Drittes Kapitel

In den englischen Hecken und Gärten blühten die purpurfarbenen Herbstastern und verströmten ihren eigenartigen Duft. Der Erntevollmond war nah, das Herbstäquinoktium, die vollkommene Tagundnachtgleiche. Die Londoner Christen trafen ihre Vorbereitungen für das Fest des heiligen Michael, und die Bauern vor der Stadt bereiteten ihr Erntefest vor.

Und dann gab es welche, die bereiteten sich auf ein ganz anderes Fest vor. Sie wußten, wer sich hinter dem heiligen Michael verbarg – ein heidnischer Gott, der in alten Zeiten unter dem Namen Sonnengott verehrt worden war.

Der frühe Abend, die stille Zeit vor der Dämmerung, legte sich über England. Mitten in einem abgeschiedenen Eichenhain auf dem Berg von Primrose standen drei Menschen, zwei Riesen und ein zierliches, dunkelhaariges Mädchen.

»Kleines Mädchen, mir gefällt das nicht«, erklärte Odo.

»Du wirst als Hexe verbrannt, wenn uns jemand dabei sieht«, fügte Hew hinzu. »Und wir werden bestimmt als Hexenmeister zusammen mit dir verbrannt.«

»Die Könige und Königinnen des Waldes werden uns beschützen«, entgegnete Keely und deutete auf die riesigen Eichen. Sie zog ihren weißen Mantel über den violetten Wollrock und die weiße Leinenbluse und verbarg ihre ebenholzschwarze Mähne unter der Kapuze. »Weil ihr diesen Herrn in Shropshire ausgeraubt habt, befinden wir uns in großer Gefahr. Was immer wir anderen an Schaden zufügen, kehrt zehnfach zu uns zurück.«

»Verdammt«, brummte Hew. »Wir haben doch schon gesagt, daß es uns leid tut.«

»Wie oft willst du uns deshalb noch ausschimpfen, Kleines?« fragte Odo sie. »Wir haben ihm doch den Karneol als Schutz gelassen.«

Keelys Mund zuckte, aber sie sagte nichts darauf. Statt dessen nahm sie die acht Steine, die Odo ihr reichte, und erklärte: »Madoc Lloyd hat meine Seele verletzt. Wenn ich nicht Alban Elued, das Licht des Wassers, achte, wird sich die Wunde entzünden und mich vergiften.«

Anschließend ging Keely in die Mitte des Eichenhains und legte mit den Steinen einen großen Kreis, den sie nach Westen hin offen ließ. Zwischen die Steine legte sie Holunder-, Preise- und Schlehenbeeren und wilde Pflaumen.

»Wollt ihr mitkommen?« fragte Keely ihre Cousins. »Im Kreis ist es sicher.«

Doch sowohl Odo wie Hew schüttelten den Kopf. Sie mußten sie vor jeder Gefahr schützen, und dazu brauchten sie einen klaren Kopf.

Keely betrat den Kreis von Westen aus und schloß die Lücke mit dem letzten Stein. Dabei sprach sie: »Störende Gedanken bleiben draußen.«

In der Mitte des Kreises angelangt, drehte sich Keely dreimal im Uhrzeigersinn, und blieb, die Augen nach Westen auf die untergehende Sonne gerichtet, stehen. Dann schloß sie die Augen, konzentrierte sich auf ihren Atem und berührte den Drachenanhänger, dessen Saphire, Diamanten und Rubine in den letzten Sonnenstrahlen Feuer zu sprühen schienen.

Keely bebte, ein kalter Schauer der Vorahnung lief ihr den Rücken hinunter. Sie liebte die Rituale, die ihre Mutter sie gelehrt hatte. Doch sie war sich nicht sicher, ob sie ohne Megans spirituelle Begabung wirksam sein würden.

»Die Alten sind hier, sie warten ab und sehen zu«, klang Keelys sanfte Stimme durch die stille Nacht. »Die Sterne sprechen durch die Steine, und das Licht scheint durch die dickste Eiche.« Ihre Stimme wurde lauter. »Himmel und Erde sind ein Reich.«

Keely umrundete das Kreisinnere im Uhrzeigersinn und sammelte die wilden Beeren, um sie neben sich im Kreiszentrum, der Seele des Kreises, auf den Boden zu legen. »Ich bewahre das Gute und entferne das Nutzlose. Gedankt sei der Muttergöttin für die Früchte der Erde. Gedankt sei Esus, dem Gott des Opfers, der in diesen majestätischen Bäumen wohnt, die uns mit Nahrung versorgen und mit Holz, um uns Behausungen zu bauen und uns zu wärmen.«

Nach einer langen Pause, in der sie über die nächsten Schritte des Rituals und ihre Gefühle nachdachte und sich sammelte, so wie die Natur ihre Kraft sammelt, drehte sie sich dreimal mit geöffneten Armen um sich selbst und rief mit lauter Stimme: »Geist, der mich auf meiner Reise geleitet, hilf mir, die Sprache der Bäume zu verstehen. Geist meiner Ahnen, hilf mir, die Sprache des Windes zu verstehen. Geist meines Stammes, hilf mir, die Sprache der Wolken zu verstehen.«

Daraufhin blickte Keely in die untergehende Sonne und schloß die Augen. »Öffne mein Herz, damit ich über den Horizont hinaussehe.«

Es verstrich einige Zeit, und dann geschah es. Bilder tauchten vor ihrem geistigen Auge auf ...

Undurchdringliche Dunkelheit. Ein flaues Gefühl in der Magengrube. Unsichtbares Übel, das ganz in der Nähe lauert. Schließlich das warme Gefühl von Sicherheit. Starke, schützende Arme, so zuverlässig wie die mächtigen Eichen. Arme, die sie willkommen heißen. Sie beschützen ...

Das Bild verschwand, und sie befand sich wieder in der Wirklichkeit des Berges von Primrose.

Keely machte langsam die Augen auf, berührte den leuchtenden Drachenanhänger und sprach leise ein Gebet. »Ich bitte die ganze Macht der Liebe meiner Mutter, die in diesem Drachen lebt, mich und die meinen zu schützen.«

Versunken in das Schauspiel, flüsterte Hew seinem Bruder zu: »Ich bin kein Feigling, aber sie treibt mir wirklich den Angstschweiß auf die Stirn.«

»Ich weiß, was du meinst«, stimmte Odo ihm so zermürbt zu, daß er sogar einen verstohlenen Blick über die Schulter warf. »Mir kommt es so vor, als hätten es diese Bäume nur darauf abgesehen, mich zu packen.«

Die beiden wollten gerade zu Keely gehen, als diese sie ohne hochzublicken warnte: »Es ist verboten, den Kreis zu durchbrechen.« Mit geschlossenen Augen beendete sie die Zeremonie. »Ich danke der Göttin und diesen Eichen dafür, daß sie mich an ihrer Weisheit teilhaben ließen.«

Erschöpft ging Keely zum westlichen Rand des Kreises, wo sie begann, die Steine wieder einzusammeln und den Bann zu brechen. Anschließend zog sie die weiße Robe aus, legte sie zusammen und holte ihre Tasche.

»Hast du gehört, was die Bäume sagten?« wollte Odo wissen.

»Ja«, beantwortete sie seine Frage.

»Und was der Wind flüsterte?«

»Ja.«

»Heute weht kein Wind«, warf Hew ein.

