Dreizehntes Kapitel
»Bist du soweit?« fragte Richard, als er ihr Schlafzimmer betrat. »Wir sind spät dran.«
Als sie seine Stimme hörte, wandte Keely, die zum Fenster hinausgesehen hatte, sich um. Sie stand bewegungslos, während er sie anstarrte. Sein erstaunter Gesichtsausdruck freute sie ungemein.
Da stand ihr wunderschöner Ehemann und strahlte sie an, während er sie mit seinen Smaragdaugen anerkennend von Kopf bis Fuß musterte. Bei diesen heißen Blicken fühlte Keely sich wie eine Prinzessin in ihrem violetten Samtkleid, das vollkommen zu ihren Augen paßte. Der einzige Schmuck, den sie trug, waren der Drachenanhänger an ihrem Hals, die Jungfer-im-Grünen-Brosche und die Ringe, die ihr Richard geschenkt hatte.
»Wie findest du mich?« fragte Keely und drehte sich im Kreis, wobei ihre Augen so strahlten wie die Amethysten in ihrer Brosche.
Richard trat zu ihr und verbeugte sich galant: »Ich finde, du bist die schönste Frau der Christenheit.«
Als sie das Schlafzimmer verließen, musterte Keely seinen düsteren Aufzug. »Warum trägst du immer Schwarz, Mylord?« fragte sie ihn. »Das ist die Farbe der Trauer.«
»Das darfst du niemandem verraten«, bat Richard sie, als vertraue er ihr ein dunkles Geheimnis an. »Schwarz ist die einzige Farbe, bei der ich mir sicher bin, daß sie sowohl zu meinen roten Haaren als auch meinen grünen Augen paßt.«
Bei diesem Geständnis mußte Keely lachen. Sie hätte nie vermutet, daß ihr arroganter Mann sich über irgend etwas unsicher sein könnte, und schon gar nicht darüber, ob Farben zusammenpassen.
»Werden Louise und Onkel Hal bei der Hochzeit meines Vaters anwesend sein?«
»Nein, sie sind heute morgen an den Strand zurückgekehrt«, antwortete Richard. »Meine Mutter fühlt sich am Hof nicht wohl.«
Ich auch nicht, dachte Keely. »Und Henry?«
Richard schüttelte den Kopf. »Dein Vater schickte ihn heute morgen mit Onkel Hal und meiner Mutter nach Talbot House zurück.«
»Ich nehme nicht an, daß Morgana diese Verbindung soweit billigt, um bei der Hochzeit dabeizusein?«
»Wahrscheinlich nicht.«
Richard führte Keely durch ein verwirrendes Labyrinth nur spärlich erhellter Korridore in die Lange Galerie. Dahinter lag die Königliche Kapelle, wo die Hochzeit ihres Vaters und der Gräfin stattfinden sollte.
Als sie die menschenleere Galerie betraten, spürte Keely einen kalten Lufthauch. »Es zieht hier«, bemerkte sie.
Richard sah hoch zu den in langen Reihen an beiden Seiten der Galerie angebrachten Kerzen. Sie flackerten kein bißchen.
Keely folgte seinem Blick. Erstaunt riß sie die Augen auf. Der Luftzug, den sie soeben gespürt hatte, müßte die Flammen wild flackern lassen.
Je weiter sie die Galerie entlang liefen, desto bedrückter fühlte Keely sich. Sie blickte unruhig zu ihrem Ehemann, dem nichts anzumerken war.
Keely wurde immer beklommener zumute, sie konnte mit Richard kaum noch Schritt halten, ihr Herz begann zu rasen. War es möglich, daß hier etwas nicht stimmte? Aber sie war am Tag zuvor, bei ihrer eigenen Hochzeit, durch diese Galerie gekommen und hatte nichts Ungewöhnliches bemerkt. Sicher, sie war wegen des Streits mit ihrem Vater todunglücklich gewesen, aber konnte der eigene Seelenschmerz sie unempfindlich für diese bleierne Schwere gemacht haben? Eine ähnliche Hoffnungslosigkeit hatte sie erst einmal in ihrem Leben gespürt, an jenem schrecklichen Tag im Tower von London.
