Achtzehntes Kapitel
»Geldgieriges Tudormiststück!«
Morgana Talbot hörte den Baron in seinem Zimmer fluchen und blieb verwirrt vor der Tür stehen. Es war seine Stimme, daran bestand kein Zweifel. Doch es war so gar nicht seine Art, lauthals seinem Ärger Luft zu machen. Zumindest hatte sie nie gehört, daß Willis sich dieser Ausdrucksweise bediente.
War es ein Fehler gewesen, hierher zu kommen? fragte Morgana sich. Sie hatte vorgehabt, dem gutaussehenden Baron die Hölle heiß zu machen, da er zum vereinbarten Zeitpunkt nicht aufgetaucht war. Schließlich war es Willis gewesen, der sie zu einem romantischen Stelldichein flußaufwärts eingeladen hatte, um die Aprilsonne zu genießen. Aber nun ...
Willis schien schlecht gelaunt zu sein. Andererseits war sie die Tochter des Herzogs von Ludlow, während er nur ein verarmter Baron war. Der Anstand hätte es verlangt, sich bei ihr zu entschuldigen und sie nicht wie eine Närrin am Kai warten zu lassen. Ihr Ärger war neu aufgeflammt, und Morgana pochte mit aller Kraft an die Tür.
»Wer ist da?« Willis‘ Stimme klang wie animalisches Knurren.
»Ich bin es, Morgana.«
»Verschwinde.«
Morgana kniff die blauen Augen zusammen und starrte die Tür an, als habe diese sie weggeschickt. Einen langen Augenblick blieb sie unentschlossen stehen, dann öffnete sie die Tür und trat ein.
Den Rücken ihr zugewandt, packte Willis gerade die letzten seiner Habseligkeiten in einen Sack und machte ihn zu. Er warf einen Blick über die Schulter, und als er sie sah, fauchte er sie an: »Ich habe dir gesagt, du sollst verschwinden.«
»Was ist los?« fragte Morgana, die nahe der Tür stehengeblieben war. Sie hatte den charmanten Baron noch nie so übelgelaunt erlebt. Eine Vorahnung hielt sie davon ab, weiter in den Raum zu gehen.
Willis drehte sich um und blickte sie an. »Das Glück hat mir übel mitgespielt, aber ich werde es wieder auf meine Seite ziehen.«
»Ich verstehe nicht«, erwiderte Morgana, die zusehends unruhig wurde. »Was ist geschehen?«
»In diesem Augenblick befindet sich dein Vater auf dem Weg zu Devereux, um ihn nach Hause zu bringen«, erklärte ihr Willis. »Elisabeth hat den Gefängnisaufenthalt ihres unglücklichen Midas in Hausarrest umgewandelt.«
»Das sind gute Nachrichten.«
»Der Hundesohn hat stets Glück«, fuhr Willis sie an. Im selben Augenblick erkannte er, daß er seine Fassade hatte fallen lassen. Er trat auf sie und sagte: »Du hättest nicht hierher kommen sollen, Teuerste.«
Die Kälte, mit er dies sagte, und das gefährliche Glimmern in seinen Augen erschreckten Morgana. Sie trat zwei Schritte zurück und griff nach dem Türknauf. »Ich ... ich gehe jetzt«, sagte sie.
»Es tut mir leid, mein Engel.« Willis packte sie am Oberarm und drehte sie herum. »Ich kann es nicht zulassen, daß du meine Zukunft zerstörst.«
Morgana fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die vor Angst ganz trocken waren. Offensichtlich war der Baron verrückt geworden und sie mußte entkommen.
Willis zog aus seinem Wams ein vergilbtes Stück Pergament und wedelte ihr damit vor dem Gesicht herum. »Erinnerst du dich daran?« fragte er sie und hob eine Augenbraue.
Morgana erkannte die Heiratsurkunde, die belegte, daß sie und Henry herzogliche Bastarde waren, dieses verfluchte Dokument, das sie in der Talbotschen Familienbibel gefunden hatte.
Smythe lächelte kalt und grausam. »Ein äußerst wertvolles Dokument.«
»Zerstört es auf der Stelle!« verlangte Morgana und versuchte, es ihm aus der Hand zu reißen. »Es ist wertlos für Euch.«
»Ganz im Gegenteil, mein Engel.« Smythe verstaute das Pergament wieder in seinem Wams. »Es verhilft mir zu zwei Vermögen – dem der Devereux‘ und dem der Talbots.«
»Was meint Ihr damit?«
»Du kannst doch nicht so unglaublich einfältig sein«, fluchte Willis. »Ich habe vor, deine ehelich geborene Schwester zu entführen. Wenn Richard versucht, aus Devereux House zu entfliehen, um sie zu retten, werden Dudleys Männer ihn töten. Und ich, als Richards bester Freund, werde die trauernde Witwe heiraten. Wenn dein Vater wenig später bei einem Unfall ums Leben kommt, besitze ich den Beweis, daß das Talbotsche Vermögen rechtmäßig Keely zusteht.«
»Damit kommt Ihr nicht durch!« rief Morgana und versuchte, sich loszureißen. »Ich werde Euren Plan verraten.«
Willis riß sie herum und drückte sie gegen die Tür. »So schön«, grinste er, »und doch so unglaublich dumm. Hattest du tatsächlich geglaubt, du würdest dieses Zimmer lebend verlassen?«
»Hilfe!« schrie Morgana.
