DREIZEHN
Jill hatte endlich beschlossen, den Stahlrollladen zu öffnen und einen Ausbruchversuch zu wagen, als sie von draußen Schüsse hörte – das hohe Rattern eines Sturmgewehrs. Zu sagen, dass sie erleichtert war, wäre eine Untertreibung gewesen. Das unnachgiebige Klopfen der Toten draußen hatte an ihren Nerven gezehrt, sie beinahe in Versuchung geführt, sich selbst zu erschießen, nur damit sie es nicht mehr länger anhören musste – und jetzt, innerhalb von Sekunden, war es wieder ruhig.
Rasch ging sie zur Seitentür der Werkstatt, duckte sich hinter einem ausgeschlachteten roten Kompaktwagen, der auf einer Hebebühne stand, und presste ihr Ohr gegen das kalte Metall. Alles war still, die Virusträger mit Sicherheit tot …
Bamm-bamm-bamm!
Jill zuckte zusammen, als jemand gegen die Tür hämmerte – im gleichen Takt wie ihr Herzschlag.
„Hey, ist da drin jemand? Die Zombies sind Geschichte, Sie können jetzt aufmachen!“
Der Akzent schloss jeden Irrtum aus – es war Carlos Oliveira. Erleichtert löste Jill die Verriegelung. Sie nannte ihren Namen und stieß die Tür auf.
„Carlos … Ich bin’s, Jill Valentine.“
Sie war froh, ihn zu sehen, aber sein Gesichtsausdruck signalisierte eine derart unverhohlener Freude, dass sie sich plötzlich ganz unsicher fühlte. Sie wich von der Tür zurück, damit er eintreten konnte.
„Ich bin so froh, dass du in Ordnung bist. Als du nicht bei Straßenbahn warst, dachte ich …“ Carlos verstummte, aber es war offensichtlich, was er gedacht hatte. „Es ist jedenfalls wirklich schön, dich wiederzusehen.“
Seine offenbar ehrliche Sorge um sie war eine Überraschung, und sie wusste nicht recht, wie sie darauf reagieren sollte – gereizt, weil sie so gönnerhaft behandelt wurde? Sie war aber nicht gereizt. Dass jemand um ihr Wohlbefinden besorgt war, insbesondere angesichts des Chaos, in dem sie steckten, war … nun, war irgendwie nett.
Und die Tatsache, dass dieser Jemand ein großer, dunkler Typ ist, der gut aussieht, ist auch nicht ganz so übel, nicht wahr? Augenblicklich unterbrach Jill den Gedanken. Sie befanden sich in einer Situation, in der es um Leben und Tod ging. Schöne Augen konnten sie einander später noch machen. Falls sie es schafften, mit dem Leben davonzukommen.
Carlos schien ihr leichtes Unbehagen nicht zu bemerken. „Also, was tust du hier?“
Jill schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Ich wurde abgelenkt. Nehme an, du hast Frankensteins Monster nicht da draußen herumspazieren sehen?“
Carlos runzelte die Stirn. „Du bist diesem … Ding schon wieder begegnet?“
„Nicht ‚Ding‘. Man nennt es einen Tyranten, wenn es das ist, wofür ich es halte – oder zumindest eine Variante davon. Biosynthetisch, extrem stark und schwer zu töten. Und es scheint, dass Umbrella herausgefunden hat, wie man diese Kreaturen für eine spezielle Aufgabe programmiert – in diesem Fall darauf, mich umzubringen.“
Carlos blickte sie skeptisch an. „Warum dich?“
„Lange Geschichte. Die kurze Antwort lautet: Weil ich zu viel weiß. Jedenfalls habe ich mich hier versteckt, aber …“
Carlos brachte den Satz für sie zu Ende. „… aber eine Bande von Zombies kreuzte auf und verhinderte, dass du wieder verschwinden konntest. Hab’s kapiert.“
Jill nickte. „Was ist mit dir? Du sagtest, du hättest es zur Straßenbahn geschafft, was tust du also hier?“
„Ich bin auf zwei andere U. B. C. S.-Jungs getroffen. Einer von ihnen wurde angeschossen, er lebt noch, aber es geht ihm ziemlich dreckig. Mikhail. Nicholai – das ist der andere – meinte, er wüsste, wo er Sprengstoff herkriegen kann, deshalb gingen Mikhail und ich zur Straßenbahn, um auf ihn zu warten. Es hat sich herausgestellt, dass ein Evakuierungstransporter auf Abruf bereitsteht, wenn wir es zum Uhrenturm schaffen und die Glocken läuten. Wir läuten, die Hubschrauber kommen.“