Keely blieb stehen, die Galerie erschien ihr endlos. Vollkommen unerwartet riß sie sich los von Richard und rannte zurück. Keely hörte, wie ihr Mann nach ihr rief, aber sie ignorierte ihn. Sie schloß die Augen und lehnte sich außerhalb der Galerie erschöpft an die kühle Wand.
»Was ist los?« fragte Richard. »Bist du krank?«
Keely hörte den besorgten Unterton und öffnete die Augen. »Ich habe etwas gespürt«, sagte sie kopfschüttelnd.
»Was hast du gespürt?«
»Gibt es einen anderen Weg zur Kapelle?« ließ sie seine Frage unbeantwortet. »Ich kann nicht durch diese Galerie gehen.«
Richard sah ihr tief in die Augen. »Aber warum nicht?«
»Dort gibt es Seelen, die keine Ruhe finden«, antwortete Keely.
»Geister gibt es nur für Träumer wie dich«, fuhr Richard sie an. »Du hast mir versprochen, diesen dummen Aberglauben sein zu lassen.«
Keely blitzte ihn an. »Nur weil du meinen Glauben dumm nennst, ist er noch lange nicht dumm. Ich weiß, was ich gespürt habe. Du ... Zweifler!« Sie wollte davonlaufen, aber er hielt sie fest.
»Was glaubst du, was du hier machst?« schnauzte er sie an. »Während wir hier sprechen, geben sich Gräfin Cheshire und dein Vater in der Kapelle das Jawort. Wie soll ich deine Abwesenheit erklären?«
»Erzähl ihnen, was du willst«, erwiderte ihm Keely nicht weniger barsch und befreite sich aus seinem Griff. »Mein Vater akzeptiert mich so, wie ich bin. Auch wenn du das nicht tust.« Mit diesen Worten rannte sie verärgert davon und ließ ihn allein zurück.
»Verdammt«, fluchte Richard, als er ihr nachsah. Lange war er unentschlossen, was er tun sollte. Sollte er ihr nacheilen? Es gehörte sich, daß zumindest einer von ihnen der Hochzeit beiwohnte. Richard machte auf dem Absatz kehrt und marschierte durch die Lange Galerie zur Königlichen Kapelle.
Inzwischen eilte Keely durch das Labyrinth an Gängen, doch sie wußte nicht mehr, welcher davon in ihr Gemach führte. Hier kam ihr nichts vertraut vor, und es gab niemand, den sie fragen konnte. Ihr wurde zusehends angst und bange, und sie rannte immer schneller. Als sie um die Ecke bog, stieß sie mit einem Mann zusammen.
Kräftige Hände hielten sie fest, so daß sie nicht hinfiel. Keely blickte verwirrt auf und sah ein vertrautes Gesicht vor sich.
»Guten Tag, Gräfin«, begrüßte sie Baron Willis Smythe.
»Gräfin?« fragte Keely verwirrt.
Smythe grinste. »Durch Eure Heirat seid Ihr nun eine Gräfin.«
Der verwirrte Ausdruck verschwand aus Keelys Gesicht, dafür röteten sich ihre Wangen sanft, was durchaus vorteilhaft war. »Ich vergaß«, murmelte sie.
Der Baron lachte dröhnend. Dann fiel sein interessierter Blick auf ihr reizendes Dekolleté. Aus seinen Augen blitzte die Lust, doch Keely war zu unschuldig, um dies zu bemerken.
»Habt Ihr bereits Euren Treueeid vergessen, Mylady?« fragte Smythe sie leise.