»Der Wind umgibt uns immer«, erklärte ihm Keely.

»Ich habe ihn nicht gehört.«

»Du hirnverbrannter Idiot«, fuhr Odo ihn an. »Natürlich konntest du ihn nicht hören. Der Wind hat ihr ins Ohr geflüstert.«

Keely schmunzelte ihren beiden Cousins zu, bevor sie den Himmel absuchte. Im Westen war der Himmel noch immer flammend rot, während er sich im Osten bereits in ein dunkles Schiefergrau färbte.

»Hast du über das Firmament hinausgesehen?« wollte Hew wissen.

Keely nickte und hoffte, daß sie die Zeichen richtig verstanden hatte. Ach, wenn sie doch nur einen Funken des Talents ihrer Mutter besäße! »Wir müssen zurück nach London und bis zum Morgengrauen in unserem Zimmer bleiben.«

»Warum?« fragte Odo.

»In der Taverne finden wir Sicherheit«, antwortete sie.

»Ist die Sicherheit ein Mensch?« platzte Hew heraus.

»Vielleicht«, lächelte Keely unsicher. »Ich habe schützende Arme gespürt.«

»Wessen Arme waren das?« hakte Odo nach.

Keely zuckte die Achseln. »Ich konnte kein Gesicht sehen.«

»Wahrscheinlich war ich es«, meinte Hew.

»Wie kommst du darauf?« widersprach Odo. »Ich bin viel stärker als du.«

»Blödsinn, bist du nicht«, wehrte sich Hew.

»Bin ...«

»Nicht!«

Keely kicherte. Sie liebte diese hitzköpfigen Brüder, die es für ihre Pflicht hielten, sie zu beschützen.

»Wovor verstecken wir uns?« fragte Odo sie.

»Du meinst, vor wem«, verbesserte Keely ihn. »Der Tag und die Nacht sind in vollkommenem Gleichgewicht, aber Vater Sonne verliert an Kraft. Wenn dieser Tag vergangen ist, wird der Herr, den ihr in Shropshire ausgeraubt habt, uns nicht mehr finden können.«

»Ich hänge am Leben«, meinte Hew und faßte sich an den Hals. »Woher weißt du, daß wir im Gasthof Zum Hahn Sicherheit finden? Hast du die Zukunft in den Wolken gelesen?«

»Die Antwort darauf werden wir morgen finden«, antwortete Keely. »Die Bäume und der Wind und die Wolken rieten mir, in diesen Gasthof zurückzukehren.«

»Na, ich habe nichts davon gehört«, meinte Hew verächtlich.

Odo versetzte seinem Bruder einen Klaps. »Nur falls du es vergessen hast, Keely besitzt die Gabe. So ist es doch, Kleines?«

»Megan hatte das Zweite Gesicht, soviel steht fest«, wand Keely sich. Sie kaute mit ihren kleinen weißen Zähnen auf ihrer Unterlippe, bevor sie gestand: »Ich habe so etwas noch nie empfunden, aber ich fühle in meinem tiefsten Inneren, daß etwas Außergewöhnliches geschehen wird.«

»Das reicht mir vollkommen«, gab Odo sich zufrieden.

»Ich finde es durchaus vernünftig, daß wir uns eine Weile in unserem Zimmer verbergen«, stimmte Hew zu. »Wenn uns dieser Herr erwischt, sind wir nicht mehr das Schwarze unter dem Fingernagel wert. Um das zu wissen, brauche ich nicht das Zweite Gesicht.«

»Das ist nicht alles«, fuhr Keely fort, als sie auf ihre Pferde stiegen. »Das Gold, das wir für das Pferd des Herrn bekommen haben, wird in London nicht lange reichen. Vielleicht finden wir in dem Gasthof Arbeit, falls mein Vater sich weigert, mich anzuerkennen.«

Als sie in das Zentrum von London ritten, legte sich eine merkwürdige Traurigkeit über sie, und sie redeten kein Wort mehr. Trotz der späten Stunde wimmelte es in den engen Gassen nur so von hin- und hereilenden Menschen. Die Bewohner dieser Stadt schienen an einem nie enden wollenden Wettrennen teilzunehmen. Die dicht gedrängt stehenden Häuser und die schmalen Gassen gaben Keely das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.

Sie versuchte, möglichst tief und ruhig zu atmen, während sie mit ihren Cousins am Cheapside Market und der St. Paul‘s Cathedral vorbeiritt. Schließlich erreichten sie die Friday Street, wo sich der Gasthof Zum Hahn befand.

So weit weg von Zuhause, dachte Keely, und sie fühlte sich auf merkwürdige Weise allein, obwohl ihre Cousins sie begleiteten und sie an Hunderten von Menschen vorbeigekommen waren. Hier brauchte niemand eine Druidenpriesterin mit zweifelhaftem Talent oder eine walisische Prinzessin am Bettelstab. Taffy, walisische Trottel, wie die Engländer zu spotten pflegten.

Keely hoffte, daß sie die Geschehnisse am Berg von Primrose richtig gedeutet hatte und daß der Gasthof Zum Hahn die ersehnte Zufluchtsstätte vor dem in der Dunkelheit lauernden Übel war, das sie gefühlt hatte. Gewiß würde die Gefahr, daß dieser Herr sie fand, zusammen mit der Sonne schwinden.

Hätte Keely gewußt, wie sehr sie sich irrte, wäre sie bestimmt nach Wales zurückgejagt und hätte den Zorn ihres Stiefvaters auf sich genommen. In diesem Augenblick saß der Gegenstand all ihrer Überlegungen in der Gaststube des Hahns und wartete darauf, daß die beiden hünenhaften Straßenräuber auftauchten, die ihn seiner Würde beraubt hatten.

Die Schenke des Gasthofs Zum Hahn war überraschend geräumig, groß genug für einen Kamin und eine Theke. Auf der linken Seite des Raums, dicht neben der engen Stiege, die zu den Schlafzimmern im ersten Stock führte, befand sich der Kamin. In der Ecke gegenüber war die Theke. Dazwischen standen mehrere Tische und Stühle.

Richard Devereux saß an einem Tisch hinten bei der Theke, von dem aus er den Eingang gut beobachten konnte, zusammen mit seinem Freund Willis Smythe. Die beiden Männer tranken Bier und unterhielten sich.

»Hätte ich gewußt, daß alles auf deine Rechnung geht«, sagte Willis, »hätte ich darauf bestanden, in einem Etablissement zu essen, das von einer gehobeneren Schicht besucht wird.«

»Die Preise sind hier außergewöhnlich«, entgegnete Richard.

»Die letzten zwei Wochen bist du den kichernden Dingern am Hof aus dem Weg gegangen«, neckte Willis ihn. »Je länger du dich fernhältst, um so schwieriger wird es, weiterzumachen, wo du aufgehört hast.«

»In letzter Zeit hatte ich alle Hände voll zu tun mit den Geschäftsinteressen der Königin«, erklärte Richard.

Willis schmunzelte und mußte an sich halten, um nicht laut zu lachen.

»Wenn jemand seine Würde verliert, ist das kein Grund, fröhlich zu sein«, fügte Richard hinzu. »Und wenn du Wert darauf legst, dein hübsches Gesicht zu behalten, solltest du dir es genau überlegen, ob du die Geschichte weitererzählen willst. Burghley bemerkte, du hättest sie jedem aufgetischt, der sie hören wollte.«

»Es tut mir leid«, entschuldigte sich Willis mit einem Grinsen, wie es einem aufrichtig Reuigen schlecht anstand.

