Sechzehntes Kapitel

»Fröhliche Weihnachten«, flüsterte Keely ihrem verschlafenen Mann ins Ohr.

»Guten Morgen, Schatz.« Mit geschlossenen Augen genoß Richard, daß seine Frau auf ihm lag. »Wo bleibt mein Weihnachtskuß?«

Dieser Mann war unersättlich, aber Keely hatte nichts dagegen. Sie küßte ihn auf den Mund, und in diesen Kuß legte sie ihren ganze Liebe.

Richard schlang die Arme um sie und hielt sie an seinen muskulösen Körper gepreßt gefangen. Er erwiderte ihren Kuß. »Ich liebe Weihnachten«, murmelte er. »Besonders die Küsse.«

Er war noch schlaftrunken und es dauerte, bis er merkte, daß sie einen Mantel trug. So dunkel, wie es im Zimmer war, mußte es vor der Dämmerung sein.

»Wie spät ist es?« fragte er.

»Es ist sechs Uhr«, antwortete sie.

»Niemand steht um sechs Uhr auf.«

»Doch, ich.«

»Wenn du vorhast durchzubrennen«, erklärte Richard mit gespieltem Mißtrauen, »laß dir bitte noch etwas Zeit. Ich bin es müde, dir mitten in der Nacht in die Ställe nachzuhetzen.«

Keely lächelte und drückte ihm einen Kuß auf die Lippen. »Sobald es dämmert, reitet Rhys heim nach Wales. Ich wollte ihm eine gute Reise wünschen.«

Richard gähnte und reckte sich. »Na gut, ich begleite dich. Ich hoffe, du erkennst, welches Opfer es für mich bedeutet, zu dieser unchristlichen Stunde aufzustehen.«

»Wenn du damit aufhörtest, die halbe Nacht durch mit meinem Vater zu trinken und zu spielen«, entgegnete Keely und zog eine Augenbraue hoch, »könntest du die Schönheit des Morgens genießen.«

»Nur wer keine Aussicht auf Erfolg hat, genießt die Morgenstunden«, hielt Richard dagegen und machte sich daran aufzustehen. »Die wirklich Schlauen machen es wie ich, sie nutzen die nächtlichen Vergnügungen am Hofe, um Geschäfte abzuschließen.«

»Die Bescheidenheit steht dir gut zu Gesicht«, neckte ihn Keely und drückte ihn auf das Bett zurück.

»Laß mich aufstehen, Schatz. Es ist nicht ungefährlich, allein zu den Stallungen zu gehen.«

»Bleib nur liegen. Roger hat sich bereit erklärt, mich zu begleiten.«

»Wer ist Roger?«

»Roger ist mein Lieblingspage.«

»Ist das der Schlingel, der dich über die Mauer gehievt hat?«

Keely nickte.

»Beeil dich«, flüsterte Richard mit einem Augenaufschlag, »ich habe ein großartiges Weihnachtsgeschenk für dich.«

»Was ist es denn?«

»Das gleiche, was du zu Neujahr bekommst.«

»Und was ist das?«

Er führte ihre Hand an seine Lenden und erklärte lächelnd: »Morgenständer.«

»Wüstling.« Keely küßte ihn noch einmal auf die Lippen und verließ das Schlafzimmer.

Roger, der draußen auf dem Gang auf sie gewartet hatte, begrüßte Keely mit einem Lächeln. Zusammen machten sich die Gräfin und der Page auf den Weg durch das verwirrende, düstere Korridorlabyrinth von Hampton Court. Je mehr sich Keely der Welt außerhalb der Palastmauern näherte, desto schneller wurde sie. Die Vorfreude hatte sie erfaßt. Seit Monaten hatte sie die aufgehende Sonne nicht mehr auf dem Gesicht gespürt – es sei denn, durch ein Fenster.

Als sie durch die Tür nach draußen trat, hatte Keely das Gefühl, eine gänzlich andere Welt zu betreten. Trotz der frühen Stunde hasteten unzählige Menschen umher. Soeben angekommene oder abreisende Edelleute samt ihren Familien eilten auf den winterbraunen Wiesen hin und her. Diener waren unterwegs, alles für ihre Herrschaften vorzubereiten, und Händler aller Art richteten sich auf einen weiteren Tag voller einträglicher Geschäfte ein.

Am östlichen Horizont wurde es lichter, orange Flammen griffen nach der Welt der Menschen. Dieser Weihnachtstag versprach ein unvergleichlich schöner Tag zu werden – strahlender Sonnenschein, ein wolkenlos blauer Himmel und klare, frische Luft.

Keely atmete tief ein und füllte ihre Lungen mit der klaren Winterluft. Ein Morgen wie dieser weckte eine tiefe Sehnsucht in ihr, so zu beten, wie sie es gewohnt war. Doch das Leben am Tudorhof bot viel Luxus und wenig Privatleben.

»Was gibt es Neues an Klatsch?« erkundigte sich Keely, als sie über den Rasen zu den Stallungen liefen.

»Ich hörte, Lady Jane habe letzte Nacht ihren Mann betrogen«, antwortete Roger.

Keely warf dem Jungen einen langen Seitenblick zu, um ihn zum Schweigen zu bringen. Sie wollte nichts über die jüngste Eroberung Lady Janes hören.

