Siebzehntes Kapitel

Eines Tages, wenn der blaue Mond am Himmel steht. Für immer, wenn Liebende über das Feuer springen.

Diese Weissagung flüsterte die Große Muttergöttin Keely zu. Sie würde ihren Mann sehen, wenn der blaue Mond hoch am Himmel stand, und für immer, wenn die jungen Liebespaare über das Beltanefeuer sprangen. Nach Keelys Berechnung würde der blaue Vollmond am letzten Tag im März dieses Jahres zu sehen sein, und das Beltanefeuer loderte natürlich wie jedes Jahr am ersten Maitag.

Am letzten Märztag, dachte Keely, und Hoffnung keimte in ihrem gramerfüllten Herzen. Für immer am ersten Tag im Mai.

Diese drei Monate vergingen beklagenswert langsam.

Der Januar brachte eisige Kälte. Die Bäume waren mit funkelnden Eiszapfen überzogen. In den Ulmen hatten sich die schimpfenden Stare versammelt, denen es an Futter gebrach. Jeden Nachmittag verbrachte Keely im Park ihres Mannes. Sie fühlte nach Zeichen des Lebens, das in dieser Eiseskälte den Winterschlaf hielt, verfolgte, wie die Knospen ihrer geliebten Eichen schwellten wie ihr Leib. An den Abenden flocht Keely aus den Eichenrinden Beltanekörbe, während der Wolfsmond sich füllte und wieder schwand.

Die Tage wurden allmählich wieder länger, der Schnee schmolz dahin, der Februar war ins Land gezogen. Lichtmeß kam und ging vorbei, so wie der volle Sturmmond. In den Samen unter der Erde begann sich das Leben zu regen.

Der März war gekommen, der Monat der Wiedergeburt, der Hoffnung und des blauen Mondes. Er brachte strahlende Sonnentage. In der ersten Woche stand der volle Saatmond am Himmel. In der dritten Woche kamen die Rotkehlchen aus dem Süden zurück und suchten in den noch braunen Wiesen Nahrung, während ein liebeskranker Star seiner Herzensdame mit einem Ständchen den Hof machte. Die ersten wagemutigen Krokusse brachen sich Bahn und öffneten ihre Kelche der stärker werdenden Sonne.

Der letzte Märztag brach vielversprechend an. Da die Tage ihrer Morgenübelkeit vorüber waren, stand Keely auf, als die ersten orangen Flammen nach dem Himmel griffen. In jeder Pore, jeder Faser ihres Körpers spürte sie die Erregung, die Vorfreude auf ihren Geliebten.

Ihr Druideninstinkt sagte Keely, daß die Göttin weise gesprochen hatte. Heute war der Tag, an dem sie ihren Mann wiedersah: eines Tages, wenn der blaue Mond am Himmel steht.

Keely zog die Stiefel an und hüllte sich in ihren pelzgefütterten Mantel. Sie nahm ihren Beutel mit den heiligen Steinen und der goldenen Sichel und verließ ihr Zimmer.

Der Haushalt des Grafen wachte gerade auf. Keely erreichte unbemerkt den Garten, wo sie die willkommenen Frühlingsboten empfingen. Doch sie fühlte die aufmerksamen Augen wohlwollender Spione auf sich ruhen – Odo und Hew.

Sie lächelte insgeheim. Odo, Hew und Henry beobachteten sie stets, sobald sie den Schutz ihres Hauses verließ. Zu dieser frühen Stunde schlief Henry wahrscheinlich noch neben seiner augenblicklichen Flamme. Somit blieben nur ihre Cousins, die ein Auge auf sie haben konnten.

Keely lief über die Wiese zu dem heiligen Platz, wo die Birke, die Eibe und die Eiche wie alte Freunde zusammenstanden. Sie wählte neun Steine aus ihrem Beutel: drei schwarze Obsidiane, um sie vor schwarzer Magie zu schützen, drei purpurfarbene Amethyste als Glücksbringer und drei rote Karneole zum allgemeinen Schutz. Mit diesen heiligen Steinen legte sie den heiligen Kreis, wobei sie im Westen eine Öffnung ließ. Sie betrat den Kreis von Westen, schloß ihn hinter sich mit dem letzten Stein und den Worten: »Störende Gedanken bleiben draußen.«

Anschließend zog sie die goldene Sichel aus dem Beutel, schloß damit den Kreis und ging in die Mitte, die Seele des Kreises. Sie drehte sich im Uhrzeigersinn dreimal um sich selbst, bis sie wieder nach Osten, zur aufgehenden Sonne, blickte.