»Die Eigentümer des Hahns sind Freunde meiner Schwester Brigette«, wechselte Richard das Thema. »Bucko gibt an mich weiter, was sich die Kaufleute der Stadt hier so erzählen.«

»Eine Gräfin, die sich mit Wirtsleuten anfreundet?« fragte Willis überrascht.

Richard zuckte die Achseln. »Es ist schon Jahre her, als Brigette mit ihrem Mann stritt, nach London davonlief und hier vorübergehend als Kellnerin unterkam, bis sich die beiden wieder versöhnten.«

Willis schlug sich vor Lachen auf die Schenkel. »Das ist ja noch besser. Eine Gräfin, die sich als Kellnerin verkleidet?«

»Wenn ich mich recht erinnere, lachte Iain damals nicht«, bemerkte Richard trocken.

»Dein Schwager scheint einiges gemein zu haben mit dir«, meinte Willis.

Richard zog eine rotbraune Augenbraue hoch.

»Mangel an Humor.«

»Offensichtlich besitzt du ausreichend Humor für uns beide«, antwortete Richard. »Klatscht man am Hof noch über etwas anderes als meine Demütigung?«

Willis machte eine kleine Pause, als denke er nach. »Es heißt, Lady Morgana Talbot und du wärt so gut wie verlobt.«

Richard rollte die Augen. »Du tätest gut daran, meinem Beispiel zu folgen. Such dir eine reiche Erbin. Was gibt es sonst noch?«

»Vor kurzem ist ein gewisser Signor Fulvio Fagioli aus Italien eingetroffen und bricht den Damen am Hof reihenweise die Herzen«, erzählte ihm Willis. »Muskeln und Charme sind eine unwiderstehliche Kombination. Fagioli brachte aus Italien ein merkwürdiges Gerät mit, es heißt Gabel und ...«

»Da wären wir, meine Herren«, unterbrach eine Frau sie und stellte zwei Schüsseln dampfenden Eintopfs vor ihnen auf den Tisch.

»Seid gegrüßt, Marianne.« Richard blickte auf zu der Frau des Besitzers. Er nahm ihre Hand und küßte sie, wie es am Hof Sitte war.

Marianne kicherte. Sie war eine gutaussehende Frau mit üppiger Figur, warmem, von blonden und grauen Strähnen durchzogenen braunen Haar und haselnußbraunen Augen, die vor Witz und Verstand nur so funkelten.

»Madame Jacques, darf ich Euch Baron Willis Smythe vorstellen«, erklärte Richard.

Nachdem sein Freund diesen Einsatz gegeben hatte, übernahm Willis und küßte der Frau die Hand. »Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite, Madame.«

»Die Abstammung merkt man einfach«, meinte Marianne, offensichtlich beeindruckt. »Wir haben Euch eine ganze Weile nicht gesehen. Wie geht es Eurer Schwester?«

»Brie geht es gut, aber das Schicksal hat ihr eine Tochter beschert, die ähnlich temperamentvoll ist wie sie.«

Voller Mitgefühl schüttelte sie den Kopf und grinste: »So richtig kann ich über Bries Unglück nicht lachen. Ich mache mir selbst die meiste Zeit über Sorgen wegen meiner Tochter Theresa.«

»Da möchte ich Euch mein Beileid ausdrücken«, antwortete Richard. Mit gesenkter Stimme fuhr er fort. »Ich bin hier, weil ich zwei Diebe fangen möchte und dabei Eure Hilfe brauche. Es handelt sich um zwei wahre Hünen; befinden sich solche unter Euren Gästen im Hahn?«

»Ihr meint die beiden Begleiter der Frau mit den veilchenblauen Augen?« erkundigte Marianne sich.

»Eine Frau mit veilchenblauen Augen?« wiederholte Richard überrascht. Der einzige Mensch, den er kannte und der diese ungewöhnliche Augenfarbe hatte, war der Herzog von Ludlow.

Marianne nickte.

»Wie heißen sie?«

»Glendower, glaub ich. Oder Lloyd.«

»Waliser Trottel«, murmelte Willis.

»Das Pack hat mich auf der Straße nach Schloß Ludlow ausgeraubt«, erzählte Richard Marianne.

»Haben ihm einfach die Stiefel ausgezogen und sein Pferd gestohlen«, fügte Willis hinzu. »Der Baron ging den ganzen Weg barfuß nach Schloß Ludlow.«

Marianne zerriß es beinahe vor Lachen. Willis Smythe stimmte ein.

Richard spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht schoß. Er konnte nichts dagegen tun. Einer der Nachteile, worunter Rotschöpfe zu leiden hatten. Die Menschen lachten über ihn, seit er diesen beiden Hünen in Shropshire in die Hände gefallen war, und das behagte ihm ganz und gar nicht. Für diese Erniedrigung würden ihm diese walisischen Mistkerle teuer bezahlen.

»Soll ich die Wache rufen?« fragte Marianne.

Richard schüttelte den Kopf. Die Wache würde dafür sorgen, daß die Schurken am Galgen in Tyburn baumelten, aber für ihn wäre es wesentlich befriedigender, sich eigenhändig an den beiden zu rächen. Außerdem wollte Richard die Frau nicht hängen sehen, es bestand ja immer noch die Möglichkeit, daß sie mit dem Verbrechen nichts zu tun hatte.

»Woher wußtest du, daß sie hier sind?« wollte Willis wissen.

»Diese Hohlköpfe haben mein Pferd an meinen Pferdeknecht, Jennings, verkauft«, grinste Richard.

Willis lachte. »Sie stahlen dein Pferd und verkauften es dir anschließend?«

»Genau.«

»Willst du sie gefangennehmen?«

»Daß eine Frau dabei ist, ändert meine Pläne.« Richard schüttelte den Kopf. »Ich werde sie von Beagan und ein paar meiner Männer bewachen lassen.«

»Da kommen sie«, flüsterte Marianne hinter vorgehaltener Hand. »Ich gehe jetzt.«

»Falls du es wagst, dich umzudrehen«, warnte Richard seinen Freund, »erwürge ich dich mit bloßen Händen, das schwöre ich dir.«

Willis grinste und begnügte sich damit, seinem Freund dabei zuzusehen, wie er seine Beute beobachtete.

Der Anblick Keelys erschütterte Richard von Grund auf. Es war wie ein Schock. Mit aufgerissenen Augen starrte er die zierliche Schönheit mit dem ebenholzschwarzen Haar an, die mit ihren hünenhaften Begleitern durch die Gaststube schritt. Obwohl sie nur schlicht gekleidet war, erschien sie ihm unwiderstehlich, weitaus schöner als die sogenannten Schönheiten am Hof.

Richard sah, wie sie an einem Tisch am anderen Ende der Stube Platz nahm. Und mit einemmal war Rache das letzte, woran er dachte ...

Endlich in Sicherheit, atmete Keely erleichtert auf, als sie die Gaststube betrat. Odo führte Hew und sie zu einem Tisch nahe beim Kamin.

Kaum hatte sie zwischen den beiden Platz genommen, meinte Keely: »Ach, lassen wir das mit dem Abendessen doch bleiben und gehen gleich auf unser Zimmer.«

»Du hast den ganzen Tag noch nichts gegessen«, gab Odo ihr zu bedenken.

