Am frühen Samstagmorgen wurde Banks vom Klappern des Briefschlitzes und der auf den Teppich knallenden Post geweckt. Sein Mund schmeckte wie der Boden eines Vogelkäfigs und seine Zunge fühlte sich von zu viel Zigaretten und Bier trocken und pelzig an. Nach Boyds Verhör hatten er und Burgess mehr als ein Bier um die Ecke gebracht. Es schien zur Gewohnheit zu werden.
Banks kam immer noch nicht damit zurecht, allein in dem großen Bett aufzuwachen. Er vermisste Sandras warmen Körper, der sich neben ihm regte, und er vermisste das Nörgeln und Jammern von Brian und Tracy, die bereits fertig für die Schule oder einen Einkaufsbummel am Samstagmorgen waren. Aber in ein paar Tagen würden die drei zurück sein. Und mit ein bisschen Glück war der Gill-Fall bis dahin gelöst und er würde ein wenig Zeit mit ihnen verbringen können.
Bei Kaffee und verbranntem Toast - Banks hatte keine Ahnung, warum der Toaster den Toast nur dann verbrannte, wenn er ihn benutzte - schaute er die Post durch: Zwei Rechnungen, ein Brief sowie eine neue Blueskassette von Barney Merritt, einem alten Freund von der Londoner Polizei. Und zu guter Letzt genau das, worauf er gewartet hatte: Das Paket von Tony Grant.
Die Informationen, die Grant handschriftlich aus Constable Gills Akte übertragen hatte, erwiesen sich als interessante Lektüre. Seit einem Einsatz bei der Überwachung der Streikposten der Kokerei in Orgreave während des Streiks der Minenarbeiter 1984 hatte sich Gill für nahezu jede Demonstration in Yorkshire auf Überstundenbasis freiwillig gemeldet. Proteste vor amerikanischen Raketenstützpunkten, Demonstrationen gegen Südafrika oder Versammlungen der National Front, er war bei jedem Einsatz dabei, der leicht in ein Gerangel ausarten konnte. Gill war bestimmt nicht der Einzige, aber er schien genau zu der Sorte Mensch gehört zu haben, deren Karriere vom Schulhofrabauken nahtlos zum legitimierten Schläger überging. Banks wäre nicht überrascht gewesen, wenn er sich für jedes Opfer eine Kerbe in seinen Schlagstock geritzt hätte.
Es hatte auch Beschwerden über ihn gegeben, hauptsächlich wegen übertriebener Gewaltanwendung gegen bereits überwältigte Demonstranten. Aber es waren überraschend wenige gewesen, und nie hatte man ernsthaft etwas gegen Gill unternommen. Die interessanteste Beschwerde kam von Dennis Osmond, der Gill wegen unnötiger Gewalt bei einer Demonstration zur Unterstützung der Frauenvereinigung von Greenham vor zwei Jahren angezeigt hatte. Ein weiterer vertrauter Name auf der Liste war Elizabeth Dale, die Gill beschuldigt hatte, während einer friedlichen AntiAtomkraft-Demonstration in Leeds willkürlich auf sie und ihre Freunde eingeschlagen zu haben. Banks konnte sie nicht sofort einordnen, denn sie schien nicht zu den Leuten um Paul Boyd und Dennis Osmond zu gehören. Doch er kannte den Namen. Er machte sich eine Notiz und las dann sorgfältig den Rest des Materials. Keine weiteren Namen stachen hervor.
Doch die wichtigste Information, die Banks aus den Akten zog, hatte nichts mit Gills Verhalten zu tun. Eigentlich lag sie auf der Hand, und er fluchte lauthals über sich, dass er nicht früher darauf gekommen war. Wie die meisten Polizisten, besonders die zivilen Ermittler, kannte er seine Kollegen bei ihrem Namen, selbst die uniformierten. Für Außenstehende war das jedoch eine andere Angelegenheit. Wie konnte ein normaler Bürger einen bestimmten Polizeibeamten in einer Beschwerde oder gar in anerkennenden Briefen benennen? Er konnte es nicht. Deshalb waren die Dienstnummern so wichtig. Sie wurden »Kragennummern« genannt, weil sie sich ursprünglich auf den schmalen Stehkragen der früheren Polizeiuniform befanden. Mittlerweile waren die Metallnummern jedoch an den Schulteraufsätzen der Beamten befestigt. Und jetzt sprang ihm Gills Nummer direkt ins Auge: PC 1139.
Er erinnerte sich daran, wie er nach seinem mittäglichen Gespräch mit Mara vom Black Sheep zurückgefahren war. Er hatte Billie Holiday gehört und sich gefragt, welche seiner Worte im Zusammenhang mehr bedeutet haben könnten, als er in dem Moment, da er sie ausgesprochen hatte, begriffen hatte. Jetzt wusste er es. Er hatte Gills Namen erwähnt und gleich darauf in seiner nächsten Frage die Nummer. Beinahe hätte sich beides zusammengefügt und den Kreis geschlossen, aber eben nur beinahe.