»Die Alten sind hier, sie warten ab und sehen zu«, klang Keelys sanfte Stimme durch die Stille des anbrechenden Tages. »Die Sterne sprechen durch die Steine, und das Licht scheint durch die dickste Eiche. Himmel und Erde sind ein Reich.«

Keely hielt inne und berührte den Drachenanhänger, der unter der Eiche versteckt lag. »Vater Sonnes große Macht, das Böse aus Richards Leben bracht.« Wieder drehte sie sich dreimal im Uhrzeigersinn um sich selbst und sang dabei: »›Während ich mich im Kreise dreh, im Kreise dreh, im Kreise dreh, der Zauber wirkt in Tal und Höh.‹« Und dann fügte sie laut hinzu, so daß es im weiten Umkreis deutlich zu verstehen war: »Möge die Göttin Odo und Hew dafür segnen, daß sie jeden Morgen so früh aufstehen, um mich beim Gebet zu beschützen.«

Danach ging sie an den westlichen Kreisrand und brach den Bann. Als sie die Steine wieder eingesammelt hatte, lief sie zurück zum Herrenhaus, nicht ohne noch über die Schulter zu rufen: »Danke, Cousins.«

Odo und Hew traten aus ihrem Versteck hervor und kratzten sich hinter dem Ohr. »Woher, denkst du, weiß sie, daß wir hier waren?«

»Ehrlich gesagt, ich habe keine Ahnung«, antwortete Odo achselzuckend und folgte mit seinem Bruder Keely ins Haus.

Wie jeden Morgen ging Keely sogleich in Richards Arbeitszimmer, um zu frühstücken. Sie nahm alle Mahlzeiten hier zu sich, weil sie sich hier ihrem Mann am nächsten fühlte.

Der Tisch war bereits gedeckt: die zwei Teller für sie und Richard und dazwischen der Strauß Jungfern im Grünen. Das Frühstück selbst bestand aus Eiern, Brot, Butter und einem Krug Mandelmilch.

Gerade als sie sich setzen wollte, trat Jennings ins Zimmer und kündigte an: »Seine Gnaden, der Herzog von Ludlow, wünscht vorgelassen zu werden.«

Als ihr Vater den Majordomus beiseite schob, juchzte Keely vor Freude und flog in seine offenen Arme. »Oh, Papa! Ich habe dich in den letzten Monaten so sehr vermißt.«

Herzog Robert küßte sie auf die Stirn und führte sie zurück zum Tisch, wo er ihr gegenüber Platz nahm. Lächelnd zog er eine Orange aus der Tasche und sagte: »Für mein Enkelkind.«

Keely nahm sein Geschenk freudig an.

»Woher wußtest du, daß ich dich heute morgen besuche?« fragte Herzog Robert sie, als er den unbenutzten Teller vor sich bemerkte. »Oder ist das Gedeck für Henry?«

»Henry steht nie so früh auf«, erklärte Keely mit einem zweideutigen Lächeln. »Wir decken bei jeder Mahlzeit für Richard mit, falls ... geht es ihm gut? Hast du Neuigkeiten?«

»Du hast die Erlaubnis der Königin, heute nachmittag deinen Ehemann zu besuchen«, teilte ihr der Herzog mit.

Keely legte ihre Hand auf die seine. Tränen glitzerten in ihren veilchenblauen Augen. »Danke, Papa. Wieso hat die Königin mit einemmal ihre Meinung geändert?«

Herzog Robert schmunzelte. »Richard unterliefen ein paar grobe Schnitzer mit ihrem Privatvermögen. In seinen Entschuldigungsbriefen führte er an, die lange Trennung von dir habe ihn so mitgenommen, daß sich diese Fehler eingeschlichen hätten.«

Keely strahlte. Ihr Vater fand, es gäbe auf der ganzen Welt keinen schöneren Anblick als eine glückliche schwangere Frau.

»Burghley und ich meinten, Hausarrest wäre in seinem Fall vorzuziehen«, fuhr der Herzog fort. »Ich bin sicher, daß deinem Ehemann weiter solche grobe Schnitzer unterlaufen werden, bis er sich in der Sicherheit von Devereux House geborgen fühlt. Um elf Uhr werde ich dich flußabwärts geleiten.«

Keely wollte gerade antworten, doch in diesem Augenblick platzte Henry ins Zimmer. Er sah so derangiert aus wie ein Kater, der gerade seine Rivalen aus dem Feld geschlagen und einem ganzen Heer liebeshungriger Katzendamen Genüge getan hatte.