»Und du bist ohnehin schon zu dünn«, fügte Hew hinzu. »Außerdem bin ich am Verhungern.«

Keely hatte ein Einsehen und nickte.

Sie war ständig auf dem Sprung, schlimmer wie ein Frosch im Teich, ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. In ihren Druidenknochen spürte Keely, daß etwas Außerordentliches geschehen würde. Sie hatte das Gefühl, an einem Abgrund zu stehen – vielleicht sogar vor einem Abgrund des Verderbens.

»Was darf‘s sein, Leute?« begrüßte Marianne sie mit einem Lächeln und stellte zwei Krüge Bier vor Odo und Hew und einen Becher Glühwein vor Keely.

»Fünf Schüsseln Eintopf«, bestellte Odo.

»Fünf, stimmt das?«

»Wir haben Hunger«, erklärte Hew.

Keely trank einen Schluck von dem Glühwein. Die Wärme tat ihren angespannten Nerven gut. Als sie den Becher wieder hinstellte, sank Hew in seinem Stuhl zusammen und zupfte sie am Ärmel.

Als sie hochblickte und seinen entsetzten Gesichtsausdruck sah, war Keely klar, daß ihre Sorgen sie eingeholt hatten. »Was ist los, Cousin?«

»Der Edelmann, den wir ausgeraubt haben, sitzt dort drüben«, flüsterte Hew.

»Wo?« Odo erhob sich halb, um sich einen besseren Überblick über die volle Gaststube zu verschaffen.

»Schaut nicht hin«, zischte Keely.

Odo und Hew senkten sofort den Blick.

»Wo sitzt er?« fragte Keely.

»Der rothaarige Mann ganz in Schwarz, dort an dem Tisch neben der Theke«, antwortete Hew.

Keely warf einen Blick in diese Richtung. Auf der gegenüberliegenden Seite der Schenke saßen dicht an der Theke zwei englische Edelmänner. Tief in ein Gespräch mit seinem Freund versunken, schien der rothaarige Graf von Sowieso gar nicht Notiz von ihnen genommen zu haben.

»Was sollen wir tun?« fragte Keely.

»Einfach ruhig sitzen bleiben«, meinte Odo. »Er wird uns in der Menge gar nicht bemerken.«

»Das wird das beste sein«, stimmte Hew ihm zu. »Solange wir uns nicht auffällig benehmen, wird er uns nicht bemerken.«

Keely verspürte ein starkes Bedürfnis, einfach unter den Tisch zu rutschen und sich dort zu verstecken. Vor Angst hinüberzusehen, wandte sie den Blick nicht mehr von ihrem Weinbecher. Sie fühlte sich überhaupt nicht wohl in ihrer Haut, ihr war, als mustere der rothaarige Mann sie eingehend – oder bildete sie sich das nur ein?

Unfähig, diese Ungewißheit noch einen Augenblick länger auszuhalten, nahm Keely ihren ganzen Mut zusammen und zwang sich, zu ihm hinüber zu blicken. Der Edelmann schien in dem Gespräch mit seinem Freund ganz aufzugehen, und doch wurde sie das Gefühl nicht los, er beobachte sie.

Keelys Blick glitt zu dem dunkelhaarigen Tischnachbarn des Grafen. Eine Gefühl drohenden Unheils überwältigte sie beinahe.

Als die beiden Männer sich unvermittelt erhoben, seufzte Keely. Nun würden Odo und Hew festgenommen und gehängt werden. Ach, wenn sie doch nur mit übersinnlichen Kräften gesegnet wäre! Dann hätte sie ihre Vision richtig gedeutet, und ihren Cousins wäre dieses schreckliche Ende erspart geblieben.

Der Graf stand auf und verabschiedete sich herzlich vom Gastwirt, bevor er kehrtmachte, um seinem Freund aus der Schenke hinaus in die Nacht zu folgen. Sein Blick glitt über sie und blieb an Keely hängen. Entsetzt sah sie, daß der Graf nicht weiter zur Tür ging, sondern sich auf ihren Tisch zu bewegte.

»Keine Waffen«, flüsterte Keely ihren Cousins zu. »Da reden wir uns heraus.«

Obwohl sie einen gelassenen, unbeteiligten Eindruck zu erwecken suchte, konnte Keely die Augen nicht losreißen von dem Grafen, der auf sie zukam. Sein kupferrotes Haar strahlte golden wie Vater Sonne, und seine entwaffnenden Smaragdaugen leuchteten in demselben Grün wie ihr geliebter Wald im Frühling. Sein Gesicht war ungemein attraktiv, die Gesichtszüge wie gemeißelt, wenn auch nicht von ebenmäßiger, glatter Schönheit, sondern eher rauh und kantig. Die vollen Lippen strahlten eine starke Sinnlichkeit aus. Als er auf ihren Tisch zukam, bewegte er sich mit der Eleganz eines Raubtiers. Bei den heiligen Steinen! Dieser Mann war ein vor ihren Augen lebendig gewordener heidnischer Gott!

»Schenke dem König mit der Flammenkrone und der goldenen Hand dein Vertrauen ...«

Keely versuchte mit aller Kraft, den Gedanken an die Prophezeiung ihrer Mutter abzuschütteln. Vor ihr war kein König, kein heidnischer Gott, sondern einfach ein Mann. Und noch dazu ein verabscheuungswürdiger englischer Graf.

Als er schließlich vor ihrem Tisch stand, würdigte Richard Odo und Hew keines Blickes. Er sah nur in Keelys veilchenblaue Augen, die seinen Blick erwiderten. Richard lächelte und ließ seinen ganzen Charme spielen.

»Mylady«, begrüßte er sie mit einer leichten Verbeugung. Er nahm ihre Hand und beugte sich über sie, ohne den Blick von ihr zu wenden. »Wie der Gesang einer Sirene rief mich Eure außergewöhnliche Schönheit an diesen Tisch.«

Keely errötete über und über. Sie wußte nicht, ob sie sich durch dieses unerhörte Kompliment geschmeichelt oder ob sie sich durch dieses arrogante Draufgängertum verletzt fühlen sollte. Noch kein Mann hatte es gewagt, so mit ihr zu sprechen – und kein Mann hatte sie je so strahlend angelächelt.

»Richard Devereux, Graf von Basildon, zu Euren Diensten«, stellte Richard sich vor und blickte ihr tief in die veilchenblauen Augen. Er war sich über seine Wirkung auf sie durchaus im klaren. »Und wer seid Ihr?«

Dieses Lächeln könnte ein ganzes Schloß erhellen, dachte Keely, während sie in diese unglaublichen Smaragdaugen blickte. Sie schien ihre Stimme verloren zu haben.

»Mylady?« setzte Richard nach.

»Ich bin ...« Sie quietschte in einer Stimmlage so hoch wie ein nervöser Sopran.

Richard grinste.

Keely wurde rot und räusperte sich. »Ich bin Lady Keely Glendower«, erklärte sie schließlich.

