Siebtes Kapitel

Am nächsten Morgen zeigte der Herbst sich von seiner heitersten Seite. Ein strahlend blauer Himmel berührte sanft den Horizont, und eine leichte Brise streichelte das Land – es versprach einer jener unglaublichen, vollkommenen Tage zu werden.

Keely schien von dem Paradies ringsum nichts zu bemerken. Sie nagte sorgenvoll an ihrer Unterlippe, als sie zwischen Herzog Robert und Lady Dawn saß. Ihr überdachtes Flußboot nahm gemächlich seinen Weg die Themse hinunter Richtung Hampton Court, das zwölf Meilen südwestlich von London gelegen war.

Wahrscheinlich hätte sie ihren ersten Ausflug auf dem Fluß genossen, hätten ihre düsteren Vorahnungen sie nicht blind gemacht für die idyllische Landschaft. Sie konnte es kaum fassen, daß sie auf der Themse unterwegs war, um die englische Königin zu treffen und um Erlaubnis zu bitten, diesen Ränke schmiedenden Grafen zu heiraten.

Richard Devereux war der letzte Mann auf der Welt, den Keely aus freien Stücken zu ihrem Ehemann genommen hätte. Sein markantes Gesicht und seine höfischen Umgangsformen gefielen ihr, aber für ihren Geschmack war er zu arrogant, zu glatt und viel zu englisch.

Sie würde sich weigern, in die Falle einer lieblosen Ehe zu tappen. Sie hatte schon eine ziemlich lieblose Kindheit hinter sich. Es mußte eine Möglichkeit geben, dieses Fiasko zu vermeiden. Wie konnte sie in Feindesland überleben, wenn sie mit einem Mann verheiratet war, der sie nicht liebte?

»Daß ich Euch an den Hof begleite, ist ebensowenig nötig wie die Hochzeit mit dem Grafen«, versuchte Keely es leise und warf ihrem Vater einen langen Seitenblick zu.

»Ich habe dir bereits mehrmals erklärt, daß die Königin dich möglicherweise zu sehen wünscht, bevor sie einer Verbindung zwischen dir und Devereux zustimmt«, entgegnete Herzog Robert gereizt. »Die Sache steht fest, ich möchte kein Wort mehr davon hören.«

Ach, warum verschließt er sich so jeglicher Vernunft? dachte Keely verbittert. Sie hatte sich stets nach einem Vater gesehnt, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wie anstrengend und anmaßend Väter sein konnten.

»Ihr habt achtzehn Jahre nichts mit meinem Leben zu tun gehabt«, erinnerte ihn Keely mit einem anklagenden Ton in der Stimme. »Wie könnt Ihr es wagen, einfach in mein Leben zu platzen und mich herumzukommandieren?«

»Ihr seid doch in sein Leben geplatzt«, verteidigte Lady Dawn den Herzog. »Englische Kinder gehorchen ihren Eltern.«

»Ich bin Waliserin«, bemerkte Keely schnippisch.

»Es reicht jetzt«, machte der Herzog dem Disput verärgert ein Ende. An Keely gewandt, fügte er hinzu: »Deine Cousins sind mit meiner Entscheidung einverstanden.«

»Ich möchte mich bei Euch entschuldigen«, erklärte Keely mit gesenktem Kopf. »Meine Angst verleitete mich zu solch respektlosem und unfreundlichem Verhalten.«

»Du brauchst keine Angst zu haben, es gibt nicht den geringsten Grund dafür«, versicherte ihr die Gräfin und tätschelte ihr die Hand.

Herzog Robert legte schützend den Arm um seine Tochter und zog sie an sich. »Chessy wird dir alles erklären, was eine Braut wissen muß, somit besteht kein Anlaß mehr, nervös zu sein.«

»Ich gehöre nicht hierher«, rief Keely und blickte, die Augen voller Tränen, hoch zu ihm. »Alle werden sie über mich lachen. Der Graf wird anfangen, mich zu hassen. Ich bin ein Niemand.«

»Die Heirat mit dem Grafen von Basildon wird dir Achtung verschaffen«, erklärte ihr Lady Dawn. »Die meisten Höflinge werden sogar um deine Gesellschaft buhlen.«

»Da wären wir«, mischte Herzog Robert sich ein, als ihr Boot am Kai anlegte.

Keely sah hoch. Vor ihr ragte Hampton Court auf, samt seinen Türmchen, Zinnen und Kaminen. Rundherum erstreckte sich schier endlos gepflegter Rasen mit Bäumen, Sträuchern und Hecken, so weit das Auge reichte.

»Das sieht mehr aus wie der Himmel als eine Residenz auf Erden«, murmelte Keely ehrfürchtig ob dieses Anblicks.

Herzog Robert schmunzelte. »Der alte König Heinrich liebte es, Eindruck zu schinden. Mit Hampton Court hat er sich ein Denkmal errichtet.«

In dem Palast ging es zu wie in einem Ameisenhaufen. Ständig klapperten Pferde durch den Hof. Handelsleute mit Karren voller Feldfrüchte und anderer Lebensmittel, Krämer mit Tuch- und Schmuckwaren und Edelleute mit ihren Familien kamen und gingen mit Hoffnung in den Augen oder enttäuschten Gesichtern.

Mit großen Augen betrachtete Keely diesen Trubel ringsum. Hampton Court war eine Welt für sich, ständig in Bewegung. Dieses Getümmel machte sie ganz schwindlig.

»Die Edelleute suchen hier die Macht«, erklärte Lady Dawn.

»Oder die Illusion davon«, fügte der Herzog hinzu.

Wie sie so zwischen den beiden ging und von ihrem Vater zur Gräfin blickte, dachte sich Keely: Das ist ihre Welt. Megan hätte nie hierher gepaßt. Und genausowenig paßte ihre Tochter hierher.

»Die Menschen kommen an den Hof, weil sie Reichtum suchen«, erklärte ihr die Gräfin.

»Oder die Aussicht darauf«, präzisierte der Herzog.

»Sie suchen Aufstiegsmöglichkeiten und Ruhm.«

»Und häufig werden sie in Schimpf und Schande vom Hof gejagt.«

Als sie den Palast betraten, geleitete Herzog Robert seine Damen durch ein Labyrinth von Korridoren und endlos langen Galerien. In blaue Livreen gekleidete Lakaien trugen Tabletts voll der erlesensten Köstlichkeiten. Eine ganze Heerschar von Dienstboten trug Unmengen von Feuerholz zu den Feuerstellen, wo bereits andere Dienstboten darauf warteten, um das Feuer in den Kaminen zu entfachen.

Als der Herzog Keely und Lady Dawn durch Hampton Court führte, riefen ihnen gesetzte Herren und ihre Damen freundlich Grußworte zu und hielten inne, um der jungen Schönheit nachzublicken, die den Herzog und die Gräfin begleitete. Die Neugier stand den Höflingen ins Gesicht geschrieben.