Er bemerkte Jills Miene und zuckte grinsend die Achseln. „Ja, schon gut, ich weiß wie das klingt. Es ist eine Art Computersignal. Wie es genau funktioniert … keine Ahnung. Jedenfalls sind das doch tolle Neuigkeit, oder? Nur brauchen wir ein paar Sachen, um die Straßenbahn flott zu machen – ein Stromkabel und eine dieser altmodischen elektrischen Sicherungen zum Beispiel. Mikhail sagte mir, dass hier drüben eine Werkstatt sei. Er ist einer der Zugführer, er konnte einen Blick auf die Karte werfen, bevor wir landeten …“
Carlos furchte die Stirn, dann nickte er sich selbst zu, als habe er gerade irgendein Rätsel gelöst. „Nicholai muss die Karte auch gesehen haben, das erklärt, warum er keine Wegbeschreibung brauchte.“
„Carlos, Mikhail, Nicholai – Umbrella diskriminiert jedenfalls niemanden wegen seiner Herkunft, was?“ Jill machte den Scherz beiläufig und vor allem, um ein sich vertiefendes Gefühl des Unbehagens zu kaschieren. Sie hielt Carlos für einen im Innersten anständigen Kerl, aber zwei weitere Umbrella-Soldaten, einer davon ein Zugführer – wie standen da die Chancen, dass es sich bei allen dreien um aufrichtige Männer handelte, die von ihrem Arbeitgeber getäuscht worden waren? Umbrella war der Feind, das durfte sie nicht aus den Augen verlieren.
Carlos ging an ihr vorbei. Er hatte seine Aufmerksamkeit auf das aufgebockte, rote Auto gerichtet. „Wenn man da die Elektrik überprüft hat, dann müsste … da! Das ist es, wonach ich suche!“
Es schien, als hätte Carlos exakt das Kabel, das er brauchte, in dem Gewirr aus Kabeln und Drähten entdeckt, die unter der Haube hervorquollen – einige davon mit Geräten verbunden, die Jill nicht kannte, andere hingen auf den öligen Betonboden hinab.
„Vorsichtig“, sagte Jill und trat zu ihm, als er nach oben griff und eines der Kabel – ein dunkelgrünes – packte. Sie hegte elektrischem Gerät gegenüber stets ein instinktives Misstrauen und glaubte, dass Leute, die mit losen Drähten herumspielten, im Grunde nur um einen Stromschlag bettelten.
„Kein Problem“, sagte Carlos leichthin. „Nur ein echter baboso würde diese Dinger angeschlossen lassen …“
Krack!
Einer der herunterhängenden Drähte spuckte einen orangeweißen Funken aus, grell und so laut krachend wie ein Pistolenschuss. Ehe Jill Luft holen konnte, stand der Betonboden in Flammen – es war kein allmähliches Umsichgreifen, das Feuer dehnte sich nicht langsam aus, nein, weite Teile des Bodens brannten von einem Moment zum anderen. Die Flammen schlugen meterhoch und wuchsen noch an.
„Da entlang!“, rief Jill und rannte auf die offene Tür zu, die zum Büro führte. Das ölgespeiste Feuer sengte ihr über die Haut. Wenn es den Benzintank des Autos erreicht, geht er hoch! Wir müssen sofort hier raus!
Carlos war direkt hinter ihr, und als sie Richtung Büro stürmten, spürte Jill, wie ein anderer Gedanke ihr das Blut in den Adern gerinnen ließ. Vergiss das verdammte Auto – es ist nichts im Vergleich zu dem, was passieren wird, wenn das Feuer die unterirdischen Tanks vor der Tankstelle erreicht!
Neben dem Stahlrollladen, der die Vordertür blockierte, hing eine Zugkette. Jill rannte darauf zu, aber Carlos war ihr einen Schritt voraus. Er schnappte sich die Zugvorrichtung und zerrte daran – mit einer Hand über die andere greifend. Doch der Rollladen bewegte sich nur zentimeterweise nach oben, trotz des hektischen Rasselns metallener Kettenglieder.
„Auf den Boden und hindurchkriechen!“, schrie Carlos, um sich über das Klappern und das brandungsartige Dröhnen des sich in der Werkstatt ausbreitenden Feuers hinweg verständlich zu machen.
