Achtes Kapitel
Sie vermißte ihn und sehnte sich danach, daß seine Lippen die ihren mit Küssen bedeckten.
Die zwei Wochen zogen sich für Keely qualvoll in die Länge. Am vierzehnten Tag nach Richards Abreise saß sie auf der Steinbank im Garten des Herzogs.
Um sie herum war spürbar Herbst geworden. Obwohl an diesem Nachmittag die Sonne alles in gleißendes Licht tauchte, verriet der frische Wind, wie weit die Jahreszeit schon fortgeschritten war.
Keely zog sich ihren Umhang enger um die Schultern und schaute hinüber zur Residenz der Devereuxs. Ob der Graf heute wie versprochen heimkommen würde? Oder hielt sie vergebens nach ihm Ausschau? Was er wohl jetzt gerade tat? Wen er wohl am Hofe gesehen und mit wem er gesprochen hatte?
Diese Fragen und noch hundert andere quälten Keely und raubten ihr den Seelenfrieden. Ihr war angst und bange, in ihrer Magengrube schienen sich ganze Schmetterlingsschwärme breitzumachen. Und der Gedanke an Richard, wie er über den Rasen auf sie zuschlenderte, ließ Begierde auflodern, die seit seiner Abreise nur so dahindämmerte.
Hob gar das hinterhältige Ungeheuer sein Haupt, quälte sich Keely mit der Frage, ob der Graf nicht womöglich seine Verlobung mit ihr nicht schon bereute. Dann blickte sie auf den Verlobungsring mit den wertvollen Edelsteinen, und dieser Anblick gab ihrer Stimmung wieder Auftrieb.
»Pour tous jours«, hatte er gesagt. »Für immer.«
Keely schloß die Augen und versuchte sich an seinen leidenschaftlichen Kuß zu erinnern. Doch die Vergangenheit erneut zu durchleben war unmöglich, und wenn sie noch so kurz zurücklag. Eine ganze Welt lag zwischen der Erinnerung an einen Kuß und der tatsächlichen Empfindung seiner warmen Lippen auf den ihren.
Dennoch hielt Keely die Augen geschlossen und gab sich ihren Erinnerungen an den Grafen hin, träumte davon, wie schön er war. Inzwischen würden seine Blutergüsse verschwunden sein und ...
»Hallo, Teuerste!« rief die Gräfin von Cheshire über den Rasen.
Keely öffnete die Augen und starrte bestürzt den vier Menschen entgegen, die über den Rasen auf sie zukamen. Neben Herzog Robert und Lady Dawn ging der blonde Engel von Schloß Ludlow, ihre Halbschwester, und ein halbwüchsiger Junge, wahrscheinlich ihr Halbbruder. Keely stählte sich innerlich gegen den Haß, den sie auf dem Gesicht der Blonden sah, erhob sich von der Bank und wartete auf die vier.
»Henry und Morgana, das ist eure Schwester Keely«, verkündete Herzog Robert. »Keely, dies sind deine Schwester und dein Bruder.«
Weil er ihr mit seinem Brief einen Gefallen erwiesen hatte, wandte sich Keely zuerst dem fünfzehnjährigen Henry zu, der das ebenholzschwarze Haar seines Vaters und die blauen Augen seiner Schwester hatte. Sein breites Grinsen erwiderte sie mit einem Lächeln.
»Es freut mich, dich kennenzulernen«, begrüßte Henry sie.
»Meine Gefühle entsprechen den deinen«, antwortete sie.
Da sich das Unvermeidliche nicht länger hinausschieben ließ, wandte Keely sich dem finster dreinblickenden, blauäugigen Engel zu, der sie aus Schloß Ludlow hinausgeworfen hatte. »Ich habe mir stets eine Schwester gewünscht«, versuchte sie es und lächelte schüchtern. »Ich hoffe, wir werden Freundinnen.«
»Falsches Miststück«, fauchte der Engel dermaßen wütend, daß Keely unvermittelt einen Schritt zurückwich.
»Achte auf deine Worte, Morgana«, warnte der Herzog sie, »oder ich schicke dich auf dein Zimmer.«
»Ich weigere mich, mein Zuhause mit einem Bastard zu teilen«, erklärte ihm Morgana. »Sieh zu, daß du ihn los wirst.«
Und so nimmt es seinen Anfang, dachte Keely, während ihr die Erniedrigung das Blut in die Wangen trieb. Bastard, das Wort ging ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es schien, als müßte er Graf seiner Narretei früher ins Auge sehen als gedacht.
»Ich werde nicht zögern, dich zurück nach Shropshire zu schicken«, drohte der Herzog seiner Tochter. »Es macht mir nicht das geringste aus, dich dort einzusperren, bis du zu alt bist, um zu heiraten.«
»Sie hat mein Kleid gestohlen!« schrie Morgana und stampfte mit dem Fuß auf.
»Ich möchte mich dafür entschuldigen, mir Eure Kleider ausgeliehen zu haben«, erklärte Keely. »Seine Gnaden und die Gräfin bestanden darauf, daß ich sie trage. Ich werde mich unverzüglich umziehen und sie Euch zurückgeben.«
»Glaubst du wirklich, ich ziehe sie jetzt noch an, nachdem du sie angehabt hast?« fragte Morgana sie mit vor Verachtung triefender Stimme.