Banks legte die Papiere weg, griff nach seinem Mantel und lief hinaus zum Wagen. Es war ein herrlicher Morgen. Noch wehte ein kühler Wind, aber am wolkenlosen Himmel schien die Sonne. Nach dem furchtbaren Spätwinterwetter der letzten Zeit war der Frühlingsgeruch in der Luft, diese seltsame Mischung aus feuchtem Gras und der Fäulnis des letzten Herbstes, fast überwältigend. Er erweckte ein besonderes Erwartungsgefühl und stärkte dadurch spürbar die Lebenskräfte. Dieser Duft ließ in ihm den Wunsch aufkommen, Shakespeares Lieder in der Aufnahme des Deller Consort in seinen Walkman zu schieben und leichtfüßig zur Arbeit zu schreiten. Aber er würde für einen Besuch, den er im späteren Verlauf des Tages machen musste, den Wagen brauchen. Trotzdem kein Grund, dachte er, dem musikalischen Impuls nicht dahin zu folgen, wohin er ihn führte, besonders an einem Tag wie diesem. Also ging er noch einmal zurück ins Haus und suchte die Kassette, um sie im Auto zu hören.
Als er im Büro ankam, war es nach neun. Richmond spielte mit dem Computer, und Hatchley mühte sich mit einem Kreuzworträtsel im Daily Mirror ab. Keine Spur von Dirty Dick. Er ließ sich Kaffee bringen und ging zum Fenster, um hinauszustarren. Offensichtlich hatte das gute Wetter die Leute nach draußen gelockt. Touristen strömten in die Kirche hinein und trotteten wieder heraus, andere, mit Anoraks über warmen Pullovern, saßen auf dem angeschlagenen Sockel des Marktkreuzes und machten mit Schokoriegeln und Tee aus Thermosflaschen bereits ein Päuschen.
Eine Stunde oder länger starrte Banks auf den belebten Platz und versuchte dabei auszutüfteln, warum sich Constable Gills Nummer in Seth Cottons altem Notizbuch befunden hatte. War es überhaupt Cottons Handschrift gewesen? Er untersuchte das Buch erneut. Da nur ein schwacher Abdruck zurückgeblieben war, konnte man es schwer feststellen. Außerdem waren die Ziffern im Gegensatz zum kleineren Gekritzel der meisten Maßangaben übertrieben groß. Sorgfältig rieb er noch einmal mit einem weichen Bleistift über die Seite, ohne jedoch einen besseren Abdruck zu erhalten.
Er erinnerte sich, wie Mara Delacey ihm erzählt hatte, dass Paul häufig mit Seth in dem Schuppen gearbeitet hatte. Also könnte die Nummer genauso gut von ihm aufgeschrieben worden sein. Wenn das der Fall war, dann war Vorsatz im Spiel. Boyds Name war nicht auf der Liste der Beschwerdeführer gegen Gill gewesen, aber das hieß nicht, dass die beiden vorher noch keinen Konflikt gehabt hatten. Ein Vorbestrafter wie Paul würde kaum aufs nächste Polizeirevier laufen und eine Beschwerde einreichen.
Die einzige Sache, deren sich Banks nach zwei Tassen Kaffee und drei Zigaretten sicher sein konnte, war, dass jemand von Maggie's Farm schon vor der Demonstration von Constable Gill wusste und ihn dort erwartete. Die Nummer war mit so viel Druck aufgeschrieben worden, dass sich ihr Abdruck auf der nächsten Seite eingeprägt hatte, und das ließ auf einen gewissen Grad an Leidenschaft und Aufregung schließen. Wer hegte einen Groll gegen Gill? Und wer hatte Zugriff auf Seth Cottons Notizbuch? Eigentlich jeder, denn der Schuppen war nie abgeschlossen. Angesichts der Beweise gegen ihn war Boyd der erste Kandidat, doch Banks zweifelte kaum noch daran, dass er die Wahrheit erzählt hatte, besonders nachdem er auch bei seiner Geschichte geblieben war, als Burgess das Licht ausgeschaltet hatte. Aber wenn Boyd die Wahrheit erzählt hatte, wen würde er eher schützen als Seth, Mara, Rick oder Zoe?
Und was, fragte sich Banks, bedeutete das für Osmond, Tim und Abha?
Tim und Abha hatten bisher als Einzige zugegeben, von Constable Gills Existenz zu wissen, was wahrscheinlich darauf schließen ließ, dass sie nichts zu verbergen hatten. Tatsächlich bezweifelte Banks, dass sie irgendetwas mit dem Mord zu tun hatten. Vor allem verband sie mit den Bewohnern der Farm kaum mehr als das gemeinschaftliche Interesse, die menschliche Rasse vor der totalen Auslöschung retten zu wollen.
Osmond jedoch war ein Freund von Rick, Seth und den anderen. Er war häufig oben auf der Farm gewesen, außerdem kannte er Gills Nummer bereits, denn er hatte sie in seiner Beschwerde benutzt. Vielleicht hatte sogar er sie in das Notizbuch geschrieben, oder er hatte sie dort stehen sehen und wiedererkannt. Paul Boyd mochte in dem Punkt die Wahrheit erzählt haben, dass er Constable Gill nicht getötet hatte, aber war er ein Komplize gewesen? Waren zwei Leute an der Tat beteiligt gewesen?