»Das war der beste Hintern, den ich je ...« Henry brach mitten im Satz ab beim Anblick seines Vaters – seines wütenden Vaters.

»Liebe Tochter, entschuldige meine grobe Ausdrucksweise.« An seinen Sohn gewandt, brüllte Herzog Robert: »Willst du, daß dir dieser Lümmel abfällt?«

»Willst du, daß er mangels Benützung verkümmert?« brüllte Henry zurück. Die drei Monate Freiheit schienen seinen Widerspruchsgeist angestachelt zu haben.

Keely prustete los.

»Ermutige ihn nicht«, warnte Herzog Robert sie. Doch seine Mundwinkel zuckten, als er sich langsam vom Tisch erhob und auf seinen Sohn zuging.

»Papa!« rief Keely vor Angst, ihr Vater könne ihn schlagen.

»Ich erwarte dich in einem ordentlichen Aufzug in einer Stunde in meinem Arbeitszimmer«, befahl er seinem Sohn. »Es ist höchste Zeit, daß wir ein paar wichtige Dinge besprechen.«

Henry nickte und verließ das Zimmer.

»Es ist mein Fehler, ich habe mich zu wenig um ihn gekümmert«, versuchte Keely ihren Vater abzulenken. »Ich war so beschäftigt mit meinen Sorgen ...«

»Nimm nicht die Schuld für das unerhörte Betragen deines Bruders auf dich«, unterbrach der Herzog sie. »Es war seine Aufgabe, dich zu beschützen, nicht anders herum. Ich bin um elf Uhr wieder bei dir.«

»Papa?«

Herzog Robert blieb an der Tür stehen und drehte sich noch einmal kurz um.

»Mach es ihm nicht allzu schwer«, bat Keely. »Bitte.«

»Ich hege nicht die Absicht, meinen einzigen Sohn umzubringen«, versicherte Herzog Robert ihr. Die Andeutung eine Lächelns spielte um seinen Mund, als er hinzufügte: »Es fällt dir vielleicht schwer, dies zu glauben, aber auch ich war einmal jung.«

Zur vereinbarten Stunde lief Keely über den Rasen hinunter zum Kai, wo ihr Vater sie bereits erwartete. Ihre Wangen glühten vor Vorfreude, ihre Gedanken galten einzig ihrem geliebten Mann. Sie hatte ihr Herz geöffnet und der Göttin gelauscht, die sie nun für ihren festen Glauben belohnte.

Nun, da Keely im fünften Monat war, wurden ihre Kleider allmählich zu eng. Heute trug sie ihr bestes und weitestes Kleid, das aus violettem Samt gearbeitet war und einen züchtigen Ausschnitt hatte. Darüber hatte sie einen federleichten schwarzen Wollmantel angezogen. Sie hatte auch eine riesige Stofftasche dabei, die sie mit allerlei heiligen Gegenständen gefüllt hatte, um ihren Mann ausreichend schützen zu können.

Es war einer dieser ersten Frühlingstage, welche die Welt mit einem blauen Himmel, strahlender Sonne und einem leichten Wind verzaubern. Die Sonnenstrahlen schienen auf Keelys Schultern und der Frühlingswind streichelte ihr Gesicht – was die schönste Erinnerung in Keely weckte, die Erinnerung an die Liebesnächte mit ihrem Mann. Am liebsten hätte Keely die Stiefel abgestreift und das Gras zwischen ihren Zehen gespürt.

Unten am Kai sprang Herzog Robert in das Boot und half ihr an Bord. Vater und Tochter saßen nebeneinander, als die herzogliche Barke stromabwärts glitt.

»Was hast du in dieser Tasche?« fragte Herzog Robert.

»Ein paar Dinge, die Richard dringend braucht«, antwortete sie zweideutig. »Wie geht es Henry?«

»Er bereut gerade seine Sünden.« Mit einem langen Seitenblick fuhr der Herzog fort: »Soll ich dir beweisen, daß er noch lebt?«

Keely berührte ihn am Unterarm und blickte ihm, als er sie ansah, direkt in die Augen: »Ich vertraue dir, Papa.«

Mit einemmal stiegen dem Herzog Tränen in die veilchenblauen Augen, die so sehr denen seiner Tochter glichen.

»Danke, mein Kind«, flüsterte er heiser. »Auf diese Worte habe ich lange gewartet.«

»An meinem Hochzeitstag habe ich dir gesagt, daß ich dich liebe«, erinnerte Keely ihn.