„Carlos, die Tanks draußen …“
„Ich weiß – mach schon!“
Das untere Ende des Rollladens befand sich jetzt einen knappen halben Meter über der Schwelle. Jill ließ sich fallen, presste sich flach gegen den kalten Boden. Bevor sie bäuchlings nach draußen kroch, rief sie Carlos zu: „Lass es gut sein, das reicht!“
Dann war sie durch, und er folgte ihr. Sie kam stolpernd auf die Beine und fasste nach Carlos’ Hand, um ihm aufzuhelfen. In der Werkstatt explodierte etwas mit dumpfem Knall. Vielleicht ein Benzinkanister oder das Regal mit dem Motorenöl … Herrgott, ich muss verflucht sein, verdammt … irgendwas in der Art. Ständig fliegt um mich herum etwas in die Luft!
Carlos packte sie am Arm und riss sie aus ihrer Erstarrung. „Komm schon!“
Das brauchte er ihr nicht zweimal zu sagen. Im heller werdenden Flammenschein, das durch die Werkstattfenster nach draußen fiel und die übereinander liegenden Leichen von mindestens acht Virusträgern in flackerndes Orange tauchte, rannten sie los.
Die Straßen waren verstopft, und sie fanden keinen geraden Weg, der ihnen eine Zeitersparnis gebracht hätte. Jill konnte spüren, wie die Sekunden verflogen, während sie sich durch das Labyrinth aus Wracks und Trümmern kämpften. Die erste wirkliche Explosion, begleitet vom Geräusch zersplitternder Fenster hinter ihnen, war noch immer höllisch nah. Wir sind nicht weit genug weg! Aber alles, was sie tun konnten, war das, was sie bereits taten – darüber hinaus konnten sie nur noch beten, dass das Feuer die Tanks irgendwie verfehlen würde.
Vielleicht sollten wir uns eine Deckung suchen. Vielleicht sind wir ja doch schon aus der Gefahrenzone …
Aus irgendeinem Grund hörte sie es nicht – genauer gesagt, die plötzliche, vollkommene Abwesenheit von Geräuschen drang nicht in ihr Bewusstsein. Sie konzentrierte sich völlig darauf, sich in der Dunkelheit durch den völlig zum Erliegen gekommenen Verkehr und seine Überbleibsel zu winden. Vielleicht noch auf das Rauschen des Blutes in ihren Ohren und auf die verstreichende Zeit.
Alles, was sie wusste, war, dass sie rannte, und dann war die gigantische Druckwelle, die sie von hinten erfasste, da – die Welle, die sie gleichzeitig in die Höhe hob und nach vorne schleuderte!
Die Flanke eines verbeulten Lieferwagens raste auf sie zu – oder war es umgekehrt? –, und Carlos schrie etwas. Doch schon im nächsten Moment gab es für sie nichts anderes mehr als Schwärze und eine ferne Sonne, die an den Rändern der Finsternis leckte, in die Jill eingebettet war, und die ihr mit ihrem aggressiven Licht selbst in den Abgrund aus völliger Stille zu folgen versuchte.
Mikhail versank in dem fiebrigen Delirium, das ihn zweifellos umbringen würde. Alles, was Nicholai aus dem sterbenden Mann herausbekommen hatte, war, dass Carlos aufgebrochen war, um ein paar Sachen zu besorgen, mit denen er die Straßenbahn reparieren wollte, und dass er bald wieder da sein würde. Wenn es noch mehr zu wissen gab, musste Nicholai warten – bis Mikhails Fieber nachließ oder Carlos zurückkam. Doch beides schien wenig wahrscheinlich. Mikhails Zustand würde sich nur noch verschlechtern, und die dumpfe, grollende Explosion, die den Boden unter der Straßenbahn erschüttert hatte und dem ein Leuchten am nördlichen Nachthimmel vorangegangen war, ließ vermuten, dass in der Tankstelle ein Feuer ausgebrochen war – was nicht unbedingt Carlos’ Schuld sein musste, aber Nicholai nahm an, dass dem so war und dass Carlos Oliveira bei dieser Gelegenheit knusprig gegrillt worden war.
Das heißt, ich muss selbst ein Stromkabel finden, wenn ich eine Fahrgelegenheit zum Krankenhaus bekommen will.
Ärgerlich, aber nicht zu ändern. Nicholai hatte in der Station eine Schachtel mit Ersatzsicherungen gefunden sowie einen 20-Liter-Kanister mit Diesel – mehr als genug, um die Straßenbahn bis zum Krankenhaus zu bringen –, aber kein Stromkabel, überhaupt keine Drähte, mit denen man die defekten Schaltkreise hätte überbrücken können. Nicholai fragte sich, warum Carlos nicht daran gedacht hatte, in den Wartungsraum der Station einzubrechen, und kam zu dem Schluss, dass es vermutlich an mangelndem Organisationstalent lag.