Wie so viele von Banks Grübeleien führte auch diese zu weit mehr Fragen als Antworten. Manchmal dachte er, er könnte einen Fall nur dann lösen, nachdem er ein Übermaß an Fragen formuliert hatte. Wenn der Sättigungsgrad erreicht war, produzierte dann der Überschuss die Antworten.
Doch bevor er irgendetwas anderes tat, musste er erst einmal etwas gegen sein Magenknurren unternehmen. Verbrannter Toast war für einen Ermittler kein ausreichender Treibstoff.
Auf dem Weg zu einem zweiten Frühstück im Golden Grill traf er auf Mara Delacey, die gerade das Revier betrat.
»Ich möchte Paul sehen«, sagte sie und fuchtelte mit der Morgenzeitung herum. »Hier steht, dass Sie ihn verhaftet haben. Stimmt das?«
»Ja.«
»Wo ist er?«
»Unten.«
»Geht es ihm gut?«
»Selbstverständlich. Für wen halten Sie uns, für die spanische Inquisition?«
»Burgess würde ich alles zutrauen. Kann ich Paul sehen?«
Banks überlegte einen Moment. Eine solche Erlaubnis zu geben wäre ungewöhnlich, und Burgess wäre es nicht recht, wenn er davon erfahren würde, aber eigentlich gab es keinen Grund, warum Mara Paul nicht sehen sollte. Außerdem hätte Banks dadurch die Gelegenheit, ihm in Maras Anwesenheit ein paar Fragen zu stellen. Wenn Freunde oder Feinde in der Nähe waren, gaben die Menschen durch Körpersprache und Mienenspiel oft mehr preis, als sie beabsichtigten.
»In Ordnung«, sagte er und führte sie die Treppen hinab. »Aber ich werde dabei sein müssen.«
»Wie Sie sehen können, habe ich ihm keine Geburtstagstorte mit einer Feile drin mitgebracht.«
Banks lächelte. »Die würde ihm auch nicht viel helfen. Vor den Fenstern sind keine Gitter. Er könnte nur zur Treppe fliehen und müsste dann hier hochlaufen.«
»Aber seine Klaustrophobie«, sagte Mara erschrocken. »Das muss ja unerträglich für ihn sein.«
»Wir haben einen Arzt.« Banks genoss seinen kleinen Sieg über Burgess' Gefühllosigkeit. »Er hat ein Beruhigungsmittel bekommen, das scheint ihm zu helfen.«
Die vier Zellen waren der modernste Teil des Gebäudes. Kürzlich noch mit den Demonstranten überfüllt, waren sie jetzt bis auf Paul Boyd leer. Mara schien überrascht, saubere, weiße Fliesen und helles Licht statt dunkler, feuchter Steinmauern vorzufinden. Das einzige Fenster, hoch und tief in die Wand angelassen, war ungefähr dreißig mal dreißig Zentimeter groß und fast genauso dick. Die Zellen erinnerten Banks immer so sehr an ein Krankenhaus, dass er jedes Mal, wenn er hier herunterkam, glaubte, Karbolsäure riechen zu können.
Boyd saß auf der Pritsche und starrte durch die Gitterstäbe auf seine Besucher.
»Hallo«, sagte Mara. »Es tut mir Leid, Paul.«
Boyd nickte.
Banks konnte die Spannung zwischen ihnen spüren. Teilweise hatte sie mit seiner Anwesenheit zu tun, das wusste er, aber sie schien noch tiefer zu gehen, so als wären sie unsicher, was sie sich sagen sollten.
»Geht es dir gut?«, fragte Mara.
»Ich bin okay.«
»Wirst du zurückkommen?«
Paul starrte Banks zornig an. »Keine Ahnung. Sie wollen mich unbedingt wegen irgendwas anklagen.«
Banks erklärte die Verfahrensweise.
»Also könnte er trotzdem wegen Mordes inhaftiert sein?«, fragte Mara.
»Ja.«
Tränen standen in ihren Augen. Paul starrte sie misstrauisch an, so als wäre er sich nicht sicher, ob sie nur spielte oder nicht.
Banks durchbrach die angespannte Stille. »Sagt dir die Nummer 1139 irgendetwas?«, wollte er von Boyd wissen.
Paul schien die Frage zu überdenken, und seine Antwort war ein unmissverständliches Nein. Banks hatte den Eindruck, dass er die Wahrheit sagte.
»Was weißt du über das alte Notizbuch, das Seth in seiner Werkstatt hat?«
Paul zuckte mit den Achseln. »Nichts. Es war nur für Adressen, Maße und so ein Zeugs.«
»Hast du es jemals benutzt?«
»Nein. Ich war ja nur sein Assistent, sein Mädchen für alles.«
»So war es nicht, Paul«, sagte Mara. »Und das weißt du auch.«
»Ist ja jetzt sowieso egal, oder? Außer, dass ich dadurch vielleicht einen Job in der Gefängniswerkstatt bekomme.«
»Hat das Buch mal jemand anderes als Seth benutzt?«, fragte Banks.