»Das stimmt, aber zwischen Liebe und Vertrauen liegt ein himmelweiter Unterschied«, entgegnete Herzog Robert. »Manchmal erweist sich ein geliebter Mensch als nicht vertrauenswürdig. Und bevor du nun eine Bemerkung über meine große Weisheit fallenläßt, vergiß bitte nicht, daß das Alter manch bittersüße Erkenntnis mit sich bringt.«

»Du bist noch immer jung«, widersprach Keely, aber dann bat sie ihn: »Papa, erzähl mir von dir und Megan.«

Die Augen des Herzogs verdüsterten sich, der Schmerz war zu groß. »Sobald die Gefahr, in der dein Ehemann schwebt, gebannt ist, werde ich alle deine Fragen beantworten«, versprach er ihr. »Kannst du bis dahin warten?«

Keely lächelte und nickte. Herzog Robert war genauso, wie sie sich ihren Vater immer erträumt hatte. Ein Vater wie er, so hatte sie gedacht, war alles, was zu ihrem Glück fehlte. Und nun war ihre ganze Welt auf den Kopf gestellt, ihr Glück hing von ihrem Ehemann ab. Wenn nur Richard frei käme ... Wenn sie nur zu seiner Welt gehörte ... Wenn er sie nur liebte.

Die Fahrt flußabwärts dauerte länger als gewöhnlich, da mit dem Frühling auch der Handel wieder erwacht war und die große Wasserstraße namens Themse schrecklich überfüllt war. Doch dieser dichte Verkehr schien die Bootsleute nicht weiter zu stören, sie riefen einander Grußworte zu, ob sie sich nun kannten oder einander fremd waren. Die herzogliche Barke fuhr unter der Brücke von London hindurch und an den Docks vorbei, von denen herüber es nach Gewürzen, Korn und Holz roch.

Bald erblickte Keely die Türme und die grauen Mauern des Towers von London. Sorgenvoll nagte sie an ihrer Unterlippe und fragte sich, wie sie wohl ihren Mann vorfinden würde. Wie Richard sie wohl nach all diesen Monaten begrüßte? Ob er sie vermißt hatte? Ob er an sie gedacht hatte?

Ihre Barke legte am St.-Thomas-Turm an, der auch als Verräterturm bekannt war. Er war 1290 von Eduard I. errichtet worden, und sein Portal war inzwischen das gefürchtetste Englands geworden. Solch berühmt-berüchtigte Verbrecher wie Anne Boleyn und ihre Tochter, Königin Elisabeth, hatten es durchschritten. Einige waren in die Welt zurückgekehrt, andere waren nicht mehr gesehen worden.

Keely blickte hoch zum St.-Thomas-Turm, doch sie sah nur ein schreckliches Ungetüm, das ihren Mann verschluckt hatte. »Gequälte Seelen sind durch dieses Tor gegangen«, sagte sie, als ihr Vater ihr aus dem Boot half.

»Aye«, stimmte Herzog Robert ihr zu und führte sie zum Offiziersquartier. »Denk nicht daran, es könnte dem Baby schaden.«

»Haben sie Richard ...?«

»Es bringt nichts, sich über die Sorgen vergangener Zeiten den Kopf zu zerbrechen«, unterbrach der Herzog sie. »Dein Mann erfreut sich bester Gesundheit. Er langweilt sich etwas in der Gefangenschaft, und es beginnt ihn zu stören, daß er soviel Gold verliert.«

»Du meinst, die Schnitzer beim Privatvermögen der Königin?«

»Nein, mein Kind«, schmunzelte Herzog Robert. »Von einem so hochstehenden Gefangenen wie deinem Mann wird erwartet, daß er in Glücksspielen an seine Wärter verliert. Eine Art Bestechung. Er verliert beim Karten- und Würfelspiel, und der Wachmann trägt Sorge, daß es ihm an nichts fehlt. Nun, das ist eine der ältesten Traditionen Englands.«

Keely blieb stehen und sah ihn verdutzt an. »Du willst sagen, ich habe mich wegen eines Mannes schlaflos im Bett gewälzt, der drei Monate lang Karten spielte?«

»Man kann schließlich nicht ständig Bücher lesen«, entgegnete ihr Vater.

Herzog Robert führte Keely durch das Offiziersquartier zu dem grasbewachsenen Innenhof auf der anderen Seite der Anlage. Keely erkannte die Kapelle St. Peter ad Vincula wieder, wo sie einst mit Richard der Messe beigewohnt hatte.

Die Stimmung auf dieser Towerwiese war merkwürdig gedrückt. Eine unheimliche Stille lag in der Luft.