»Deine Schwester wird hier bei uns bleiben«, mischte Herzog Robert sich ein. »Hüte deine spitze Zunge und verhalte dich wie eine Dame, das sollte Ashemole dir schließlich für teures Geld beibringen.«
»Gib nach, Morgana«, flötete die Gräfin in der Absicht, das Mädchen mit ihrer eigenen Wut zu schlagen. »Keely wird uns in weniger als vier Wochen verlassen.«
»Auf diesen Tag freue ich mich schon heute«, schoß Morgana zurück. »Und auf Eure Abreise ebenfalls.«
Herzog Robert wollte seine Tochter gerade schütteln, schließlich hatte sie es nicht besser verdient, doch die Gräfin von Cheshire hielt ihn zurück. Sie lächelte freundlich und versetzte ihr den Todesstoß. »Unsere liebste Keely hat es geschafft, die Aufmerksamkeit des Grafen von Basildon zu erregen. Devereux und sie werden nächsten Monat in Hampton Court vor den Altar treten. Das wird die Hochzeit des Jahrzehnts sein.«
»Du hast mir meinen Zukünftigen weggeschnappt?« kreischte Morgana.
»Euren Zukünftigen?« wiederholte Keely entsetzt. Sie warf dem Herzog einen fragenden Blick zu, doch der sah stirnrunzelnd die Gräfin an.
»Ränke schmiedender Bastard!« Morgana hob die juwelengeschmückte Hand und versetzte Keely eine Ohrfeige.
Morgana hatte so fest zugeschlagen, daß Keely zu Boden fiel. Sie landete im Gras neben der Steinbank.
Als die anderen drei ihr zu Hilfe eilten, wich Keely ihren Blicken aus und flüsterte: »Danke, mir fehlt nichts.«
»Du blutest an der Lippe«, erklärte Henry und reichte ihr sein Taschentuch.
Keely sah zuerst das Tuch an und dann ihn.
»Es ist sauber«, versicherte er ihr. »Ich habe es noch nicht benutzt.«
Auf diese Bemerkung hin mußte Keely lächeln, so schwach ihr auch zumute war. Sie nahm sein Taschentuch an und drückte es gegen ihre blutende Lippe.
»Soll ich dir aufhelfen?« fragte Henry sie.
Keely schüttelte den Kopf und erklärte, ohne sich umzudrehen: »Es tut mir sehr leid, Lady Morgana, ich hatte nie die Absicht, Euch weh zu tun.« Daß Richard ihrer Schwester den Hof gemacht hatte, schmerzte sie mehr als die blutende Lippe.
»Keely trifft keine Schuld«, warf Lady Dawn ein. »Es war der Graf, der auf der Verbindung bestand. Devereux betet sie an, wahrscheinlich weil sie so sanft ist.«
»Ich kann einfach nicht glauben, daß das alles wahr ist«, jammerte Morgana mit Tränen in den Augen.
»Geh auf dein Zimmer«, befahl ihr Herzog Robert. »Und wage nicht, dich vor dem Abendessen blicken zu lassen. Oder du bekommst meinen Gürtel zu spüren.«
»Du stellst dich auf ihre Seite?« schrie Morgana auf. »Sie hat meinen eigenen Vater gegen mich aufgehetzt?«
»Tu, was ich dir sage.« Der strenge Ton hätte das gereizte Mädchen warnen sollen, daß sie die Geduld ihres Vaters bereits überstrapaziert hatte, doch die Warnung kam nicht an.
»Ich hätte mir denken können, daß der Bastard dir sofort erzählen mußte, wie ich ihn aus Ludlow hinauswarf«, fauchte Morgana.
»Du hast was getan?« brüllte Herzog Robert mit vor Wut gerötetem Gesicht.
Morgana erkannte, daß sie einen Fehler begangen hatte. Stotternd versuchte sie, verlorenen Boden gutzumachen. »Ich ... ich da ... dachte, du wolltest nicht von einem deiner Bankerten behelligt werden.«
Ohne Vorwarnung versetzte Herzog Robert seiner Tochter eine Ohrfeige, packte sie am Arm und zerrte sie ins Haus. Morganas lautes Flehen um Gnade war noch lange zu hören, als sie bereits im Haus verschwunden waren.
Henry grinste schadenfroh. Ihm gefiel, daß seine Schwester in die Grube gefallen war, die sie selbst gegraben hatte. Die Gräfin von Cheshire lächelte hintergründig und eilte ins Haus zurück.
Nur Keely lachte nicht. Sie saß einsam an die Bank gelehnt, die Tränen kullerten ihr über die Wangen.
»Bist du sicher, daß dir nichts fehlt?« fragte Henry sie, während er ihr auf die Füße half und neben ihr auf der Bank Platz nahm.
Keely gab sich ihrem Elend hin und starrte ins Leere. Verzweifelt versuchte sie, ihre Fassung wiederzugewinnen, doch es gelang ihr nicht. Ein weiterer herzzerreißender Schluchzer entrang sich ihrer Brust, und schließlich ergab sie sich in ihr Los, verbarg das Gesicht in den Händen und ließ den Tränen ihren Lauf.
»Würde es dir helfen, dich an meine Schulter zu lehnen?« fragte Henry, der nicht wußte, wie er ihr sonst helfen konnte.
Das galante Angebot überraschte Keely derart, daß sie unvermittelt zu weinen aufhörte. Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln und versuchte zu lächeln. »Ich bin sehr froh darüber, dich zum Bruder zu haben.« Nach einem Anfall von Schluckauf fuhr sie fort: »Danke für die Nachricht, die du mir hast zukommen lassen.«
Henry grinste. »Das ist doch nicht der Rede wert. Außerdem macht es mir riesigen Spaß, Morganas Pläne zu durchkreuzen.«
»Blute ich noch an der Lippe?«
Henry rückte näher, untersuchte die Lippe, nickte und riet ihr: »Drücke das Taschentuch fest dagegen.«
Keely befolgte seinen Rat.