»Ein Vergnügen, Eure Bekanntschaft zu machen, Lady Keely«, antwortete Richard. Er warf Odo und Hew einen Blick zu, die keinen Zweifel daran hegten, im nächsten Augenblick festgenommen zu werden, und sich in ihren Stühlen wanden. »Ich hoffe aufrichtig, meine teure Schönheit, daß keiner dieser beiden Gentlemen das Recht hat, Euch seine Gattin zu heißen.«

»Meine Cousins«, antwortete Keely. »Odo und Hew Lloyd.«

Richard schüttelte beiden die Hand. »Ihr kommt mir irgendwie bekannt vor. Haben wir uns schon einmal gesehen?«

»Das ist unmöglich«, ergriff Keely das Wort, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. »Wir sind gerade erst aus Wales hier angekommen.«

»Seid Ihr in London des Geschäfts oder des Vergnügens wegen?«

»Weder noch. Meine Cousins begleiten mich zum Haus meines Vaters. Ihr müßt wissen, meine Mutter trat erst kürzlich die ...« Keely hielt erschrocken darüber inne, was sie beinahe verraten hätte. »Ich werde bei meinem Vater in London leben.«

»Wer ist Euer Vater?« fragte Richard.

»Ein Engländer.«

Richards Mundwinkel zuckten. »Das vermutete ich bereits. Ich frage nur, da ich ihn möglicherweise kenne.«

Keely zwang sich zu ihrem gewinnendsten Lächeln. »Londons Gassen sind voll von Engländern.«

Obwohl er sich für unübertroffen darin hielt, andere auszuhorchen, mußte Richard sich überrascht eingestehen, daß sie seine Frage nicht wirklich beantwortet hatte. Er versuchte es erneut. »Werdet Ihr Euch länger im Gasthof Zum Hahn aufhalten?«

Keely schüttelte den Kopf. »Morgen früh werde ich meinen Vater aufsuchen.«

»Lady Keely, Eure ungewöhnliche Schönheit hat mir große Freude bereitet«, verabschiedete sich Richard und verbeugte sich, während er ihre Hand hielt. »Ich bin sicher, wir werden uns Wiedersehen.« Ohne ein weiteres Wort verließ der Graf die Schenke.

Keely starrte ihm hinterdrein, konnte den Blick nicht losreißen von seinem Rücken, diesem großartigen, ungemein männlichen Rücken. Um Odo und Hews willen hoffte sie aufrichtig, daß sie sich nie wieder sehen würden. Und doch ...

Keely seufzte. Von etwas zu träumen, das nie sein konnte, war sinnlos.

»Er ist fort«, hörte sie Odo sagen.

»Wir sind in Sicherheit«, fügte Hew hinzu. »Du kannst aufhören zu zittern.«

Es kostete Keely große Mühe zu lächeln. Obwohl sie seit dem gestrigen Abend nichts gegessen hatte, drehte sich ihr beim Anblick des Eintopfs der Magen um. »Ich fühle mich nicht wohl«, erklärte sie. »Ich gehe nach oben. Laßt es euch schmecken.«

Sie griff nach ihrer Tasche, erhob sich und bahnte sich einen Weg durch die überfüllte Gaststube. Mit wackligen Knien stieg sie die Stufen zum ersten Stock hoch und ging den Gang entlang zu ihrem Zimmer.

Keely machte sich nicht die Mühe, eine Kerze anzuzünden, sondern ging quer durch das dunkle Zimmer zu ihrem Bett, wo sie die weiße Robe aus der Tasche zog und sich darin einwickelte, als böte ihr dieses Gewand Sicherheit.

Keely blickte auf das Bett und seufzte. Nach dem aufregenden Auftreten des Grafen und mit der erschreckenden Aussicht vor sich, morgen ihrem Vater gegenübertreten zu müssen, war sich Keely sicher, daß ihr heute Nacht der Schlaf verwehrt blieb.

Sie legte sich dennoch auf das Bett, und ihre Gedanken reisten durch Raum und Zeit nach Wales. Erinnerungen an ihre Kindheit und ihre wunderbare Mutter füllten die kleine Kammer. Keely dachte daran, wie Megan und sie, ungeachtet der Jahreszeit oder des Wetters, durch die Wälder rings um die Liegenschaften der Lloyds gewandert waren, um die göttliche Natur zu erforschen. Jeden Nachmittag saßen sie zusammen unter den mächtigen Eichen, wo ihre Mutter den goldenen Faden des Wissens an sie weitergab.

Die Tränen stiegen Keely in die Augen und rollten ihr über die Wangen. Ihre Sorgen hatten sie übermannt. Sie weinte hemmungslos, bis sie vor Erschöpfung einschlief.

Keely wachte in diesen zauberhaften Minuten vor der Dämmerung auf. Im Zimmer war es kühl, ein typischer frischer Septembermorgen. In ihre weiße Robe gehüllt, ging Keely zu dem kleinen Fenster und blickte hinaus. Im Osten war der Himmel in flammendes Rot getaucht, der Morgen dämmerte.

Sie wandte den Blick ab von dem Flammenmeer am Himmel und den engen Gassen zu. Zivilisation? dachte Keely. Wie konnten diese Engländer überhaupt atmen? Ihr war, als würde dieses Gedränge in Londons Straßen ihr die Luft zum Atmen rauben.

Keelys Gedanken wanderten zu dem Mann, den sie heute treffen würde.

Was für ein Mensch ihr leiblicher Vater wohl war? Konnte sie wirklich als Tochter eines englischen Herrn glücklich werden? Es schien ihr eine absurde Vorstellung, doch ihre Mutter hatte es so vorausgesehen.

Rotgelbe Flammenzungen bemächtigten sich des Himmels, krochen höher und höher. Die aufgehende Sonne, die jeden Morgen anders war, schien an diesem schicksalsträchtigen Tag besonders kraftvoll. War das ein gutes Omen?

Keely zog sich die Kapuze über den Kopf. Wenn sie nur draußen sein und die aufgehende Sonne spüren könnte!

»Myrddin, Größter unter den Druiden, segne mein Gebet«, begrüßte Keely die aufgehende Sonne. Um ihr näher zu sein, preßte sie die Hände gegen die Fensterscheibe und sang: »Vater Sonne küßt Mutter Erde.«

Nach diesem Morgenritual setzte Keely sich auf die Bettkante und versuchte, sich auf das bevorstehende Treffen mit ihrem Vater zu konzentrieren. Unglücklicherweise tauchte vor ihrem geistigen Auge ein rothaariger Graf auf, und dieses Bild erinnerte sie an die Gefahr, in der ihre Cousins Odo und Hew schwebten. Der Graf von Basildon hatte gesagt, die beiden kämen ihm bekannt vor, es war also nur eine Frage der Zeit, bis er erkannte, daß ihre Cousins die Missetäter waren, die ihn ausgeraubt hatten.

Keely dachte über die Klemme nach, in der sie steckte. Ihre Mutter hatte sie gelehrt, daß sie einen Zauberkreis bilden und um eine Gnade bitten konnte. Eine einzige Gnade – würde sie um mehr bitten, würde das die Großzügigkeit der Göttin verletzen.

Keely seufzte. Sie hatte eigentlich um die Anerkennung durch ihren Vater bitten wollen, aber nun drohte ihren Cousins Lebensgefahr – die Rache des Grafen. Die Wahl, vor der sie stand, war keine Wahl.

Keely holte aus ihrer Tasche ein schwarzes Säckchen hervor und leerte die heiligen Steine in ihre Hand. Sie wählte neun davon aus: für ihre spirituelle Führung einen weißen Achat, zwei dunkle Karneole sollten sie zuversichtlich machen und sie beschützen, zwei Rosenquarze der Heilung wegen, zur Stärkung der hilfreichen Macht zwei schwarze Obsidiane und zwei violette Berylle, um Unglück zu verhindern. Dann zog sie ihre kleine goldene Sichel aus der Tasche.