Mit beiden Händen umklammerte Willis ihren Hals und drückte zu, doch zu seiner Enttäuschung schien sie sich kaum zur Wehr zu setzen. »Sogar Jane kämpfte heftiger«, murmelte er.
Morgana rang verzweifelt nach Luft. Sie wußte sich keinen anderen Ausweg und trat ihm mit aller Kraft, die sie aufbringen konnte, in den Unterleib. Vor Schmerz ließ er sie einen entscheidenden Augenblick lang los.
»Hilfe!« schrie sie. »Mord!«
Willis riß sich zusammen und würgte sie sofort wieder, bis sie das Bewußtsein verlor. In diesem Augenblick pochte jemand draußen an die Tür.
»Macht die Tür auf!« war eine Jungenstimme zu hören. »Öffnet die Tür, oder ich rufe die Wachen!«
»Helft mir, die Tür ist nicht versperrt«, rief Smythe und versuchte, Morgana so schnell wie möglich aufs Bett zu legen.
Der zwölfjährige Roger Debrett stürzte ins Zimmer. »Ich hörte eine Frau schreien.«
»Lady Morgana ging es plötzlich schlecht und sie wurde ohnmächtig«, log Willis und deutete aufs Bett. »Setz dich zu ihr und paß auf sie auf. Ich hole inzwischen den Arzt.«
Roger eilte zum Bett. Er setzte sich und blickte in das aschfahle Gesicht der Lady. »Um Gottes willen!« rief er. »Sie ist tot. Ihr Hals ...«
Wumm! Smythe versetzte Roger einen Schlag auf den Hinterkopf, und der Junge fiel bewußtlos auf Morgana.
Willis packte seinen Beutel und wollte gehen, zögerte jedoch einen Augenblick. Sollte er sich die Zeit nehmen, um die Sache hier zu einem sauberen Ende zu bringen und den Lümmel zu töten? Nein. In diesem Moment verließ Richard vielleicht bereits den Tower. Er mußte mit der Sache in Devereux House fertig sein, bevor Richard nach Hause kam. Und mit diesem Gedanken verließ er das Zimmer.
Ganz langsam tauchte Roger aus den Tiefen der Bewußtlosigkeit auf. Er öffnete die Augen und versuchte, sich aufzusetzen, aber um ihn herum schien sich alles zu drehen. In seinem Schädel dröhnte es, doch soviel war ihm klar, er mußte Hilfe holen. Baron Smythe hatte Morgana Talbot getötet.
Und dann hörte Roger es – ein leises Stöhnen aus dem Mund der Toten. Er sah sie an. Nein, sie war überhaupt nicht tot – sie mußte nur wieder zu sich kommen.
Roger bemühte sich, auf die Beine zu kommen und torkelte zum Tisch. Darauf stand eine Schüssel Wasser, in die er sein Gesicht tauchte. Das eiskalte Wasser verhalf ihm wieder zu einem klaren Kopf. Roger trug die Schüssel zum Bett und goß der Dame das Wasser übers Gesicht.
Morgana prustete und spuckte und schlug die Augen auf. »Smythe versuchte mich umzubringen«, stieß sie heiser und nach Luft ringend hervor. »Sucht meine Stiefmutter!«
»Lady Dawn?« fragte Roger überrascht. Er hatte noch nie gehört, daß Morgana die Herzogin als ihre Stiefmutter bezeichnet hatte. »Ihr meint Ludlows Frau?«
Morgana nickte.
»Ruht Euch aus, ich rufe inzwischen nach den Wachen und einem Arzt«, wies Roger sie an und wollte sich gerade auf den Weg machen. »Danach suche ich Lady Dawn.«
Mit überraschender Kraft packte Morgana den Jungen am Arm und riß ihn aufs Bett. Sie blickte ihm in die Augen und keuchte: »Hör zu, du kleiner Idiot. Smythe ist inzwischen auf dem Fluß. Er will meine Schwester entführen ...«
»Bald, meine Kleine«, flüsterte Keely, während sie zärtlich ihren Bauch streichelte. »Noch zehn Tage bis Beltane, und dann kommt dein Vater heim zu uns. Pour tous jours – für immer.«
Wie an jedem Nachmittag spazierte Keely durch den Park ihres Mannes. May und June meinten, sie solle sich lieber hinlegen, aber Keely genoß ihre Spaziergänge. Sie liebte es, zu sehen, wie die Jahreszeiten verstrichen. Heute durchwanderte sie die entlegeneren Ecken des Parks und bewunderte die Veränderungen, die der Monat April gebracht hatte.
Wo immer sie hinsah, war neues Leben zu entdecken. Die Rotkehlchen brachten Halm für Halm zu ihren Lieblingsplätzen in den Ahornbäumen und bauten sich ein Nest, während die Bienen in den Blüten der Bäume nach Nektar suchten. Ein Tepppich aus violetten Veilchen schmückte die Wiese unter dem Fenster von Richards Arbeitszimmer. Gelbe Narzissen winkten fröhlich ihren Freunden, den strahlend gelben Forsythien, am Ende des Parks zu.
Heimat. Wie der Gesang der Sirenen riefen die walisischen Berge und Täler nach ihr.
Keely schloß die Augen und stellte sich die Wälder und Wiesen ihrer Heimat vor, die Wohnstatt ihrer Ahnen. Sie seufzte. Eines Tages würde sie ihren Kindern das Land ihrer Geburt zeigen, diesen besonderen Ort, den man Heimat nennt.