»Ich habe mich schrecklich verlaufen«, gestand Keely und überhörte diese unverschämte Frage einfach. »Könntet Ihr mir den Weg zum Zimmer meines Gatten zeigen?«
»Wo ist Richard?«
»Ich schickte ihn zur Hochzeit meines Vaters«, erklärte sie. »Ich selbst jedoch fühle mich nicht wohl und möchte mich zurückziehen.«
»In Not geratene junge Damen sind meine Spezialität«, bemerkte Smythe und hakte sie unter. »Erlaubt mir, Euch dorthin zu geleiten.«
Als sie das Schlafzimmer erreichten, wandte sich Keely zu ihm, um sich zu bedanken. Der Baron trat gefährlich nahe an sie heran und küßte ihr die Hand.
»Soll ich Euch Gesellschaft leisten, bis der Graf wiederkommt?« schlug Willis vor und bemühte sich, so verführerisch wie möglich zu klingen.
»Nein!« Keely rannte in das Zimmer und schlug die Tür zu, um sie sofort zu verriegeln. Draußen hörte sie den Baron kichern, als er sich entfernte.
Erleichtert darüber, Smythe losgeworden zu sein, lehnte sich Keely an die Tür und atmete tief durch. Sie mochte Willis Smythe nicht. Ihn umgab eine Aura unzeitgemäßen Todes, und in seinen Augen sah sie eine Düsternis, die sich nicht mit seinem bösartigen Humor erklären ließ.
Vor Wut auf ihren Ehemann begann Keely im Zimmer auf- und abzugehen. Der Graf hatte, bevor er sie heiratete, gewußt, wer sie war. Wollte er sie jetzt ändern? Dabei würde er sich nur die Finger verbrennen. Ihr Glaube entzog sich seines Einflusses. Er hätte wohl mehr Erfolg, würde er den Vögeln befehlen, das Zwitschern sein zu lassen. Warum hatte er nicht auf sie gehört, als sie ihn warnte, daß sie sich nie an das Leben am Hofe gewöhnen würde? Der Graf und sie waren noch keinen Tag verheiratet, und schon war ihre Ehe in ihren Grundfesten erschüttert. War es ihr Schicksal, stets zu den Ausgestoßenen zu gehören, eine unglückliche Außenseiterin zu sein? Gab es in Gottes Universum keinen sicheren Hafen für sie?
Keely zwang sich, nicht mehr über ihre zum Scheitern verurteilte Ehe nachzugrübeln. Doch ihre Gedanken schweiften nun zu dem Korridorlabyrinth von Hampton Court und zu der unsichtbaren Erscheinung in der Langen Galerie. Irgendeine schreckliche Tragödie mußte dort geschehen sein, genauso wie im Londoner Tower, und eine arme, gequälte Seele irrte nun umher auf der Suche nach ihrem Frieden. Was waren diese Engländer nur für Menschen, daß sie solche Seelenpein verursachen konnten?
Keely erstarrte, als es an die Tür klopfte. Sie fragte sich, ob vielleicht Baron Smythe zurückgekehrt war. »Wer ist da?« rief sie.
»Ein Page, Mylady.«
Keely öffnete die Tür und sah einen Jungen, der die königliche Livree trug. »Ja?«
»Graf Basildon bat mich, Euch in den Saal zu geleiten«, erklärte ihr der Junge. »Seid Ihr bereit?«
Keely nickte und folgte ihm den Gang entlang. Doch sie machte sich Sorgen. Ihr Ehemann war wütend auf sie und hatte einen Pagen geschickt, um sie zu holen. Wenn der Graf auch nur ein klein wenig war wie Madoc, würde es tagelang dauern, bis seine Wut nachließ. Wie konnte sie je wieder seine Zuneigung gewinnen?
Der Page verschwand am Saaleingang. Keely betrat zögernd den Saal. Der Anblick, der sich ihr bot, war atemberaubend. Hunderte farbenprächtig gekleideter Höflinge drängten sich im Empfangssaal der Königin. Keely hatte Angst, sich in dieses Gewühl zu mischen, und blieb am Eingang stehen.