In der Mitte des Zimmers legte sie mit den Steinen einen Kreis. Nur den weißen Achat und die goldene Sichel behielt sie in den Händen. Nachdem sie den Kreis von Westen aus betreten hatte, schloß sie ihn mit dem Achat und sagte: »Störende Gedanken bleiben draußen.«

Während sie den Kreis im Uhrzeigersinn innen umrundete, deutete sie mit der goldenen Sichel auf den unsichtbaren Rand und schloß ihn. Sie suchte die Kreismitte auf, blickte nach Osten und flüsterte: »Steine der Macht, der Liebe und der alten Überlieferung, helft meinem Zauber, ich bitte darum … Geist meiner Ahnen, Geist meines Stammes, Geist meiner Reise, hilf mir auf deine Weise. Beschütze Odo und Hew. Laß Richard Devereux vom Fluß des Vergessens trinken, ohne Schaden zu nehmen.« Mit geneigtem Kopf fügte sie hinzu: »Dank diesen heiligen Steinen, den verehrten Geistern und dieser Sichel aus Gold.«

Nun ging Keely zum Westende des Kreises, hob den Achat auf und brach so den Bann. Nachdem sie die restlichen Steine eingesammelt und in ihren Beutel gesteckt hatte, setzte sie sich wieder auf die Bettkante, um über ihren Vater nachzudenken und zu warten.

Mittags stiegen Keely und ihre Cousins im Hof von Talbot House, Londons großartigstem Herrenhaus, vom Pferd. Keely blickte auf und sah die Sonne hoch am wolkenlosen, blauen Himmel stehen. Sie wußte, daß die Mittagssonne sie von nun an stets an den Tag erinnern würde, an dem sie zum ersten Mal ihrem Vater gegenübertrat.

»Vielleicht hätten wir unsere Sachen doch im Gasthof zurücklassen sollen«, meinte Odo, der sich nur allzu gut daran erinnerte, wie es ihnen in Schloß Ludlow ergangen war.

Keely schüttelte den Kopf. »Wenn Robert Talbot sich weigert, mich anzuerkennen, reiten wir nach Wales zurück.«

»Bist du dir da sicher?«

»Daran gibt es nichts zu rütteln.«

»Ich hoffe nur, daß der Graf, den wir ausgeraubt haben, nicht hier irgendwo in der Nähe wohnt«, warf Hew ein, während er sich nervös umblickte. Ihr Gastwirt hatte ihnen erzählt, daß alle englischen Edelmänner in Londons feinster Gegend, dem Strand, wohnten.

»Mach dir deshalb keine unnötigen Sorgen«, beruhigte Keely sie. »Ich habe die Göttin angerufen, euch zu schützen.«

»Nur zu schade, daß du sie nicht gebeten hast, uns unsichtbar zu machen«, brummte Hew.

»Nun, ich habe einfach nicht an eine Tarnkappe gedacht«, schmunzelte Keely.

»Schäkert hier nicht herum«, mischte Odo sich ein. »Es ist Zeit, daß du deinen Vater triffst, Kleines.«

Bei diesen Worten wurde Keely leichenblaß, doch sie nickte. Sie war so bereit wie nie zuvor. Zusammen betraten sie und ihre Cousins die herzogliche Residenz. Zu ihrer Überraschung trat ihnen niemand in den Weg, und niemand stellte ihnen unangenehme Fragen. Innerhalb des Hauptfoyers eilten Diener hin und her, und ein paar bewaffnete Wachen standen an der Wand und unterhielten sich.

Als sie versuchten, den großen Saal zu betreten, hielt ein Dienstbote sie auf. »Wer seid Ihr? Und was ist Euer Begehr?«

»Wir möchten den Herzog sprechen«, entgegnete Odo.

»Was gibt es, Meade?« war eine Männerstimme aus dem großen Saal zu hören.

Meade blickte sich um und erklärte: »Nichts, Euer Gnaden.« Wieder den Eindringlingen zugewandt, fuhr er fort. »Der Herzog hat Gäste und darf nicht gestört werden. Und nun verschwindet!«

Keelys Herz krampfte sich zusammen, und ihre Unterlippe zitterte bei dem Versuch, den übermächtigen Schmerz zu unterdrücken. Wieder wurde sie abgewiesen.

»Wir sind viele Meilen gereist, um den hohen Herrn zu sehen«, knurrte Odo.

»Wir bleiben hier, Kanaille«, fügte Hew hinzu.

Keely unterdrückte ein nervöses, entsetztes Kichern. »Du meinst Grandseigneur«, flüsterte sie.

»Er meint Kanaille«, sagte Odo.

»Verschwindet mit Eurer Dirne«, befahl Meade und deutete auf die Tür, »oder ich rufe die Wachen.«

»Ruft doch alle Wachen der Welt«, machte Odo sich stark und hob den unglücklichen Dienstboten hoch, um ihn in den Saal zu werfen, wo er auf den Boden krachte.

Eine Frauenstimme kreischte.

Eine Männerstimme fluchte.

Eine dritte Stimme dröhnte. »Was soll das bedeuten?«

Odo und Hew, die vor ihr in den Saal marschierten, nahmen Keely die Sicht. Die Wiedersehensszene entsprach nicht ganz ihren Vorstellungen, aber immerhin schaffte sie es in den Saal.

»Seid Ihr der Herzog von Ludlow?« begehrte Odo zu wissen.

»Ja.«

Nun erst traten die walisischen Hünen beiseite, und Keely fand sich vor einem kräftig gebauten Edelmann in mittleren Jahren wieder. Er hatte dieselben veilchenblauen Augen und dasselbe ebenholzschwarze Haar wie sie.

»Seid Ihr Robert Talbot?« fragte Keely ihn mit dünner Stimme.

Der Edelmann wurde kreidebleich, und ein Schleier legte sich über seine Augen, als hole ihn ein alter Schmerz ein. »Megan?« flüsterte er und streckte die Hand nach ihr aus. »Bist du es?«

»Ich heiße Keely«, erklärte sie. Oh, warum nur sah er so gequält aus? Schließlich war er es gewesen, der ihre Mutter verlassen hatte.

Der Herzog schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Seine Phantasie spielte ihm einen üblen Streich. Megan war schließlich seit achtzehn Jahren tot.

»Woher habt Ihr dies?« fragte der Herzog, als sein Blick auf den Drachenanhänger fiel, der auf ihrer blendend weißen Leinenbluse Funken zu sprühen schien.

»Meine Mutter gab ihn mir«, antwortete Keely und legte die Hand schützend um den Anhänger. Sie hatte ihn von ihrer Mutter bekommen, und eher würde sie sterben, als ihn sich nehmen zu lassen, leiblicher Vater hin oder her.

»Und wo hat sie ihn her?«

»Mein leiblicher Vater hat ihn ihr geschenkt«, erklärte Keely und sah ihm in die Augen. »Vor achtzehn Jahren.«

»Wie heißt sie?« fragte der Herzog so bleich, als stünde er einem Geist gegenüber.

»Megan Glendower.«

»Ist Eure Mutter noch am Leben?« fragte er, unfähig, die Ungeduld und Hoffnung in seiner Stimme zu verbergen.