Fasziniert von den Höflingen und ihren Damen erwiderte Keely die neugierigen Blicke. Die Damen trugen Reifröcke unter ihren gewagt dekolletierten Kleidern und so viele Edelsteine, wie sie nur tragen konnten. Die Männer kamen in eng anliegenden Kniebundhosen und reich mit Spitzen verzierten Brokatwamsen daher. Die Knöpfe daran waren aus Juwelen. Sie trugen bunte Seidenstrümpfe, Hosenbänder mit goldenem Zierat und Lederschuhe mit eleganten Rosetten. Einige unter ihnen trugen sogar Ohrringe und hatten Rouge auf den Wangen.

»Ich fühle mich vollkommen fehl am Platze«, flüsterte Keely, die sich vorkam wie ein Sperling in einem Pfauenkäfig.

»Laßt Euch nicht verrückt machen, Teuerste. Neben einer natürlichen Schönheit wie der Euren verblaßt ihre künstliche Eleganz«, erklärte die Gräfin und nickte lächelnd ein paar Höflingen zu, an denen sie gerade vorbeigingen.

Als sie schließlich das Audienzzimmer erreicht hatten, wrang Keely nervös die Hände. »Und was geschieht nun?«

»Beruhigt Euch erst einmal«, schlug die Gräfin vor.

Die Zeit schien stehenzubleiben. Keely blickte den Gang hinunter und sah zwei ganz in schwarz gekleidete Männer, die auf sie zukamen. In ihrer düsteren Aufmachung wirkten sie hier so fehl am Platze, wie sie sich fühlte. Sie nahmen sich wie zwei Falken in einer Voliere voller Kanarienvögel aus.

Zu ihrer Verblüffung stellte Keely fest, daß der größere der beiden Männer Richard Devereux war. Seine beiden Veilchen paßten hervorragend zu seiner schwarzen Aufmachung. Obwohl sie sich weigerte, ihm seine Winkelzüge zu vergeben, zog sich ihr beim Anblick seines lädierten Gesichts das Herz zusammen. Sie war es nicht wert, was er ihretwegen ausgestanden hatte. Es kribbelte ihr in den Fingern, seine Wunden zu berühren und seinen Schmerz mit ihrem Zauber zu lindern.

Als die beiden Männer sie erreicht hatten, senkte Keely betreten den Blick. Daß sie sich im klaren war, wer vor ihr stand, war an dem verräterischen Rot ihrer Wangen offensichtlich.

»Guten Morgen, Euer Gnaden«, begrüßte Richard sie.

»Basildon«, nickte Herzog Robert, »Burghley.«

»Meine liebe Gräfin«, wandte Richard sich Lady Dawn zu und beugte sich über ihre Hand. Anschließend küßte er Keely die Hand und meinte lächelnd: »Das frühe Aufstehen bekommt Eurer Schönheit, Teuerste.«

Seinem Begleiter, einem Edelmann in mittleren Jahren, erklärte er ohne einen Anflug von Scham: »Lord Burghley, darf ich Euch Lady Keely Glendower vorstellen, die natürliche Tochter Ludlows und – wie ich hoffe – meine zukünftige Gemahlin.«

Der Graf schämte sich nicht im geringsten wegen ihrer Herkunft, aber Keely wäre am liebsten im Erdboden versunken. Sie wagte es nicht, den Blick zu heben, und machte einen Hofknicks.

»Guten Morgen, junge Dame«, begrüßte sie Burghley und musterte sie bewundernd. Ihm schien zu gefallen, was er vor sich sah. Er nickte den Wachen vor dem Audienzzimmer zu und verschwand hinter der schweren Eichentür. Die vier blieben zurück auf dem Gang und warteten auf ein Zeichen der Königin.

Keely fühlte sich unwohl in ihrer Haut. Sie spürte den Blick des Grafen auf sich ruhen, schloß die Augen und flehte, an die Wand gelehnt, zur Muttergöttin, der Graf möge bald wieder gesund werden. Dabei bewegte sie stumm die Lippen.

»Betest du, die Königin möge mein Gesuch ablehnen?« erkundigte sich Richard.

Keely öffnete die Augen. »Mylord, ich bete für Eure Gesundheit.«

Über dieses Geständnis mußte Richard schmunzeln. »Du siehst heute besonders bezaubernd aus. Dein rosa Kleid unterstreicht deine mädchenhaft geröteten Wangen.«

Bevor Keely antworten konnte, öffnete sich die Tür zum Audienzzimmer. Graf Burghley bat Herzog Robert und Richard in das Zimmer, Lady Dawn und Keely mußten weiter auf dem Gang warten.

»Beruhigt Euch, Teuerste«, sagte die Gräfin. »Ihr seid die perfekte Frau für Devereux.«

»Warum sagt Ihr das?«

»Die Heirat mit Euch verschafft ihm die drei Dinge, die er sich am sehnlichsten wünscht: Euch, eine verwandtschaftliche Beziehung mit Eurem Vater und eine Reise nach Irland.«

»Was habe ich mit Irland zu schaffen?« fragte Keely verwundert.

»Devereux darf erst seinen Pflichten in Irland nachkommen, wenn er einen Erben gezeugt hat.«

Mit dieser Erklärung traf die Gräfin einen empfindlichen Nerv bei Keely. Benutzt zu werden, um einen Stammfolger zu zeugen, das roch sehr nach Madoc Lloyd, der ihre Mutter ins Grab gebracht hatte mit unzähligen Schwangerschaften, die sie nicht austragen konnte.

»Der Graf ist ein gutaussehender Mann«, entgegnete Keely. »Dutzende von Frauen wären froh, ihn zu heiraten und ihm einen Sohn zu schenken.«

»Diese Dutzende von Frauen sind aber nicht Keely Glendower.«

Darauf schwieg Keely. Die Gräfin war eine warmherzige Frau, aber sie dachte nicht gerade logisch. Ein Bastard hatte Englands erstem Grafen nichts zu bieten außer seinem Körper.

»Jetzt wird‘s schwierig«, verkündete Lady Dawn.

Keely folgte dem Blick der Gräfin und sah zwei junge Frauen auf sie zueilen.

»Lady Jane ist zwar verheiratet, aber sie sehnt sich nach dem Bettgeflüster des Grafen«, raunte die Gräfin Keely ins Ohr. »Lady Sarah, das ist die Blondine, will Devereux vor den Altar zerren.«

Die zwei elegant gekleideten Damen begrüßten die Gräfin ehrerbietig und musterten Keely neugierig aus den Augenwinkeln.

»Wir dachten, wir hätten Burghley und Basildon gesehen«, meinte Lady Jane.

»Wißt Ihr, wo die beiden sich aufhalten?« fragte Lady Sarah. »Wir müssen mit dem Grafen etwas Wichtiges besprechen.«

»Da bin ich mir ganz sicher«, flötete Lady Dawn, »aber die beiden sind gerade bei der Königin. In diesem Augenblick holt der Graf die Erlaubnis ein, die Tochter des Herzogs von Ludlow zu heiraten.«

Lady Jane störte das nicht im geringsten, doch Lady Sarah konnte ihre Enttäuschung nicht verbergen. »Was für ein Glück Morgana doch hat«, meinte sie niedergeschlagen.