Roger, der es nicht gewöhnt war, feinere Nuancen des Ausdrucks zu erkennen, war ihr Blick entgangen, und er fuhr fort: »Dieses heiße Huhn wird von Tag zu Tag kühner. Oder sollte ich sagen ›von Nacht zu Nacht‹?«

»Es ist nicht nett von dir, an solchen Geschichten weiterzustricken«, erklärte ihm Keely und unterdrückte ein Lächeln. Obwohl sie die frühere Geliebte ihres Mannes nicht besonders schätzte, fühlte Keely sich verpflichtet, einen Jungen wie Roger auf den rechten Pfad der Tugend zu geleiten. Daß ein Zwölfjähriger so lässig über Ehebruch daherplauderte, war unangebracht.

»Janes Neigung, das Ehegelöbnis zu verbiegen, ist allgemein bekannt«, antwortete Roger. Mit einem Seitenblick auf sie fügte er hinzu: »Es wird auch berichtet, daß sich Eure Cousins und die Cousinen des Grafen recht nahe gekommen sind.«

Keely nickte. »Ja, es hat sich eine erstaunliche Freundschaft zwischen ihnen entwickelt.«

»Ich denke, innig beschreibt ihre Beziehung am besten.«

Überrascht fuhr Keely herum und sah ihn an. »Willst du damit sagen ...?«

»Genau.«

Im Stall standen Odo und Hew neben Rhys‘ Hengst und überprüften, ob für die Reise alles in Ordnung war. Rhys lächelte erleichtert, als er seine Schwester sah.

»Ich war mir sicher, daß du kommst.« Rhys nahm sie in die Arme.

»Du fehlst mir schon jetzt!« Keely blickte ihn mit tränenerfüllten, veilchenblauen Augen an. »Versprich mir, vorsichtig zu sein.«

Rhys nickte. »Vergiß nicht, Schwester, bei mir in Wales wartet immer ein Zuhause auf dich.«

»Danke, Bruder.« Mit einem Seitenblick auf Odo und Hew fügte Keely hinzu: »Schade, daß du nicht bis zur Hochzeit von Odo und Hew bleiben kannst.«

»Was?« rief Odo.

»Hochzeit?« schrie Hew entsetzt.

Keely ging auf ihren Ausbruch nicht ein. »Die Hochzeitsnacht haben sie bereits genossen«, erklärte sie ihrem Bruder. »Nun erwartet sie das Eheleben.«

»Ich gehe davon aus, daß sie glücklich verheiratet sind, bevor ich Wales erreiche«, antwortete Rhys lächelnd. »Du benachrichtigst mich, sobald das Baby da ist?«

»Natürlich.« Keely ließ ihn nur widerwillig ziehen und lehnte den Kopf an seine Brust.

»Bestelle Morgana meine Abschiedsgrüße«, bat Rhys sie. »Und richte dem Herzog aus, daß ich an seiner Tochter interessiert bin und ihm schreiben werde, sobald ich Gelegenheit dazu habe.«

»Eine Ehe mit Morgana wäre die Hölle auf Erden«, erklärte Keely ihm. »Außerdem liebt meine Schwester das Leben am Hofe zu sehr, um dich zu heiraten und nach Wales zu ziehen.«

»Morgana ist sehr temperamentvoll«, entgegnete Rhys. »Das ist alles. Sie braucht einen starken Mann, der sie bändigt.«

»Vermutlich weißt du, was am besten für dich ist. Du hast schon immer die Herausforderung geliebt.«

Ein letztes Mal umarmten sich Bruder und Schwester. Rhys küßte Keely auf die Stirn, riß sich los von ihr und stieg auf sein Pferd.

»Glückliche Reise!« rief Keely, als er aus dem Hof hinausritt. Sie blieb zurück und blickte ihm noch lange nach, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte. Dicke Tränen rollten ihr über die Wangen, doch sie wischte sie mit dem Handrücken weg.

Daß man immer wieder Abschied nehmen muß, darauf kann man sich im Leben verlassen, dachte Keely. Megan, Rhys und Merlin waren aus ihrem Leben verschwunden. Doch dafür hatte sie Richard, Herzog Robert, Henry und Lady Dawn gewonnen.

Keely riß sich aus diesen Grübeleien und wandte sich Odo und Hew zu. »Ich lasse es nicht zu, daß die Cousinen meines Mannes entehrt werden. Bereitet euch auf die Hochzeit vor. ... Komm, Roger.«

Statt sich sogleich zum Palast zurückzubegeben, spazierten Keely und Roger noch über die Rasenflächen. Der Junge wirkte niedergeschlagen, als bedrücke ihn etwas. Die beiden setzten sich auf eine Steinbank in einem abgelegeneren Teil des Parks.

»Mylady, ich brauche Eure Hilfe«, platzte Roger schließlich heraus.

»Wie kann ich dir helfen?« fragte Keely.

»Die anderen Pagen sind hinter mir her.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ich habe jedem von ihnen eine Goldmünze abgeknöpft, damit sie mich durch die Lange Galerie begleiten durften, wo Euer Gespenst sein Unwesen treibt«, erklärte ihr Roger. »Doch das ließ sich nicht blicken, und nun verlangen die Jungs ihr Geld zurück.«

Keely biß sich auf die Unterlippe, um nicht laut lachen zu müssen.