»Warum?« Paul war von den Fragen offensichtlich verwundert. »Es war unwichtig.«
»Weißt du, wer das Messer eingesteckt hat?«
Paul schaute beim Antworten Mara an. »Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich es nicht weiß, oder?«
»Ich gebe dir einfach noch eine Chance. Wenn du wirklich nicht für Constable Gills Tod verantwortlich bist, wird jede Hilfe, die du uns gibst, für dich sprechen.«
»Oh, na sicher!« Paul stand auf und lief in der engen Zelle hin und her. »Warum hauen Sie nicht einfach ab und lassen mich in Ruhe? Ich habe Ihnen nichts mehr zu sagen. Und sagen Sie dem Quacksalber, er soll mir noch eine Pille bringen.«
»Können wir irgendetwas für dich tun, Paul?«, fragte Mara.
»Du kannst mich auch in Ruhe lassen. Ich verfluche den Tag, an dem ich dich und die anderen getroffen habe. Ihr und eure beschissenen Proteste und Demonstrationen. Jetzt siehst du ja, wohin ihr mich damit gebracht habt.«
Mara schluckte und sprach dann ganz sanft. »Wir sind immer noch auf deiner Seite, das musst du wissen. Es hatte nichts mit mir oder einem der anderen zu tun, dass sie dich geschnappt haben. Du kannst auf die Farm zurückkommen, wann immer du willst.«
Paul sah sie finster an, und Banks konnte die Fragen, die sie sich stellen wollten, und die Antworten, die sie sich erhofften, spüren. Aber sie konnten nicht reden, weil er dabei war. Mara würde sich selbst beschuldigen, wenn sie Paul versicherte, dass sie der Polizei nichts von der Warnung, dem Geld und den Sachen, die sie ihm gegeben hatte, verraten hatte. Paul würde sie belasten, wenn er ihr dankte oder zu diesen Dingen befragte.
»Kommen Sie.« Behutsam nahm Banks Maras Arm. Sie schüttelte seine Hand ab, ging aber neben ihm die Treppen zurück nach oben. »Sie haben gesehen, dass es ihm gut geht. Keine blauen Flecken.«
»Auf jeden Fall keine, die man sehen kann.«
»Wie sind Sie hergekommen?«, fragte Banks, als sie das Revier verließen und in den herrlichen Tag hinausgingen.
»Ich bin durch die Heide gegangen.«
»Ich fahre Sie zurück.«
»Nein. Ich habe Lust, zu Fuß zu gehen, danke.«
»Keine Hintergedanken. Ich werde sowieso hochfahren.«
»Wieso?«
»Nur ein paar Fragen an Seth.«
»Fragen, nichts als verfluchte Fragen.«
»Kommen Sie.«
Mara stieg neben ihm in den Cortina ein. Als Banks vom Parkplatz in die North Market Street in Richtung der Straße nach Swainsdale bog, saß sie stumm mit den Händen auf dem Schoß da. Sie kamen an der Treppe zum Gemeindezentrum vorbei, wo Gill erstochen worden war. Der Platz sah an diesem Tage so unschuldig wie jeder andere aus, auf dem grauen Stein waren keinerlei Spuren der Gewalt oder des Blutvergießens zurückgeblieben. Banks schob die Kassette ein, und das Deller Consort sang »It was a lover and his lass«. Bei dem Trällern entfuhr Mara ein schwaches Lächeln, neugierig blinzelte sie ihn von der Seite an, so als würde es ihr schwer fallen, ihn mit der Musik in Verbindung zu bringen.
Unter den Bäumen der Flussauen saßen ein paar Angler, und an der Straße gingen mehr Wanderer entlang, als Banks seit dem letzten Oktober gesehen hatte. Selbst das Windspiel auf Maggie's Farm schien trotz des ganzen Unglücks, das über den Ort gekommen war, ein fröhlicheres Lied zu spielen. Aber die Natur ist selten im Einklang mit den menschlichen Angelegenheiten, dachte Banks. Sie folgt dem vorbestimmten natürlichen Kreislauf, während wir Opfer zufälliger, irrationaler Kräfte, Gedanken und Taten werden. Wenn wir uns depressiv fühlen, ist es ganz natürlich, sich mit Regen und Wolken zu identifizieren, doch wenn die Sonne strahlt und wir dennoch depressiv sind, schaffen wir es nicht, das Wetter wirken zu lassen.
Banks traf Seth in seiner Werkstatt an. In seinen Overall gehüllt stand er über seine Werkbank gebeugt da und hobelte ein langes Holzstück. Holzspäne kräuselten sich und fielen zu Boden, ein harziger Geruch lag in der Luft. Als Seth seinen Gast bemerkte, hielt er inne und setzte den Hobel ab. Banks lehnte sich in der Nähe des verstaubten Bücherregals an die Wand.