„Nein … nein, ich kann nicht – schießen! Nach eigenem Ermessen schießen, denke ich … ich denke …“
Nicholai sah neugierig von dem Schaltkasten auf, den er inspiziert hatte. Aber was immer Mikhail dachte, es ging vorbei, als er wieder in unruhigen Schlummer fiel und die alte Bank unter seinen unruhigen Bewegungen knarrte. Erbärmlich. Wenn schon, hätte er wenigstens etwas Interessantes von sich geben können.
Nicholai stand auf, streckte sich und wandte sich der Tür zu. Den Treibstoff hatte er bereits in den Tank der Maschine eingefüllt, aber er hatte die falsche Sicherung mitgebracht. Er würde auf seinem Weg zurück in die Stadt eine passende besorgen. Wahrscheinlich würde er ganz zurück zu dem verdammten Parkhaus gehen müssen, zu dem er Mikhail gefolgt war; dort waren ihm ein paar Regale mit Ersatzteilen aufgefallen. Die ganze Hin- und Herrennerei wurde ermüdend, aber zumindest waren die meisten Kannibalen in dieser Gegend bereits niedergestreckt worden, also würde es nicht allzu lange dauern – und wenn er zurückkam, konnte er sich damit belohnen, Mikhail zu erzählen, wer für seinen bevorstehenden Tod verantwortlich war.
Nicholai trat auf das Stationsgelände hinaus und dachte darüber nach, wo er heute Nacht schlafen sollte, als er zwei Gestalten auf die Straßenbahn zutaumeln sah. Das spärliche Licht eines erlöschenden Feuers an der Nordwestecke des Geländes ließ zunächst kaum mehr als ihre Silhouetten erkennen. Doch sie kamen näher, und dann sah er, dass Carlos es doch geschafft hatte, und dass er eine Frau bei sich hatte – zweifellos dieselbe Frau, die ihm von der Straßenbahn erzählt hatte. Beide waren ziemlich ramponiert, ihre freie Haut sah gerötet und rußverschmiert aus. Offenbar lag er mit seiner Vermutung, wer das Feuer ausgelöst hatte, gar nicht so daneben …
„Carlos! Seid ihr verletzt?“ Er trat vor, damit sie ihn deutlich sehen konnten. Die vermeintlich tiefe Besorgnis in seinem Gesicht sollte ihnen nicht entgehen.
Carlos war offenbar froh, ihn zu sehen. „Nein, ich bin … wir sind beide in Ordnung. Nur ein bisschen angeschlagen. Jill war für ein, zwei Minuten ohnmächtig, aber sie ist …“
Carlos räusperte sich die Kehle frei und nickte in Richtung der Frau. „Äh, darf ich vorstellen? Jill Valentine, das ist Sergeant Nicholai Ginovaef, U. B. C. S.“
„Nicholai, bitte“, offerierte er, und sie betrachtete ihn mit undeutbarer Miene. Es hatte den Anschein, als sei Miss Valentine nicht darauf aus, neue Freundschaften zu knüpfen. Das gefiel ihm, auch wenn er nicht wusste, warum. Sie hatte einen Revolver bei sich, einen.357er, und im Bund ihres sündhaft engen Rocks steckte etwas, das wie eine Neunmillimeter aussah.
„Wir sind Ihnen zu Dank verpflichtet, dass Sie Carlos von der Straßenbahn erzählt haben. Sie sind Polizistin?“, fragte Nicholai.
Ihr Blick hielt seinem stand, und der provozierende Ton in ihrer Antwort war unüberhörbar. „Alle Polizisten sind tot. Ich gehöre zu den S. T. A. R. S. – zur Special Tactics and Rescue Squad.“
Welche Ironie. Ich frage mich, ob sie schon Umbrellas kleiner Überraschung begegnet ist … Falls ja, hätte sie jetzt wahrscheinlich nicht vor ihm gestanden – es sei denn, die Kreatur funktionierte nicht, wie es ihre Bestimmung war. Ein gewöhnlicher Tyrant konnte einen ausgewachsenen Menschen in der Mitte auseinanderreißen, ohne dafür auch nur ein Viertel seiner Kraft aufzuwenden. Und jemand wie Jill Valentine hätte nicht die geringste Chance gegen ein Wesen gehabt, das noch höher entwickelt war – Umbrellas neuestes Spielzeug zum Beispiel, das laut Plan bald aufkreuzen sollte.