Bei ihrem Spaziergang durch den Park blieb Keely an dem Ort stehen, wo die Eibe, die Birke und die Eiche zusammenstanden. Was dem Graf noch fehlte, war ein heiliger Garten. Und hier schien der rechte Platz dafür zu sein. Im nächsten Frühling wollte sie hier einen Garten anlegen, um der Göttin dafür zu danken, daß sie ihr diese Tochter geschenkt hatte, die sie unter dem Herzen trug. Frauenschuh, Frauenhaarfarn und Tausendschön würden hier wachsen, allesamt der Göttin geweihte Pflanzen.
Keely lächelte, als sie sich vorstellte, wie sie jeden Tag mit ihrer Tochter zusammensitzen würde, ob Sommer oder Winter, Regen oder Sonnenschein, wie sie ihr das Alte Wissen vermitteln, den goldenen Faden an sie weitergeben würde. Genauso, wie es Megan getan hatte. So würde die Spirale des Lebens bis in alle Ewigkeit weitergehen.
Sicher würden noch andere Töchter und Söhne folgen. Jedes Kind würde auf seine Art besonders sein. Sie würde ihr Wissen frohen Herzens mit ihnen teilen. Nur eines bereitete ihr Sorge, ihr so pragmatisch veranlagter Ehemann. Keely betete, daß die Unfähigkeit des Grafen, über den Horizont hinauszublicken, ihre Kinder nicht allzusehr beeinflussen möge.
»Gräfin?«
Erschrocken fuhr Keely herum. Willis Smythe stand vor ihr. Seine düstere Erscheinung verdeckte die Sonne wie eine bedrohliche, schwarze Sturmwolke. Aye, Baron Smythe war dunkel und gefährlich – und möglicherweise noch übler.
»Ich möchte mich entschuldigen«, lächelte Willis. »Ich wollte Euch keinen Schrecken einjagen.«
»Niemand jagt mir einen Schrecken ein«, entgegnete Keely etwas ungelenk. Sie konnte ihre Abneigung nicht verbergen. »Ich habe es nur nicht gern, wenn ich aus meinen Betrachtungen gerissen werde.«
»Betrachtungen?«
»Ich habe über die herrliche Natur nachgedacht«, erklärte Keely und deutete auf den Garten ringsum. »Seht Ihr nicht die Schönheit, die uns umgibt?«
Willis blickte sich schnell um. »Doch, es ist sehr schön hier.«
»Woher kommt Ihr?« fragte ihn Keely und legte den Kopf zur Seite. Sie hatte ihn nicht kommen hören, und Jenings hatte ihn nicht angekündigt.
»Hampton Court«, antwortete Willis, der ihre Frage falsch verstanden hatte.
»Ist mit Richard alles in Ordnung?« rief Keely voller Angst, die Hände beschützend auf dem Bauch.
»Richard geht es gut«, versicherte Willis ihr. »Doch bringe ich eine wichtige Nachricht, die ihn betrifft.«
»Kommt ins Haus.«
»Nein, es ist besser, wenn uns niemand hört.«
Keely sah ihn fragend an. Sie fühlte sich nicht wohl in der Gegenwart des Barons. Die inzwischen vertraute Aura eines frühzeitigen Todes hüllte ihn ein wie stets, doch die schwarze Wolke, die über seinem Kopf schwebte, erschien ihr so groß und bedrohlich wie noch nie. Blitzartig erkannte Keely, daß der Baron ein wandelnder Toter war. Bald würde der Tod sich Willis Smythe holen.
Willis senkte die Stimme. »Richard will heute abend aus dem Tower fliehen ...«
»Fliehen?« rief Keely. »Warum?«
»Bitte, Madam. Stellt keine Fragen, wir verlieren dadurch nur wertvolle Zeit«, entgegnete Willis in angemessen strengem Ton. »Hört mir zu, ohne mich zu unterbrechen.«
Keely nickte. Sie wollte ihren Mann nicht gefährden.
»Vor ein paar Tagen zog Richard vom Beauchamp-Turm in den Cradle-Turm«, erklärte Willis. »Dieser Turm ist niedriger als die anderen Türme, da er zum Entladen der Boote dient. Im Schutze der Dunkelheit wollen die Männer des Barons von Schloß Basildon auf einem Boot kommen, unter dem Turm anlegen und ihm ein Seil zuwerfen. Das Boot wird Richard flußaufwärts bringen, an London und Devereux House vorbei. Am Anlegeplatz wird ihn ein schnelles Pferd erwarten, das seine Eltern bereitgestellt haben.«
Keely fiel es schwer, ihm zu glauben. Warum sollte Englands beliebtester Graf seine Zukunft zerstören, indem er aus dem Tower floh und der Justiz Ihrer Majestät eine lange Nase drehte? Elisabeth würde ihm nie vergeben.