»Nicht Morgana, meine Teuersten. Der Graf strebt eine Verbindung mit der anderen Tochter des Herzogs an«, erklärte ihnen die Gräfin, die die Situation sichtlich genoß. »Darf ich Euch Lady Keely Glendower vorstellen, die älteste und hübscheste Tochter des Herzogs.«

Verlegen, aber stolz lächelte Keely. An ihrem entsetzten Ausdruck konnte Keely ihre Gedanken ablesen: ein Bastard.

»Glückwunsch«, erklärte Lady Sarah.

»Auch ich möchte Euch beglückwünschen«, fügte Lady Jane mit einem abschätzenden Blick auf die neue Rivalin hinzu.

Ohne ein weiteres Wort entschwebten die beiden Damen. Sie wollten so schnell wie möglich die Neuigkeit verbreiten, daß Englands begehrtester Junggeselle einen herzoglichen Bastard heiraten wollte.

»Einen Rat noch, meine Teuerste«, meinte Lady Dawn, als sei den beiden hinterherblickte. »Freunde kommen und gehen am Hofe, aber Feinde neigen dazu, immer mehr zu werden. Vertraut niemandem außer Eurem Ehemann und Eurer Familie.«

Während die Gräfin draußen ihre Erkenntnisse über das Leben am Hofe weitergab, erhitzten sich im Audienzzimmer der Königin zusehends die Gemüter. Irritiert über die Aufgebrachtheit ihres herzoglichen Favoriten, warf Königin Elisabeth diesem wütende Blicke zu, während Graf Burghley, der vertrauenswürdigste unter ihren Ministern, entsetzt über die ganze schmutzige Affäre nur den Kopf schüttelte. Allein Richard wirkte gelassen, wenn auch entsetzlich zugerichtet.

»Entweder Devereux heiratet sie«, tobte Herzog Robert, »oder ich sehe mich gezwungen, ihn zu töten.«

»Erspart mir Euer Theater, Ludlow«, schnitt ihm die Königin das Wort ab. »Drängendere Sorgen als der beschädigte Ruf Eures Bastards erfordern hier meine Aufmerksamkeit.«

Bei dieser königlichen Zurechtweisung kniff der Herzog von Ludlow die Lippen zusammen.

»Basildon stimmt der Verbindung zu«, fuhr Elisabeth fort, »aber ich wünsche, die Kleine zuvor zu sehen.«

»Keely wartet mit Lady Dawn auf dem Gang«, erklärte der Herzog.

»Und was hat Cheshire mit dieser mißlichen Sache zu schaffen?« wollte die Königin wissen.

Herzog Robert errötete. »Als Keely ankam, weilte die Gräfin zufällig zu Besuch und bot sich an, Keely mit Rat und Tat am Hofe zu unterstützen.«

»Wie außerordentlich gütig von ihr«, bemerkte Elisabeth trocken. »Sagt Cheshire, sie möge dieser Unterredung hier beiwohnen.«

Herzog Robert verbeugte sich und ging gesetzten Schrittes den ungemein langen Saal hindurch bis zur Tür. Dort angekommen, bat er die beiden herein. Lächelnd legte die Gräfin von Cheshire, ihr zitterndes Mündel an der Hand, den langen Weg zur Königin zurück. Die vor Angst kreidebleiche Keely und die Gräfin machten einen Hofknicks, sobald sie die Königin erreicht hatten.

»Erhebt Euch«, forderte Elisabeth sie auf.

Keely hob die Augen und wurde schier geblendet von der strahlenden Königin vor ihr. Elisabeths rotgoldenes Haar leuchtete wie die untergehende Sonne, und ihre scharfen grauen Augen erinnerten an den Morgendunst. Sie trug ein leuchtend gelbes Kleid und ein Vermögen an Diamanten und Perlen.

»Ohne Zweifel sieht sie Euch ähnlich«, bemerkte Elisabeth an den Herzog gewandt. Zu Keely sagte sie: »Was habt Ihr zu Eurer Verteidigung vorzubringen, Kind?«

Keely brachte keinen Ton heraus. Wie sprach ein bloßer Sterblicher mit einer Göttin?

»Nun sprich«, fuhr Elisabeth sie an.

Der scharfe Ton erschreckte Keely. Am ganzen Körper zitternd, stand sie da, die wunderbaren veilchenblauen Augen weit aufgerissen.

»Ich ... ich fühle mich geehrt, vor Eure Majestät treten zu dürfen und bedaure nur den unerfreulichen Anlaß und den Ärger, den dies für Euch bedeutet«, erklärte Keely mit bebender Stimme. »Ich weiß, Ihr habt wichtige Staatsangelegenheiten zu besprechen, und ich entschuldige mich dafür, Euch Eure wertvolle Zeit zu rauben.«

»Die Kleine mag ein walisischer Bastard sein«, bemerkte Elisabeth zum Herzog gewandt, »aber sie hat Euren Instinkt für den Umgang am Hofe geerbt.« Dann richtete sie ihre blaugrauen Augen wieder auf Keely und ermahnte sie: »Kind, faßt Euch kurz und sagt die Wahrheit. Hat mein lieber Midas Euch in eine kompromittierende Lage gebracht?«

»Eure Majestät, ich räume freimütig ein, daß Seine Gnaden seine Tochter und mich im Bett entdeckte«, ergriff Richard das Wort. »Ich bin bereit, sie zu heiraten.«

In der Anwesenheit der Königin war Keely sogar zu aufgeregt, den Kopf zu drehen. Sie musterte den Grafen aus den Augenwinkeln. Seine unverblümten Worte trieben ihr die Schamesröte ins Gesicht. Es war schlimm genug, daß er ihr die Unschuld geraubt hatte, aber wie konnte er es wagen, ihre gemeinsame Schande auch noch vor der Königin von England hinauszuposaunen?«

»Ihr großtuerischer Schürzenjäger!« rief Elisabeth. »Ich sollte Euch einen Kopf kürzer machen dafür, daß Ihr dieses Unschuldslamm zu verderben trachtetet.«

Zutiefst erschrocken, wollte Keely gerade den Mund auftun, um der Königin laut Einhalt zu gebieten, aber Herzog Robert war schneller. Blitzschnell legte er ihr die Hand auf den Mund und bedeutete ihr, still zu sein.

»Ich werde den Rest des Oktobers hier verbringen«, erklärte die Königin. »Ihr werdet Euch beide am zehnten November hier in Hampton Court wieder einfinden, wo Ihr Euch in der Königlichen Kapelle vermählen werdet. Damit diese absurde Angelegenheit ein für allemal ein Ende findet.« An den Herzog gewandt, fragte sie: »Und Eure andere Tochter?«

»Morgana hat eine ganze Liste möglicher ...«

»Verheiratet die Kleine mit wem Ihr wollt – außer einem der Darnley-Cousins«, unterbrach ihn die Königin und erhob sich von ihrem Thron.

Herzog Robert fiel auf ein Knie. »Ich habe noch eine letzte Bitte.«

Elisabeths graue Augen musterten ihn streng. »Ihr strapaziert Euer Glück, Ludlow.«

Der Herzog wirkte nur noch entschlossener. Seine veilchenblauen Augen wichen ihrem Blick nicht aus.

