Das Mädchen

Noch ehe Waverly zurückkam, erkannte Seth, dass er nicht bei ihr bleiben konnte. Er wusste es, bevor sie ihm erzählte, dass Kieran sich sicher war, dass er Kontakt zu ihr aufgenommen hatte, und dass er deshalb nicht länger als diese Nacht bleiben konnte. Er verstand auch, dass zwischen ihnen nichts laufen würde, aber er konnte dennoch nicht leugnen, dass es ihn schwindelig vor Glück machte, eine Schale heißer Hühnersuppe und ein knuspriges Brötchen aus den Händen der wunderschönen Waverly Marshall entgegennehmen zu dürfen.

»Ich werfe dich nicht gerne raus«, sagte sie, während ihre großen braunen Augen über die Male und Kratzer auf seinem Gesicht glitten.

»Die Schmerzmittel haben mir jedenfalls weitergeholfen«, sagte er und setzte sich auf. Es war erstaunlich, um wie viel besser er sich bereits fühlte. »Noch eine weitere Nacht auf deiner Couch, und ich bin wiederhergestellt.«

Ihre Blicke begegneten sich, und für einen langen Augenblick fragte sich Seth, was sie wohl dachte. Sie wirkte wie versteinert.

»Was, wenn ich Nahrung für dich auftreibe? Würde dir das weiterhelfen?«, fragte sie, während sie ein Stück Brotkruste in ihre Suppe tunkte.

»Klingt zu riskant«, entgegnete er.

»Es ist ja nicht gerade so, dass ich mich bei Kieran oder dem Rest der Crew in noch größere Schwierigkeiten bringen könnte.«

»Dem Rest der Crew auch? Weshalb denn das?«

Sie hielt inne, den Kopf gesenkt, den Blick unnahbar, als wäre das Thema zu schmerzvoll, um darüber zu sprechen. Schließlich sagte sie: »Es macht sie wütend, dass ich die Eltern auf der New Horizon zurückgelassen habe.«

»Wenn sie es so sehen, dann haben sie ihre Eltern ganz genauso zurückgelassen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Ich hätte –«

»Waverly«, sagte er ernst, »du hattest die Wahl, einen Haufen kleiner Kinder zu retten, die sich nicht selbst helfen konnten, oder Erwachsene, die sehr wohl dazu in der Lage sind. Du hast das Richtige getan.«

»Aber –«

»Nein!«, sagte er und sah sie so lange an, bis sie den Kopf hob und seinen Blick erwiderte. »Niemand hat das Recht, dich für das, was du getan hast, zu kritisieren. Niemand. Du musst mir das glauben, musst es selbst akzeptieren, aus ganzem Herzen, oder sie werden dich fertigmachen.«

Sie sah ihn lange an, dachte über seine Worte nach und nickte schließlich. »Du hast recht.«

»Wie meistens.«

Ihr Blick wanderte langsam von ihrer Schüssel zu seinem Gesicht, zu seinen Händen, zurück zu ihrer Schüssel. Sie gab nur wenig von sich preis, aber er sah dennoch, dass sie sich unbehaglich fühlte, und er mochte es, wie dieses Gefühl sie veränderte. Sie erschien ihm mit einem Mal sehr verletzlich.

»Wie dem auch immer sei«, sagte sie mit festerer Stimme als zuvor, »um noch mal auf die Sache mit der Nahrung für dich zurückzukommen: Wir überlegen uns vier oder fünf Orte, an denen ich Essen für dich hinterlegen kann, und Zeiten, zu denen ich das tun werde«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass jemand es herausfinden wird.«

Die Vorstellung erschien ihm verlockend, insbesondere nach der warmen Suppe, die salzig und würzig und perfekt abgeschmeckt gewesen war. Dennoch schüttelte er den Kopf. »Ich habe dich schon zu sehr in Gefahr gebracht.«

»Es ist ja nicht so, dass Kieran mich hinrichten lassen würde.«

»Ich weiß«, sagte Seth und lehnte sich leicht vor. »Aber die Vorstellung, dass du in der Brig sitzt, gefällt mir nicht.«

»Du führst dich auf, als hättest du ein Mitspracherecht bei dem, was ich zu tun gedenke«, blaffte sie ihn an.

Das Gespräch mit Kieran schien ihr noch immer in den Knochen zu stecken, aber er hütete sich, sie darauf anzusprechen. Das Letzte, über das er mit ihr sprechen wollte, war Kieran Alden.