Als sie auf den Beauchamp-Turm zugingen, der auf der anderen Seite der Wiese und des Richtplatzes emporragte, warf Keely einen Blick zurück über die Schulter auf das Offiziersquartier. Doch sie konnte nirgends den Geist von Königin Anne entdecken.

Am Eingang zum Beauchamp-Turm erwartete sie der Kaplan. »Seid Ihr bereit, Euer Gnaden?« fragte der Priester, ein unmißverständliches Funkeln in den Augen.

»Aye, aber ich fürchte, mir fehlt heute das Quentchen Glück«, antwortete Herzog Robert und schüttelte ihm die Hand.

Der Kaplan nickte Keely zu und führte sie die Treppe hinauf in den ersten Stock. Keely ging hinter ihm, ihr Vater folgte ihr.

Keely fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die ganz trocken waren von all der Aufregung. Drei Monate lang hatte sie auf diesen Augenblick gewartet, doch nun war ihr ganz bang ums Herz, und ihr Schritt wurde langsamer. Was war, wenn ihr Mann sich nicht freute, sie zu sehen? Wie sollte sie diesen Schmerz ertragen?

Und dann hatte Keely das Ende der Treppe erreicht. Beinahe widerstrebend betrat sie das Zimmer.

Da stand Richard. Als er sie sah, lächelte er und breitete die Arme aus. Erleichtert jauchzte Keely auf und warf sich ihm in die Arme. Die Tränen strömten ihr übers Gesicht.

Richard drückte sie fest an sich und küßte sie auf den Scheitel. »Weine nicht, Schatz«, versuchte er sie zu trösten und streichelte ihr den Rücken. »Ich dachte, es würde dich glücklich machen, mich zu sehen.«

Keely lachte unter Tränen. Sie blickte ihn mit ihren abgrundtiefen, veilchenblauen Augen an und nahm seinen Kopf in die Hände. »Es ist das Baby. Die Kleine macht mich so gefühlvoll.«

»Tut er das?« entgegnete Richard in sanft scherzhaftem Ton.

Keely sah in den smaragdgrünen Augen ihres Mannes das Begehren aufblitzen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, umarmte ihn und zog ihn zu sich herunter.

Richard schien wie hypnotisiert von ihr. Sein Lächeln verschwand, und den Bruchteil einer Sekunde lang schwebte sein Mund über ihrem. Dann trafen sich ihre Lippen in einem erschütternden Kuß.

Der verzweifelte Wunsch, sich zu vereinigen, eins zu werden, überwältigte sie. Dieser umwerfende Kuß ging in den nächsten über und in den übernächsten.

Herzog Robert räusperte sich laut, während die beiden anderen Männer im Zimmer leise lachten. Mit aller Kraft, die ihm zu Gebote stand, riß Richard sich los von ihr und suchte grinsend den Blick seines Schwiegervaters.

»Komm, Schatz«, sagte Richard schließlich, nahm ihr den Mantel ab und reichte ihn dem Herzog.

Keely wollte ihren Mann noch nicht loslassen und hakte sich bei ihm unter. So gewann sie den ersten Eindruck von seinem Gefängnis. Das Zimmer konnte zwar keinesfalls als luxuriös bezeichnet werden, doch es war weder düster noch modrig oder schmutzig. An der einen Seite der Wand befand sich ein Kamin und in der Mitte ein Tisch mit drei Stühlen.

»Guten Tag, Sir«, begrüßte Keely den Wachmann.

»Ihr seht gut aus, Mylady«, antwortete Kingston.

»Ich bin erfreut, daß Ihr Euch um meinen Mann so gut kümmert«, bemerkte Keely.

»Die Freude ist ganz meinerseits, Mylady.«

»Ich zeige dir mein Zimmer oben«, sagte Richard und nahm sie bei der Hand.

Keely griff nach ihrem Stoffbeutel, errötete und folgte ihrem Mann die Wendeltreppe hoch. Oben angelangt, öffnete Richard eine Tür und führte sie in sein Schlafzimmer im zweiten Stock.

Keely blieb erstaunt stehen. Sein Gefängnis im Tower erschien ihr bei weitem komfortabler als ihr altes Schlafzimmer in Wales.

An der Wand befand sich ein Himmelbett mit Vorhängen und Felldecke. Neben dem Bett stand auf einem kleinen Tisch ein Silbertablett mit einem Krug Wasser, zwei Kristallgläsern, einem Laib Brot und einer Auswahl an Käse. Im Kamin flackerte ein fröhliches Feuer, davor stand ein bequemer Sessel. Durch zwei Fenster drang das Nachmittagslicht.