»Na, dann heraus damit«, fuhr Elisabeth ihn an. »Worum handelt es sich?«

»Ich bitte Euch um Erlaubnis, die Gräfin von Cheshire heiraten zu dürfen«, erklärte Herzog Robert mit fester Stimme. »Das heißt, sobald Keely sie nicht mehr braucht.«

»Cheshire hat bereits drei Ehemänner ins Grab gebracht«, antwortete Elisabeth, »aber es kümmert mich nicht, und wenn Ihr die letzte Küchenmagd vor den Altar führt. Von diesem ganzen Heiratswahn hier bekomme ich noch Kopfschmerzen.« Mit diesen Abschiedsworten stürmte sie aus dem Zimmer.

»Allesamt Narren, nur das Bett im Kopf«, murmelte Burghley und ließ seinen Blick voller Ekel über sie streichen, bevor er der Königin hinterhereilte.

»Ich besuche Sie heute nachmittag in Talbot House, um den Vertrag auszuhandeln«, erklärte Richard dem Herzog. Er lächelte Keely zu, küßte ihr die Hand und eilte zur Tür hinaus.

Keely war noch zu benommen von dem, was sich soeben abgespielt hatte, um wütend zu werden. Daher konzentrierte sie sich zunächst auf Nebensächlichkeiten. Beim Verlassen des Audienzzimmers fragte sie die Gräfin: »Warum nannte die Königin den Grafen Midas?«

»Das ist der Spitzname, den sie ihm gegeben hat«, antwortete Lady Dawn.

»Aber was bedeutet es?«

»Midas war ein legendärer König, bei dessen Berührung alles zu Gold wurde«, erklärte Herzog Robert. »Und auch der Graf besitzt eine goldene Hand bei seinen geschäftlichen Unternehmungen.«

»Schenke dem König mit der Flammenkrone und der goldenen Hand dein Vertrauen ...«

Megans Prophezeiung fiel ihr wieder ein, und diese Deutung traf sie wie ein Schlag. Hatte ihre Mutter in ihren Visionen den Grafen gesehen? War tatsächlich er der Mann, dem sie ihr Vertrauen schenken sollte? Wie konnte sie jemals sicher sein?

»Mylady?« flüsterte eine Frauenstimme.

»Richard sagte, ihr Name sei Keely«, erklärte eine andere Frauenstimme.

»Lady Keely, es ist Zeit aufzuwachen«, drängte die erste Stimme etwas lauter. »Unter einer Eiche zu schlafen, ist überhaupt nicht angebracht.«

Als sie langsam aus den Tiefen ihres Unterbewußten an die Oberfläche tauchte, war Keely, als riefen die Stimmen sie von weit weg.

Träumte sie?

»Sie wacht nicht auf«, meinte die erste Stimme.

»Was sollen wir bloß tun?« fragte die zweite.

»Gib ihr einen Schubs.«

»Aber wenn sie nun tot ist?« flüsterte die zweite Stimme entsetzt. »Autsch, deshalb mußt du mich nicht kneifen!«

»Sie ist nicht tot, du Hohlkopf«, erklärte die erste Stimme, ihrer Sache sicher. »Vielleicht sollten wir gleichzeitig ihren Namen rufen.«

»Lady Keely«, riefen beide wie aus einem Mund. »Wacht auf!«

Keely schoß in die Höhe. Die zwei jungen Frauen sprangen erschrocken zurück und schrien entsetzt. Verwirrt blickte Keely in ihre lächelnden Gesichter, dann sah sie sich um. Sie saß noch immer im Gras unter ihrer Lieblingseiche im Garten ihres Vaters.

Keely rieb sich die Augen und blickte noch einmal zu den beiden Frauen. Bei den heiligen Steinen! Das war zweimal dieselbe Frau. Irgend etwas stimmte hier nicht. Sie sah noch einmal genauer hin. Zwillinge.

Zwei brünette Mädchen mit braunen Augen, die wohl ein oder zwei Jahre jünger waren als sie. Die Zwillinge glichen sich wie ein Ei dem anderen, der einzige Unterschied war ein winziges Muttermal, das eines der beiden Mädchen oberhalb ihrer Oberlippe hatte.

»Wer seid Ihr?« fragte Keely.

»Ich bin May«, antwortete das Mädchen mit dem Muttermal.

»Und ich bin June«, sagte die andere lächelnd.

Das half Keely nicht viel weiter. »Was macht Ihr hier?« versuchte sie es noch einmal.

May und June sahen einander an und kicherten.

»Wir sind Verwandte von Richard«, erklärte ihr May.

»Des Grafen von Basildon«, verbesserte ihre Schwester sie.

May warf June einen vorwurfsvollen Blick zu, bevor sie sich wieder Keely zuwandte. »Richard, das heißt, der Graf, lud uns ein, Eure Kammerzofe zu sein.«

»Kammerzofen«, verbesserte June ihre Schwester erneut.

May versetzte ihrer Schwester einen Klaps auf den Arm.

Keely prustete los. Ihr ständiges Gezänk erinnerte sie an Odo und Hew, die ebenfalls dauernd miteinander im Streit zu liegen schienen.

»Ich brauche keine Kammerzofen«, erklärte sie ihnen.

»Wenn Ihr uns nicht braucht, kommen wir im Leben nie weiter«, jammerte June enttäuscht.

»Wir waren so glücklich, als wir für diese Aufgabe ausgewählt wurden«, fügte May hinzu.

»Unsere Schwester Spring ...«

»... nach dem Frühling benannt, weil sie am 12. März geboren wurde«, warf June ein.

«... ist Lady Brigettes Kammerzofe«, führte May den Satz zu Ende.

»Wer ist Lady Brigette?« fragte Keely.

»Richards Schwester«, antworteten die Schwestern im Chor.

»Unsere Schwester April war Lady Heathers Kammerzofe«, fuhr June fort.

»Ist Lady Heather auch Richards Schwester?« erkundigte sich Keely.

»Ja«, riefen beide wie aus einem Munde.

»Wir hofften so sehr, Eure Kammerzofen sein zu dürfen«, erklärte May mit dem traurigsten Gesicht der Welt.

Keely unterdrückte ihr Lachen. Sogar nach walisischen Maßstäben waren diese Frauen erfrischend frei heraus. Gegen die Eiche gelehnt, musterte Keely sie. »Vier Schwestern, die Spring, April, May und June heißen?«

»Unsere Mutter nannte April nach dem Monat, in dem sie geboren wurde«, antwortete May.

»Und Euch?« fragte Keely.

»Uns ebenfalls«, entgegnete June.

»Aber Ihr seid Zwillinge!« rief Keely.

Die beiden kicherten und antworteten:

»Ich wurde am letzten Tag im Mai geboren.«

»Und ich am ersten Tag im Juni.«

Keely lächelte den beiden ungewöhnlichen Schwestern zu. »Von woher kommt Ihr?«

»Von nebenan«, antworteten sie im Chor.

Keely schmunzelte. Ihre gute Laune war wirklich ansteckend.