Sie wollte den Baron danach fragen, doch der ließ sie nicht zu Wort kommen. »Inzwischen begleitet Ihr mich zur Priorei Smythe«, fuhr er fort. »Im Park von Richards Mutter warten meine Pferde. Richard wird uns in Shropshire treffen. Von dort aus könnt Ihr und Euer Gemahl nach Monmouth Weiterreisen, von wo aus eines seiner Schiffe Euch nach Frankreich bringen wird. Wie Ihr wißt, ist Eure Schwiegermutter Französin. Einer Ihrer Brüder wird Richard bei sich aufnehmen, bis Elisabeth wieder zu Verstand kommt und die Gefahr vorüber ist.«
Keely bezweifelte, daß dieser Plan gelingen konnte. Würde ihr Mann das Leben seines erstgeborenen Kindes gefährden, indem er verlangte, sie solle nach Frankreich reisen? Aber welche andere Wahl hatten sie? Falls die Königin ihn im Tower sitzen ließ, würde ihre Tochter niemals ihren Vater kennenlernen.
Und dann fiel Keely die Prophezeiung der Göttin ein. Richard und sie würden an Beltane Zusammensein, für immer Zusammensein. Und was die Göttin verkündete, das traf ein.
»Holt die Pferde«, erklärte Keely und wollte gehen. »Ich sage Odo und Hew, daß sie sich bereitmachen.«
Willis packte sie am Arm. »Eure Cousins können uns nicht begleiten. Sollen wir unsere Absicht jedermann kundtun, indem wir London mit einem Geleitzug verlassen?«
»Ich verstehe, was Ihr meint«, stimmte Keely ihm widerwillig zu. Es widerstrebte ihr, mit ihm allein reisen zu müssen. »Holt die Pferde, während ich meine Sachen packe.«
»Dafür haben wir jetzt keine Zeit.«
»Ohne meinen Beutel mit den magischen ... ich wollte sagen, meinen persönlichen Dingen kann ich nicht reisen.«
»Dann beeilt Euch«, wies Willis sie an. Nachzugeben kostete weniger Zeit, als sie zu überzeugen. »Und verratet niemandem unsere Absicht.«
Keely eilte ins Haus. Auf dem Weg in ihr Zimmer begegnete sie niemandem. Sie packte schnell ein paar Kleider und ihren Beutel mit den magischen Steinen in ihre Tasche.
Auf dem Weg zur Tür hielt sie kurz inne und berührte den Drachenanhänger, den sie stets trug. »Mutter, beschütze meinen Mann und mein ungeborenes Kind«, flüsterte sie und rannte auf den Gang hinaus.
Als sie den Park erreichte, stand Baron Smythe bereits zwischen den beiden Pferden. »Ich helfe Euch aufsteigen«, erklärte er und trat zu ihr.
»Ich kann auf diesem Pferd nicht reiten«, widersprach Keely. »Es hat einen Damensattel.«
Willis wollte sie gerade zur Eile antreiben, als Henry Talbot im Garten auftauchte. Über das ganze Gesicht zufrieden grinsend, schlenderte er auf sie zu.
»Henry, lauf bitte zu den Ställen«, rief Keely, bevor Willis sie zur Vorsicht mahnen konnte. »Bitte Odo und Hew, mir meinen Sattel zu bringen.« Sie fügte rasch hinzu: »Baron Smythe macht mir die Freude, heute nachmittag mit mir auszureiten.«
Henry sah zu Willis und dann zu den Satteltaschen. Er verstand es, sein Erschrecken hinter einem freundlichen Lächeln zu verbergen. »Ich bin bestimmt in einer Minute wieder da.«
»Jede Sekunde, die wir uns verspäten, gefährdet das Leben Richards«, fuhr Willis sie an. Ihm war klar, daß die beiden walisischen Hünen sie niemals unbewacht ziehen lassen würden. »Los, auf das Pferd und schnell fort von hier.«
Keely nagte an ihrer Unterlippe und nickte. Sie befanden sich alle in größter Gefahr, sonst wäre der Baron nicht so aufgebracht.
Smythe half ihr auf das Pferd und sprang auf sein eigenes. Zusammen verließen sie Devereux House und ritten nach Westen, nach Shropshire.
»Keely!« Odo rannte Hew und Henry voraus in den Park. »Wo bist du, Kleine?« rief er.
»Der Sohn einer flachbrüstigen Hure«, fluchte Henry. »Er hat sie sich geschnappt!«
»Vielleicht hat der Baron sie nur zu einem Nachmittagsritt eingeladen«, warf Hew ein.
Odo versetzte seinem Bruder einen Klaps auf den Hinterkopf. »Und dazu haben sie Reisegepäck mitgenommen, du hirnverbrannter Idiot?«
»Warum sollte mich Keely losschicken, um ihren Sattel zu holen, und dann mit Smythe verschwinden?« fragte Henry. »Sie kann den Baron nicht ausstehen, und ich traue ihm nicht.«
»Wie sollen wir unser kleines Mädchen jemals wiederfinden?« jammerte Hew an seinen Bruder gewandt. »Wir wissen nicht einmal, in welche Richtung sie geritten sind. Und gegen vier sind wir drei in der Minderzahl.«
»Vier was?« fragte Odo verwirrt.
»Richtungen! Norden, Süden, Osten und ...« Odos Klaps brachte Hew zum Schweigen.
»Wenn er böse Absichten hegt, wird das Untier sie in seinen Bau verschleppen«, folgerte Henry.
»Und wo ist der?« fragte Odo.
»Die Smythe Priorei in Shropshire.«
»Sattel die Pferde«, befahl Odo seinem Bruder Hew. »Ich hole den Proviant.«
»Sattle drei Pferde«, erklärte Henry. »Ich komme mit.« Als die zwei Waliser ihn fragend ansahen, beharrte er: »Ich bin ihr Bruder.«
»Seine Gnaden ...«
»Seine Gnaden ist nicht da, also kann er nichts dazu sagen«, fiel Henry Odo ins Wort.