»Was soll ich nun machen? Das Gold ist weg«, stöhnte Roger. »Ich dachte, vielleicht könntet Ihr mit uns in die Lange Galerie gehen und das Gespenst herbeirufen? Mein Vater wird Euch ewig dankbar sein, wenn Ihr seinem Erben das Leben rettet.«

»Wofür hast du das Gold denn ausgegeben?« fragte Keely und hoffte, streng genug zu klingen.

»Ich habe es nicht ausgegeben«, antwortete Roger. »Ich habe alles bis auf ein Goldstück in die Levantinische Handelsgesellschaft Eures Ehemanns investiert. Wenn ich älter bin, möchte ich genauso werden wie der Graf.«

Nun mußte Keely lächeln. Durch Roger und seinen Plan, schnell an Geld zu gelangen, bekam sie eine Vorstellung, wie ihr Mann wohl als Junge gewesen war. Ihr blieb wohl nichts anderes übrig, als ihm aus dieser Klemme zu helfen.

»Was hast du denn mit dem letzten Goldstück gemacht?« fragte sie.

»Davon habe ich ein Aphrodisiakum gekauft.«

»Was ist denn das?«

Roger wurde rot. »Das ist ein Liebestrank, um in einer Frau die Begierde nach mir zu wecken.«

Nun war es an Keely, rot zu werden. Bei den heiligen Steinen, dachten die Männer an nichts anderes? Offensichtlich hatte die Königin recht gehabt, als sie sagte, Männer dächten nur mit ihrem Schwanz.

»Kein Grund, rot zu werden«, meinte Roger, ganz der erfahrene Mann von Welt. »Schließlich ist der Geschlechtsakt etwas ganz Natürliches und gehört zum Leben.«

Keely verdrehte die Augen. »Aus was wird denn dieser Liebestrank gemacht?«

»Der Apotheker erklärte mir, es gebe drei verschiedene Sorten. Ich habe gemahlenes Rebhuhnhirn gekauft, das mit Rotwein getrunken werden muß.«

Keely wurde übel. »Hat es gewirkt?«

Richard grinste verschmitzt, womit ihre Frage beantwortet war.

»Wer war denn die Glückliche?«

»Ein Gentleman genießt und schweigt.«

Keely blickte weg, um nicht lachen zu müssen. Schließlich wollte sie den Jungen auf einen tugendsameren Weg führen. Nicht weiter als eine Pferdelänge entfernt befand sich eine doppelreihige Hecke. Unter einem der Büsche schien etwas zu glitzern und zu funkeln. Sie sah genauer hin, und es war ihr, als reflektiere eine Klinge die Strahlen der aufgehenden Sonne.

»Was ist das da drüben?« fragte sie und erhob sich.

Keely ging zu den Hecken hinüber. Roger folgte ihr.

Mit einem Entsetzensschrei auf den Lippen sank sie auf die Knie. Zwischen den beiden Heckenreihen verborgen lag ein lebloser Frauenkörper.

Während Keely würgte und sich die Hand vor den Mund hielt, schrie Roger: »Hilfe! Wachen! Mord!«

Binnen weniger Sekunden brach die Hölle los. Die Palastwachen kamen angerannt, ihnen folgten dicht auf den Fersen neugierige Edelleute und Dienstboten.

Auf Befehl ihres Hauptmanns hielten die Wachen die Schaulustigen zurück. Zwei Wachleute zogen die Leiche unter den Büschen hervor.

Beim Anblick des übel zugerichteten Gesichts von Lady Jane schwankte Keely. Roger, der neben ihr stand, legte ihr den Arm um die Schultern und hielt sie fest.

Der Hauptmann trat vor, um die Leiche zu untersuchen. Betroffenes Schweigen ergriff die Menge, man hörte nur, wie jedermann den Namen der Toten flüsterte.

»Lady Devereux?«

Keely schaute den Hauptmann an.

»Erkennt Ihr sie?« fragte er.

Überrascht sah sie, was er in Händen hielt. Sowohl der juwelenbesetzte Dolch wie der Goldknopf trug die Insignien ihres Mannes. Keely wollte sprechen, aber sie brachte kein Wort hervor.

»Lady Jane war Basildons Geliebte, nicht wahr?« fragte der Hauptmann sie forsch.

»Mein Mann hat keine Geliebte!« rief Keely. »Der Graf könnte nie eine Frau verletzen. Außerdem verbrachte er die Nacht in unserem Bett.«

»Königin Elisabeth wird feststellen, wo und wie sich Basildon letzte Nacht vergnügte«, bemerkte der Hauptmann kühl. Er wandte ihr den Rücken zu und verließ den Schauplatz.

Vollkommen außer sich blickte Keely in das zerschundene Gesicht der Toten. Für sie stand ohne Zweifel fest, daß Richard niemals zu einer solchen Tat fähig wäre. Wer auch immer Merlin vergiftet und Lady Jane ermordet hatte, er hatte absichtlich Richards Dolch und den Knopf neben der Leiche zurückgelassen.

»Hüte dich vor dem dunklen Schmied ...« Megans dunkle Prophezeiung fiel ihr wieder ein. Aber wer war der dunkle Schmied?

Basildon. Basildon. Basildon.

Das wütende Gemurmel der Menge ging ihr nicht aus dem Kopf, bis sie ohnmächtig an Rogers Brust sank.