»Ich werde dir so oder so Mahlzeiten hinterlegen, ganz egal ob du mich darum bittest oder nicht. Du kannst mein Angebot also ebenso gut annehmen.«

»Und was, wenn es jemand bemerkt?«

»Ich hinterlasse das Essen einfach an Orten, die niemals jemand betritt. Die Sternwarte zum Beispiel. Es gibt etliche verwaiste Stellen wie diese.«

»Okay«, sagte Seth, klang aber nicht überzeugt. »Wenn ich dich ohnehin nicht davon abbringen kann, mach es so.«

Waverly lächelte ihn nervös an, dann ging sie in die Küche und kam kurz darauf mit einem kleinen Tablett zurück, auf dem sich Kekse türmten. »Auch einen?«

»Ich nehme vier«, sagte er, nahm stattdessen eine Handvoll und ließ ihr einen einzigen Keks auf dem Tablett zurück.

Sie betrachtete ihn mit gespielter Empörung. »Tu dir keinen Zwang an.«

»Okay.« Er grinste und nahm auch den letzten Keks.

Sie entwand ihm einen der Kekse wieder und ließ sich neben seinen Füßen auf die Couch fallen. Der Druck ihrer Oberschenkel an seinen Zehen war mehr als angenehm. Seth fragte sich, ob sie sich des Kontakts ebenso bewusst war wie er, aber sie wirkte, als wäre sie eine Million Meilen entfernt. Ihr konzentrierter Blick ließ Falten zwischen ihren Brauen entstehen, und das Licht der Lampe spiegelte sich glitzernd in ihren Augen.

»Du hast mal etwas Seltsames über Captain Jones gesagt«, meinte sie schließlich. »Ist schon länger her, kurz vor dem Angriff.«

»Stimmt.« Seine Stimme war rauh, und er wusste, dass er sie auf eine Art ansah, die nicht misszuverstehen war.

Falls sie es bemerkte, gab sie zumindest vor, es nicht zu tun. »Du hast gesagt, Captain Jones’ Freunde neigen dazu … komplizierte Leben zu führen.«

»Stimmt.« Die Kehle wurde ihm eng.

Sie beugte sich zu ihm hinüber. »Sind unsere Eltern ermordet worden?«

Er richtete sich auf, zuckte zusammen, schlang die Arme um seine Knie und lehnte sich weit genug vor, so dass er den Hauch des Shampoodufts in ihrem Haar riechen konnte. Aber das, über das sie sprechen wollte, war fürchterlich, also zog er sich wieder zurück und riss sich zusammen. »Was weißt du darüber?«

»Nichts, aber …« Sie strich die Kekskrümel von ihren Händen. »Kann ich dir etwas zeigen?«

Sie wartete nicht auf seine Antwort. Stattdessen griff sie nach einer Kiste, die hinter einem großen Webstuhl verborgen gewesen war, zog ein einzelnes Foto heraus und reichte es ihm. Es zeigte Waverlys Vater als jungen Mann, das erste Grau durchzog seine Schläfen, er stand an der Seite von Captain Jones, und es sah aus, als hätten die beiden gerade einen Scherz gemacht.

»Und?«, fragte Seth.

»Schau«, sagte sie, drehte das Foto um und deutete auf eine handschriftliche Bemerkung auf der Rückseite: Galen und Eddie, Entdeckung des Phyto-Luteins. »Das ist die Handschrift meiner Mutter«, sagte Waverly finster.

Seth sah sie an, er verstand nicht.

»Niemals hat meine Mutter den Captain bei seinem Vornamen genannt.« Sie lehnte sich auf dem Sofa zurück, ihr Blick ruhte auf Seth, sie wirkte sehr ernst. »Sie hat es nie ausgesprochen, aber ich habe immer gespürt, dass sie ihn gehasst hat«, sagte sie und schien dann erst zu bemerken, was sie soeben getan hatte. »Hasst, meinte ich.«

Seth nickte. »Glaubst du, deine Mutter weiß irgendetwas?«

»Ja, das glaube ich.«

»Aber warum würde sie dich anlügen?«

»Um mich zu schützen«, sagte sie ohne eine Spur von Zweifeln. »Aber das ist noch nicht alles, Seth. Ich habe die offiziellen Logbücher des Schiffs durchforstet. Über den Unfall ist kaum je etwas geschrieben worden. Sie haben lediglich gesagt, der Unfall wäre durch einen Defekt bei den Luftschleusen verursacht worden und dass die Ursache irgendein Herstellungsfehler war.«