»Nun erzähl mir«, bat Henry sie mit boshaft funkelnden Augen, »wie du den so schwer faßbaren Grafen von Basildon eingefangen hast?«
»Lieber Bruder, du hast ein völlig falsches Bild gewonnen von der ganzen Angelegenheit«, entgegnete Keely wehmütig. »Dieser hochmütige Schurke hat mich eingefangen.«
»Und wie schaffte Devereux das?«
Keely zuckte die Achseln und berichtete ihm von den Ereignissen, die schließlich zu ihrem Verderben führten, als ihr Vater unerwartet im Schlafzimmer des Grafen auftauchte. »Wie Seine Gnaden erfuhr, was sich dort zutrug, werde ich nie begreifen«, schloß sie ihre Erzählung. »Nur Lady Dawn wußte, wo ich hingegangen war, und selbst sie hatte keine Ahnung, daß der Graf im Bett lag, als er mich empfing.«
Wie wundersam unschuldig seine neue Schwester war, dachte Henry, und er tat sein möglichstes, ihr nicht offen ins Gesicht zu lachen. »Du solltest die Klugheit der Gräfin von Cheshire nie unterschätzen, bloß weil sie große ...« Er hielt mitten im Satz inne und hüstelte, um von den anstößigen Worten abzulenken, die er gerade hatte sagen wollen. »Du bist doch soeben Zeuge geworden, wie geschickt die Gräfin Morgana in diesen Zornesausbruch getrieben hat, in dem sie alles enthüllte.«
»Niemand kann uns zu etwas Schlechtem aufstacheln, es sei denn, wir lassen es zu«, widersprach Keely. »Jede Seele ist für ihr eigenes Schicksal verantwortlich. Hätte sie auf mein Freundschaftsangebot nicht so abweisend reagiert, könnte Morgana diesen wunderbaren Herbstnachmittag genießen, statt allein in ihrem Zimmer zu weinen.«
»Ich bin sicher, Ashemole tröstet sie.« Henry zog ihr sanft die Hand vom Gesicht und sah noch einmal nach ihrer Lippe. »Es hat aufgehört zu bluten«, erklärte er ihr, um neugierig hinzuzufügen: »Devereux muß dich sehr begehren.«
»Das glaube ich nicht. Ich bin ein Niemand aus Wales.«
Henry zog die Mundwinkel nach unten. »Jeder Spiegel zeigt dir den Grund für Devereuxs Begehren.«
Keely lächelte. »Danke für dieses nette Kompliment, Bruder.«
»Wo halten sich denn deine Riesen verborgen?«
»Odo und Hew fühlen sich bei den Pferden wohler«, antwortete sie und stand auf. »Komm mit, ich stelle dich ihnen vor.«
»Später«, hielt Henry sie zurück. »Erzähl mir bitte erst noch mehr über dich.«
»Ich lebte auf dem Besitz meines Stiefvaters in Wales«, begann Keely. »Nach dem Tod meiner Mutter reiste ich nach England, um meinen leiblichen Vater zu suchen.«
»Und du hast nicht nur Papa gefunden, du fandest auch Devereux. Der Rest ist Geschichte«, bemerkte Henry. »Wie sehen eure Heiratspläne aus?«
Keely zuckte die Achseln. »Die Gräfin von Cheshire und Richard, glaub ich, haben alles geplant. Ich brauche nur anwesend zu sein. Wußtest du, daß es Männer am Hofe der Königin gibt, die sich Rouge auflegen?«
»Eitles Geckenpack«, brummte der Junge.
Schnatter! Schnatter! Schnatter!
Keely und Henry blickten in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Seinen Aufpassern entkommen, watschelte Anthony so schnell auf sie zu, wie er nur konnte.
»Was hältst du von diesem Schoßtier der Gräfin?« fragte Henry.
»Anthony hat ein besseres Leben, als sich die meisten wünschen können«, meinte Keely. »Am besten gefällt mir sein Halsband mit den Smaragden und Diamanten.«
Der quakende Gänserich blieb vor Keely stehen, die es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, ihn nachmittags zu füttern. Sie langte in ihre Tasche und holte eine Scheibe Brot heraus, die sie beim Mittagessen für ihn aufgehoben hatte und nun für den fetten Gänserich in kleine Stücke brach. Anschließend winkte sie seinen beiden Aufpassern, Bart und Jaspers, die ihn wieder an die Leine legten und wegführten.
»Freundschaft ist dort, wo wir sie finden«, sagte Keely schließlich mit einem Seitenblick auf ihren Bruder. »Sogar eine Gans oder ein Schwein oder ein Baum kann der Freundschaft wert sein.«
Henry lächelte. Seine Schwester war liebenswürdig, aber zweifelsohne etwas merkwürdig. Müßte er zwischen den beiden wählen, würde er Keely stets Morgana vorziehen. Liebenswürdig und etwas merkwürdig war angenehmer als selbstsüchtig, oberflächlich und biestig.
»Wirst du bei meiner Hochzeit dabeisein?« fragte Keely ihn. »Odo und Hew bräuchten jemand, der auf sie aufpaßt, während der Graf und ich uns um die Gäste kümmern.«
»Wann findet die Trauung statt?«
»Wir heiraten in der Woche nach Samhuinn.«
»Wann ist das?«
»Samhuinn ist das Fest, das die Kirche Allerheiligen und Allerseelen nennt«, erklärte ihm Keely. »Diese beiden Tage und der Abend davor sind drei Tage voller Magie, wenn der Schleier zwischen unserer Welt und der unserer Ahnen sich lüftet. Wer bereit ist, kann in die andere Welt reisen.«
»Glaubst du wirklich, man kann diese Welt verlassen und einfach so in ...«, meinte Henry ungläubig.
»Die Vergangenheit und die Zukunft reisen«, beharrte Keely. »Das ist eine herrliche Zeit, wenn das Chaos regiert. Feiern die Engländer das nicht?«
Henry blickte ihr tief in die Augen. »Wie feiern die Waliser dieses Fest?«
»Mit Gelagen und Maskenfesten und Streichen.«
»Maskenfesten und Streichen?« wiederholte er interessiert.