Leicht verwirrt, doch belustigt wandte sich Keely an ihren Mann. »Du leidest ja gar nicht.«

»Ohne dich zu leben ist die schrecklichste Folter, die man sich vorstellen kann«, entgegnete Richard und zog sie in seine Arme. »Komm in mein Bett, Schatz.«

»Geduld, Mylord«, antwortete Keely. »Besser, uns unterlaufen hierbei keine Fehler, wenn wir den Schutz der Göttin für dich erbitten.«

Richard zog eine Augenbraue hoch. Er hatte drei Monate lang auf sie gewartet, wollte sie jetzt die schüchterne Jungfrau spielen?

»Bitte leg die Decke in der Mitte des Zimmers auf den Boden«, sagte sie.

Während er sich beeilte, ihrer Bitte nachzukommen, öffnete Keely ihre Stofftasche. Sie zog zwei Zeremoniengewänder heraus sowie den Beutel mit den magischen Steinen.

»Zieh dich aus und schlüpfe hier rein«, wies sie ihn an und reichte ihm eines der Zeremoniengewänder.

Richard sah sie zweifelnd an.

»Ich trage dein Kind unter dem Herzen«, meinte Keely schelmisch, »mach mir eine Freude.«

Richard und Keely zogen sich aus und bedeckten ihre Blöße mit der Zeremonienrobe. Keely wollte die Steine aus dem Beutel herausholen, hielt aber kurz inne, um ihrem Mann die Kapuze richtig aufzusetzen.

»Gib dir keine Mühe«, wehrte er ab, »ich trage das Ding nicht lange.«

Keely wählte acht dunkle Karneole zum Schutz und zur Stärkung des Muts. Damit legte sie, so gut es ging, einen Kreis um die Pelzdecke, wobei nur im Westen eine Öffnung blieb. Ohne ein Wort zu sprechen, nahm Keely ihren Mann bei der Hand. Richards Blick war voller Liebe, als er ihr die Hand reichte.

Sie führte ihn in die Sicherheit des Kreises und schloß ihn mit den Worten: »Störende Gedanken bleiben draußen.«

Dann zog sie die goldene Sichel aus dem Beutel und umrandete damit den Kreis, um ihn zu schließen. Anschließend wandte sie sich mit geschlossenen Augen an ihren Ehemann und betete: »Große Muttergöttin, Beschützerin all deiner Kinder, nimm dieses bescheidene Geschenk unserer Körper an. Schütze meinen wunderbaren Mann vor seinen üblen Feinden.«

»Vielen dank, Schatz«, flüsterte Richard. »Und was kommt jetzt?«

Mit einem verführerischen Lächeln streifte Keely ihm das weiße Zeremoniengewand über die Schultern und bewunderte ihn mit den Augen. Die Flammenkrone seines kupferfarbenen Haares leuchtete wie die untergehende Sonne, und seine grünen Augen erinnerten sie an ihren geliebten Wald im Frühlingskleid. Sein Körper war so fest und vollkommen wie eine majestätische Eiche. Richard war wirklich ein lebendig gewordener heidnischer Gott.

Als ihr Blick tiefer glitt, bestaunte sie seine breiten Schultern und seine muskulöse Brust mit dem dichten, kupferfarbenen Haar. Schließlich fanden ihre Augen seine schmalen Hüften und sein erregtes Glied.

Keely zwang sich, ihm wieder in die Augen zu blicken. Sie streifte ihr Zeremoniengewand ab und stand stolz vor ihm. Mit dem Drachenanhänger und dem hüftlangen, schwarzen Haar, das ihr bis zu den Hüften reichte, war sie seine heidnische Prinzessin.

Es drängte Richard, sie an sich zu reißen und mit ihr zu verschmelzen, doch ihr zuliebe widerstand er diesem mächtigen Trieb und ließ sie gewähren.

Er betrachtete ihr unsäglich liebes Gesicht, sein Blick glitt zu ihren Brüsten, den dunklen, größer gewordenen Brustwarzen, die davon zeugten, daß sein Kind in ihrem Bauch wuchs, und weiter hinab zu ihren geschwungenen Hüften und ihrem sanft gerundeten Bauch.

Er stöhnte auf vor Liebe und Begierde und sank auf die Knie vor ihr. Die Arme um ihre Hüften, küßte er sie auf den Bauch.

»Mein Same ist gewachsen«, flüsterte er ehrfürchtig.

»Aye«, antwortete sie leise und fuhr ihm zärtlich über den Kopf.