»Was wollen Sie diesmal?«, fragte Seth. »Ich dachte, Sie hätten Ihren Mann.«
»Sieht so aus. Aber ich bin jemand, der gerne die Lücken schließt.«
»Im Gegensatz zu Ihrem Freund.«
»Superintendent Burgess beschäftigt sich nicht übermäßig mit Kleinigkeiten«, sagte Banks. »Aber er muss auch nicht hier leben.«
»Wie geht es Paul?«
Banks erzählte es ihm.
»Und, was sind Ihre Lücken?«
»Diese Nummer in Ihrem Buch.« Banks legte die Stirn in Falten und kratzte die Narbe neben seinem rechten Auge. »Ich habe herausgefunden, was sie bedeutet.«
»Ach?«
»Es war Constable Gills Dienstnummer: PC 1139.«
Seth nahm seinen Hobel und begann wieder langsam das Kiefernholz zu bearbeiten.
»Warum stand sie in Ihrem Notizbuch?«
»Ich muss zugeben, das ist ein komischer Zufall«, sagte Seth ohne aufzuschauen. »Aber wie gesagt, ich hatte nicht die leiseste Ahnung, was sie bedeutete.«
»Haben Sie sie aufgeschrieben?«
»Ich kann mich nicht daran erinnern. Aber Sie können irgendeine Seite nehmen und werden merken, dass sich das Geschriebene kaum besonders tief in mein Gedächtnis eingegraben hat.«
»Kannten Sie Constable Gill?«
»Ich hatte nie das Vergnügen.«
»Könnte jemand anderes die Nummer aufgeschrieben haben?«
»Natürlich. Ich schließe hier nie ab. Aber warum sollte das jemand tun?«
Banks hatte keine Ahnung. »Warum haben Sie die Seite herausgerissen?«
»Mir ist nicht bewusst, es getan zu haben. Ich kann mich nicht daran erinnern. Hören Sie, Chief Inspector ...« Seth legte den Hobel wieder zur Seite, lehnte sich an die Werkbank und sah Banks an. »... Sie jagen Gespenstern hinterher. Jeder könnte diese Nummer notiert haben, und sie könnte alles bedeuten.«
»Zum Beispiel?«
»Eine Telefonnummer. Sie wissen, dass es hier in der Gegend noch vierstellige Nummern gibt. Oder sie könnte Teil einer Maßangabe sein, eine Geldsumme, alles Mögliche eben.«
»Es ist keine Telefonnummer«, sagte Banks. »Glauben Sie, das hätte ich nicht nachgeprüft? Aber es ist Constable Gills Nummer.«
»Zufall.«
»Möglich. Aber ich bin nicht überzeugt.«
»Das ist Ihr Problem.« Seth nahm den Hobel wieder auf und begann noch energischer zu arbeiten.
»Es könnte auch Ihr Problem sein, Seth.«
»Soll das eine Drohung sein?«
»Nein. Die überlasse ich Superintendent Burgess. Was ich sagen will, ist, es wäre sehr praktisch, wenn jemand anderes Gill getötet hat - sagen wir, Sie - und Paul die Schuld auf sich nehmen würde. Er kann ja nichts Gegenteiliges beweisen.«
»Was wollen Sie damit sagen?« Seth hielt erneut in seiner Arbeit inne.
»Ich will sagen, es sieht so aus, als wenn er für die Sache büßen muss.«
»Wollen Sie behaupten, er hat gestanden?«
»Ich darf mit Ihnen gar nicht über solche Dinge sprechen. Ich sage nur, dass es schlecht für ihn aussieht, und wenn Sie irgendetwas wissen, was ihm helfen könnte, dann sagen Sie es mir lieber schnell, verdammt noch mal. Es sei denn, Sie haben einen Vorteil davon, dass Boyd des Mordes angeklagt wird.«
»Ich weiß nichts.« Seth beugte sich längs über das Kiefernholz und strich über die Oberfläche. Seine Stimme klang fest, sein Gesicht hielt er abgewandt.