»Na gut«, gab Keely sich geschlagen. »Ihr könnt meine Kammerzofen sein.«

Die zwei Schwestern jubelten erleichtert, fielen sich in die Arme und sprangen vor Freude in die Luft. Nachdem sie sich etwas beruhigt hatten, blickten sie verstohlen zu ihrer neuen Herrin und lächelten verlegen.

»Vergebt unseren Gefühlsausbruch«, entschuldigte June sich.

»Wir werden Euch die denkbar beste Kammerzofe sein«, versprach May.

»Kammerzofen«, verbesserte June sie.

May kniff ihre Schwester.

»Da ist sie«, war eine Männerstimme zu vernehmen.

Keely blickte über den Rasen und winkte Odo und Hew zu. »Meine Cousins«, stellte sie die beiden den Zwillingen vor, die offenen Mundes die attraktiven Hünen bewunderten, die geradewegs auf sie zumarschierten.

»Wir haben die frohe Botschaft von deiner Verlobung vernommen«, begrüßte Odo sie, ohne die beiden Schwestern eines Blickes zu würdigen.

»Warum hast du es uns nicht selbst erzählt?« wollte Hew wissen, der offensichtlich gekränkt war.

Keely erhob sich vom Boden und streifte kurz über ihr Kleid, um den Schmutz zu entfernen. Anschließend lehnte sie sich gegen die Eiche. »Ich brauchte etwas Zeit für mich, um über alles nachzudenken.«

»Warum war das nötig?« fragte Hew, dem das tatsächlich ein Rätsel zu sein schien.

Odo versetzte seinem Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf. »Du hirnverbrannter Idiot«, schimpfte er ihn aus. »Das Mädchen mußte über die Heirat mit dem Grafen nachdenken.«

May schaute Odo finster an und ging zu Hew. Sie legte ihm die Hand auf den Hinterkopf und fragte ihn eifrig um sein Wohl bemüht: »Hat er Euch verletzt?«

Hew lächelte, und das Strahlen seiner Augen war unmißverständlich, als er ihr antwortete: »Es geht mir sofort besser, wenn Ihr mich streichelt.«

Odo behagte es nicht, daß seinem Bruder soviel Aufmerksamkeit zuteil wurde. Eifersüchtig blickte er zu June, die ihn bewundernd anlächelte, worauf sich seine Laune schlagartig verbesserte und er zurücklächelte.

»Ihr seid sehr stark«, staunte sie.

Odo grinste breit, rollte seine Ärmel hoch und ballte die rechte Hand zur Faust. Er legte sie an die Stirn und ließ die riesigen Muskeln in seinem Oberarm tanzen.

Keely und June klatschten begeistert Beifall.

Da wollte Hew nicht hintanstehen und rollte ebenfalls die Ärmel hoch. Aber er ballte beide Fäuste und ließ beide Muskeln tanzen. Alle drei Frauen applaudierten anerkennend.

»Ich kann meine Nase mit der Zungenspitze berühren«, prahlte Odo.

»Ich kann mit den Ohren wackeln und meine Nase mit der Zungenspitze berühren«, tönte es hinter ihnen großspurig. »Und zwar gleichzeitig.«

Beim Klang dieser Stimme drehte Keely sich um. Da stand, die Hände in die Hüften gestemmt, Richard.

»Zeigt Odo und Hew Devereux House«, bat er die beiden Mädchen, May und June. »Stellt sie meinen Leuten vor.«

Auf Keelys Nicken hin folgten Odo und Hew den Zwillingen den Weg hinunter, der zur Residenz des Grafen führte. Ihnen nachblickend, bemerkte Keely: »Meine Cousins sind Soldaten, keine Dienstboten.«

»Nach der Vorstellung zu urteilen, die ich soeben erleben durfte«, parierte Richard, »benehmen sie sich im Vergleich mit den mir bekannten Soldaten sehr ungewöhnlich.«

Keely warf ihm einen langen Seitenblick zu, und zu ihrer Bestürzung lehnte sich der Graf neben sie an den Baum. »Sie bezwangen Euch in Shropshire«, erinnerte sie ihn.

»Ich hätte Hew geschlagen«, entgegnete der Graf, »aber es waren zwei gegen einen.«

»Ein Beweis Eurer Männlichkeit«, antwortete Keely und bedauerte sogleich die Wahl ihrer Worte.

Richard rückte gefährlich nahe, so nahe, daß sie seinen warmen Atem auf ihrer Wange spürte, als er ihr mit belegter Stimme zuraunte: »In weniger als einem Monat, Mylady, werdet Ihr das volle Gewicht meiner Männlichkeit spüren.«

Keely wurde vom Scheitel bis zur Sohle glühend rot, aber ansonsten vermied sie es, ihn merken zu lassen, wie gefährlich er ihr mit seiner Sinnlichkeit wurde. »Laßt Euch nicht von der geringen Intelligenz meiner Cousins in die Irre führen«, warnte sie ihn. »Odo und Hew kommen immer durch. Meine Cousins sind so gut wie unbesiegbar, solange sie die Anweisungen eines anderen befolgen.«

»Vielleicht schließen sie sich mir an, wenn wir einmal verheiratet sind«, antwortete Richard. »Ich habe immer Verwendung für gute Männer.«

Keely zog eine ebenholzschwarze Augenbraue in die Höhe, eine perfekte Imitation seiner irritierenden Angewohnheit, und sagte: »Odo und Hew sind meine Getreuen.«

»In England halten Frauen keine Soldaten«, teilte er ihr mit.

»Dann führe ich eben eine neue Mode ein«, neckte sie ihn. Der Augenaufschlag, der diesen Scherz begleitete, war zwar unbewußt, aber nichtsdestotrotz umwerfend. »Das ist nicht ungewöhnlicher als der bemerkenswerte Anblick dieser Höflinge, die sich Rouge auflegen.«

Richard schmunzelte. »Möchtest du meine Muskeln tanzen sehen?«

Keely kämpfte gegen ein Lächeln an, aber sie verlor den Kampf. Sie lehnte sich an die Eiche und sah ihn an. Sie konnte sich nur wundern, wie unglaublich attraktiv er war – und wie trickreich.

Der Drang, sich in seine Arme zu werfen und seinen Mund mit Küssen zu bedecken, war überwältigend. Doch Keely hielt ihm stand. Mit einem leicht kritischen Ton in der Stimme fragte Keely ihn: »Und wie geht es heute Eurem verletzten Knöchel? Dürfen wir auf eine Wunderheilung über Nacht hoffen?«

Richard grinste verschmitzt. Sein Lächeln brachte sie zum Schmelzen. Er rückte näher, so nahe, daß seine Lippen nur noch eine Handbreit von den ihren entfernt waren, und raunte ihr ins Ohr: »Es tut mir leid, Schatz. Ich wollte einfach wieder bei dir sein, aber sobald du dich zu mir aufs Bett setztest, verlor ich die Kontrolle. Ich dachte nicht im geringsten daran, daß dein Vater in mein Schlafzimmer platzen könnte. Verzeihst du mir?«

Keely seufzte und blickte zur Seite. Was blieb ihr anderes übrig, als ihm zu verzeihen? Die Würfel waren gefallen, und wie auch immer es ausgehen würde, am zehnten November würde sie seine Frau werden. Ohne ihn anzusehen, nickte sie und nahm seine Entschuldigung an.