Keely saß auf dem Schoß ihres Mannes und blickte in das Kaminfeuer. Den Kopf an seine Schulter gelehnt, grübelte sie über die Sackgasse nach, in der sie steckte. Sie wußte, daß diese englische Gesellschaft sie nie als eine der ihren akzeptieren würde. Doch nun war ihr auch die Rückkehr nach Wales verwehrt. Sie konnte ihren Mann nicht allein lassen. Nicht in dieser Stunde der Not. Niemals.

»Es war ein fürchterlicher Anblick«, erzählte sie Richard. »Ihr Gesicht war schrecklich zugerichtet, und um den Hals hatte sie einen riesigen roten Striemen.«

»Hatte er ihr nicht die Kehle aufgeschlitzt?« fragte Richard.

»Nein, sie ist mit der Halskette erwürgt worden, die du ihr geschenkt hast«, antwortete Keely, wobei ihr bei dem Wort erwürgt die Stimme stockte.

»Schatz, beruhige dich«, versuchte Richard sie zu trösten. »Wenn du den Mord ständig vor Augen siehst, schadest du nur dem Baby.«

»Derjenige, der Merlin vergiftet hat, hatte es auf dich abgesehen«, erklärte Keely. »Ich fürchte, er hat nun einen anderen Weg gefunden, um dich loszuwerden.«

»Du hast das also herausgefunden?« Die Andeutung eines Lächelns spielte über Richards Lippen. »Du bist viel zu klug, Schatz.«

»Gut, daß du das merkst«, entgegnete Keely. »Hast du eine Ahnung, wer dich aus dem Weg schaffen möchte?«

Richard seufzte. »Nicht wenige hier am Hof sähen es nur zu gerne, wenn ich für immer verschwände.«

»Ach, hätten wir doch Merlin am Tag nach unserer Hochzeit durch Devereux House geführt, dann wäre das alles nie geschehen«, meinte Keely.

»Wahrscheinlich nicht, dafür wateten wir knietief in Pferdemist.«

Keely fand das nicht im geringsten komisch. »Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir den heiligen Kreis legen und die Göttin um ihren Beistand bitten.«

»Warum küßt du mich nicht statt dessen?« neckte er sie.

»Nun sei einmal ernst«, fuhr Keely ihn an. Es irritierte sie, daß er seine Lage so auf die leichte Schulter nahm.

»Gemach, gemach, Schatz. Ein Dolch und ein Knopf beweisen noch lange nichts. Außerdem weiß Elisabeth, daß es ihren Finanzen nicht bekommt, wenn sie mich hinrichten läßt.«

»Der dunkle Schmied brachte Jane um«, erklärte Keely unvermittelt. »Weißt du, wer der dunkle Schmied ist?«

Richard sah sie verwirrt an.

»Alles, was Megan gesehen hat, ist eingetroffen«, erläuterte ihm Keely. »Auf ihrem Totenbett sagte sie zu mir: ›Wandle unter den Mächtigen, doch das Glück wirst du finden, wo die Birke, die Eibe und die Eiche zusammenstehen. Schenke dem König mit der Flammenkrone und der goldenen Hand dein Vertrauen. Und hüte dich vor dem dunklen Schmied.‹ Königin Elisabeth ist die Mächtige«, erklärte Keely. »Die Birke, die Eibe und die Eiche stehen in deinem Garten zusammen. Und du bist der König mit der Flammenkrone.«

Richard grinste. »Ich bin ein Graf, Liebste, kein König.«

»Ganz England nennt dich Midas.«

Richards Lächeln erstarb. Ihre Worte enthielten ein Körnchen Wahrheit. Vielleicht hatte ihre Mutter hellseherische Fähigkeiten gehabt. Es gab Menschen, die diese seltene Gabe besaßen. Aber wenn es nun stimmte, wer war dann der dunkle Schmied?

»Auch bei unserem Besuch im Tower warnte mich der Geist von Königin Anne, ›Hüte dich vor dem dunklen Schmied‹«, fuhr Keely fort. »Und an Samhuinn warnte meine Mutter mich erneut. Wenn ich nur ...«

Es klopfte an die Tür, und sie hielt mitten im Satz inne.

»Sie kommen, um dich zu holen!« schrie Keely und griff nach seiner Hand.

Richard nahm sie in die Arme und rief: »Wer ist da?«

Die Tür ging langsam auf, und Willis Smythe lugte herein. »Darf ich eintreten?«

Richard starrte seinen früheren Freund lange an und nickte schließlich.

Sie fühlte sich in den Armen ihres Mannes geborgen, dennoch musterte Keely den Baron beunruhigt. Sein Anblick verstörte sie jedesmal.

Zwar sah Smythe mit seinen schwarzen Haaren und den blauen Augen gut aus, aber diese Aura eines frühzeitigen Todes schwebte über ihm wie eine schwarze Wolke. Keely spürte in ihrem Innersten, daß der Tod des Barons immer näher rückte.

»Kann ich irgendwie helfen?« Die Sorge um sie stand Willis ins Gesicht geschrieben. »Soll ich jemand befragen?«

»Ich habe keine Ahnung, mit wem Jane zusammen war«, antwortete Richard.

Willis nickte. »Kann ich sonst irgend etwas tun, um es für euch leichter zu machen?«

Richard schüttelte den Kopf. Smythe war sein engster Freund gewesen, seit sie beide bei Burghley aufgewachsen waren. Es tat ihm leid, Willis mißtraut zu haben.