»Ich kann verstehen, wenn Sie jemanden schützen«, fuhr Banks fort. »So wie Mara versuchte, Paul zu schützen. Aber denken Sie darüber nach, was Sie tun. Wenn Sie jemand anderen decken, verurteilen Sie damit fast unweigerlich Paul. Bedeutet er Ihnen so wenig?«
Seth knallte den Hobel auf die Werkbank. Mit rotem Gesicht und funkelnden Augen drehte er sich zu Banks. Die Ader an seiner Schläfe pochte. »Wie kommen Sie dazu, so zu reden?«, sagte er mit bebender Stimme. »Natürlich bedeutet uns Paul eine Menge. Noch ist er nicht angeklagt. Bisher haben ihn nur Arschlöcher wie Sie verurteilt. Wenn er es nicht getan hat, dann wird er freikommen, oder?«
Banks zündete sich eine Silk Cut an. »Ich bin überrascht, wie viel Vertrauen Sie in die Justiz haben, Seth. Das fehlt mir, befürchte ich. So wie die Dinge heutzutage liegen, könnte an ihm sehr gut ein Exempel statuiert werden.«
Seth schnaubte. »Was wollen Sie machen? Die Geschworenen bestechen?«
»Das wird nicht nötig sein. Die Geschworenen setzen sich aus normalen Männern und Frauen zusammen. Hauptsächlich gesetzestreue Bürger der Mittelklasse. Sie werden einen Blick auf Boyd werfen und ihn einsperren und den Schlüssel wegschmeißen wollen.«
»Er wird es schon schaffen. Und wir werden zu ihm halten. Wir werden ihn nicht im Stich lassen.«
»Bewundernswert. Aber vielleicht reicht das nicht aus. Wo haben Sie gelebt, bevor Sie den Hof gekauft haben?«
Überrascht musste Seth für einen Augenblick nachdenken. »Hebden Bridge. Warum?«
»Woher hatten Sie das Geld für den Hof?«
»Auch wenn es Sie nichts angeht, ich hatte etwas gespart und ein wenig von einer alten Tante geerbt. Wir ... Ich hatte dort außerdem ein kleines Geschäft, das ich verkauft habe, ein Antiquariat.«
»Welcher Arbeit sind Sie nachgegangen?«
»Dieser.« Seth machte eine Handbewegung durch die Werkstatt. »Ich war ein Alleskönner und habe den wahren Unternehmergeist gezeigt, so wie die Thatcher-Regierung ihn immer fordert. Ich habe für gute Arbeit gutes Geld verdient. Und das ist immer noch so.«
»Wer hat dann den Buchladen geführt?«
»Meine Frau.« Seth sprach durch die Zähne und widmete sich wieder seinem Holz.
»Da hat es einen Unfall gegeben, nicht wahr?«, sagte Banks. »Mit Ihrer Frau?« Er kannte einige der Details, aber er wollte sehen, wie Seth reagierte.
Seth holte tief Luft. »Ja. Aber das geht Sie trotzdem nichts an.«
»Was ist passiert?«
»Wie Sie sagten. Ich hatte eine Frau. Es gab einen Unfall.«
»Was für einer?«
»Sie wurde von einem Auto überfahren.«
»Das tut mir Leid.«
Seth drehte sich zu ihm. »Warum? Warum zum Teufel sollte Ihnen das Leid tun? Sie kannten Alison nicht einmal. Machen Sie, dass Sie hier rauskommen, und lassen Sie mich in Ruhe weiterarbeiten. Ich habe Ihnen nichts weiter zu sagen.«
Banks blieb auf der Türschwelle stehen. »Eine Sache noch: Elizabeth Dale. Kennen Sie den Namen?«
»Ich kenne jemanden namens Liz Dale, ja.«
»Sie ist die Frau, die aus der psychiatrischen Klinik weggelaufen und hier gelandet ist, oder?«
»Warum fragen Sie, wenn Sie es bereits wissen?«
»Ich war mir nicht sicher, aber ich dachte es mir. Wissen Sie etwas von einer Beschwerde, die sie gegen Constable Gill eingereicht hat?«
»Nein. Warum sollte ich?«
»Sie hat seine Nummer benutzt: 1139.«
»Und?«
»Komischer Zufall, mehr nicht: Ihre Beschwerde, seine Nummer in Ihrem Notizbuch. Könnte sie die Nummer aufgeschrieben haben?«
»Könnte sie. Genauso gut wie jeder andere. Ich weiß wirklich nichts darüber.« Seth klang müde.
»Haben Sie sie in der letzten Zeit gesehen? War sie in den letzten paar Wochen mal hier oben?«
»Nein.«
»Wissen Sie, wo sie sich aufhält?«
»Wir haben uns aus den Augen verloren. Das kommt vor.«
Seth beugte sich wieder über das Kiefernholz, und Banks verschwand, machte einen Bogen um das Haus und ging durch das Seitentor hinaus. Im Wagen dachte er kurz darüber nach, ob er noch in die Scheune gehen sollte, um mit Rick und Zoe zu sprechen. Doch die beiden konnten warten. Für heute hatte er genug von Maggie's Farm.
Burgess zwinkerte Glenys zu, die lächelte und rot wurde. Banks war der Einzige, dem auffiel, dass sich Cyrils Miene verfinsterte. Sie trugen ihre Getränke und Ploughman's Lunches zurück zum Tisch.
»Wie geht's Boyd?«, fragte Burgess.
»Gut. Ich wusste gar nicht, dass Sie sich dafür interessieren.«
Burgess spuckte die Reste einer eingelegten Zwiebel in seine Serviette. »Furchtbares Zeug. Davon kriege ich Sodbrennen.«
»Es würde mich nicht überraschen, wenn Sie sich ein Magengeschwür einhandeln«, sagte Banks. »Bei Ihrer Lebensweise.«
Burgess grinste. »Man lebt nur einmal.«
»Werden Sie hierbleiben und gucken, was weiter passiert?«
»Ich werde noch ein paar Tage bleiben, ja.« Er starrte wieder Glenys an. »Ich habe hier noch nicht alles erledigt.«
»Jetzt sagen Sie bloß, Sie fangen an, den Norden zu mögen.«
»Im Gegensatz zu den Leuten hat sich wenigstens das beschissene Wetter gebessert.«
»Der freundlichste Haufen im Land, wenn man sie erst mal kennen lernt.«
»Ach, wirklich?« Burgess verschlang ein Stück Wensleydale-Käse und spülte es mit Double Diamond hinunter.