In diesem Augenblick begann Richards Zunge sie an ihrer empfindlichsten Stelle zu liebkosen. Keely atmete tief durch und gab sich ihrer Lust hin. Er hielt sie fest, während er sie mit der Zunge erforschte und vor Lust schaudern ließ.

Keely ging auf in ihrem Begehren, schmolz hin unter seinen Liebkosungen. Sie schrie vor Lust, als Wellen der Ekstase sie forttrugen.

Richard zog sie zu sich auf die Decke, suchte ihren Mund und küßte sie leidenschaftlich und innig zugleich, als wolle er seine ganze Liebe zu ihr in diesen einen Kuß legen. Sanft drängte er sich zwischen ihre Beine.

»Das Baby?« fragte er sie.

»Es schadet ihm nicht.«

Richard drang tief in sie ein. Er bewegte sich langsam, bis ihre Lust neu entflammt war und sie vor Begierde bebte. Richard hielt ihre Hüften fest und wurde schneller und schneller. Immer wieder drang er tief in sie ein, genoß ihre samtene Weichheit.

Richards und Keelys Lustschreie vermischten sich, als sie zusammen explodierten und dann erschöpft zusammensanken. Richard zog sie in seine Arme. Sie schienen endlos so dazuliegen, ohne ein Wort zu sagen.

»Waren wir sehr laut?« flüsterte Keely schließlich. »Glaubst du, mein Vater ahnt, was wir hier tun?«

»Es wäre eine Beleidigung, wenn er davon ausginge, daß wir die ganze Zeit miteinander reden«, antwortete Richard.

Der Gedanke, daß ihr Vater wußte, was sie taten – in dem Augenblick, in dem sie es taten – trieb Keely die Röte ins Gesicht. Und dann fiel ihr ein, daß ihr Vater nicht allein unten saß.

»Bei den heiligen Steinen!« stöhnte sie und verbarg das Gesicht an seiner Brust. »Ich habe meinen Mann geliebt, und der Kaplan saß einen Stock tiefer.«

Richard prustete laut los. »Schatz, du bist so unglaublich entzückend.« Er drehte sie auf den Rücken und küßte sie, während seine Hände die Innenseite ihrer Schenkel so zärtlich streichelten wie ein leichter Sommerwind. Sie seufzte tief, als er an ihren empfindlichen Brüsten saugte.

Diesmal war ihr Liebesspiel langsam. Richard genoß jedes Erbeben, das er in Keelys Körper fühlte, freute sich an jedem Seufzer, jedem Stöhnen. So erschöpft sie beide waren, zu schlafen wäre ihnen beiden wie die Verschwendung ihrer kostbaren Zeit erschienen.

»Ich hole uns einen Kelch Wein«, erklärte Richard und wollte aufstehen.

Keely hielt ihn zurück. »Es ist verboten, den Kreis zu brechen, ohne seinen Dank ausgesprochen zu haben.«

Richard nickte und half ihr auf die Beine.

Keely legte ihm die Arme um den Hals und schmiegte sich an seine Brust. »Wir danken der Göttin dafür, daß sie das bescheidene Geschenk unserer vereinigten Körper angenommen hat.«

Anschließend ging sie an das westliche Ende des Kreises und hob den Karneol auf. »Hier raus«, erklärte sie ihm.

Richard folgte ihr aus dem Kreis und führte sie zum Bett. Er schenkte den Wein ein, während Keely sich setzte. Richard blieb stehen, und sie teilten den Wein und den Käse.

Gedämpftes Gelächter drang vom ersten Stock herauf. »Was machen sie da unten?« flüsterte Keely.

»Sie trinken und spielen«, erklärte Richard und küßte sie auf den Nacken. »Erzähl mir, was es Neues in Devereux House gibt, Schatz.«

»Odo und Hew haben deinen Cousinen die Unschuld geraubt«, berichtete ihm Keely. »Natürlich werden wir sie verheiraten, sobald du zu Hause bist. Und mein kleiner Bruder scheint entschlossen zu sein, alle anderen zu entjungfern. Wenn die Königin dich hier noch länger gefangenhält, wird es in deinem Haushalt bald kein unschuldiges Mädchen mehr geben.«

»Henry ist ein Mann nach meinem Herzen«, neckte Richard sie. »Ach, wie herrlich waren meine wilden Zeiten – die nun für immer vorbei sind und nie wiederkehren werden.«

Keely wirkte keineswegs belustigt, und Richard küßte sie, um seinen Spaß wiedergutzumachen. Dann streichelte er ihren Bauch. »Ich hoffe, daß ich zu Hause bin, wenn das Baby kommt.«

»Elisabeth wird dich in weniger als einem Monat freilassen«, antwortete Keely.