»Drinnen und draußen werden große Feuer angezündet, und üppige Mahlzeiten werden aufgetischt.«
»Und was ist mit den Masken und den Streichen?«
»Man trägt seine Kleidung verkehrt herum und schmiert sich Ruß ins Gesicht, so daß man von den bösen Geistern nicht erkannt wird«, fuhr Keely fort. »Drei Tage lang darf man jedermann Streiche spielen – und zwar ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.«
»Ich kann es kaum erwarten«, meinte Henry und rieb sich die Hände. Seine blauen Augen funkelten verschmitzt, als er hinzufügte: »Jemandem die Zwetschge zu zeigen, ist der einzige englische Allerheiligenbrauch.«
»Wie geht das?«
Henry ballte die rechte Hand zur Faust und steckte den Daumen zwischen dem Zeigefinger und dem Mittelfinger durch. »Siehst du«, sagte er und hielt die Hand hoch, »das ist die Zwetschge. Man zeigt sie an Allerheiligen seiner Familie, seinem Freund oder Geliebten. Es bedeutet soviel wie ›Ich mag dich‹.«
»Was ist daran so besonders?« wollte Keely wissen. »Das kann man doch jeden Tag machen.«
»Es ist nun mal ein englischer Brauch«, beharrte Henry. »Du würdest doch auch nicht einem Freund in der Mittsommernacht ein Neujahrsgeschenk überreichen, oder?«
»Nein.«
»Wir geben unseren Freunden das Neujahrsgeschenk an Neujahr und an Allerheiligen zeigen wir ihnen die Zwetschge, verstehst du?«
Keely schenkte ihrem Bruder ein bezauberndes Lächeln und nickte.
»Der Gräfin von Cheshire einen Streich zu spielen, das wär‘s«, wechselte Henry das Thema und stellte sich vor, wie die riesigen Brüste der Gräfin vor Angst bebten. »Was meinst du?« Als sie nickte, fuhr er fort: »Rück näher, wir wollen doch nicht, daß uns jemand belauscht.«
Keely und Henry steckten die Köpfe zusammen und schmiedeten Pläne, wie sie den Bewohnern von Talbot House einen Streich spielen könnten. Sie waren so versunken in ihre unerhörten Vorhaben, daß sie den Eindringling nicht hörten.
»Hallo, Schönste.«
Beim Klang der Stimme fuhr Keely herum, und bevor sie noch daran dachte, ihre Gefühle zu verbergen, hatte sie dem Grafen ein betörendes Lächeln geschenkt, aus dem er entnehmen konnte, wie froh sie war, ihn wiederzusehen. Die Schmetterlingsgefühle in der Magengrube waren wieder da, doch Keely scherte sich nicht darum. Es war zu wundervoll, wieder das hübsche Gesicht des Grafen zu sehen.
»Hast du mich vermißt, Schatz?«
»Vielleicht hätte ich dich vermißt, wenn die Gräfin mich nicht so beschäftigt hätte.«
»Du triffst mich tief, Schatz«, entgegnete Richard. »Jeder einzelne Augenblick am Hof kam mir vor wie ein Tag. Ich fürchtete schon um mein Leben, so sehr verzehrte ich mich nach dir.«
Keely hob eine Augenbraue. »Wie ergeht es den Ladies Sarah und Jane?«
»Wem?«
Keely lachte aus vollem Halse. Dabei fand sie eher seinen Gesichtsausdruck vorgetäuschter Unschuld komisch als das, was er gesagt hatte. Wie ein Mann nur so umwerfend charmant sein konnte, ging ihr nicht in den Kopf. »Henry und ich haben gerade Pläne für Samh ... ich wollte sagen für Allerheiligen geschmiedet.«
Henry stand auf und bot dem Grafen seinen Platz auf der Bank neben Keely an. Dabei zwinkerte er ihm zu. »Meinen Glückwunsch zu der bevorstehenden Hochzeit, Mylord«, sagte er. »Wie war die Jagd am Hofe?«
»Diesen Zeitvertreib habe ich aufgegeben«, antwortete Richard und zwinkerte zurück. Dann wandte er seine Aufmerksamkeit Keely zu, und seine gute Laune war verschwunden. »Was ist mit deinem Mund passiert?« wollte er wissen. »Und deine Augenlider sind geschwollen. Hast du geweint?«
»Ich bin hingefallen«, log Keely. »Deshalb weinte ich.«
Richard überraschte sie, als er ihr den Arm um die Schultern legte und sie an sich drückte. »Siehst du, wie nötig du mich brauchst, um dich zu beschützen, Schatz?« sagte er sanft.
»Niemand hätte sie vor dem Wutausbruch dieses Miststücks schützen können«, unterbrach Henry die beiden, was ihm ein kritisches Stirnrunzeln eintrug. »Morgana versetzte ihr eine Ohrfeige.«
»Henry!« In Keelys Stimme lag eine deutliche Warnung.
»Laß uns bitte kurz allein«, wandte sich Richard an den Jungen. Es war ein Befehl, keine Bitte.
»Aber sicher.« Henry blickte Keely in die Augen. »Ich wünschte, du wärst nicht meine Schwester, dann könnten wir gemeinsam meiner augenblicklichen Lieblingsbeschäftigung nachgehen.«
»Ich kann dir doch helfen«, bot Keely ihm an.
»Nicht bei diesem Zeitvertreib.«
»Warum denn nicht?«
Henry zwinkerte dem Grafen zu und verabschiedete sich, wobei er ihr noch über die Schulter zurief: »Weil es Liebemachen ist.«
Keely wurde puterrot. Sie wich dem Blick des Grafen aus.