Nicholai freute sich über den seltsamen Zufall, einen S. T. A. R. S.-Agenten zu treffen. Es gab ihm das Gefühl, dass alles in Ordnung sei, und dass seine Vorstellungen von seiner Umwelt eins zu eins umgesetzt wurden, als besäße er Schöpferkräfte …
„Wie geht es Mikhail?“
Nicholai löste sich von Jills festem Blick, zum einen, um Carlos zu antworten, aber auch weil er nicht streitlustig erscheinen wollte. „Nicht sehr gut, fürchte ich. Wir sollten so bald wie möglich aufbrechen. Hast du irgendwas Nützliches gefunden? Mikhail sagte, du wolltest Reparaturmaterial besorgen.“
„Alles futsch, verbrannt“, erwiderte Carlos. „Ich schätze, wir müssen …“
„Haben Sie Ihren Sprengstoff beschafft?“, unterbrach Jill, die ihn immer noch sorgfältig musterte. „Wo war das Zeug?“
Sie begegnete ihm nicht offen feindselig, aber es war nahe daran. In Anbetracht der Umstände erschien ihm dies jedoch nicht sonderlich überraschend. Die Insider-Information über die S. T. A. R. S.-Gruppe, der sie offenbar angehörte, besagte, dass sie Informationen über Umbrellas geheime Forschungen in der Spencer-Villa aufgedeckt hatte. Später hatte man sie natürlich in Misskredit gebracht, und Umbrella versuchte seither, sie loszuwerden.
Wenn sie alle so argwöhnisch sind wie die Kleine hier, dann ist es kein Wunder, dass die Firma noch keinen Erfolg hatte.
„Es gab keinen Sprengstoff“, sagte er langsam und beschloss plötzlich, sie ein wenig zu bedrängen, um zu sehen, wie geradeheraus sie wirklich war. „Alles, was ich fand, waren leere Kisten. Miss Valentine, stört Sie etwas? Sie wirken etwas … angespannt.“
Er warf Carlos bewusst auffällig einen scharfen Blick zu, als sei er verärgert darüber, dass dieser ein misstrauisches Frauenzimmer mitgebracht hatte. Carlos wirkte verlegen und versuchte, das Gespräch wieder auf ein anderes Thema zu lenken.
„Ich denke, wir stehen alle unter Druck, aber im Moment ist Mikhail am wichtigsten. Wir müssen ihn hier rausschaffen.“
Nicholai hielt Jills Blick noch einen Herzschlag lang fest, dann nickte er und wandte sich Carlos zu. „Dem stimme ich zu. Wenn du ein Kabel besorgst, sehe ich zu, was ich hinsichtlich der Sicherung ausrichten kann – nicht weit von hier gibt es ein Elektrizitätswerk, dort sehe ich nach. Und ich bin sicher, dass ich in dem Parkhaus, wo wir Mikhail fanden, Batteriekabel gesehen habe. Du solltest es dort versuchen. Unabhängig von unserem Erfolg treffen wir uns hier in einer halben Stunde wieder.“
Carlos nickte. Nicholai ignorierte Jills Reaktion unverhohlen, indem er sich direkt an Carlos wandte. „Gut. Ich sehe nach Mikhail, bevor ich gehe. Dann mal los.“
Er drehte sich wieder zu der Straßenbahn um, als sei alles entschieden, und beglückwünschte sich, als er in den Wagen stieg. Sie würden das Kabel für ihn holen, während er nur ein paar Dutzend Schritte in die Straßenbahnstation zu gehen und in eine Schachtel zu fassen brauchte.
Und das heißt, dass ich viel Zeit übrig habe. Ich frage mich, worüber sie reden, wenn ich nicht dabei bin …
Vielleicht würde er es so einrichten, dass er sie auf dem Rückweg traf – und sie ein, zwei Augenblicke lang beobachten, ehe er sich ihnen zeigte.
Nicholai ging zu Mikhail, der immer noch schlief, und grinste ihn an. Endlich wurde die Sache interessant. Carlos arbeitete für ihn, Mikhail stand an der Schwelle des Todes, und das Hinzukommen der S. T. A. R. S.-Lady setzte dem ganzen Arrangement quasi die Krone auf. Er blickte aus dem Wagenfenster und sah, dass die beiden bereits wieder im Dunkeln verschwunden waren. Jill Valentine misstraute ihm, aber wahrscheinlich nur wegen seiner Verbindung zu Umbrella. Er war sicher, dass sie mit ihm warm werden würde, wenn er ihr nur ein wenig Zeit ließ.
„Und wenn nicht, bringe ich sie mit dem Rest von euch um“, sagte er leise.
Mikhail gab einen Schmerzenslaut von sich, wachte jedoch nicht auf, und einen Moment später ging Nicholai leise davon.