Der Saal war riesengroß. Die besten Musiker Englands standen auf der linken Seite und spielten auf ihren Instrumenten. An der langen Wand gegenüber vom Eingang saß Königin Elisabeth auf einem Podium, das mit exotischen Teppichen belegt war. Die Mitte des Saals war für den Tanz freigehalten worden.
Die äußere Erscheinung war hier, am Tudorhofe, das wichtigste. Und in dieser Hinsicht übertrafen die Männer die Frauen. Wams, Kniehose und Accessoires aus goldenem Brokat, silberner Seide oder brombeerrotem Samt bildeten bei jedem einzelnen Höfling eine harmonische Farbsymphonie. Mit wertvollen Edelsteinen besetzte goldene Ohrringe baumelten an ihren Ohren, und mancher Mann hatte mit Rouge nachgeholfen.
Die Kleider der Edeldamen waren so tief ausgeschnitten, daß Keelys tiefes Dekolleté geradezu mädchenhaft wirkte. Die Damen waren über und über mit Diamanten bedeckt, als trügen sie ihren ganzen Besitz an Edelsteinen bei sich. Wie diese Damen noch aufrecht gehen konnten, statt unter dem Gewicht all der goldenen Ketten zusammenzubrechen, überstieg Keelys Vorstellungsvermögen.
Wie sie so dastand und diesen stolz paradierenden Pfauen zusah, schwand Keelys Mut dahin. In dieser Welt würde man sie niemals akzeptieren. Und auch ihr würde dieser dekadente Lebensstil für immer fremd bleiben.
Keely beschloß, auf ihr Zimmer zurückzukehren. Als sie sich gerade umdrehen wollte, hielt sie eine vertraute Stimme zurück.
»Geht es dir besser, Schatz?«
Keely drehte sich um und sah sich dem einzigen schwarzgekleideten Vogel inmitten dieses Kanarienschwarms gegenüber: ihrem Ehemann. Sie nickte und fragte ihn: »Wo ist mein Vater?«
»Ich bringe dich zu ihm«, versprach er ihr lächelnd.
Richard nahm sie bei der Hand und zog sie ins Menschengewühl. Als sie sich ihren Weg durch dieses Gedränge bahnten, verbeugten sich die Höflinge, und ihre Damen nickten oder lächelten. Keely war stolz, daß ihr Ehemann ein solches Ansehen genoß. Sie näherten sich dem Podest, und Keely entdeckte Lady Dawn und ihren Vater, die sie begrüßten.
»Richard erzählte uns, du seist unpäßlich«, bemerkte Herzog Robert und küßte sie auf die Wange.
»Es geht mir bereits wieder viel besser«, versicherte Keely ihm, »aber es tut mir schrecklich leid, Eure Hochzeit versäumt zu haben. Bitte verzeiht mir.«
»Da gibt es nichts zu verzeihen, mein Kind.« Herzog Robert zwinkerte dem Grafen zu und scherzte: »Vielleicht ist schon mein Enkelkind im Ofen.«
Keely wurde puterrot. Richard grinste, allerdings mehr über die Schamhaftigkeit seiner Frau als über den Witz seines Schwiegervaters.
»Ich freue mich sehr für Euch, Euer Gnaden«, beglückwünschte Keely ihre neue Stiefmutter und umarmte sie herzlich.
»Was für ein nettes Kind du bist«, gluckste Lady Dawn. »Ach, beinahe hätte ich vergessen, daß ich nun eine Herzogin bin. Tally zu heiraten, ist schon wunderbar genug.«
»Das kann ich kaum glauben«, war eine Frau neben ihnen zu vernehmen, die mit ihren Freunden sprach.