»Lüg mich nie wieder an«, flüsterte Richard ihr ins Ohr. »Ich verabscheue Lügner.«
»Die Wahrheit zu sagen hätte nur weiteres Ungemach geschaffen«, versuchte Keely zu erklären, wobei ihre veilchenblauen Augen um Verständnis heischten. »Außerdem hast du es nicht für nötig erachtet, mir von deinen und Morganas Heiratsabsichten zu erzählen. Das war eine Lüge durch Unterlassen.«
»Morgana hatte die Absicht, mich zu heiraten. Aber nachdem ich die längste Woche meines Lebens auf Schloß Ludlow verbracht hatte, hegte ich keine derartigen Absichten mehr«, entgegnete Richard. »Nur ein Mann im größten Liebesleid würde diese Frau um ihre Hand bitten.«
Keely war erleichtert. »Streitsüchtige Menschen sind meist unglücklich. Du solltest sie stärker bemitleiden.«
»Kannst du eifersüchtig sein?«
»Nein. Natürlich nicht«, antwortete sie eine Spur zu schnell.
Richard hob die Augenbrauen. Diese Angewohnheit von ihm wurde ihr von Tag zu Tag lieber. »Welche Pläne hast du mit Henry geschmiedet?«
»Ein Fest an Allerheiligen.«
»Und wie sollte dieses Fest sein?«
»Das ist eine Überraschung.«
Richard küßte sie zart auf die heile Seite ihres Mundes und scherzte: »Erzähle es mir trotzdem, Schatz.«
Keely schüttelte den Kopf. »Das ist ein Geheimnis zwischen meinem Bruder und mir.«
Richard sehnte sich danach, ihr einen Kuß auf die Lippen zu drücken, aber er hielt sich zurück. Sie war schließlich verletzt. Statt dessen liebkoste er sie am Nacken.
Herrliche Schauder liefen Keely den Rücken hinunter, doch gleichzeitig fragte sie sich, wie sie sich nun verhalten sollte. Durfte sie ihm gestatten, sich diese Freiheit herauszunehmen, da sie ja verlobt waren? Oder sollte sie ihm Einhalt gebieten – was sie eigentlich nicht wollte?
»Auf mich warten einige Berichte«, flüsterte er ihr ins Ohr, »aber ich esse heute mit dir zu Abend.«
»Das ist keine gute Idee«, versuchte sie abzulehnen. »Morgana ...«
»Baron Smythe wird sie ablenken«, beruhigte Richard sie und küßte sie zärtlich auf die Schläfe. »Willis interessiert sich für Morgana.«
Keely war, als spüre sie einen kalten Hauch, als der Name des schwarzhaarigen Barons fiel. Die Sorge stand ihr ins Gesicht geschrieben.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Richard.
»Ich mag den Baron nicht«, antwortete Keely aufrichtig.
»Aber du kennst ihn doch kaum.«
»Es ist nur ein Gefühl.«
»Weibliche Intuition?«
Keely lächelte nicht. »Die Aura vorzeitigen Todes umgibt ihn wie ein Leichentuch. Der Baron ist gefährlich, man kann ihm nicht trauen.«
Richard schmunzelte. »Bist du eine Zigeunerin, welche die Zukunft voraussagt?« neckte er sie. »Oder gar eine Hexe?«
»Ich bin eine ...« Da sie ihre Heirat nicht aufs Spiel setzen wollte, sprach Keely nicht weiter. Sie wollte diesen lebendig gewordenen heidnischen Gott, und wenn es nur für kurze Zeit war.
»Was bist du?« hakte Richard amüsiert nach.
»Nur eine dumme Frau.«
»O nein«, entgegnete Richard und küßte ihr die Hand. Mit einem berechnenden heißen Blick flüsterte er ihr ins Ohr: »Du bist so lieblich wie die sagenumwobene Göttin Venus und so süß wie Marzipan ... Aber was Willis angeht, irrst du dich.«
Keely zwang sich zu einem Lächeln. »Du hast sicher recht.«
»Bis zum Abendessen, Schatz.« Richard machte sich auf den Heimweg. Als er bereits fast zu Hause war, fiel ihm Burghleys Warnung ein. Richard machte kehrt und lief zurück zur Steinbank, doch Keely war bereits im Haus verschwunden. War es der bloße Zufall, daß sie Smythe mit denselben Worten wie Burghley beschrieben hatte?
Als es Zeit zum Abendessen war, hielt Keely sich in ihrem Schlafzimmer auf, wo sie den ganzen späten Nachmittag wie eingesperrt verbracht hatte, um nicht ihrer haßerfüllten Schwester begegnen zu müssen. Doch nun ließ sich das Unvermeidliche nicht länger aufschieben. Nur die Lieferung ihrer neuen Kleider hob ihre Laune.
Keely trug ein taubengraues Samtkleid mit einem Unterhemd und einem Unterrock aus elfenbeinfarbener Seide. Diese gedämpften Farben erinnerten sie an die in Nebel gehüllten Berge in Wales – ein Bild, das ihrer Stimmung entsprach. Die einzigen Farbtupfer waren das Veilchenblau ihrer Augen und der funkelnde Drachenanhänger, den sie stets trug.
Wie erniedrigend es für sie sein würde, wenn Morgana sie in Gegenwart des Grafen mit ihren Beleidigungen überhäufte, dachte Keely. Vielleicht war es aber besser so. Der Graf mußte erfahren, was die Ehe mit einem Bastard bedeutete. Entweder löste er dann die Verlobung oder wappnete sich gegen den Klatsch, der sie ihr ganzes Leben lang verfolgen würde.
Der Gedanke an Richard erinnerte Keely daran, daß auch Baron Smythe an diesem Abend mit ihnen bei Tisch sitzen würde. Obwohl sie den Baron nicht ausstehen konnte, hatte sie ihren Abscheu um des Grafen willen hintangestellt. Trotzdem war ihr angst und bange. Sie wollte gerade an ihrer Unterlippe nagen, als sie vor Schmerz aufschrie; die geschwollene Lippe und die lädierte Wange taten ihr noch immer weh.