Keely schüttelte den Kopf. »Sie ist vor acht Wochen gestorben.«

Herzog Robert schloß die Augen, um seinen Tränen Einhalt zu gebieten. Er stöhnte qualvoll, bevor er einige Male tief Luft holte, sich räusperte und ihr ein unsicheres Lächeln schenkte. Dann zog er seinen eigenen Anhänger hervor, den er unter seinem Hemd trug. Diamanten, Smaragde, Saphire, Rubine und Gold bildeten den Unterkörper und den Schwanz des Drachens.

»Das ist die Ergänzung Eures Anhängers«, erklärte er. Seine veilchenblauen Augen suchten in ihren veilchenblauen Augen nach einem Zeichen jener Liebe, die in seinem Herzen bereits zu wachsen begann.

Entschlossen, sich die Herzenspein einer weiteren Zurückweisung zu ersparen, warf Keely nur einen flüchtigen Blick auf seinen Anhänger und erklärte mit gespielter Gleichgültigkeit: »Offensichtlich.«

»Kind, ich bin doch dein Vater«, verkündete Herzog Robert.

»Ihr Vater?« ertönte es aus dem Hintergrund.

»Verflucht«, murmelte Odo, der hinter Keely stand.

»Zweimal verflucht«, stimmte Hew seinem Bruder zu.

Keely drehte sich um, um den Besitzer dieser merkwürdig vertrauten Stimme zu sehen, und erstarrte. Da stand der Graf, den ihre Cousins ausgeraubt hatten. »Dreimal verflucht«, murmelte sie, als ihr dämmerte, daß ihre Zauberkräfte versagt hatten.

Ohne den Ausbruch des Grafen weiter zu beachten, ließ der Herzog den Blick über die neugierigen Zuschauer schweifen, die sich im Saal versammelt hatten, und rief: »Schaut, daß Ihr aus meinem Saal hinauskommt!«

Die Gefolgsleute Talbots und die Wachleute fielen beinahe über ihre Füße, als sie so schnell wie möglich versuchten, dem Befehl ihres Herrn nachzukommen. Im Handumdrehen leerte sich der Saal.

»Was hast du nach achtzehn Jahren deinem Vater zu sagen?« wandte Herzog Robert sich an Keely.

»Ich habe keinen Vater«, antwortete sie mit einem Anflug von Verbitterung in der Stimme, ohne jedoch seinem Blick auszuweichen. »Ihr habt mich gezeugt, nichts sonst. Hätte Megan mich nicht schwören lassen, Euch aufzusuchen, wäre ich weit weg von diesem Ort.«

Ihre Unverschämtheit zeitigte Wirkung. Allerdings reagierte der Herzog anders, als sie es erwartet hatte. Es blitzte kurz in seinen Augen, die feingezeichneten Lippen kräuselten sich, und schließlich lachte der Herzog über das ganze Gesicht.

»Chessy, hast du das gehört?« rief er der üppigen Dame zu, die neben dem Grafen stand. »Sie hat meinen Stolz geerbt, stimmt‘s?«

»Das hat sie offensichtlich, Tally«, antwortete diese mit einem Lächeln und einem zustimmenden Nicken.

Der Stolz, den sie in der Stimme des Herzogs gehört hatte, berührte Keely. Zum ersten Mal seit dem Tod ihrer Mutter fühlte sie so etwas wie Hoffnung und Zuversicht in ihrem Herzen keimen. »Ich hoffe, Euer Mann wurde nicht verletzt«, erklärte Keely. »Odo und Hew sind etwas übereifrig, was meine Sicherheit angeht.«

Herzog Robert blickte seinem Majordomo hinterdrein, der in eben diesem Moment aus dem Saal hinkte. »Ich denke, Meade wird er überleben.« Dann wandte er seine Aufmerksamkeit den beiden Hünen zu. »Ihr habt meine Tochter zu mir gebracht, dafür stehe ich für immer in Eurer Schuld.«

»O Tally«, schwärmte die Dame von vorhin, »wie rührend.«

»Komm, Kind.« Der Herzog streckte die Hand aus. »Lerne meine Freunde kennen.«

Keely schaute die ihr entgegengestreckte Hand einen qualvoll langen Augenblick an, bis sie schließlich dem Herzog schüchtern zulächelte und ihre Hand in die seine legte.

»Ich möchte dir Lady Dawn DeFey, die Gräfin von Cheshire, vorstellen«, begann er.

Die Gräfin schien Anfang Dreißig zu sein, doch sie war noch immer eine schöne Frau mit ihrem kastanienbraunen Haar, den rehbraunen Augen und der üppigen Figur. Wenn sie, wie jetzt gerade, lächelte, zierten zwei entzückende Grübchen ihre Wangen und ließen sie noch jünger aussehen. Sie trug ein mit gelbem und rotem Brokat geschmücktes Kleid, das besser zu einer Gala bei Hofe als zu einem Nachmittag vor dem Kamin gepaßt hätte. An Hals, Ohren und Fingern funkelten Diamanten und Gold.

»Es freut mich, Euch kennenzulernen, Mylady«, entgegnete Keely und machte einen Knicks.

»Tally, dieses Kind ist so lieb wie ein Engel«, pries Lady Dawn sie. »Weitaus angenehmer als dieses Miststück von Tochter ... Nehmt meinen Rat, Devereux. Macht dieser Tochter den Hof und nicht der anderen.«

»Morgana kann nichts dafür, daß sie so ist«, verteidigte der Herzog seine abwesende Tochter. »Sie kommt nach der Familie meiner verstorbenen Frau. Du wirst sehen, meine Liebe, sie wird sich schon noch ändern.«

Herzog Robert stellte Keely seinen anderen Gästen vor. »Hier ist mein Nachbar, Richard Devereux, der Graf von Basildon.«

»Ein gütiges Schicksal hat uns bereits zusammengebracht«, erklärte der Graf mit einem leisen Lächeln. Er küßte ihr die Hand. »Ich wußte, wir würden uns Wiedersehen, meine Schönheit.«

Keelys Hand zitterte in der seinen. Die Welt begann sich zu drehen, und ihr Magen krampfte sich zusammen.

»Ich fürchte, mir wird übel«, rief Keely, als der Saal vor ihren Augen verschwamm und sie Zuflucht in einer Ohnmacht fand.

»Sie schwankt«, rief Richard. Er fing sie auf, bevor sie umsank, und trug sie in seinen Armen.

»Du lieber Gott!« rief die Gräfin.

»Hier lang, Devereux«, befahl der Herzog. »Tragt sie nach oben.«

Richard folgte dem Herzog aus dem Saal hinaus, an den verdutzten Gefolgsleuten vorbei, die im Foyer gelauscht hatten, die Treppe hinauf zu einem Schlafzimmer. Hinter ihnen marschierten Lady Dawn, Odo und Hew. Auf Anweisung der Gräfin warteten die beiden walisischen Riesen im Gang.

Nachdem er Keely auf das Bett gesetzt hatte, starrte Richard in das Antlitz, von dem er die ganze letzte Nacht geträumt hatte. Sie war noch anmutiger, als er sie in Erinnerung hatte – ihre Schönheit und Zerbrechlichkeit erinnerten ihn an einen seltenen exotischen Schmetterling.