Das klang sonderbar. »Wenn es ein Herstellungsfehler gewesen wäre …«

»… hätte dieser Fehler schon beim ersten Benutzen der Luftschleuse auftreten müssen.«

»Dann müssen wir nur noch herausfinden, wie oft diese Luftschleuse zuvor benutzt worden ist und –«

»Fünfunddreißigmal. Sie ist fünfunddreißigmal ohne das geringste Problem geöffnet worden. Ich bin all die Wartungs-Logbücher durchgegangen, angefangen beim Start der Empyrean.«

»Das muss nicht notwendigerweise etwas zu bedeuten haben, aber ich stimme dir zu: Es klingt seltsam.« Seth seufzte. Er wollte nicht über diese Dinge nachdenken. So viele Jahre lang hatte er Waverly und seinen Vater davor beschützen wollen, dass die Wahrheit ans Licht kam – aber vielleicht war alles, was er erreichte, wenn er die Wahrheit zurückhielt, sie zu quälen. Und was seinen Vater anbelangte – es gab nichts mehr, das ihn noch hätte verletzen können.

»Mehr habe ich nicht finden können«, sagte sie. »Nicht ohne in die Suite des Captains zu schleichen und sein privates Logbuch zu lesen.«

»Glaubst du dort irgendetwas zu finden?«, sagte Seth kläglich. »Du wirst die gleichen Lügen finden. Nur mehr davon.«

»Lügen«, sagte sie nachdenklich und sah ihn aufmerksam an.

Er senkte den Blick.

»Du weißt irgendetwas.«

»Nichts mit Sicherheit.« Er lehnte seinen Kopf gegen die Rückenlehne der Couch. »Nur ein paar Dinge, an die ich mich erinnere. Aus der Zeit, als ich ein Kind war.«

»Erzähl sie mir«, sagte sie und legte ihre Hand auf seine. »Bitte, Seth.«

Aber er konnte an nichts anderes denken als an ihre schmale Hand, die auf seiner großen lag. Er würde sich nicht bewegen können, bis sie ihre Hand fortnahm, und schließlich nahm sie sie wirklich fort, lehnte sich zurück und sah ihn erwartungsvoll an.

»Alles, was ich zu bieten habe, ist eine Unterhaltung zwischen meinem Vater und dem Captain, die ich versehentlich mitgehört habe, als ich vier Jahre alt war. Sie haben gedacht, ich mache Mittagsschlaf, aber sie haben mich mit ihrem Gerede aufgeweckt.« Seth schloss die Augen und ließ zu, dass die Erinnerung an jenen Tag zurückkehrte – die Erinnerung an das, über das nachzudenken er sich nie gestattet hatte und das dennoch immer da gewesen war.

Es war der Zorn in der Stimme seines Vaters gewesen, der ihn geweckt hatte, und er hatte sich aufgerichtet, sich mit seinen pummeligen Fäustchen die Augen gerieben und die beiden Männer gehört, die sich anfauchten. Seth war in den Flur getapst, hatte sich dort auf den Boden gesetzt, die Arme um die Knie geschlungen und durch den Spalt in der Tür gelauscht.

»Sie hatte nichts damit zu tun«, hatte Mason Ardvale den Captain angefaucht. »Sie hätte so etwas gar nicht tun können.«

»Mason, es tut mir leid. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.«

»Es gibt nichts zu sagen. Am besten ist, du gehst einfach.«

»Ich würde einen Vorwurf wie diesen niemals äußern, wenn ich keine Beweise hätte.« Der Captain hatte einen Data-Dot aus seiner Tasche gezogen und ging zum Computerterminal in der Ecke des Raums. Lange Zeit schwiegen die beiden Männer. Seth spähte in den Raum hinein und sah sie über den Vidschirm gebeugt, die Gesichter in blaues Licht getaucht. Das Gesicht seines Vaters war absolut ausdruckslos, änderte sich dann aber zunehmend und spiegelte nun Entsetzen wider und schließlich tiefen Schmerz.

»Wir müssen sie fragen, was das zu bedeuten hat«, hatte Mason Ardvale gerufen. »Vielleicht gibt es dafür eine Erklärung.«

»Was gäbe es, das so etwas rechtfertigen könnte?«, hatte der Captain ruhig erwidert und den jüngeren Mann aufmerksam gemustert, als er sich zu ihm herübergebeugt und ihm eine seiner dicklichen Hände auf die Schulter gelegt hatte.