Keely versuchte ihre Sorgen abzuschütteln und strich eine nicht vorhandene Falte auf ihrem Kleid glatt. Sich für immer vor dem Haß ihrer Schwester zu verstecken war nicht möglich. Mit erhobenem Kinn und geraden Schultern trat sie auf den Korridor hinaus.
»Hallo, Schönste.«
Die Arme vor der Brust verschränkt, lehnte Richard an der Wand im Foyer. Seine smaragdgrünen Augen glitten über ihre zarte Erscheinung und strahlten, doch Keely war sich nicht sicher, warum.
»Was tust du hier?« fragte sie überrascht, ihn hier vorzufinden.
»Ich warte auf dich, was sonst?«
Dankbar lächelte Keely ihn an. »Das wäre nicht nötig gewesen, ich kenne den Weg.«
Richard hob die Augenbrauen. »Tapfere Ritter beschützen ihre Dame stets vor gefährlichen Drachen. Ich dachte, du hättest mich gerne an deiner Seite, wenn wir ihr unter die Augen treten.«
»Wie aufmerksam von dir«, antwortete Keely, von dieser Fürsorglichkeit berührt. »Woher wußtest du, was in mir vorgeht?«
»Unsere Herzen schlagen im Gleichklang, Schatz.«
»Mylord, Ihr besitzt die spitzeste Zunge.«
Richard lächelte sein Raubtierlächeln. »Sind wir erst einmal verheiratet, werde ich dir zeigen, was meine Zunge sonst noch alles kann.«
Keely wurde über und über rot. Sie hatte keine Ahnung, was er damit sagen wollte, aber sie kannte ihn lange genug, um seine Vorliebe für Anspielungen zu kennen.
»Du siehst hübsch aus, wenn du rot wirst«, schmunzelte Richard und küßte sie auf eine heiße Wange.
Er führte sie nicht in den Saal, sondern in das kleine Speisezimmer, das nur der Familie Vorbehalten war und wo die anderen bereits auf sie warteten. Herzog Robert und Lady Dawn saßen jeweils am schmalen Ende des Tisches. Morgana und Willis Smythe hatten bereits an einem Tischende Platz genommen, Henry saß am anderen. Neben ihm waren zwei Plätze für sie frei. Keely nahm zwischen Richard und ihrem Bruder Platz.
»Wer zu spät kommt, kriegt kein Abendessen und muß auf die nächste Mahlzeit warten«, verkündete Morgana.
»Ich sage, wer ißt und wer nicht«, wies Herzog Robert sie scharf zurecht.
Keely nahm allen Mut zusammen, unterdrückte ihre Vorbehalte und begrüßte den Baron herzlich: »Es ist ein Vergnügen, Euch wiederzusehen, Baron.«
»Willis«, verbesserte er sie und erwiderte ihr Lächeln. »Ihr habt Euch an der Lippe verletzt?«
Keely nickte. »Ich bin hingefallen.«
Richard und Henry neben ihr räusperten sich mißfällig, was ihnen von seiten Morganas vor Zorn sprühende Blicke eintrug. Keely versuchte, sich ganz auf das Essen zu konzentrieren.
Vor ihnen waren die herrlichsten Gerichte aufgetischt. Als ersten Gang gab es Kohlsuppe, darauf folgte Brathähnchen mit Reis und Mandeln gefüllt. Dazu gab es geschmortes Blattgemüse und Porree.
»Du siehst hübsch aus in dem neuen Kleid«, bemerkte Hew.
»Wie eine kleine graue Taube«, fügte Morgana spitz hinzu.
»Oder eine hübsche Trauertaube«, versuchte Richard die Wogen zu glätten.
Henry räusperte sich. Als er Keelys Blick auffing, blinzelte er ihr zu und fragte mit lauter Stimme: »Lady Dawn, könnt Ihr mir sagen, wie weit die Hochzeitsvorbereitungen inzwischen gediehen sind?«
»Es wird die Hochzeit des Jahrzehnts«, antwortete die Gräfin und übersah geflissentlich das warnende Stirnrunzeln des Herzogs. »Stell dir nur vor, Henry, unsere liebste Keely heiratet den begehrtesten Junggesellen Englands, einen Favoriten der Königin, und das inmitten des Glanzes von Hampton Court.«
»Elisabeth möchte ein großes Fest daraus machen«, übernahm Richard beim Stichwort der Gräfin.
»Und ich habe die Ehre, dir als Trauzeuge zu dienen«, hob Willis das Glas, um seinem Freund zuzuprosten.
»Zahlt die Königin dafür?«
»Der Brautvater übernimmt die Ausgaben«, antwortete Herzog Robert. »Das weißt du doch.«
»Soviel Getue wegen eines Bastards?« Die blonde Schönheit rümpfte die Nase ob dieser ungeheuren Verschwendung.
»Morgana!« Die Stimme des Herzogs enthielt einen warnenden Unterton.
Keely saß mit hochrotem, aber erhobenem Kopf auf ihrem Stuhl. Zwar machten diese Gemeinheiten ihrer Schwester sie wütend, aber Keely wollte keinesfalls darauf eingehen und den anderen das Abendessen verderben. Und schließlich sagte sie ja die Wahrheit. Sie war tatsächlich ein Bastard. Da sie niemandes Blick begegnen wollte, hielt sie die Augen gesenkt und schaute auf ihre im Schoß gefalteten Hände.
Sowohl Richard als auch Henry wollten sie trösten und ihr die Hand drücken, aber statt dessen drückten sie sich gegenseitig die Hand. Bei diesem Anblick mußte Keely kichern und legte ihre zwei Hände auf den Tisch. Als die beiden ihren Irrtum erkannten, rissen der Mann und der Junge wie von der Tarantel gestochen ihre Hand weg.