»Ich habe gehört, daß Jane mit ihrer eigenen Halskette erwürgt worden ist«, vertraute ihnen Willis leise an.

»Das weiß ich bereits von Keely«, antwortete Richard. »Ich glaube, derjenige, der das Pferd meiner Frau vergiftete, hat auch ...«

Es klopfte an der Tür, und Richard hielt mitten im Satz inne. Mit schreckgeweiteten Augen blickte Keely zur Tür. Richard und Willis fuhren herum, um zu sehen, wer nun eintrat.

Herzog Robert und Lady Dawn stürzten ins Zimmer. Richard und Willis atmeten erleichtert auf und auch Keely, die, ohne es zu merken, den Atem angehalten hatte, holte tief Luft.

Keely erhob sich von Richards Schoß und flog ihrem Vater in die Arme. Richard stand auf und schüttelte seinem Schwiegervater die Hand.

»O ihr Armen«, gurrte Lady Dawn. »Was für ein schreckliches Mißverständnis!«

»Elisabeth bespricht sich gerade mit ihren Ratgebern«, berichtete ihnen Herzog Robert. »Dudley möchte sie um jeden Preis davon überzeugen, dich in den Tower zu werfen.«

»Nein! Das können sie nicht tun!« rief Keely.

»Aber Liebes, es bringt nichts, wenn du dich aufregst«, versuchte Lady Dawn Keely zu trösten und nahm sie in die Arme.

»Ich vertraue Elisabeths Urteil«, meinte Richard.

»Dudley stellt dich als verrückt gewordenes Ungeheuer dar. Er besteht darauf, daß du versucht hast, Keely zu vergiften und anschließend Jane stranguliert hast«, berichtete ihm Herzog Robert. »Burghley ist der Ansicht, jeder könne Jane ermordet haben. Besonders ein eifersüchtiger Ehemann käme in Frage, dem die Affären seiner jungen Frau den Verstand raubten.«

»Einer ihrer Liebhaber könnte es gewesen sein«, fügte Willis hinzu.

»Wer immer Jane getötet hat, stahl zuvor meinen Dolch und meinen Knopf«, warf Richard ein. »Diese Tat war kaltblütig geplant und kein Mord aus Leidenschaft.«

Bumm! Bumm! Bumm!

Alle drehten sich erschrocken um und starrten die Tür an. Keely warf sich ihrem Mann in die Arme, als wolle sie ihn vor allem beschützen, was sich auf der anderen Seite der Tür befand.

»Basildon!« rief der Graf von Leicester. »Im Namen Ihrer Majestät fordere ich Euch auf, mit mir zu kommen.«

Richard nickte seinem Schwiegervater zu. Herzog Robert trat einen Schritt vor und öffnete die Tür.

Robert Dudley, der Graf von Leicester, stolzierte in das Zimmer. Ihm folgte ein äußerst unglücklich wirkender Graf Burghley.

»Bleibt draußen auf dem Gang«, wies Herzog Robert die Soldaten der Königin an. Auf einen Blick Dudleys hin taten sie wie geheißen. Herzog Robert schloß die Tür.

»Eine richtige kleine Versammlung«, bemerkte Dudley mit einem befriedigten Unterton.

»Ich nehme an, ich soll Euch in den Tower begleiten«, erklärte Richard ohne Umschweife. »Gebt mir fünf Minuten, um das Nötigste zu packen.«

Dudley gab sein Einverständnis.

»Papa, unternimm etwas!« rief Keely. Im Tower kamen die Menschen um, und sie wollte verhindern, daß diese grauen Steinmauern ihren Mann schluckten und er für alle Zeiten mit diesen gequälten Seelen eingesperrt war.

»Schatz, hilf mir packen«, forderte Richard sie auf. Er legte ihr den Arm um die Schulter und zog sie mit sich ans andere Ende des Zimmers.

»Es ist eine Schande«, beharrte Herzog Robert. »Richard hat niemanden getötet.«

»Elisabeth will einfach sichergehen«, entgegnete Dudley. »Deshalb will sie Basildon in den Tower werfen. Denn wenn sich herausstellt, daß er unschuldig ist, wird er entlassen.«

»Keine Angst, Ludlow. Richard wird fair behandelt«, warf Burghley ein. »Walsingham und ich werden uns persönlich um den Fall kümmern. Daß Richards Dolch am Tatort aufgefunden wurde, ist zu unglaubwürdig. Sogar Leicester könnte den Mord begangen und das falsche Beweisstück dort hinterlassen haben.«

»Diese Vermutung ist überhaupt nicht komisch«, bemerkte Dudley trocken.

Nachdem er seinen Beutel geschnürt hatte, wandte Richard sich seiner Frau zu. Er zog sie in seine Arme und küßte sie lange und verzweifelt.

»Paß auf das Baby auf«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Pour tous jours.«

»Für immer«, versprach Keely. Sie griff nach ihrem Anhänger und fügte hinzu: »Nimm das hier; die Liebe meiner Mutter wird dich beschützen.«

Richard wehrte ab. »Den behältst du, Schatz. Es ist mir lieber, dich in Sicherheit zu wissen.«

»Beeilt Euch«, drängte Dudley.

»Ich begleite Euch bis zum Tower, um sicher zu sein, daß mein Schwiegersohn dort wohlbehalten anlangt«, erklärte Herzog Robert.

»Ich komme ebenfalls mit«, warf Willis ein.