»Wie bitte?«

»Die Göttin ließ mich teilhaben an ihrem Wissen«, erklärte sie. »Sie enthüllte mir, daß wir wieder Zusammensein werden, wenn das Beltanefeuer brennt. Und das ist der erste Tag im Mai.«

Richard blieb skeptisch, doch um ihr eine Freude zu machen, küßte er ihr höflich die Hand. »Jetzt, da ich das weiß, geht es mir gleich besser. Komm, Schatz, ich möchte dir etwas zeigen.«

Er stand auf, reichte ihr die Hand und führte sie zum Kamin an der Wand gegenüber. »Sieh mal, was ich gemacht habe.« Er deutete auf die Worte, die in die Steinmauer gemeißelt waren. »Ich habe uns verewigt.«

Keely trat näher heran und erblickte die Worte: Richard und Keely. Sie sah hoch zu ihm und lächelte. Für alle Ewigkeit waren ihre Namen nun miteinander verbunden, selbst wenn sie nicht mehr am Leben waren.

»Und wir befinden uns in bester Gesellschaft«, fügte er hinzu. »Schau hierher.«

Keely las die Worte Jane und Guilford. »Wer ist das?« fragte sie.

»Jane Grey, Englands Königin für zehn Tage«, antwortete Richard. »Guilford Dudley, der Bruder des jetzigen Grafen von Leicester. Er hatte sie geheiratet. Zusammen regierten sie zehn Tage lang England, dann machten Mary Tudor und ihr Heer ihrer Herrschaft ein Ende. Diese Zelle war Guilfords Zuhause, während er auf das Beil des Henkers wartete.«

»Was geschah mit Jane?«

»Sie wurde nach ihm aufs Schafott geführt.«

Keely stiegen die Tränen in die Augen. Richard zog sie in seine Arme und streichelte ihr den Nacken.

»Es war dumm von mir, dich mit einer so traurigen Geschichte zu quälen«, entschuldigte er sich. »Ich schwöre dir, ich bin nicht in Gefahr.«

Es pochte an die Tür. »Es tut mir leid, mein Kind«, rief der Herzog von Ludlow. »Du mußt dich zur Abreise bereitmachen.«

»Nur noch fünf Minuten«, antwortete Richard.

Keely verbarg das Gesicht an der Brust ihres Mannes und weinte leise.

Er küßte sie auf die Stirn. »Soll ich dir beim Anziehen helfen?«

Keely schüttelte den Kopf und wischte sich die Tränen aus den Augen. Sie wollte nicht, daß er sie traurig in Erinnerung behielt, daher nahm sie alle Kraft zusammen und lächelte. »Wenn du mich anziehst, brauchen wir fünf Jahre.«

Richard schmunzelte erleichtert, daß es ihr besser ging. Es war allgemein bekannt, daß zu große Traurigkeit dem Kind im Mutterleib schadete.

Als sie den ersten Stock erreichten, warf Richard dem Wachmann einen Blick zu und bat ihn: »Kann ich meine Frau nach unten begleiten?«

Kingston sah die Tränen in den Augen der Lady und hatte Mitleid mit den Liebenden. »Ich komme mit Euch.«

Unten im Hof umarmte Richard Keely ein letztes Mal und küßte sie voller Leidenschaft. Anschließend wischte er ihr zärtlich die Tränen aus dem Gesicht und versuchte ihr Mut zuzusprechen. »Denk daran, Schatz. Bei deinem Beltanefeuer sehen wir uns wieder. Es sind nur ein paar Wochen bis dahin.«

Es dämmerte bereits, doch Richard blieb stehen und blickte seiner Frau und ihrem Vater nach, wie sie über die Towerwiese gingen und im Offiziersquartier verschwanden.

Er wollte sich gerade umdrehen, als er eine Bewegung vor den Fenstern des Offiziersquartiers wahrnahm. Es war eine Frau, die dort auf und ab ging. Plötzlich drehte sie sich zu ihm um und starrte ihn an.

Ein kalter Schauder lief ihm den Rücken hinab, doch er konnte die Augen nicht von ihr wenden. Er erkannte die Frau, an deren Porträt er Hunderte von Malen in der Langen Galerie im Richmond-Palast vorbeigegangen war – Anne Boleyn, die seit langem verschiedene Mutter der Königin.

Und dann vernahm Richard ihre warnenden Worte. Er hörte sie so deutlich, als stünde sie neben ihm: »Hüte dich vor dem dunklen Schmied