»Ich hoffe, ich darf bei der Hochzeit dabeisein«, sagte Henry an seinen Vater gewandt. »Keely braucht jemand, der ein Auge auf ihre zwei Cousins hat.«
Verdutzt blickte Richard zu Keely. Daß sie diese beiden räuberischen Riesen bei ihrer Hochzeit dabeihaben wollte, überraschte ihn. Schon bei der Vorstellung, diese Hohlköpfe mischten sich in die Gesellschaft bei Hofe, wurde ihm ganz anders zumute.
Morgana, der die Reaktion des Grafen nicht entgangen war, fragte: »Ihr wollt diese beiden Rüpel tatsächlich bei Hofe vorstellen?«
»Odo und Hew gehören zur Familie«, erklärte ihr Keely. »Selbstverständlich sind sie bei meiner Hochzeit anwesend.« Sie blickte um Bestätigung heischend zum Grafen. »So ist es doch?«
»Ich hatte es nie anders geplant, Schatz«, versicherte Richard ihr, nachdem er sich wieder gefangen hatte. »May, June und Henry werden ein Auge auf sie ... ich wollte sagen, werden ihnen Gesellschaft leisten.«
»May und June?« fragte Willis.
»Richard bat zwei Cousinen, Keely als Kammerzofen zur Hand zu gehen«, erklärte ihm Lady Dawn.
»Warum braucht sie zwei?« heulte Morgana eifersüchtig auf. »Eine reicht doch vollkommen.«
»Der liebe Richard ist reicher als jeder andere in England, da braucht Keely doppelt so viele Kammerzofen«, antwortete Lady Dawn, ohne im geringsten an ihrer recht eigenartigen Logik zu zweifeln. »Hast du ihren Verlobungsring gesehen?«
Augenblicklich verbarg Keely die linke Hand in ihrem Schoß. Nichts sprach dafür, ihre Schwester zu ärgern.
»Zeig ihn doch her«, rief Henry und riß ihre Hand hoch, damit alle den Ring sehen konnten. Übertrieben rief er: »Smaragd, Chrysoberyll ...«
»Papa«, unterbrach ihn Morgana, vollends aufgebracht durch die Prahlerei ihres Bruders, »wußtest du, daß Henry hinter jedem Rock in Ludlow her ist?«
Richard und Willis brachen in schallendes Gelächter aus. Die Gräfin von Cheshire kicherte hinter vorgehaltener Hand. Keely biß sich auf die Unterlippe, um nicht laut herauszuplatzen, bedauerte es aber sofort, als der Schmerz sie durchzuckte. Nur Herzog Robert schien sich nicht zu amüsieren.
»Dieses Thema eignet sich nicht bei Tisch«, ließ der Herzog seine Tochter wissen. An seinen Sohn gewandt, fügte er hinzu: »Wie beide werden später darüber reden.«
»Aber Tally«, gurrte die Gräfin und kam dem Jungen zu Hilfe. »Es ist doch nur natürlich für einen Jungen ...«
»Chessy, das letzte, was ich mir wünsche, ist ein Schloß voller Bast ...« Herzog Robert hielt mitten im Wort inne. Wie alle Welt zu wissen glaubte, saß sein eigener Bastard mit am Tisch.
Morgana brach das peinliche Schweigen, das darauf folgte. »Wie kamt Ihr darauf, unsere liebe, bedauernswerterweise illegitime Schwester heiraten zu wollen?« fragte sie den Grafen.
»Devereux begehrte sie so sehr«, platzte Henry heraus, »daß er sie in eine kompromittierende Lage brachte.«
»Wie schwierig kann das schon gewesen sein«, rümpfte Morgana verächtlich die Nase. »Wahrscheinlich hat sie die Freizügigkeit ihrer Mutter geerbt.«
Als der Herzog ausholte, um seiner Tochter eine Ohrfeige zu versetzen, sprang Keely so schnell von ihrem Stuhl hoch, daß dieser umkippte. Mit vor Wut funkelnden Augen bot sie einen furchterregenden Anblick. Sie legte die Hände auf den Tisch und fixierte ihre Schwester.
»Merkt Euch meine Worte«, warnte Keely ihr Gegenüber. »Die Beleidigungen, mit denen Ihr mich überhäuft, kann und werde ich ertragen, aber schlecht über meine Mutter zu reden, das ist etwas anderes. Megan war die liebste Seele, die je auf Erden weilte. Sie würde Euch alles vergeben, was Ihr sagt. In meinen Adern jedoch fließt auch englisches Blut, und ich bin bei weitem nicht so versöhnlich wie sie. Solltet Ihr ihren Namen noch einmal auch nur flüstern, werde ich Euch dafür töten. Verstanden?«
Entsetzt starrte Morgana sie an.
»Beantwortet meine Frage«, schrie Keely »Habt Ihr verstanden?«
»J... ja«, stammelte die blonde Herzogstochter und nickte mehrmals mit dem Kopf.
»Eure Gesundheit hängt davon ab, wie gut Ihr Euch das merkt«, drohte Keely. Dann verließ sie hocherhobenen Hauptes das Zimmer.
Richard sah die Tränen, die in Keelys Augen glitzerten, als sie sich der Tür zuwandte. »Verflucht«, murmelte er und folgte ihr nach.
Langsam erhob sich Herzog Robert von seinem Stuhl. Er ließ Morgana keinen Moment aus den Augen, als er um den Tisch herum zu ihr ging. Er packte sie am Arm und zog sie von ihrem Stuhl hoch und zur Tür hinaus.
»Vielleicht noch etwas Porree, Baron?« fragte Lady Dawn lächelnd.
Willis Mundwinkel zuckten. »Nein danke, Mylady.«
»Sag mir doch, Herzchen«, fuhr die Gräfin fort und rückte näher zum jungen Talbot, »wie kommt es nur, daß du jedem Rock in Ludlow hinterherläufst?«
Henry verschluckte sich beinahe an seinem Wein ...
Richard holte Keely im Foyer ein, als sie gerade die Treppe hinaufstürmen wollte. Er bekam sie gerade noch am Arm zu fassen und hielt sie zurück.