»Besiegeln wir doch diese Versöhnung mit einem Kuß«, schlug er vor.

Keely schoß herum. »Daß Ihr mir die Unschuld geraubt habt, gibt Euch noch lange nicht das Recht, Euch Freiheiten herauszunehmen.«

Ihr die Unschuld geraubt? fragte sich Richard erstaunt, als er ihr in das entschlossene Gesicht blickte – das ein wunderschönes entschlossenes Gesicht war. Glaubte sie wirklich, das, was sich zwischen ihnen abgespielt hatte, reiche aus, ihr die Unschuld zu rauben? Ach, was für ein ahnungsloses kleines Ding sie doch war!

»Wie ich bereits meinen Cousins erklärte«, sagte Keely, »setzte ich mich unter diese Eiche, um Frieden zu finden. Und schon stürzte die ganze Welt auf mich ein.«

»Sitzen?« neckte Richard sie. »Neulich hast du diesen Baum geküßt. Übrigens hast du mir noch gar nicht erzählt, was das für ein Spiel war, das du mit deinen Cousins hier spieltest.«

Keely wurde puterrot. Wieviel er wohl gesehen hatte? Offensichtlich genug, daß er sich darüber Gedanken machte. Was der Graf täte, wenn er erführe, daß er eine Druidin geheiratet hatte?

»Küßt du meine Eiche, damit sie uns Glück bringt?« fragte Richard sie mit belustigt funkelnden Augen.

»Das klingt schlüpfrig. Außerdem können heute nur Grafen die Eiche küssen.«

»Ich küsse lieber dich.«

»Mir wäre es lieber, Ihr unterließet das«, entgegnete Keely und hielt sich ihn mit einer Hand vom Leib. Dann fragte sie ihn: »Ich brauche keine Kammerzofe. Warum, um Himmels willen, habt Ihr mir zwei geschickt?«

»Die Gräfin von Basildon braucht eine Kammerzofe«, erklärte Richard ihr. »Außerdem mag ich May und June sehr gerne. Ich hätte nicht eine fragen können, ohne die andere zu verletzen. Daher wirst du, um des familiären Friedens willen, mit zwei auskommen müssen.«

Keely nickte. Sie bewunderte seine Loyalität seiner Familie gegenüber. Doch dann verdüsterte sich ihr Blick. »Ihr seid im Begriff, einen tragischen Fehler zu begehen«, warnte sie ihn verzagt. »Eine Heirat zwischen uns wird in einer Katastrophe enden.«

»Warum sagst du das?«

»Weil ich es glaube«, antwortete Keely und blickte ihn mit ihren veilchenblauen Augen verständnisheischend an. »Falls Ihr es nicht bemerkt haben solltet, ich bin anders als Lady Jane und Lady Sarah und wie sie alle heißen.«

»Das habe ich bemerkt.« Richard stützte sich links und rechts von ihrem Kopf am Baumstamm ab, während sie sich noch fester gegen die Eiche lehnte. Das Gesicht dicht über ihrem fügte Richard hinzu: »Es sind nicht diese Frauen, die ich begehre, sonst hätte ich eine von ihnen geheiratet.«

Seine Nähe und sein frischer männlicher Geruch betörten sie. Keely konnte ihn mit jeder zum Zerreißen gespannten Faser ihres Körpers spüren. Sie war sich vollkommen sicher, daß ihm unmöglich entgehen konnte, wie ihr Herz raste.

Bei den heiligen Steinen! dachte sie. Wie konnte sie den Rest ihres Lebens mit diesen Gefühlswallungen verbringen! In einer Woche war sie zweifelsohne tot.

»Ich ... ich habe Geheimnisse«, versuchte Keely ihn zu entmutigen. »Die ich mit niemandem teilen kann.«

»Dunkle Geheimnisse?« neckte er sie und strich mit einem Finger über ihre seidenweiche Wange. »Schönste, dein Herz ist so rein und so leicht zu lesen wie ein offenes Buch. Außerdem habe ich eine Schwäche für ebenholzschwarzes Haar und veilchenblaue Augen.«

»Dann heiratet doch Seine Gnaden«, entgegnete sie schnippisch. Er war einfach zu leichtsinnig. Ach, warum schob er ihre Warnung so zur Seite? Als Mann von Welt sollte der Graf wissen, daß die äußere Erscheinung oft täuschte.

Plötzlich verspürte sie einen ungewohnten Stich. Sie war eifersüchtig, ohne sich darüber im klaren zu sein. Ohne seinem Blick auszuweichen, fragte sie ihn: »Und wofür hattet Ihr eine Schwäche, bevor Ihr ebenholzschwarzes Haar und veilchenblaue Augen entdecktet?«

Richard lächelte lässig. »Blond-, braun- und rothaarige Mädchen.«

»Es ist genauso, wie ich es vermutet hatte«, erklärte Keely. »Mein hochwohlgeborener Herr, Ihr habt vor allem eine Schwäche dafür, Euren Kopf durchzusetzen.«

Richard runzelte die Stirn ob dieses harschen Tons.

»Habt Ihr Schmerzen?« fragte sie ihn erschreckt. »Ich kenne Mittel und Wege, Schmerzen zu lindern.«

Obwohl er bisher diesen Weg noch nicht eingeschlagen hatte, wußte er, daß auch Mitleid zum Herzen einer Frau führen konnte. »Hier ist ein leicht pochender Schmerz«, log er.

»Schließt die Augen.« Keely kam gefährlich nah an ihn heran und berührte mit den Handflächen seine Schläfen. Um die nötige Konzentration zu finden, schloß sie selbst die Augen; ihre Lippen bewegten sich stumm zu einem Gebet.

Ohne Vorwarnung war Richards Mund auf ihrem. Seine Arme umschlangen sie und drückten sie an seinen muskulösen Körper.

Keelys Herz tat einen Sprung. Mechanisch legte sie die Arme um seinen Hals und ergab sich den warmen, fordernden Liebkosungen seiner Lippen.

Und dann war es so schnell und unerwartet vorbei, wie es angefangen hatte. Als Keely die Augen aufschlug, blickte sie in sein zufrieden grinsendes Gesicht.

»Ich habe Euch ausdrücklich gebeten, mich nicht zu küssen.« Es war ihr peinlich, wie schnell sie seinem Angriff erlegen war.

Richard schmunzelte wissend. »Das ist deine eigene Schuld, Schatz, du bist zu unwiderstehlich.«

»Nun, diesmal will ich Euch vergeben.« Keely war klar, daß sie sich nicht allzusehr gewehrt hatte.

»Würdest du mich zu deinem Vater begleiten?« fragte Richard sie.

Keely blickte von seinen smaragdgrünen Augen zu der ausgestreckten Hand. Sie hatte das Gefühl, diese Frage sei symbolisch und von größerer Bedeutung, als seine unbefangen klingende Stimme erahnen ließ. Der Graf bat sie um etwas, das sie ihm unmöglich verweigern konnte.