Genauso laut erklärte Lady Dawn: »Margaret Lennox‘ Charakter entspricht ihrem gräßlichen Gesicht. Hüte dich vor ihr, Keely.«
»Liebling«, flüsterte Richard seiner Frau ins Ohr, »hättest du etwas dagegen, wenn ich zuerst mit der Königin tanzte?«
Keely schüttelte lächelnd den Kopf. Sie sah zu, wie ihr Mann, eine stattliche Erscheinung, zum Podest ging und sich tief vor der Königin verbeugte. Keely konnte die Wärme des umwerfenden Lächelns, mit dem er die Königin begrüßte, geradezu körperlich spüren.
»Hättest du etwas dagegen, mit deinem Vater zu tanzen?« zog Herzog Robert ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Keely erstarrte. Unmöglich konnte sie eingestehen, daß sie nicht tanzen konnte. Verlegen suchte sie nach einer glaubwürdigen Entschuldigung.
»Ich fürchte, die Anstrengung könnte zuviel sein für mich«, erklärte Keely. »Bitte, Papa, tanze doch mit deiner Braut.«
»Du hast nichts dagegen?« fragte Lady Dawn.
Keely lächelte so freundlich sie konnte und schüttelte den Kopf. Sie sah zu, wie der Herzog und die Herzogin von Ludlow die Tanzfläche betraten.
Nun war sie allein inmitten Fremder und fühlte sich wieder ausgegrenzt und furchtbar auffällig. Einige der Edelleute, die an ihr vorbei flanierten, musterten sie neugierig. Doch niemand schien sie es wert zu dünken, das Wort an sie zu richten. Das wenige Selbstvertrauen, das Keely besaß, schwand im Nu dahin.
Zu ihrer großen Erleichterung hörte die Musik bald auf, und Keely sah, wie ihr Ehemann die Königin zurück zum Podest geleitete. Sie wollte ihm gerade entgegeneilen, als sie bemerkte, wie ihn eine junge Edeldame abfing. Keely war am Boden zerstört, als sie sah, daß ihr Ehemann mit Lady Jane die Tanzfläche betrat, der sinnlichen Brünetten, die nach Aussage der Gräfin Richard gerne verführt hätte.
Sie entdeckte Morgana in Begleitung eines gutaussehenden, jungen Höflings und schnappte das Wort Bastard auf, das sie innerlich zusammenzucken ließ. Plötzlich erschienen ihr die interessierten Blicke der Männer wie lüsternes Grinsen, und das Lächeln der Frauen deutete sie nicht länger als höflich und kühl, sondern als hämisch.
Keely ertrug es nicht mehr lange, hier alleine zu stehen. Aber wo sollte sie hingehen? Sie kannte niemanden, mit dem sie hätte reden können. Und selbst wenn sie jemanden gekannt hätte, hätte sie Angst gehabt, »unzivilisiert« zu erscheinen, wie ihr ihr Richard einmal vorgehalten hatte.
Herzog Robert und Lady Dawn tauchten gerade rechtzeitig auf, um ihr die Erniedrigung zu ersparen, alleine den Empfangssaal der Königin zu verlassen, während ihr Ehemann mit einer anderen Frau tanzte. Trotz ihrer angespannten Nerven und ihres verletzten Stolzes trug Keely den Kopf hoch. Doch innerlich atmete sie erleichtert auf, als ihr Vater wieder bei ihr war.
Die Musiker beendeten das Stück und begannen mit dem nächsten. Herzog Robert führte Lady Dawn erneut auf die Tanzfläche. Doch Richard tauchte immer noch nicht auf.
Keely, die sich zusehends elender fühlte, suchte den Saal nach ihm ab und entdeckte ihn auf der Tanzfläche mit Lady Sarah, der Blondine, die ihn sich als Ehemann hatte angeln wollen. Mißmutig musterte Keely den Boden unter ihren Füßen, doch allmählich trat Wut an die Stelle ihres Selbstmitleids. Der Graf wußte, daß sie hier niemanden kannte, und dennoch hatte er sie sich selbst überlassen. Wie sollte sie gegen so vornehme, gebildete Damen wie Jane und Sarah um seine Aufmerksamkeit kämpfen? Sogar Morgana paßte besser zu ihm als sie. Warum hatte er sie holen lassen, wenn er sie nun überhaupt nicht zur Kenntnis nahm?