»Gib ihr eine Chance, die Sache zu erklären!«

»Sie wird ihre Chance bekommen«, hatte der Captain gesagt.

Seths Vater hatte ihn nicht ansehen wollen, und der große Mann schien erkannt zu haben, dass es Zeit war zu gehen. Captain Jones torkelte auf seinen ungelenken Beinen durch die Tür, und sein bärtiges Kinn streifte seine Brust, als wäre er ein Mann, der wusste, dass jetzt der Augenblick gekommen war, um traurig auszusehen.

Mom war in Schwierigkeiten, zumindest dessen war Seth sich sicher. Aber als seine Mutter an diesem Abend heimkam, eingehüllt in Getreidestaub von der Arbeit auf den Weizenfeldern, war sein Vater zwar still und in düsterer Stimmung, aber als sie ihn während des Abendessens fragte, was denn los sei, hellte sich seine Miene auf, und er sagte mit einem Lächeln: »Ach, ich freue mich nur auf meine freien Tage.«

Und so hatte Seth beschlossen, dass seine Mutter vermutlich doch nicht in so großen Schwierigkeiten steckte.

Wie viel Zeit verging? Eine Woche? Ein Monat? Seth wusste es nicht. Aber später, als er im Kindergarten war und wie immer allein mit Bauklötzen spielte, schrillte eine Alarmsirene durch das Schiff, und das Rotlicht flackerte auf. Er ließ die Bauklötze fallen, bedeckte seine Ohren mit den Händen und begann zu schreien. Die Erzieher hielten ihn an den Schultern und versuchten, ihn in Schach zu halten, als er gegen ihre Schienbeine trat. Die anderen Kinder starrten ihn an, manche von ihnen begannen zu weinen.

»Ich erinnere mich daran«, sagte Waverly und holte ihn damit in die unendlich schönere Gegenwart zurück. »Ich habe damals nicht verstanden, was dich so aufgebracht hat.«

»Ich verstehe es bis heute nicht.«

»Weil du es gewusst hast.« Waverly legte ihm eine Hand auf die Schulter. »O mein Gott. Seth, du wusstest, dass dein Vater etwas damit zu tun hatte!«

»Mit Sicherheit habe ich das nicht gewusst, und daran hat sich bis heute nichts geändert.« Seine Stimme klang schärfer, als er es beabsichtigt hatte. Sie rückte ein Stück von ihm ab. Er dämpfte seine Stimme. »Ich meinte etwas anderes. Ich verstehe bis heute nicht, wie ich damals in diesem Augenblick habe wissen können, dass meine Mutter tot war. Aber ich habe es gespürt. Es war, als hätte ich in einer Sekunde noch mit diesen dämlichen Bauklötzen gespielt, und in der nächsten war da plötzlich ein riesiges Loch in meinem Leben.«

Seth hatte nie zuvor jemandem davon erzählt, aber jetzt, da er sich gestattete, diese Worte auszusprechen, hatte er das Gefühl, das erste Mal seit Ewigkeiten wieder frei atmen zu können. Er wünschte sich, er könnte all seine Geschichten aus sich heraus- und in Waverly hineinfließen lassen, könnte ihr alles geben, was sie sich von ihm wünschte. »Vielleicht hast du in gewisser Weise trotzdem recht. Vielleicht habe ich wirklich erwartet, dass etwas passieren würde. Da war dieser Blick, mit dem mein Vater sie ansah, wann immer sie es nicht bemerkte. Wann immer sie ihn ansah, lächelte er, aber sein Lächeln erstarrte, sobald sie sich umwandte, und dann schaute er sie an wie … ich weiß es nicht … wie ein Raubtier seine Beute, kurz bevor es sich auf sie stürzt. Ich kannte diesen Blick, selbst in diesem Alter schon.« Waverly hörte ihm ruhig zu, nahm jedes Wort an, ohne es zu werten. »Er wollte ihr weh tun.«

»Aber weshalb?«, fragte sie. In ihren Augenwinkeln sammelten sich Tränen. »Warum haben sie meinen Vater getötet?«

Seth konnte nur den Kopf schütteln. »Ich weiß nicht, was sie getan haben, um den Captain derart aufzubringen.«

»Genug, um zu töten.« Eine Träne rann ihre Wangen hinab. Ohne darüber nachzudenken, hielt Seth seinen Finger an ihre Wange, fing die Träne von ihrer Haut und zerdrückte sie auf der Innenseite seines Daumens. Die ganze Zeit über sah er sie aufmerksam an.