Keely legte ihre Hand in die seine. Seine Finger legten sich um die ihren, hielten sie auf eine angenehme Weise gefangen. Hand in Hand spazierten sie über den Rasen zur Residenz der Talbots.

»Ich denke, Seine Gnaden erwartet Euch im Studierzimmer«, erklärte Keely, als sie das Foyer betraten.

Richard lächelte und küßte ihr die Hand. »Bis heute Abend, meine Schönste.« Er wollte gerade den Gang entlanggehen, als ihre Stimme ihn innehalten ließ.

»Mylord?«

Richard drehte sich um.

Keely lächelte schelmisch. »Könnt Ihr wirklich gleichzeitig mit den Ohren wackeln und Eure Nase mit der Zunge berühren?«

»Unter anderem«, zwinkerte Richard ihr zu. »In unserer Hochzeitsnacht gebe ich dir eine Vorstellung.«

Stunden später stand Keely vor dem Pfeilerspiegel im Zimmer ihres Vaters und betrachtete ihr Spiegelbild. Die Verlobung war ein Meilenstein im Leben jeder Frau. Und obwohl Keely überzeugt davon war, geradewegs in eine Katastrophe zu laufen, wollte sie bei dieser außergewöhnlichen Gelegenheit für den Grafen so gut wie möglich aussehen.

Ihr Kleid aus violettem Samt, der die Farbe ihrer Augen unterstrich, hatte einen gerade geschnittenen, tiefen Ausschnitt und ein enges Mieder. Auf ihrem Hals funkelte das Erbstück ihrer Mutter, der juwelenbesetzte Drachenanhänger. Keely wollte ohne große Worte stolz zu ihrer walisischen Herkunft stehen, daher hatte sie ihr ebenholzschwarzes Haar gebürstet, bis es Funken sprühte, und trug es nun in der Tracht der Heiden offen bis zur Taille.

Keely wandte den Blick vom Pfeilerspiegel, verweilte aber noch im Zimmer. Nervös wie sie war, fürchtete sie den Augenblick, in dem sie ihr Leben und ihr Wohlergehen in die Hände des Grafen legte. Sie schloß die Augen und holte mehrmals tief Luft, doch vor ihrem geistigen Auge tauchte immer wieder das umwerfende Lächeln des Grafen auf.

Im Innersten ihres Herzens wußte Keely, daß sie sofort seinem Charme erliegen würde. Ihre einzige Hoffnung war, daß es sie nicht zu sehr verletzte, wenn seine Faszination mit der Außenseiterin nachzulassen begann, die er in einem vorübergehenden Anfall von Narretei geheiratet hatte.

Wen will ich täuschen? schalt Keely sich selbst. Sie war ihm bereits mit Haut und Haaren verfallen; wenn seine Zuneigung sich von ihr ab- und einer dieser eleganten Hofdamen zuwandte, war sie zweifellos am Boden zerstört.

»Schenke dem König mit der Flammenkrone und der goldenen Hand dein Vertrauen ...«

Hatte Megan in ihrer Vision Richard gesehen? fragte Keely sich bestimmt zum hundertsten Mal, seit sie sich im Foyer von ihm trennte. Hatte ihre Mutter sagen wollen, daß sie bei ihm Anerkennung und Glück finden würde? War er willensstark genug, sich über das Getuschel über ihre uneheliche Abstammung hinwegzusetzen, das zu erwarten war, sobald die Höflinge von ihrem zweifelhaften Hintergrund erfuhren?

Keely betrat den großen Saal und erstarrte. Bei den heiligen Steinen! An die hundert Gefolgsleute des Herzogs und bewaffnete Wachen erwarteten sie. Verlobungen waren wie Hochzeiten und Taufen frohe Feste. An diesem Abend versuchte jeder, einen Blick auf dieses Freudenfest zu erhaschen.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Saales saßen Richard und der Herzog vor dem Kamin. Sie saßen mit dem Rücken zum Eingang und bemerkten Keelys Ankunft nicht. Die Gräfin saß auf der Armlehne von Herzog Roberts Sessel.

Als die Menge im Saal verstummte, wandte Lady Dawn sich um und sah Keely. »Da kommt sie«, rief sie.

Richard stand auf und drehte sich um. Sein smaragdener Blick glitt anerkennend über ihre zarte, kurvenreiche Gestalt.

Keely hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Ihre Wangen brannten. Der Graf zog sie mit den Augen aus! Ohne den Blick von ihr zu wenden, schlenderte Richard durch den ganzen Saal auf sie zu. Er nahm ihre Hand, hob sie an seine Lippen und flüsterte: »Du siehst großartig aus, zum Anbeißen.«

Keely starrte ihn verständnislos an.

»Ich erkläre dir nach der Hochzeit, was es damit auf sich hat«, schmunzelte Richard und geleitete sie durch den Saal zu ihrem Vater und der Gräfin.

Herzog Robert erhob sich und küßte sie auf die Wange. »Du siehst atemberaubend schön aus«, begrüßte er sie.

»Zum Anbeißen?« fragte Keely unschuldig. »Das meinte der Graf.«

Herzog Robert hüstelte und warf Richard einen Blick zu, der den Anstand besaß, rot zu werden. Lady Dawn lachte hinter vorgehaltener Hand.

»Der Vertrag muß nur noch unterschrieben werden«, erklärte ihnen Herzog Robert, als er sie an den Tisch führte. Er Unterzeichnete als erster und reichte Richard die Feder, der mit großem Schwung seine Unterschrift darunter setzte. Keely nahm die Feder aus seiner Hand entgegen, zögerte aber zu unterschreiben.

»Kann ich erst einen Blick darauf werfen?« fragte sie.

Richard neigte den Kopf. »Selbstverständlich, meine Liebe.«

Keely überflog das Dokument. Sie verstand zwar die einzelnen Worte, aber mit all diesen Fachausdrücken konnte sie überhaupt nichts anfangen. »Ich ... ich würde gerne noch etwas hinzufügen«, sagte sie. »Ist das möglich?«

Herzog Robert, der nur gehorsame Frauen gewohnt war, schien leicht gereizt. »Das Dokument ist bereits aufgesetzt, Kind. Wir können nicht ...«

»Es ist nur eine Kleinigkeit«, bestand Keely. »Wir könnten es hier unten noch anfügen.«

»Worum geht es denn, Schatz?« fragte Richard.

»Ich möchte in diesem Vertrag festhalten, daß der Henker niemals Hand an Odo und Hew legen darf.«

Richard zog eine Augenbraue hoch. »Deine Cousins können doch nicht von Verbrechen freigesprochen werden, die sie noch gar nicht begangen haben. Ich stimme zu, was vergangene Taten angeht.«

Keely nickte. »Das ist gerecht.«

Richard fügte dem Vertrag den nötigen Zusatz hinzu und setzte sein Monogramm darunter, um mögliche Mißverständnisse zu vermeiden. Anschließend reichte er ihr wieder die Feder.

