SIEBENUNDZWANZIG
Jill rutschte die Leiter hinab und rannte los. In ihrem Kopf wirbelten die Neuigkeiten, die sie über Raccoon erfahren hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was während der letzten Tage außerhalb der Stadt passiert war, dass man zu dem Entschluss gelangt war, ein Quarantänegebiet einfach auslöschen zu müssen.
Kannst du dir das wirklich nicht denken? Natürlich muss es in die Luft gejagt werden – nichts anderes können sie wollen, nachdem sie ihre Daten zusammengetragen haben. Sie müssen sicherstellen, dass alle Beweise vernichtet werden!
Jill sprang über einen ausgestreckten Leichnam, dann einen weiteren und erreichte die Tür mit dem ‚Ausgang‘-Schild, genau wie Carlos es beschrieben hatte. Sie hetzte hindurch und wurde von wunderbar kühler, feuchter Luft empfangen.
Sonnenaufgang – er sagte, die Raketen werden bei Sonnenaufgang abgeschossen.
Eine halbe Stunde war eine großzügige Schätzung. Jill rannte schneller, durch eine gewundene Gasse aus übereinander gestapelten Autos und anderem Schrott, und da war das Lagerhaus, direkt vor ihr. Es war groß – niedrig und breit –, und sie dachte bereits in Stunden, als sie die schwere, stahlverstärkte Vordertür erreichte.
Elf Uhr … Sie konnte die Hintertür nicht sehen, weil eine riesige Wand aus unidentifizierbaren Maschinen ihr den Blick verwehrte, dicke Rohre und Metallverkleidungen, aber Carlos hatte ja gesagt, dass sie um ein paar Apparaturen herumlaufen müsse. Sie schwenkte nach rechts …
… und blieb jäh stehen, starrte auf die monströse Maschine, die Carlos irrtümlich für einen Generator gehalten hatte. Tatsächlich war es eine Art Laserkanone, riesig und zylindrisch. Jill hatte so etwas schon einmal gesehen, allerdings nicht halb so groß – das Ding war mindestens drei Meter hoch und sechs oder sieben Meter lang. Der Umfang entsprach einem Tisch für sechs Personen. Dutzende von Kabeln führten von diversen Anschlüssen zu der Maschinenwand, neben der Jill stand, und die Mündung der Kanone war grob auf die Eingangstür gerichtet, was Jill zu der Frage führte, woran zum Teufel man das Ding hier getestet haben könnte.
Die Hintertür wurde aufgerammt. Reflexartig riss Jill die Beretta hoch und sah Carlos in der Öffnung stehen. Von draußen drang das Geräusch eines startbereiten Hubschraubers herein.
„Jill, komm schon!“
Er war offensichtlich froh sie zu sehen, doch sie erkannte auch die Dringlichkeit in seiner Stimme. Es erinnerte sie daran, was im Anrollen war. Hinter Carlos schloss sich die Tür.
Sie eilte in der plötzlichen Stille auf ihn zu und schüttelte den Kopf. „Sorry, ich war überrascht, das ist alles. Das ist eine Laserkanone, die größte, die ich je …“
Ka-rasch!
Unter der Decke bei der Vordertür brach eine gewaltige Masse aus der Mauer hervor – und entzog sich ihren Blicken, als sie hinter der Maschinenwand zu Boden fiel. Jill fing nur den Eindruck eines aufgequollenen, knolligen Körpers auf, der von Klauen und Tentakeln umgeben war, und sie wusste, dass sie in Bezug auf Nemesis vermutlich Recht hatte: Er entwickelte sich weiter.
Einen Herzschlag später ertönte ein weiteres Krachen. Funken stoben knisternd aus einer hohen Platte neben dem Eingang, und ein gurgelndes, verzerrtes Heulen dröhnte durch den Raum – Nemesis’ Schrei, entsetzlich entstellt, tiefer, rauer als jemals zuvor …
„Komm!“, rief Carlos, und Jill rannte zu ihm, während er am Griff der Hintertür zerrte, die sich nicht öffnete.
Jill bemerkte die kleinen Blinklichter auf der Tafel daneben und begriff, dass Nemesis den Schließmechanismus zerstört hatte.
Sie saßen in diesem Lagerhaus fest – zusammen mit einem Monster, das man den S. T. A. R. S.-Killer nannte, und das immer lauter, immer zorniger nach ihrem Blut schrie.