Der Hüne grinste und meinte: »Beeilt Euch, mein herzoglicher Weiberheld. Unser kleines Mädchen braucht uns.«
Zwanzig Minuten später stiegen die zwei walisischen Hünen und der junge Marquis auf ihre Pferde und ritten in westlicher Richtung nach Shropshire.
»Willkommen zu Hause, Mylord«, begrüßte Jennings seinen Herrn mit einem warmen Lächeln auf dem ansonsten unbewegten Gesicht.
»Danke, Jennings.«
Richard lächelte zurück, während er das Foyer durchschritt. Hinter ihm gingen Herzog Robert und Hal Bagenal, sein Stiefvater.
»Meine Frau soll in mein Arbeitszimmer kommen«, wies Richard seinen Majordomus an. »Aber sag ihr nicht, wer hier ist. Ich möchte sie überraschen.«
Jennings nickte und machte sich auf den Weg zur Treppe. Um diese Zeit hielt seine Herrin entweder ein Nickerchen oder sie saß in ihrem Schlafzimmer am Fenster und beobachtete, wie der Himmel sich veränderte.
Richard führte seinen Schwiegervater und seinen Stiefvater in sein Arbeitszimmer. Die zwei älteren Männer setzten sich in die Sessel vor dem Feuer, doch Richard blieb stehen, ohne die Tür aus den Augen zu lassen. Er wollte den Ausdruck freudiger Überraschung auf dem Gesicht seiner Frau sehen, wenn sie den Raum betrat. Den ganzen Morgen hatte er sich schon auf die vor ihm liegende Nacht gefreut, die er in den Armen seiner geliebten Frau zu verbringen trachtete. Und nun war es bald soweit.
Richard hatte vor, Herzog Robert und Onkel Hal so schnell wie möglich loszuwerden und sofort mit seiner Frau in das Bett zu hüpfen. Es reichte, wenn er morgen mit der mühsamen Aufgabe begann, seine peinlichen Fehler bei der Verwaltung des Privatvermögens der Königin wiedergutzumachen.
Fünf Minuten verstrichen. Dann zehn. Wo, zum Teufel, blieb Keely?
Langsam öffnete sich die Tür, und Richard setzte das umwerfendste Lächeln auf, zu dem er fähig war. Eine Sekunde später fiel ihm die Kinnlade nach unten.
»Wo ist meine Frau, Jennings?«
»Sie ist weg, Mylord.«
Richard fuhr herum, und sein Stiefvater und sein Schwiegervater sprangen auf die Beine. »Was willst du damit sagen?«
»Die gnädige Frau befindet sich nicht auf ihrem Zimmer«, erklärte Jennings, der augenscheinlich sehr besorgt war. »Ich war im Park, konnte sie aber auch dort nirgends entdecken.«
»Frag May und June, ob Keely ihre Cousins in den Stallungen besucht«, befahl Richard.
»Sie haben sie nicht mehr gesehen, nachdem sie zu ihrem Nachmittagsspaziergang in den Park aufbrach«, antwortete der Majordomus. »June ist sich sicher, Odo und Hew zusammen mit dem jungen Marquis gesehen zu haben, wie sie gemeinsam ausritten. Das war vor mehreren Stunden. Doch Lady Keely war nicht dabei.«
Richard rannte zur Tür. »Ich suche sie.«
Herzog Robert und Onkel Hal waren ihm sofort auf den Fersen. Die beiden Männer packten ihn am Arm und hielten ihn zurück.
»Es ist unklug zu fliehen«, mahnte ihn Herzog Robert zur Vorsicht.
»Wenn dich die Wachen töten«, fügte halb scherzend Onkel Hal hinzu, »wird deine Mutter meine Innereien mit einem stumpfen Messer bearbeiten.«
»Meine schwangere Frau ist nirgends zu finden«, fuhr Richard sie an und versuchte, sie abzuschütteln.
Draußen im Gang wurde es laut, Stimmen und Schritte kamen näher. Als Jennings die Tür öffnete, um nachzusehen, platzten drei Menschen an ihm vorbei in das Studierzimmer.
»Gott sei Dank, daß du hier bist, Tally!« rief Lady Dawn.
»Chessy, was ist los?« fragte Herzog Robert sie erschrocken.
»Papa, es ist alles meine Schuld«, schluchzte Morgana und warf sich ihm in die Arme.
»Erzähl mir, worum es geht«, forderte der Herzog sie auf.
Morgana hob das Kinn und zeigte ihnen ihren Hals. Die drei Männer starrten bestürzt die Würgemale auf ihrer Haut an.
»Willis Smythe versuchte, meinen armen Liebling zu ermorden«, erzählte ihnen Lady Dawn.
Richard blickte zur Herzogin. Daß Cheshire Morgana als meinen armen Liebling bezeichnete, bewies, daß etwas überhaupt nicht stimmte. Seine Welt stand plötzlich auf dem Kopf.
»Ich habe Lady Morganas Leben gerettet«, meldete sich Roger, der neben der Tür stehengeblieben war. Der Stolz auf seine Tat war unverkennbar.
»Jetzt bist du in Sicherheit«, beruhigte Herzog Robert seine Tochter und drückte sie an sich. »Wenn ich Smythe finde, werde ich ihn umbringen.«
»Vielleicht hat Smythe Lady Jane umgebracht«, gab Onkel Hal zu bedenken.