»Laß mich ...« Keely sprach den Satz nicht zu Ende, als sie sah, wer sie festhielt.
Richard warf den neugierig stehengebliebenen Dienstboten einen bedeutungsschweren Blick zu, den sie auch richtig deuteten und sie sofort in alle Richtungen verschwinden ließ. »Du darfst dir Morgana nicht so zu Herzen nehmen. Die reine Gehässigkeit spricht aus ihr«, tröstete er sie, sobald sie allein waren.
»Die anderen Menschen am Hofe werden sich ähnlich verhalten«, erklärte ihm Keely mit Tränen in den veilchenblauen Augen. Sie begann, sich den Verlobungsring vom Finger zu ziehen.
»Untersteh dich!« rief Richard und nahm ihre Hand.
»Mich zu heiraten ist ein schrecklicher Fehler«, sagte sie.
»Das laß mich beurteilen.« Richard zog sie in seine schützenden Arme und fuhr mit einem Finger zärtlich die Silhouette ihrer Wange nach. »Du bist jetzt nur außer dir wegen Morgana, was vollkommen verständlich ist.«
Keely seufzte und lehnte sich an seine Brust. »Meine Ungeduld bereitet mir ebenso Sorge wie das, was sie sagte. Wie kann ich diese Sünde je gutmachen?«
»Du solltest dir nicht den Kopf darüber zerbrechen, wie du deine Sünden sühnen kannst, Schatz. Du bist eine Heilige.«
Keely verzog die Mundwinkel zu einem Lächeln. »Vielleicht fügst du in deinem Leben der Heiligen noch ein Kapitel über mich hinzu?«
Richard küßte sie auf die Wange. »Geh zu Bett, Schatz. Und vergiß nicht, wenn du Morgana hinrichten lassen möchtest, ich bin mit Königin Elisabeth eng befreundet ...«
Inzwischen zog Herzog Robert Morgana in der entgegengesetzten Richtung den Gang entlang und stieß mit dem Fuß die Bibliothekstür auf. Während er seine Tochter in den Sessel vor dem Kamin schubste, fuhr er sie an: »Beweg dich, und ich schlage dich so, daß du mit einem Fuß im Grab stehst.«
Darauf riß er eine alte Bibel aus dem Regal und warf sie ihr in den Schoß. »Lies das und denk darüber nach, wie sehr du dich danebenbenommen hast.« Ohne ein weiteres Wort stürmte er aus dem Zimmer.
Wie demütigend, vor dem Baron so behandelt zu werden. Morgana kochte. Daran war nur dieser Bastard schuld. Sie hat mir meine Kleider gestohlen, meinen Zukünftigen und sogar die Liebe meines Vaters.
Über alle Maßen wütend, schmetterte Morgana die Bibel fort. Ein altes vergilbtes Pergamentpapier fiel heraus und flatterte auf den Boden. Ohne sich allzusehr dafür zu interessieren, hob sie es auf und warf einen Blick darauf.
»O mein Gott«, schnappte Morgana nach Luft. Sie verbarg den Kopf in den Händen und schluchzte hemmungslos drauflos.
Die Bibliothekstür ging auf. Willis Smythe trat in den Raum. Sein Blick glitt achtlos über die Bibel am Boden, er ging auf Morgana zu und kniete sich neben den Sessel, in dem sie saß. »Ach weint doch nicht, Teuerste«, begann er sie zu trösten, »wenn Ihr nur versuchen würdet, höflich zu ...«
»Ihr versteht nicht«, schluchzte Morgana. »Es ist ein Skandal. Oh, was soll ich nur tun?«
»Sobald Lady Keely mit Devereux verheiratet ist, wird niemand wagen ...«
»Sie ist mir vollkommen egal!«
»Warum seid Ihr dann so aufgelöst?« fragte Willis sie mit sanfter Stimme, und seine blauen Augen strahlten aufrichtig. »Vertraut mir, meine Dame.«
Morgana reichte ihm das vergilbte Pergament und studierte aufmerksam seinen Gesichtsausdruck, während er das Dokument überflog. Zunächst wirkte er verwirrt, und dann begriff er.
»Es ist ein Trauschein«, sagte Willis, während er las. »Ihr seid so außer Euch, weil Herzog Robert mit Lady Keelys Mutter verheiratet war?«
»Ihre Mutter ist noch nicht lange tot«, flüsterte Morgana. Sie ertrug es kaum, dem Baron in die Augen zu blicken, so sicher war sie, auf Zurückweisung zu stoßen. »Keely ist die legitime Erbin meines Vaters, während Henry und ich ...« Sie konnte den Satz, die schreckliche Wahrheit nicht zu Ende sprechen.
»Seine Gnaden wird niemals Henrys Erbe gefährden wollen«, versicherte Willis ihr. »Euer tragisches Geheimnis ist bei mir sicher.«
»Verbrennt es«, verlangte Morgana.
»Wir können nicht wagen, es hier zu zerstören«, antwortete Willis, faltete das Pergament und steckte es in seine Tasche. Dann zog er sie in seine Arme. »Vertraut mir, ich werde mich darum kümmern.«
Willis Mund war über ihr, und im nächsten Augenblick küßte er sie leidenschaftlich. Anschließend drückte er ihren Kopf an seine Schulter und streichelte ihr zärtlich über den Rücken.
Nie wieder würde er wegen ein paar Münzen katzbuckeln müssen, dachte Willis. Hier in seiner Tasche steckte das Zaubermittel zu seinem Glück.
»Vertraut mir, meine Liebe«, flüsterte Willis ihr in das blonde Haar. »Mir geht es nur um Euer Wohl.«
»Ich vertraue Euch, Sir«, antwortete Morgana und ließ sich beruhigt gegen seine männliche Brust sinken. »Von ganzem Herzen vertraue ich Euch.«