Banks verzog das Gesicht. »Kein Wunder, dass Sie Sodbrennen bekommen.«
Burgess schob seinen Teller beiseite und zündete sich eine Zigarre an. »Sagen Sie mir mal ehrlich, Banks: Was halten Sie von Boyd? Schuldig oder nicht?«
»Er steckt offensichtlich mit drin. Er steckt tief drin. Aber wenn Sie mich fragen, ob ich glaube, dass er Gill getötet hat, dann lautet die Antwort nein, glaube ich nicht.«
»Sie könnten Recht haben. Er ist auch unter Druck bei seiner Geschichte geblieben, und ich glaube nicht, dass er so hart ist.« Burgess hob seine Zigarre an. »Persönlich ist es mir scheißegal, was aus Boyd wird. Mir wäre es lieber, wenn er für die Sache drangekriegt wird als überhaupt keiner. Aber urteilen Sie mich nicht gleich ab. Ich bin kein Vollidiot. Wenn das ganze Puzzle nicht aufgeht, werde ich unzufrieden und will wissen, warum. Genauso wie jeder andere Polizist werde ich manchmal von Zweifeln gequält.«
»Und Sie haben Zweifel in Bezug auf Boyd?«
»Ein bisschen.«
»Was werden Sie also tun?«
»Bedenken Sie mal die Alternativen. Sie haben gehört, was er gestern Abend über die anderen gesagt hat, die sich am Freitagnachmittag auf der Farm versammelt hatten. Das schließt so ungefähr jeden ein, den wir seit Beginn der Ermittlung im Visier haben. An wen glauben Sie?«
Banks trank einen Schluck Bier, um sein Mittagessen hinunterzuspülen. »Kommt drauf an«, sagte er. »Jeder von den Leuten, die Boyd erwähnte, könnte Zugriff auf das Messer gehabt haben. Das trifft auch auf jeden zu, der in den Tagen vor der Demo oben gewesen war. Niemandem ist aufgefallen, ob es weg war oder nicht. Auf jeden Fall gibt es niemand zu. Wenn man davon ausgeht, dass es ein terroristischer Akt war, dann sollte man wohl bei den politisch Aktivsten anfangen: Osmond, Trelawney und den Studenten. Wenn man andererseits akzeptiert, dass es ein anderes Motiv gegeben haben könnte, dann muss man menschlichere Beweggründe in die Überlegungen einbeziehen: Rache, Hass, so was in der Art. Oder vielleicht wollte auch jemand den Farmbewohnern die Schuld in die Schuhe schieben, jemand, der Grund hatte, sie zu hassen oder sie von ihrem Land vertreiben zu wollen.«
Burgess seufzte. »Bei Ihnen klingt das so furchtbar kompliziert. Glauben Sie wirklich, dass darin die Antwort liegt?«
»Möglich, ja.« Banks holte tief Luft. »Gill war ein Arschloch«, sagte er. »Er mochte es, Leute zu verprügeln und Köpfe einzuschlagen. Er hat sich bei mehr Massenveranstaltungen zum Einsatz gemeldet, als ich warme Mahlzeiten hatte. Und noch etwas: Osmond hat vor ein paar Jahren wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung bei einer anderen Demo eine offizielle Beschwerde gegen ihn eingereicht. Das Gleiche tat bei einem anderen Vorfall eine Frau namens Elizabeth Dale. Und sie hat Verbindungen zu den Leuten auf der Farm.«
Burgess trank noch etwas Bier und kaute auf seiner Lippe. »Woher wissen Sie das?«, fragte er ruhig.
Mit der Frage hatte Banks gerechnet. Er erinnerte sich an Burgess' Befehl, nicht in Gills Akte zu schauen. »Ein anonymer Hinweis«, sagte er.
Burgess kniff seine Augen zusammen und starrte Banks an, der eine Zigarette nahm und sie anzündete.
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das glaube«, sagte er schließlich.