Richard fuhr herum und starrte seinen Stiefvater an. Sein bester Freund würde niemals wie ein wildes Tier wehrlose Frauen meucheln. Das war undenkbar. Morgana mußte Willis irgendwie provoziert haben, daß er ausrastete. Ihr Zeugnis bedeutete nicht mehr als sein Dolch, der am Tatort gefunden worden war.
Aus Loyalität seinem Freund gegenüber sah Richard sich gezwungen, ihn zu verteidigen. »Willis hat keinen Grund, um ...«
»Hört mir zu«, unterbrach ihn Morgana und wandte sich ihm zu. »Willis versuchte mich umzubringen, weil ich seinen Plan entdeckte, Keely zu entführen.«
Niemand sagte ein Wort. Alle Augen waren auf den Grafen gerichtet.
Richard starrte Morgana an, sah jedoch durch sie hindurch. Er war bis zum äußersten angespannt, jede Faser seines Körpers befand sich in Aufruhr, ein blinder Zorn bemächtigte sich seiner. Seine Smaragdaugen funkelten, als sich plötzlich die Teile des Rätsels zu einem Ganzen zusammenfügten. Keely war nicht aufzufinden. Sein bester Freund hatte seine schwangere Frau entführt.
Wortlos wandte Richard sich um und marschierte wild entschlossen zur Tür. Er würde seine Frau zurückholen, und wenn er dazu die Wachen der Königin zu Hackfleisch verarbeiten mußte, um aus Devereux House hinauszukommen.
»Haltet ihn zurück!« schrie Morgana. »Das gehört zum Plan des Barons. Willis will, daß die Wachen ihn töten!«
Richard war zu wütend, um sie zu hören, und riß die Tür auf.
Roger packte ihn am Armgelenk. »Wenn die Männer der Königin Euch niederstrecken, Mylord, wer wird dann Eure Frau retten?«
Richard hielt inne und blickte dem Jungen ins Gesicht. Es schien ewig zu währen, bis sein Blick sich klärte und er den Lieblingspagen seiner Frau wahrnahm. Kalte Logik begann, die blinde Wut zu verdrängen, und mit der Wut wich die Kraft aus ihm. Er sackte zusammen und nickte Roger zu, der ihn wieder losließ.
Langsam wandte Richard sich zu seinem Schwiegervater und seinem Stiefvater um. »Hat jemand eine Idee?«
Jedermann atmete erleichtert auf. Roger schloß leise die Tür und stellte sich davor, für den Fall, daß der Graf erneut außer sich geriet.
»Ich habe einen Plan«, ergriff Lady Dawn das Wort.
Ihr Mann warf ihr einen fragenden Blick zu. »Chessy, Strategie ist Männersache«, warnte er sie.
Lady Dawn zog eine vollkommen geschwungene, kastanienbraunen Augenbraue hoch und fragte ihn: »Schatz, wer versteht mehr von Strategie als eine Frau, die vier Männer in den Hafen der Ehe gelotst hat?«
»Laßt sie reden«, warf Richard ein. »Ich denke, sie besitzt strategisches Geschick.«
»Vielen Dank für Euer Vertrauen«, antwortete Lady Dawn. »Wir brauchen hier weibliches Feingefühl. Die Schwierigkeit besteht darin, ohne Blutvergießen und ohne entdeckt zu werden aus dem Devereux House zu entkommen. Um dies zu erreichen, wird der Koch ein hervorragendes Abendessen für unsere Wachen zubereiten, einen herzhaften Eintopf, der großzügig mit einem einschläfernden Kraut gewürzt ist. Dann braucht Ihr Euch den Weg zu den Stallungen nicht mit dem Schwert freikämpfen, sondern könnt einfach über ein paar schnarchende Schläfer drübersteigen. Niemand wird verletzt, und später wird niemand hingerichtet, weil er einen kaltblütigen Mord begangen hat.«
»Es könnte funktionieren«, meinte Richard.
»Was sind das für Kräuter?« fragte Herzog Robert mit leicht mißtrauischem Unterton.
Lächelnd beruhigte ihn Lady Dawn. »Tally, Schatz«, gurrte sie, »bei dir würde ich dies niemals tun. Aber meinem zweiten Ehemann – er war ein solch schrecklicher Trunkenbold – reichte ich diese Kräuter ab und zu, wann immer er zu betrunken war.«
Ein anerkennendes Lächeln umspielte Richards Mundwinkel. »Nun denn, Herzogin, wir werden Euren Plan befolgen.« An Roger gewandt, fuhr er fort: »Begleite Jennings in die Küche und iß dort. Wenn du fertig bist, gehst du zu den Stallungen und sattelst zwei Pferde. Ich will, daß sie bereit sind, wenn ich fertig bin.«
Roger grinste von einem Ohr zum anderen und salutierte seinem großen Vorbild. Dann folgte er dem Majordomus aus dem Arbeitszimmer hinaus.
Als nächstes wandte Richard sich an Lady Dawn und seinen Stiefvater. »Herzogin, Ihr überwacht bitte die Zubereitung dieses Eintopfs. Onkel Hal, Ihr kehrt an den Hof zurück. Wenn Dudley entdeckt, daß ich aus meinem Käfig geflohen bin, wird er meinen Kopf verlangen. Ich brauche Euch dort, damit Ihr Burghley helft, Elisabeth zu beruhigen.«
Lady Dawn und Onkel Hal brachen zusammen auf.