Richard küßte Keely ein letztes Mal und verließ, von Dudley und Herzog Robert flankiert, das Zimmer.

»Was für ein schrecklicher Fehler!« rief Keely und wollte zur Tür laufen. »Ich muß die Königin sprechen.« In diesem Augenblick hätte sie tausend Langen Galerien die Stirn geboten, wenn sie nur ihren Mann hätte befreien können.

Graf Burghley hielt sie sanft, aber fest zurück. Keely versuchte vergebens, sich loszureißen.

»Unüberlegtes Handeln ist immer unklug«, schalt Burghley sie, auch wenn sein Blick voller Verständnis war. Als sie sich beruhigt hatte, erklärte er ihr: »Elisabeth wird Euch keine Audienz gewähren. Ganz im Gegenteil, sie hat mich angewiesen, Euch dringend nahezulegen, sofort nach Devereux House zurückzukehren.«

»Wie soll ich dann herausfinden, welcher Schurke hinter all dem steckt?« fragte Keely.

»Darüber braucht Ihr Euch nicht den Kopf zu zerbrechen. Ich kümmere mich darum«, antwortete Burghley »Die Wahrheit drängt ans Licht.«

Keely blickte ihn zweifelnd an. »Ich weiß, wer Jane getötet hat.«

Burghley sah sie überrascht an. »Wie bitte?«

»Der dunkle Schmied war es, aber ich komme nicht dahinter, wer der dunkle Schmied ist.«

»Bitte drückt Euch klarer aus.«

»Meine Mutter prophezeite mir auf dem Totenbett, ich solle mit vor einem dunklen Schmied hüten«, erklärte ihm Keely.

»Meine Schwiegertochter ist metaphysisch veranlagt«, warf Lady Dawn ein. »Ihre Mutter besaß das Zweite Gesicht.«

»Das Zweite Gesicht?« wiederholte Burghley und schüttelte mißbilligend den Kopf. Ihre unglaubliche Dummheit brachte ihn ganz durcheinander.

»Ich glaube, dunkler Schmied ist der Spitzname oder die Beschreibung des Täters«, fügte Keely hinzu.

»Vielen Dank für Eure Hilfe, Lady Devereux«, sagte Burghley und tätschelte sie am Arm. »Ich werde mir das alles durch den Kopf gehen lassen.«

Er wollte sich gerade umdrehen und gehen, als Keely ihm zurief: »Mylord, wann darf ich meinen Ehemann besuchen?«

»Auf Anweisung der Königin darf er keinen Besuch empfangen«, erhielt sie zur Antwort.

Keely brach in Tränen aus. Lady Dawn führte sie zu dem Stuhl vor dem Kamin und zwang sie; sich zu setzen, gerade als May und June ins Zimmer stürzten.

»Ich besorge dir etwas zu essen, während deine Kammerzofen packen«, sagte Lady Dawn.

Keely schüttelte den Kopf. »Ich verspüre keinen Hunger. Ich esse etwas, wenn wir Devereux House erreicht haben.«

Es klopfte an die Tür, doch Keely kümmerte es nicht weiter. Richard war zum Tower abgeführt worden, und nichts anderes zählte nun.

Lady Dawn öffnete die Tür und sah einen Pagen dort stehen. »Ja?« fragte sie.

»Kann ich mit Lady Devereux sprechen?«

Lady Dawn blickte zu ihrer Schwiegertochter. »Sie ist gerade beschäftigt ...«

»Wer ist es?« fragte Keely.

»Ich bin‘s, Roger.«

»Komm herein, Roger.«

Lady Dawn trat zur Seite und ließ den Jungen herein.

»Ich bin gekommen, um mich zu verabschieden«, erklärte Roger, als er vor ihr stand.

»Ich werde dich vermissen«, antwortete Keely, worauf Roger errötete. Sie erhob sich aus ihrem Stuhl und durchsuchte ihre Taschen nach dem Beutel Münzen, den sie von ihrem Mann erhalten hatte. An Roger gewandt, fragte sie: »Wie viele Jungen hast du angeschwindelt?«

»Ich habe nie ...«

»Wie viele?«

»Zehn, aber ...«

Keely zählte zehn Goldmünzen ab und bot sie ihm an.

»Ich kann nicht Euer Geld annehmen, Mylady.«

»Betrachte es als geliehen.« Keely lächelte. »Ich bin nun dein stummer Partner bei deinem Anteil an der Handelsgesellschaft meines Mannes.«

Roger grinste und nahm die Münzen. »Ich werde die Ohren offenhalten und Burghley erzählen, was ich erfahre.«

»Danke, Roger.« Keely küßte ihn auf die Wange.

»Gute Reise, Mylady.« Roger verbeugte sich förmlich und verließ das Zimmer.

Der Weihnachtstag ging langsam zu Ende, und die Nacht brach herein. Der Himmel hüllte sich vom Osten bis zum Westen zunehmend in violette und dunkelblaue Schatten, bis schließlich der volle Eichenmond des Julfestes von einem vollkommenen schwarzen Samthimmel schien. Die kristallklare Winterluft roch nach dem Holzrauch, der von den Herrenhäusern am Strand aufstieg. Über dem Fluß breitete sich leichter Nebel aus, kräuselte sich und kroch die Ufer hinauf.