Keely nahm sich kurz Zeit, um den Zusatz zu überfliegen. Doch statt ihre Unterschrift darunter zu setzen, drehte sie die Feder in der Hand und biß sich auf die Unterlippe.

»Bitte unterschreibe nun, Schatz«, drängte Richard.

Keely lächelte wie zur Entschuldigung und wandte sich an den Herzog. »Euer Gnaden, könnte ich Euch kurz unter vier Augen sprechen?« Mit einem Seitenblick auf den Grafen bemerkte sie: »Ich verspreche Euch, danach zu unterschreiben.«

Herzog Robert und Keely gingen fünf Schritte zur Seite. Keely stellte sich auf die Zehenspitzen und flüsterte dem Herzog ins Ohr, ohne jedoch den Grafen aus den Augen zu lassen.

Richard beobachtete sie und war sich sicher, daß sie nur Zeit gewinnen wollte. Und wenn er ihre Hand packen und sie zwingen mußte, das kleine Biest würde nicht den Saal verlassen, bevor sie den Ehevertrag unterzeichnet hatte.

Mit einem Mal grinste der Herzog breit. Er nickte und geleitete seine Tochter zurück zum Grafen.

»Devereux, meine Tochter hat mich soeben auf etwas aufmerksam gemacht, was wir Männer gemeinhin als nebensächlich erachten«, erklärte Herzog Robert. »Doch ich bin überzeugt, daß es für jede zukünftige Braut von großer Bedeutung ist.«

»Worum könnte es sich dabei handeln?« fragte Richard argwöhnisch.

Herzog Robert räusperte sich und unterdrückte ein Lachen. »Keely denkt, Ihr hättet ihr noch keinen richtigen Heiratsantrag gemacht. Sie wünscht sich, daß Ihr das nun nachholt – und dabei aufrichtige Gefühle zeigt.«

»Ein Versäumnis, das sich leicht nachholen läßt.« Richard blickte Keely in die Augen. »Kommt, Mylady. Nehmen wir vor dem Kamin Platz.«

Als er sich umwandte, um sie durch den Saal zu führen, stellte er verblüfft fest, daß Hunderte neugieriger Augenpaare auf sie gerichtet waren. In seinen wildesten Träumen hätte er sich niemals vorgestellt, daß er eine schöne, jedoch eigensinnige Halb-Waliserin zur Erbauung eines Publikums aus herzoglichen Dienstboten um ihre Hand bitten würde. Aber was, zum Teufel, konnte er dagegen tun? Nichts!

Richard beobachtete Keely aus den Augenwinkeln. Sie schien diesen Augenblick ihres Triumphs zu genießen. Er beschloß, ihr hierin ihren Willen zu lassen. Nachdem sie sich ewige Treue geschworen hatten, würde er seine Augenblicke des Triumphs genießen.

Keely nahm in einem der beiden Sessel vor dem Kamin Platz und drapierte kunstvoll ihren Rock, bevor sie sich erwartungsvoll Richard zuwandte. Richard beugte ein Knie und lächelte, ein Anblick, der die Frauen im Publikum aufseufzen ließ.

Mit einem breiten Grinsen nahm er ihre Hände in die seinen. »Ich sollte dich an den Ohren ziehen«, stieß er zwischen zusammengepreßten Lippen hervor.

Keelys veilchenblaue Augen wurden bei dieser Drohung ganz groß. Vor Schreck mußte sie lachen.

»Wenn du zu lachen wagst«, drohte Richard, »lege ich dich übers Knie und verpasse dir die Prügel, die du dafür verdienst, mir das hier anzutun.«

Keely gewann ihre Fassung sofort wieder.

»Lady Keely, nur wenige Menschen strahlen wie Ihr vor innerer menschlicher Größe«, erklärte Richard mit kräftiger Stimme, die bis in den letzten Winkel des Saales deutlich zu vernehmen war. »Liebste Lady, wollt Ihr mir die Ehre erweisen und meine Frau und Gräfin werden?«

Der ganze Saal brach in lauten Beifall aus.

Nun war es an Keely, verlegen zu sein. Da sie kein Wort herausbrachte, nickte sie nur als Zeichen der Zustimmung.

»Sprecht die Worte, Teuerste«, gebot Richard ihr. »Diese Menschen im Saal warten auf Eure Antwort.«

»Ja, ich will«, flüsterte Keely kaum vernehmbar.

»Lauter.«

»Ich will.«

Erneut brandete Beifall auf.

Ohne sich weiter um die Zuschauer zu kümmern, erhob sich Richard und bot ihr die Hand an. Doch als sie stand, riß er sie in seine Arme. Schon waren seine Lippen über den ihren, und sie trafen sich in einem langsamen, innigen Kuß.

Talbots Wachsoldaten und Gefolgsleute drehten halb durch, applaudierten wie wild und pfiffen mit den Fingern.

Und als Richard in ihr verwirrtes Gesicht sah, spürte er, wie ihm das Herz vor Liebe aufging. »Es ist Zeit, den Vertrag zu unterzeichnen.«

Keely setzte ihren Namen unter das Dokument und sah zum Grafen auf. In guten wie in schlechten Tagen, nun würde sie die Frau des Grafen werden.

Richard zog etwas aus seiner Tasche und hielt es hoch. »Dein Verlobungsring, Schönste.«

Keely stockte der Atem beim Anblick des Schmuckstücks. Der erlesene Ring war ein Goldband mit sechs Edelsteinen von unschätzbarem Wert.

»Was für ein wundervolles Stück«, schwärmte Lady Dawn.

»Gut gemacht, Devereux«, klopfte der Herzog Richard auf die Schulter.

Richard hatte nur für Keely Augen. »Das ist symbolisch gemeint«, erklärte er. »Schatz – Smaragd, Chrysoberyll, Heliotrop, Amethyst, Topas, Zitrin.«

Er griff nach ihrer linken Hand und steckte ihr den Ring an den dritten Finger mit den Worten: »Pour tous jours.«

»Was bedeutet das?« fragte sie.

Richard streichelte ihr Kinn. »Für immer.«

Ohne weiter darüber nachzudenken, legte Keely ihm die Hand auf die Wange. Noch mehr überraschte sie ihn mit dem unschuldigen Kuß, den sie ihm auf die Lippen hauchte.

»Begleitest du mich zur Tür?« fragte er sie.

»Du gehst bereits?«

»Es tut mir leid, aber die Königin erwartet mich«, erklärte er ihr.

»Ich muß noch in dieser Stunde abreisen und bleibe zwei Wochen lang fort.«

»Zwei ganze Wochen?« rief Keely.

Richard lächelte. »Danke, Schatz.«

»Wofür?«

»Für diesen unglaublich enttäuschten Gesichtsausdruck. Die Gewißheit, daß du mich vermissen wirst, läßt mein Herz jubeln.«

»Ich werde dich nicht vermissen«, log Keely.

»Doch, das wirst du. Und du wirst dich danach sehnen, daß meine Lippen die deinen mit Küssen bedecken. So wie ...« Richard küßte sie leidenschaftlich und ließ sie mit dem Verlangen nach mehr zurück.