Richard ging hinüber zu Herzog Robert und Morgana. Sanft hob er Morganas Kinn und betrachtete ihren schrecklich malträtierten Hals.
»Ihr sollt nie wieder Angst vor Willis Smythe haben müssen«, versprach er ihr.
»Es ist meine Schuld, daß meine Schwester und Ihr in Gefahr seid«, antwortete Morgana schluchzend.
Daß sie den Ausdruck meine Schwester gebrauchte, überraschte beide Männer. Sie hatten noch nie gehört, daß sie Keely als ihre Schwester bezeichnete, sie nannte sie stets nur Bastard.
»Nimm die Schuld für Smythes Missetaten nicht auf dich«, warf Herzog Robert ein.
»Willis hat auch dich bedroht«, ließ Morgana ihren Vater wissen. Mit tränenüberströmtem Gesicht fügte sie hinzu: »Ich weiß Bescheid über Keelys Mutter und dich.«
»Was weißt du?« fragte er sie verwirrt.
»Ich lasse euch allein«, verabschiedete sich Richard. Dies schien nur Vater und Tochter etwas anzugehen.
»Bleibt hier«, rief Morgana ihn zurück. »Das hier betrifft auch Euch und Eure Frau.«
Richard sah den Kummer im Gesicht seiner Schwägerin, und trotz der Steine, die sie ihm und seiner Frau in den Weg geworfen hatte, tat sie ihm leid. Verwöhnt und verzogen wie Morgana war, war sie bei weitem nicht so hart im Nehmen wie seine Frau und kam offensichtlich nicht mit den Belastungen zurecht, die das Leben mit sich bringt.
»Ich weiß, daß Keely ehelich geboren ist«, erklärte Morgana. »Henry und ich sind die wahren Talbot-Bastarde.«
Ihre einfache Erklärung traf die beiden Männer wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Herzog Robert wurde aschfahl und trat einen Schritt zurück. Richard starrte sie mit offenem Mund an, als wäre ihr plötzlich ein zweiter Kopf gewachsen.
»Ich fand Eure Heiratsurkunde in der Talbotschen Familienbibel«, fuhr sie fort. »In meinem Unglück zeigte ich sie Willis, der mir schwor, sie zu vernichten. Er hat mich belogen. Bei unserer Auseinandersetzung heute sagte er mir, er wolle zwei Vermögen. Sobald die Wachen Richard getötet hätten, wolle er Keely heiraten und dafür sorgen, daß du, Papa, einen Unfall erleidest. Willis wollte die Vermögen der Devereux‘ und der Talbots an sich reißen.«
»Es tut mir leid, daß du verletzt worden bist«, antwortete Herzog Robert und umarmte sie. Er küßte sie auf die Stirn und erklärte: »Du warst sehr tapfer, mein goldener Engel. Nun geh nach oben und ruhe dich aus. Sage niemandem davon ein Wort, nicht einmal Henry.«
Als die Tür hinter Morgana ins Schloß fiel, musterte Richard seinen Schwiegervater kalt. »Was ist mit dem Kummer, den meine Frau erdulden mußte? Keely litt ihr ganzes Leben unter der Schande, als Bastard geboren zu sein.«
»Aye, ich verdiene Euren Zorn«, antwortete Herzog Robert und hob die Hand zum Zeichen der Versöhnung. »Bis zu dem Tag, als Keely vor mich trat, ahnte ich nichts von ihrer Existenz. Mein Vater erzählte mit vor achtzehn Jahren, Megan wäre bei der Fehlgeburt eines Babys gestorben, und ich glaubte ihm. Gott im Himmel, hätte ich am Wort meines Vaters zweifeln sollen? Als ich hörte, Megan sei tot, war ich am Boden zerstört. Nichts war mir mehr wichtig. Ganz gehorsamer Sohn, heiratete ich die Frau, die mein Vater ursprünglich für mich ausgewählt hatte – Letitia Morgan – und zeugte den notwendigen Erben. Den Rest meiner Geschichte kennt Ihr.«
»Keely trat vor sieben Monaten in Euer Leben«, erinnerte ihn Richard, den der offensichtliche Schmerz des Herzogs nicht rührte. Seine Stimme war dabei kälter als der bitterkalte Nordwind im Winter. »Meine Frau hat es verdient, von ihrer ehelichen Geburt zu erfahren. Nein, es war lebensnotwendig für sie. Gott im Himmel! Das Leben in diesem walisischen Drachennest hat sie tiefer verwundet, als es den Anschein hat. Ihr habt sie am Hofe gesehen. Die ganze Zeit dort ließ sie den Kopf so tief hängen, als sei sie die niedrigste, unwürdigste Frau Englands. Wie könnt Ihr es wagen, Ihr diesen Trost vorzuenthalten?« Verachtung trat an die Stelle seines Zorns, als er hinzufügte: »Was für ein Mensch seid Ihr eigentlich?«
»Ich bin ein einfacher Mensch, der alle seine Kinder liebt«, antwortete Herzog Robert mit belegter Stimme. »Als Keely in mein Leben trat, schwor ich, alles zu tun, was in meiner Macht steht – sie anerkennen und ihr einen Mann zu suchen, der sie liebt. Was ich getan habe. Doch ich brachte es nicht übers Herz, meinen einzigen Sohn einen Bastard zu nennen.« Er blickte Richard mit feuchten Augen an und fragte ihn mit stockender Stimme: »Sagt mir, Basildon, wie kann ein Mann entscheiden, welches seiner Kinder er zerstören soll?«