Lautlos glitten zwei Barken die Themse hinunter zum Strand. Keely saß, in ihren pelzgefütterten Mantel gehüllt, auf dem mit einem Baldachin überdachten Schiff. May und June waren bei ihr. Auf der zweiten Barke befanden sich Odo, Hew und der Hengst des Grafen. Sogar Schwarzer Pfeffer stand still und regungslos wie eine Statue, als fühle er die Tragödie, die seinen Herrn umgab.

Lady Dawn hatte bereits einen der Talbotschen Boten vorausgeschickt, um Richards Eltern von dem Unglück in Kenntnis zu setzen, das ihren Sohn ereilt hatte, und das Personal anzuweisen, alles für die Heimkehr ihrer Herrin vorzubereiten. Als sie sich Devereux House näherten, erkannte Keely auf dem Kai ihren Bruder Henry und Jennings, den Majordomus des Grafen, die auf sie warteten. Hinter ihnen auf den Rasenflächen standen einige Dienstboten.

Nachdem die zwei Barken angelegt hatten, trat Jennings vor und begrüßte sie. »Willkommen zu Hause, Mylady.« An die Kammerzofen gewandt, ordnete der Majordomus an: »Beeilt euch, Mädchen, bereitet das Zimmer eurer Herrin vor.«

May und June hoben ihre Röcke und rannten zum Herrenhaus.

Jennings blickte über seine Schulter und nickte den gräflichen Lakaien zu, die herbeisprangen, um das Gepäck der Gräfin aus der Barke zu holen. »Der Koch hat ein leichtes Abendessen vorbereitet«, erklärte Jennings. »Soll ich Euch ein Tablett auf Euer Zimmer bringen?«

»Nein, ich würde gerne im Arbeitszimmer des Grafen essen«, antwortete sie, dann wandte sie sich an ihren Bruder.

Henry küßte sie auf die Wange und brachte sie vom Kai weg, damit Odo und Hew sich daranmachen konnten, den Hengst des Grafen vom Boot zu führen. »Hal und Louise sind flußabwärts zum Tower gefahren, um Richard das Nötigste zu bringen«, teilte ihr Bruder ihr mit. »Von dort fahren sie nach Hampton Court, um sich um seine Angelegenheiten zu kümmern und bei den Nachforschungen zu helfen.«

Keely nickte erleichtert.

»Kleine!« Odo versuchte, ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, während er das Pferd wegführte. »Wir bringen den Hengst in den Stall, damit er schlafen kann.«

»Und dann legen wir uns selbst aufs Ohr«, fügte Hew hinzu. »Wenn du etwas brauchst, laß uns holen.«

»Danke, Cousins. Bis morgen früh.«

Henry führte sie zum Herrenhaus und erklärte ihr: »Ich werde mit dir in Devereux House bleiben, solange die anderen weg sind.«

»Das ist nicht notwendig«, meinte Keely, »auch wenn ich mich über dein Angebot freue.«

»Es ist sehr wohl nötig«, beharrte Henry und rümpfte die Nase. »Seit Morgana nicht mehr da ist, konzentriert Ashemole ihre ganze Aufmerksamkeit auf mich. Die alte Hexe geht mir schrecklich auf die Nerven.«

Keely unterdrückte ein Lachen und hakte nach: »Aber wieso denn, Bruder?«

»Das Weibsstück liegt mir wegen meines unmoralischen Lebenswandels in den Ohren. Außerdem glaube ich, daß sie mir nachspioniert.«

»Nun, Bruder, ich freue mich über deine Gesellschaft«, erklärte Keely. »Willst du mit mir zu Abend essen?«

»Ich habe bereits gegessen«, entschuldigte sich Henry und lächelte verlegen. »Überdies habe ich noch ein wichtiges ...«

»Erzähl mir nichts darüber«, unterbrach Keely ihn und fragte sich, wer wohl das glückliche Mädchen sein mochte. »Wir sehen uns morgen.«

Das Arbeitszimmer des Grafen war genauso, wie Keely es in Erinnerung hatte. Auf der Fensterseite stand der Schreibtisch aus massiver englischer Eiche. Zwei Wände waren vom Boden bis zur Decke mit Bücherreihen gefüllt, und an der vierten Wand befand sich der offene Kamin, in dem im Augenblick ein einladendes Feuer prasselte. Die zwei Stühle, in denen der Graf und sie einst zusammengesessen hatten, standen noch immer vor dem Kamin.

Keely seufzte tief. Ihr war traurig zumute. Wie leer das Arbeitszimmer ihr ohne die raumfüllende Gegenwart ihres Mannes vorkam. Wie würde sie ohne ihn zurechtkommen? Wichtiger noch, wie konnte sie erreichen, daß er wieder freikam? Sie hatte man hierher verbannt, während der Mörder Unterschlupf in der Hofgesellschaft in Hampton Court gefunden hatte.

Wieder mußte sie an Richard denken. Sie erinnerte sich an den Tag, als er ihr die Füße massiert hatte und ihr anschließend einen Kuß stahl – ihren ersten Kuß. Und sie sah ihn, wie er im Saal ihres Vaters vor ihr niederkniete und vor den versammelten Gefolgsleuten des Herzogs, um ihre Hand angehalten hatte.

Zwei dicke Tränen rollten ihr über die Wangen, doch Keely wischte sie mit den Fingerspitzen weg. Es half ihrem Mann nicht, wenn sie weinte, sagte sie sich. Richard brauchte jetzt den Schutz der Göttin, und bei Tagesanbruch würde sie darum bitten.

