sehen. »Habt ihr die Formel entdeckt?«

»Unsere vorläufigen Tests sind erstaunlich! Du wirst deinen Augen nicht trauen!«

»Habt ihr schon mit Tests an Menschen begonnen?«

»Ich meine ja die Tests an Menschen! Das Medikament stimuliert die Eierstöcke. Das war auch so vorgesehen, aber es scheint außerdem die Qualität der Eizellen zu verbessern! Wir haben Embryos!«

»O mein Gott! Und sie wachsen?«

»Prächtig, Anne.« Captain Jones rieb sich überglücklich mit der Hand über das Gesicht. »Ich werde euch Anweisungen schicken, wie man die Formel synthetisiert.«

»Edmond, ich werde heute Nacht zehn Gebete für dich sprechen!«

Jones hielt inne – eine winzige Zäsur, ein Abkühlen des Ausdrucks in seinen Augen – und sagte dann: »Gut. Danke. Mach das.«

Der Bildschirm flackerte und zeigte ein neues Bild: Captain Jones mit ungepflegtem Bart. Er war noch immer so jung, dass kein graues Haar an seinen Schläfen zu sehen war. Seine Augen waren frei von spinnwebartigen Äderchen, aber die Verachtung in seinem Gesicht ließ ihn wie ein Monster wirken.

»Wie konntet ihr uns das antun?«, schrie Anne Mather mit tränenerstickter Stimme. Kieran wünschte, er könnte ihr Gesicht sehen. So gerne würde er sie weinen sehen.

»Anne, was passiert ist, tut mir leid. Ich kann dir gar nicht sagen, wie leid es mir tut!«, sagte der Captain. Doch er sah nicht aus, als täte es ihm wirklich leid. Er sah vielmehr verärgert aus. »Aber uns vorzuwerfen, wir hätten euch absichtlich sabotiert …«

»Ich widerrufe es!«, rief Mather. »Ich ziehe die Anschuldigung zurück, und niemand wird je mehr davon hören. Nur bitte helft uns! Wir haben nicht viel Zeit, Edmond!«

»Wir haben kleine Kinder auf diesem Schiff. Ihre Knochen sind noch im Wachstum. Unser medizinisches Team glaubt, es könnte sich verheerend auf sie auswirken, wenn wir unsere Beschleunigung erhöhen …«

»Es wäre trotzdem nur ein Bruchteil der Anziehungskraft der Erde, Edmond, und das weißt du! Es ist nicht mehr als das, was ihre Körper auf der Erde hätten verkraften können!«

»Und wenn wir dann wieder langsamer werden? Wir können nicht wissen, wie sich das auf ihre Entwicklung auswirken wird. Wenn es nur um uns Erwachsene ginge …«

»Du lügst! Du redest dich nur raus! Du willst uns gar nicht helfen!«

»Anne, ich muss an meine Crew denken.«

»Du willst New Earth nur für dich selbst haben, damit du deine kranke Idee von einer perfekten Gesellschaft verwirklichen kannst. Du willst uns nicht dort haben.«

»Anne«, sagte er, und zum ersten Mal hörte Kieran Mitleid in seiner Stimme. »Du kennst mich gut genug, um mir zu glauben …«

Das Video sprang, als hätte jemand Teile daraus gelöscht.

»Edmond, es waren über fünfhundert Schritte nötig, um die Verbindung zu synthetisieren. Beim wichtigsten Schritt erhielten wir Anweisungen, die ein Gift hervorbrachten, das speziell darauf ausgelegt war, unsere Fruchtbarkeit zu zerstören. Wie hoch stehen die Chancen dafür, dass das durch Zufall geschah? Wie erklärst du mir das?«

Der Captain starrte mit leerem Blick auf den Bildschirm. »Ich kann es nicht erklären.«

»Wir sind sabotiert worden. Das ist die einzige Erklärung.«

»Anne, unsere Kinder sind kostbarer denn je, siehst du das denn nicht?«, stieß Jones mit ineinander verschränkten Fingern hervor. »Wir dürfen ihre Gesundheit nicht aufs Spiel setzen, in keinster Weise. Das könnte über Erfolg oder Misserfolg der ganzen Mission entscheiden.«

»Du wirst nicht genug Kinder für die Mission übrig haben, Edmond, und das weißt du. Wir werden die vollständige zweite Riege brauchen, wenn wir New Earth erreicht haben.«

»Wir können unsere Besatzung vervollständigen, wenn unsere Töchter jung schwanger werden. Ich habe mein Logistikteam bereits darauf angesetzt.«

»Logistik! Ich rede davon, was richtig und was falsch ist!«

»Sind wir wieder an dem Punkt angekommen, ja? Mehr denn je bin ich der Meinung, dass wir Moral als relativ ansehen sollten.« Captain Jones lehnte sich zum Bildschirm, und sein Gesicht wurde unscharf. Kieran sah dennoch seine großen Poren und die Schweißtropfen auf der Stirn. »Es wäre richtig, dir zu helfen, Anne, aber es wäre noch richtiger, unsere Kinder zu beschützen, um sicherzustellen, dass sie New Earth erreichen.«

»Du überlässt uns dem sicheren Untergang wegen des minimalen Risikos, dass die Beschleunigung den Kindern schaden könnte.«