»Erinnerst du dich an deinen Vater?«, fragte er sanft.

»Nur kurze Erinnerungsfetzen«, flüsterte sie. »Manchmal frage ich mich, ob ich die Erinnerungen aus Dingen entwickelt habe, die meine Mutter mir über ihn erzählt hat.«

»Ich weiß, was du meinst.«

»Für dich war es schlimmer als für mich. Immerhin war mein verbliebener Elternteil gut zu mir«, sagte sie, hielt dann jedoch inne und sah ihm in die Augen.

»Du hast es gewusst?«, sagte er, und plötzlich war ihm kalt. »Wie mein Vater mich behandelt hat?«

Kurz zögerte sie, wirkte unschlüssig, doch dann sagte sie: »Alle haben es gewusst.«

»Und niemand hat irgendetwas getan, um es zu beenden«, sagte er, und die Kälte in seinem Inneren nahm zu.

»Er war der beste Freund von Captain Jones«, sagte Waverly, doch dann schien ihr klarzuwerden, dass sie versuchte, sich herauszureden. »Nein. Du hast recht. Es war falsch, dass niemand eingeschritten ist, um dir zu helfen.«

»Erstaunlich, mit was Leute alles durchkommen, wenn sie nur genug Macht besitzen.«

Waverly nickte, dann ließ sie sich in der Couch zurücksinken. Ihre Augen wirkten schläfrig, aber er wollte nicht zu reden aufhören. Er fragte sich, ob es irgendeine Art von Übergangsritual zum Erwachsenwerden war, sich im Vertrauen die Geheimnisse der eigenen Eltern zu erzählen.

Er hatte immer geglaubt, dass es sich wie ein Verrat anfühlen würde, die Wahrheit über seinen Vater zu erzählen. Jetzt aber fühlte er sich das erste Mal, als wäre er sich selbst treu geblieben.

»Seth«, sagte Waverly, »ich muss die Wahrheit wissen.«

»Ich weiß nicht, ob es dazu jemals kommt.«

»Ich werde dafür sorgen, dass es dazu kommt.«

Sie wirkte so entschlossen, so stark. Er wollte sie küssen. Er stellte sich vor, wie er sie an den Schultern zu sich heranziehen und seinen Mund auf ihren pressen würde. Nur um es auszuprobieren, um zu sehen, wie sie reagieren würde. Wäre sie nicht Waverly Marshall, sondern irgendein anderes Mädchen, würde er genau das tun. Aber wenn er bei ihr nur einen Fehler machte … Er wollte sich nicht einmal vorstellen, wie sehr es schmerzen würde, wenn sie ihn ein für alle Mal abwies.

Immerhin hatte sie vor seinen Augen geweint. Hatte auch er etwas in ihr geöffnet?

Er betrachtete sie, aber ihr Blick war prüfend, als wäre sie immer noch unentschlossen, ob sie ihm wirklich trauen konnte.

Sie gehört nicht dir, rief er sich ins Gedächtnis. Das kann nicht sein.

»Nun, du musst ziemlich müde sein«, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln.

Geh nicht, wollte er sagen, aber dann nickte er nur.

»Komm«, sagte sie und hielt ihm eine Hand entgegen.

Sein Herz machte einen Satz, aber dann verstand er, dass sie ihm nur aufhelfen, ihm eine Stütze sein wollte. Langsam führte sie ihn ins Schlafzimmer ihrer Mutter, und er bemerkte, dass sie das Bett neu bezogen hatte.

»Du bist zu schwer verletzt, um auf einer Couch zu schlafen«, sagte sie.

Er wandte sich zu ihr um. Er wusste, dass sein Gesichtsausdruck zu viel verriet, dass sie jedes seiner Gefühle daraus ablesen konnte.

»Gute Nacht«, sagte sie, drehte sich um und ging zu ihrem Schlafzimmer. Sie sah sich noch einmal nach ihm um, ehe sie die Tür zwischen ihnen schloss.

»Gute Nacht«, sagte Seth zu dem leeren Korridor.

Sternenfeuer: Vertraue Niemanden: Roman
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