Keely erhob sich wieder vom Schreibtisch und machte es sich in einem der Stühle vor dem Kamin bequem. Das Baby kostete sie viel Kraft. Sie schloß die Augen und hörte zu, wie die Diener den Tisch für ihr Abendessen vorbereiteten.

»Mylady?« flüsterte Jennings. »Das Abendessen ist serviert.«

Keely öffnete die Augen, nickte und ließ sich von ihm zum Tisch führen. »Danke, Jennings«, entließ sie ihn, doch der Majordomus blieb im Zimmer für den Fall, daß sie noch etwas brauchte.

Der Tisch war mit einem edlen Tischtuch aus feinstem Leinen bedeckt. Darauf stand eine Schüssel Erbsensuppe mit Bohnen und Zwiebeln, gebratenes Huhn mit Pistazien und eine kleine Schale Quittenkompott.

»Es ist nur für eine Person gedeckt«, stellte Keely mit einem Seitenblick auf den Majordomus fest.

»Ja, Mylady, Ihr wolltet doch alleine zu Abend essen.«

»Der Graf kann jeden Augenblick zurückkehren«, erwiderte Keely und zwang sich zu lächeln, obwohl sie kaum die Tränen zurückhalten konnte. »Wir sollten stets für ihn einen Teller bereithalten.«

»Natürlich, Mylady. Bitte verzeiht.« Jennings eilte davon, um ein Gedeck zu holen, das, wie er wußte, viele Monate lang nicht benutzt werden würde.

Keelys Blick fiel auf einen Strauß Jungfern im Grünen, den der Majordomus auf den Tisch gestellt hatte, um sie etwas aufzuheitern. Vor Rührung steckte ihr ein Kloß im Hals, als sie die blauen Blüten betrachtete. Schließlich konnte sie sich nicht länger beherrschen, und die Tränen, die sie den ganzen Tag zurückgehalten hatte, brachen sich Bahn.

»Weint nicht, Mylady«, versuchte Jennings sie zu trösten, als er mit dem Gedeck des Grafen zurückkehrte. »Die Königin braucht Seine Lordschaft. Ich bin mir sicher, er wird bald zu uns zurückkehren.«

»Es ist Winter.« Keely nahm dankend das ihr angebotene Taschentuch. »Woher kommen diese Jungfern im Grünen?«

»Der Graf beauftragte eine der besten Putzmacherinnen Londons, sie aus Seide zu nähen.« Jennings lächelte. »Es ist unglaublich, wie täuschend echt sie wirken.«

»Ja«, stimmte Keely zu. Diese Aufmerksamkeit ihres Mannes rührte sie zutiefst.

Nachdem Keely gegessen hatte, entließ sie Jennings und trat ans Fenster. Sie blickte hoch zum vollen Eichenmond und dachte an ihren Mann.

Oh, was mußte Richard erdulden, eingesperrt am traurigsten Ort der Welt! Ob seine Zelle warm genug war, so daß er nicht erkrankte? Ob seine Wärter ihm genug zu essen brachten? Und Kerzen, hatte er Kerzen? Oder waren sie so grausam und sperrten ihn in der Dunkelheit ein?

Der volle Eichenmond, der in das sorgenvolle Antlitz Keelys herunterblickte, schien auch ein paar Meilen flußabwärts, östlich von London, wo die Türme und Türmchen des Towers und seine trutzigen Mauern emporragten.

Besorgt stand Richard im ersten Stock des Beauchamp-Turms am Fenster und blickte hoch zum Vollmond. Seine Frau sollte sich mittlerweile im Schutze von Devereux House befinden, sagte er sich. Dort war sie in Sicherheit, wie lange ihn die Königin hier auch festhalten mochte.

Er hörte Schritte. Richard drehte sich um und sah drei Männer, welche die Wendeltreppe herunterkamen, die zum zweiten Stock führte.

»Euer Bett ist bereit, Mylord«, erklärte der erste Wärter. »Mit Felldecke und allem Nötigen.«

»Das Feuer im Kamin brennt«, fügte der zweite hinzu. »Ich habe genug Brennholz zum Nachheizen bereitgelegt, aber ich werde morgen noch mehr bringen.«

»Vielen Dank.« Richard gab beiden Männern eine Münze, als sie gingen. Er blickte zum Wachmann des Towers. »Und Ihr, Kingston, müßt Euch Eure Münzen verdienen«, lächelte Richard.

»Ich bin schon ganz begierig darauf«, antwortete Kingston und rieb sich die Hände in Vorfreude.

Die Tür ging auf, und der königliche Kaplan trat ein. Der Geistliche trug ein silbernes Tablett mit einem gebratenen Huhn, Brot, Käse und schottischem Whisky herein und stellte es auf den Tisch. »Eure Mutter ist eine Heilige, Basildon. Sie lieh uns ihren Lieblingskoch, um Euch in Eurer Gefangenschaft bestmöglich versorgen zu können.«

Richard setzte sich mit dem Wachmann und dem Kaplan an den Tisch. Er nahm sich ein Stück vom Huhn und fragte: »Sind wir soweit?«

Die zwei Männer nickten begierig.

Richard füllte drei Krüge mit Whisky, legte einen Stapel Karten und zwei Würfel auf den Tisch und meinte: »Gentlemen, das Spiel kann beginnen.«