»Wenn du es so sehen willst …«

»All unsere Hoffnungen sind zerstört«, sagte sie, und ihre körperlose Stimme zitterte verzweifelt. »Unsere Zukunft. Bist du bereit, das Gewicht dieser Schuld auf deine Schultern zu laden?«

»Zum Wohle zukünftiger Generationen.«

»Du wirst als der erste Kriegsverbrecher von New Earth in die Geschichte eingehen.«

Einen winzigen Moment lang war Besorgnis im Gesicht des Captains abzulesen, aber dann schüttelte er den Kopf. »Nein, Anne. Niemand auf New Earth wird sich je daran erinnern, was hier passiert ist.«

Der Bildschirm flackerte und enthüllte dann das Gesicht der heutigen Anne Mather. Ihr graues Haar war oben auf dem Kopf zu einem adretten Dutt gebunden, und eine Brille saß auf der Spitze ihrer wohlgeformten Nase. »Ich bin der festen Überzeugung, dass Captain Jones von der Sabotage nicht nur gewusst, sondern ihr auch zugestimmt hat. Aber, Mister Alden, selbst wenn er es nicht gewusst hat – glaubst du nicht, dass er und der Rest der Crew der Empyrean, als sie es dann erfahren haben, alles in ihrer Macht Stehende hätten tun sollen, um die Situation zu retten? Wäre das nicht die menschlichste Reaktion gewesen?«

Kieran rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Er hatte Manipulation erwartet, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass sie so effektiv sein würde.

»Da euer Captain uns die Hilfe versagte und wir nicht nur mit unserer eigenen Auslöschung, sondern auch mit der Möglichkeit konfrontiert waren, dass die Mission, New Earth zu besiedeln, fehlschlagen könnte, hatten wir keine andere Wahl, als in euer Schiff einzudringen und uns das genetische Material zu holen, das unsere Fruchtbarkeit vielleicht wiederherstellen könnte.« Anne Mather lächelte, das Gesicht von bizarrer Freude entstellt. »Jetzt haben wir fast hundert Babys an Bord unseres Schiffs, und über hundert weitere Crewmitglieder sind schwanger. Die Mission ist jetzt gesichert, Mister Alden. Aber die Zukunft ist ungewiss. Ich appelliere an dich, deiner Crew die Wahrheit mitzuteilen. Bekanntzumachen, was vorgefallen ist. Und auch wenn wir noch immer von euch geschmäht werden, werdet ihr zumindest verstehen, warum wir so und nicht anders handeln mussten. Ich bin der festen Überzeugung, dass zukünftige Generationen beider Schiffe in der Lage sein werden, die Fehler ihrer Vorfahren zu vergeben und Seite an Seite in Frieden auf New Earth zu leben.«

Kieran lehnte sich in seinem Stuhl zurück, die Augen vor Verblüffung weit aufgerissen.

Captain Jones hatte all die Jahre über gelogen?

Er verstand, warum Jones es abgelehnt hatte, der New Horizon zu helfen, aber er konnte nicht verstehen, warum er gelogen hatte. Der Captain hatte der Empyrean-Crew die Wahrheit sechzehn Jahre lang vorenthalten. Er hatte einen erbitterten Feind erschaffen und die Crew nie wissen lassen, dass sie Gefahr liefen, angegriffen zu werden. Kieran hatte diesen Mann verehrt und bewundert, seit er denken konnte. Aber nun wusste er nicht mehr, was er glauben sollte.

Nichts konnte den Angriff der New Horizon und den sinnlosen Verlust von Leben rechtfertigen. Aber wenn das, was Mather behauptet hatte, wahr war …

Er drückte den Knopf seiner Kom-Konsole und rief die New Horizon. Dieses Mal antwortete Anne Mather direkt.

»Ich gehe davon aus, dass du das Video gesehen hast«, sagte sie mit hochgezogener Augenbraue.

»Ja.«

»Und?«

»Was wollen Sie von mir?«

»Ein Eingeständnis.«

»Wovon? So wie ich das sehe, hat Captain Jones nichts Falsches getan. Er hat nur seine Crew beschützt.«

»So wie du? Du hast beschleunigt, obwohl er das abgelehnt hat. Hast du daran schon mal gedacht?«

Kieran war wie vom Donner gerührt. Was war mit den kleinen Kindern? Hatte er ihnen geschadet? Er erkannte, dass es an der Zeit war, die Beschleunigung wieder zu drosseln. Es hatte ohnehin nicht funktioniert.

»Ich habe getan, worum Sie mich gebeten haben«, sagte er zu Mather. »Schicken Sie mir jetzt die Liste.«

»In Ordnung«, entgegnete Mather. Der Bildschirm wurde schwarz, aber dann war ein Text mit fünf Namen zu sehen. Kieran überflog sie hastig in der Hoffnung, den Namen seiner Mutter zu erspähen. Er drückte den Rufknopf zur Kommandozentrale, und Sareks Gesicht füllte den Bildschirm aus.

»Sarek, Anne Mather hat mir eine Teilliste mit Namen von Überlebenden übermittelt.«

»Und?«, fragte Sarek und biss sich dabei auf die Lippe.

»Dein Vater ist dabei.«

Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman
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