In den Augen seines Schwiegervaters, die so sehr den veilchenblauen Augen seiner Frau glichen, konnte Richard den unsäglichen Schmerz lesen, den jener erduldete. Er legte dem älteren Mann tröstend eine Hand auf die Schulter. »Auch wenn Henry und Morgana nichts für Euren Fehler können, müßt Ihr Keely die Wahrheit sagen.«
»Aye, die Stunde der Wahrheit ist gekommen«, stimmte Herzog Robert zu. »Mein Land und mein Vermögen stehen rechtmäßig Keely zu und mittelbar dem Kind, das sie unter dem Herzen trägt.«
»Es geht nicht um Euren Besitz«, erklärte Richard und schüttelte den Kopf. Es war erstaunlich, wie wenig der Herzog verstand. »Meine Frau wünscht sich einen Ort, an dem man sie liebt, ein Zuhause, wo sie hingehört.«
»Und was wollt Ihr?« hakte Herzog Robert nach. »Was, wenn Keely entscheidet, ihre legitime Geburt solle ein Familiengeheimnis bleiben? Was werdet Ihr dann tun?«
»Nichts.«
Herzog Robert warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Als Ehemann meiner Tochter habt Ihr das Recht, bei der Königin ihr Erbe einzufordern. Ich würde nichts dagegen unternehmen.«
»Euer Gnaden, ich bin der reichste Mann Englands«, erinnerte Richard ihn. »Hätte ich es auf Euren Besitz abgesehen, hätte ich Henry einen Antrag gemacht.«
Bei dieser Bemerkung mußte der Herzog schmunzeln.
»Ich heiratete einen bettelarmen, walisischen Bastard« – Richard lächelte, als ihm die Tiefe seiner Gefühle bewußt wurde –, »weil ich ihn liebe.«
Die Sonne versank in einem Flammenmeer, und die Dämmerung ging in den Abend über. Eine Stunde nach dem Abendessen lugten zwei schwarz gekleidete Gestalten hinter der Tür hervor, die hinaus in den Hof führte. Der Graf von Basildon und der Herzog von Ludlow stiegen über die schnarchenden Wachsoldaten der Königin hinweg und machten sich auf den Weg zu den Stallungen.
»Ich möchte nicht in ihren Stiefeln stecken, wenn Dudley merkt, daß ich entwischt bin«, flüsterte Richard.
»Jeder Mann hat eben sein Kreuz zu tragen«, antwortete der Herzog von Ludlow. »Ihr Pech also, daß dies das ihre ist.«
Mit einem breiten Grinsen empfing Roger den Grafen und den Herzog. »Ich reite mit Euch«, kündigte der Junge an und deutete auf die drei gesattelten Pferde.
»Auf keinen Fall«, erklärte ihm Richard.
»Ich kann Euch helfen«, entgegnete der Junge. »Ich habe Lady Morgana vom sicheren Tod gerettet.«
»Nein.«
Roger weigerte sich aufzugeben. »Ich stehe in der Schuld von Lady Devereux und kann es nicht riskieren, meine Geschäftspartnerin zu verlieren.«
Richard sah ihn an und hob eine Augenbraue. Glaubte dieser Junge etwa, er könne nicht um seine Frau kämpfen? Er sollte dem Lümmel die Ohren langziehen!
»Eure Frau streckte mir das Geld vor, das ich brauchte, um in die Levantinische Handelsgesellschaft zu investieren«, erklärte Roger. »Das ist eine lange Geschichte. Ich werde sie erzählen, sobald wir unterwegs sind.«
Richard legte dem Jungen die Hand auf die Schulter. »Ich schätze es sehr, wie loyal du bist. Aber wenn dir auch nur das Geringste zustieße, würde dein Vater meinen Kopf verlangen. Außerdem, wer sollte Lady Dawn und Lady Morgana in unserer Abwesenheit beschützen?«
Angewidert schüttelte Roger die Hand des Grafen ab. »Bei allem Respekt, was Ihr soeben gesagt habt, war herablassender Kuhmist.«
Herzog Robert schmunzelte über die Unverfrorenheit des Jungen.
Richard runzelte die Stirn. Der Junge sagte die Wahrheit.
»Laß den Kleinen mit uns reiten«, mischte Herzog Robert sich ein.
Richard fuhr herum. »Habt ihr denn jetzt beide den Verstand verloren?«
»Er folgt uns ohnehin, wenn wir ihn zurücklassen«, entgegnete der Herzog. »Stimmt‘s, Junge?«
Roger nickte grinsend.
»In diesem Fall ist der Junge sicherer, wenn er mit uns reitet«, führte der Herzog aus.
»Wenn es zu einem Kampf kommt, reitest du nach Schloß Ludlow«, wies Richard den Jungen an. »Verstehst du?«
Roger nickte. »Wie gedenkt Ihr den Baron zu töten?« fragte er aufgeregt.
»Sehr langsam«, antwortete Richard. »Und mit großem Vergnügen.«
Der Graf von Basildon, der Herzog von Ludlow und der Page der Königin stiegen auf ihre Pferde und ritten nach Westen, nach Shropshire.