»Das spielt doch überhaupt keine Rolle, oder? Es kommt nur darauf an, was ich Ihnen sage. Wollen Sie der Sache auf den Grund gehen oder nicht?«
»Weiter.«
»Meiner Meinung nach haben wir zwei Möglichkeiten: Terrorismus oder persönliche Motive. Vielleicht sind beide auch vermischt, wer weiß.«
»Und wo kommt Boyd ins Spiel?«
»Entweder hat er genau das getan, was er uns erzählt hat, oder er war ein Komplize. Also haben wir uns seinen politischen Hintergrund mal näher angeschaut. Richmond hat über den Computer diejenigen, mit denen Boyd im Knast saß, sowie alle anderen Leute überprüft, mit denen er rumhing, als ihn die regionale Polizei im Visier hatte. Er hat einige Zeit in Irland verbracht, und genau dorthin wollte er ja auch, als wir ihn geschnappt haben. Einige seiner Bekannten dort hatten Verbindungen zur IRA. Beweisen können wir es nicht, aber wir sind uns ziemlich sicher. Aber wir müssen auch das persönliche Motiv berücksichtigen. Gill gehörte zu der Sorte Menschen, die sich Feinde machen, und es sieht so aus, als wäre Osmond einer von ihnen.«
»In der Zwischenzeit«, sagte Burgess, »behalten wir Boyd hier.«
Banks schüttelte den Kopf. »Das finde ich nicht gut.«
»Wollen Sie ihn gehen lassen?«
»Ja. Warum nicht?«
»Beim letzten Mal ist er geflohen. Wie wollen Sie ihn diesmal davon abhalten?«
»Ich glaube, ihm ist mittlerweile klar, dass er nirgendwohin kann. Wenn wir ihn rauslassen, wird er zurück zur Farm gehen und dort bleiben.«
»Aber warum sollen wir ihn überhaupt rauslassen?«
»Weil sich dadurch vielleicht etwas tut. Wenn er unschuldig ist, besteht immer noch die Chance, dass er weiß, wer es war. Er könnte etwas unternehmen und dabei ein paar Steine ins Rollen bringen.«
Burgess schwenkte das Bier in seinem Glas. »Also klagen wir ihn wegen Missbrauch von Beweismaterial und Widerstand gegen die Staatsgewalt an und lassen ihn frei. Ist das Ihr Vorschlag?«
»Vorläufig, ja. Haben Sie eine bessere Idee?«
»Das überzeugt mich nicht völlig«, sagte Burgess langsam, »aber ich gebe meine Zustimmung. Aber«, fügte er hinzu und stieß mit seiner Zigarre in Banks' Richtung, »das geht auf Ihre Kappe, Kumpel. Wenn er wieder abhaut, stehen Sie dafür gerade.«
»In Ordnung.«
»Und wir behalten ihn noch eine Nacht drinnen, nur damit er weiß, wo es langgeht. Ich werde mich auch noch mal mit ihm unterhalten.«
Immerhin ein Kompromiss. Burgess war kein Mann, der die Idee eines anderen vollständig akzeptierte. Aber da es das beste Geschäft war, das er machen konnte, stimmte Banks zu.
Burgess lächelte zu Glenys hinüber. Am anderen Ende der Bar zerbrach ein Glas. »Ich hole uns noch was, oder?«
»Ich geh schon.« Banks stand schnell auf. »Ich bin dran.« Das stimmte zwar nicht, aber das Letzte, was sie jetzt gebrauchen konnten, war eine mittägliche Schlägerei zwischen dem Wirt des Queen's Arms und einem Superintendent von Scotland Yard.
»Ich werde mir auch noch mal Osmond vorknöpfen«, sagte Burgess, als Banks zurückkam. »Ich vertraue Ihnen nicht, wenn diese Tussi dabei ist. Sie kriegen dann immer so einen ganz verträumten Blick.«
Banks ging nicht darauf ein.
»Kann ich Constable Richmond mitnehmen?«, fragte Burgess.
»Stimmt was nicht mit Sergeant Hatchley?«
»Er ist ein fauler Sack«, sagte Burgess. »Wie er es jemals zum Sergeant gebracht hat, ist mir schleierhaft. Jedes Mal wenn ich ihn mitgenommen habe, saß er nur da wie ein ausgestopfter Elefant.«
»Er hat auch seine guten Seiten«, sagte Banks und war von sich selbst überrascht, dass er Hatchley verteidigte. Er fragte sich, ob der Sergeant wirklich davon träumte, dass Burgess ihn allein deshalb zum Beitritt irgendeiner Eliteeinheit von Scotland Yard ermunterte, weil beide an die allumfassende Privatisierung und ein mit Atomraketen gespicktes England glaubten. Wenn das der Fall war, dann hatte er anscheinend Pech gehabt.
Der Unterschied zwischen den beiden bestand darin, dachte Banks, dass Hatchley seine Einstellungen nur angenommen oder von seinen Eltern geerbt hatte; sie waren nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen. Burgess hingegen glaubte tatsächlich daran, dass die Polizei existierte, um die rote Gefahr aufzuhalten und darauf zu achten, dass Ausländer dort blieben, wo sie hingehörten, damit die Regierung mit ihrem Auftrag fortfahren konnte, aus Britannien wieder ein Großbritannien zu machen. Außerdem glaubte er, dass Leute wie Paul Boyd von den Straßen fern gehalten werden sollten, damit anständige Bürger in der Nacht ruhig schlafen konnten. Dabei kam ihm keinen Augenblick in den Sinn, dass er selbst vielleicht nicht als anständig durchgehen könnte.
Banks folgte Burgess zurück aufs Revier und ging in sein Büro hinauf. Er hatte ein Telefonat zu führen.