Langsam erwachte Keely aus der Ohnmacht. Als sie die Augen aufschlug, blickte sie in die vor Lebendigkeit sprühenden Smaragdaugen des Grafen, in dessen Gesicht seine Sorge um sie geschrieben stand. Als Keely den besorgten Gesichtsausdruck Herzog Roberts sah, versuchte sie aufzustehen.

»Bleibt noch etwas liegen und ruht Euch aus«, warnte Richard sie und drückte sie sanft auf das Bett zurück.

Keely folgte seinem Rat.

»Habt Ihr Schmerzen?« fragte Lady Dawn sie, die sich zu ihr auf die Bettkante gesetzt hatte.

Keely schüttelte den Kopf, was schon wieder ihren Magen in Aufruhr versetzte. Schnell hielt sie sich die Hand vor den Mund.

»Habt Ihr etwas Falsches gegessen?« fragte Richard.

»Nein, Eure Anwesenheit im Gasthof gestern hat mir den Appetit verdorben.«

Seine smaragdenen Augen ließen nicht locker. »Und das Frühstück?«

»Ich hatte keines.«

»Kind, wann hast du das letzte Mal gegessen?« fragte Herzog Robert.

»Meine letzte Mahlzeit war das Abendessen vorgestern.«

»Du dummes Kind«, schüttelte Lady Dawn erleichtert den Kopf darüber, daß diese Krankheit so leicht zu heilen war.

Keely sah zu, wie die Gräfin durchs Zimmer ging, die Tür öffnete und nach Meade rief. Es dauerte nur wenige Minuten, schon war der Diener zur Stelle und nahm ihre mit leiser Stimme vorgetragenen Anweisungen entgegen. Augenblicklich eilte er von dannen, um ihnen nachzukommen.

»In Kürze wird es dir besser gehen, Liebes«, sprach der Herzog ihr Mut zu.

»Lady Dawn hat ein leichtes Mittagessen für Euch bestellt«, erklärte ihr der Graf.

»Anschließend schläfst du«, fügte der Herzog hinzu. »Du wirst dich bis morgen früh in diesem Bett ausruhen.«

Keely war klar, daß sich alle um sie bemühten, aber sie fühlte sich ganz und gar unwohl in ihrer Haut, wie sie so im Bett lag und der Graf sie mit seinen Augen verschlang. Ihr schien es, als sei er hungriger als sie.

»Ich begleite Euch nach draußen«, zog der Herzog die Aufmerksamkeit des Grafen auf sich.

Bevor er das Zimmer verließ, lächelte Richard Keely zu. »Ich bin sicher, bald fühlt Ihr Euch wieder besser.«

»Was wird aus meinen Cousins?« rief Keely den beiden hinterher, als sie an der Tür waren. »Odo und Hew brauchen mich.«

»Deine Cousins sind meine Gäste, so lange sie dies wünschen«, versicherte ihr der Herzog.

Keelys Blick glitt von ihrem Vater zum Grafen, dessen Gesichtsausdruck plötzlich schwer zu deuten war. Sie nickte kurz und ließ sich wieder in die Kissen sinken.

»Keely fehlt nichts. Sie ist nur ohnmächtig geworden, weil sie nichts im Magen hatte«, erklärte der Herzog Odo und Hew, die ihren Platz vor der Tür nicht verlassen hatten. »Kehrt zurück in den Saal. Meade wird euch eine Mahlzeit bringen und einen Stuhl an meinem Tisch zuweisen.«

»Vielen Dank, Euer Gnaden«, verbeugte sich Odo, ohne den Grafen aus den Augen zu lassen.

»Aye, das ist sehr freundlich von Euch«, fügte Hew hinzu, »vor allem wenn man bedenkt, daß Ihr Engländer seid ...«

Odo versetzte seinem Bruder einen Stoß und entschuldigte sich. »Er ist ein Dummkopf und weiß es nicht besser, Euer Gnaden.«

»Ich verstehe«, antwortete der Herzog und unterdrückte ein Lächeln, als die beiden Waliser von dannen eilten. Zu Richard gewandte erklärte er: »Ihr entschuldigt mich, Devereux? Ich würde gerne meiner Tochter Gesellschaft leisten, wenn sie ißt.«

Richard nickte und warf einen Blick zu der verschlossenen Schlafzimmertür. »Darf ich Euch um Erlaubnis bitten, Lady Keely meine Aufwartung zu machen?«

Schmunzelnd klopfte ihm der Herzog auf die Schulter. »Mir ging es genauso, als ich ihre Mutter das erstemal sah. Allerdings ist mir Euer Ruf zu Ohren gekommen, den Ihr bei den Damen genießt. Sind Eure Absichten ehrenwert, mein Junge?«

»Ich spiele nie mit unverheirateten Unschuldslämmern«, antwortete Richard. »Ich brauche einen Erben und muß heiraten. Und verwandtschaftliche Beziehungen zwischen den Talbots und den Devereux erscheinen mir durchaus wünschenswert.«

»Dann werdet Ihr wohl bald um meinen Segen für Eure Eheschließung bitten«, spaßte der Herzog, doch der Spaß war halb ernst gemeint.

»Dafür ist es noch zu früh.« Richard zog eine Augenbraue hoch. »Keely sah mir ins Gesicht und fiel in Ohnmacht, aber vielleicht gelingt es mir, die junge Dame von ihrer schlechten Meinung über mich abzubringen.«

Unvermittelt packte der Herzog den Grafen am Arm. »Ich warne Euch, Devereux. Falls Eure Absichten nicht durch und durch ehrenhaft sind, bin ich gezwungen, Euch zu töten.«

»Ich verstehe, Euer Gnaden.« Mit diesen Worten lief Richard den Korridor entlang und verschwand im Treppenhaus.

Was, zum Teufel soll ich nun machen? fragte sich der Herzog mit vor Reue wehem Herzen. Welches meiner drei geliebten Kinder soll ich zerstören?

Sein erstgeborenes Kind, das wunderbare Ergebnis der größten Liebe seines Lebens, hielt sich selbst für einen Bastard. Doch nur Herzog Robert wußte, daß er und Megan Glendower vor dem Gesetz Mann und Frau gewesen waren, auch wenn diese Eheschließung geheim war. Keely war seine legitime Erbin.

Und genau darin lag das Problem. Obwohl sich Herzog Robert danach sehnte, den Kummer der ersten achtzehn Jahre in Keelys Leben wettzumachen, konnte er den Gedanken nicht ertragen, seinen einzigen Sohn einen Bastard zu heißen.

Herzog Robert hielt die Schultern gerade und hob das Kinn. Henry war unschuldig, er konnte nichts für die Bigamie seines Vaters und sollte dafür auch nicht bestraft werden.

Seine wilde Entschlossenheit, alles für Keely zu tun, was in seiner Macht stand, war ihm ins Gesicht geschrieben. Er würde sie öffentlich anerkennen, sie am Hofe vorstellen und die bestmögliche Ehe für sie arrangieren. Keely verdiente einen Ehemann, der sie glücklich machte, und der reiche Graf von Basildon schien sich wegen ihrer angeblichen unehelichen Herkunft keine Gedanken zu machen.

Herzog Roberts Züge entspannten sich. Er würde alles tun, um diese Verbindung zu fördern. Mit der Hilfe der Gräfin von Cheshire würde er es schaffen, Richard und Keely zu verheiraten, bevor die Glocken das neue Jahr einläuteten.