»Wo ist denn dein Lächeln geblieben?« hörte sie jemand fragen.
Keely fuhr herum und sah ihren Mann kühl an. »Das habe ich am Altar gelassen, mein Herr Herumtreiber.«
»Nun sei doch nicht so, Liebling«, versuchte Richard sie zu besänftigen. Er lächelte, als gelte es ihr Herz und den Eisberg in ihren Augen zu schmelzen. »Das ist ein Fest. Tanzen und sich unter die Leute mischen gehört dazu.«
»Unter die Leute mischen?« wiederholte Keely verächtlich.
»Ist das euer vornehmer Ausdruck hier am Hof für Ehebruch? Ihr Engländer habt stets so hübsche Bezeichnungen für eure Schandtaten.«
»Ehebruch?« Er blickte ihr tief in die Augen, doch seine Belustigung war unverkennbar. »Bist du etwa eifersüchtig, weil ich mit anderen Frauen getanzt habe?«
»Nein.« Hocherhobenen Hauptes drehte Keely sich um.
Richard war gefährlich nahe, so nahe, daß sie seinen warmen Atem an ihrer Wange spüren konnte. »Ich entschuldige mich dafür, dich allein gelassen zu haben«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Verzeih mir, meine Geliebte.«
Keely sah ihn aus den Augenwinkeln an. Bei dem Wort »Geliebte« wurde ihr warm ums Herz, und sie lächelte. Mit einem Nicken nahm sie seine Entschuldigung an.
»Wollen wir den Teppich kitzeln, Schatz?« fragte er sie.
Dieser Vorschlag überraschte Keely. »Ist das so üblich wie das Unter-die-Leute-Mischen?«
Richard nickte.
Bevor er sie bei der Hand nehmen und auf die Tanzfläche führen konnte, sank Keely graziös auf die Knie und begann, mit den Fingerspitzen den Teppich zu reiben.
Richard sah sie verdutzt an. Was, zum Teufel, machte sie da?
Um sie herum fingen die Gäste an zu lachen, doch niemand lachte lauter als die Ladies Morgana, Jane und Sarah. Selbst die Höflinge, die sich dem Grafen zuliebe zurückhielten, starrten entsetzt seine Frau an. Ihr bizarres Verhalten war zu faszinierend. Sogar Königin Elisabeth konnte den Blick nicht von ihr wenden, während Robert Dudley sich vor Lachen schier ausschüttete.
Richard ging in die Hocke, um auf gleicher Ebene mit seiner Frau zu sein, und fragte sie geduldig: »Schatz, was machst du hier?«
»Ich kitzle den ...« Keely hielt mitten im Satz inne, als sie merkte, daß er sie nicht wirklich aufgefordert hatte, den Teppich zu kitzeln. Sie hörte das Gelächter, das ihnen galt, und blickte ihren Ehemann verzweifelt an.
»Liebling, ich habe dich zum Tanzen aufgefordert«, erklärte ihr Richard mit sanfter Stimme, doch seine Mundwinkel zuckten gefährlich.
Und das war zuviel für Keely.
Sie ertrug es nicht länger, sprang auf und rannte durch die verblüffte Menge zum Saal hinaus. Sie hörte noch, wie ihr Mann ihren Namen rief, aber sie warf keinen Blick zurück und blieb nicht stehen. Das Gelächter der Höflinge verfolgte sie durch die Korridore bis zu ihrem Zimmer.
Keely warf die Tür ins schloß und lehnte sich dagegen. Die Tränen der Erniedrigung strömten ihr über die Wangen. Sie konnte diesen Menschen nie mehr in die Augen sehen. Die Welt ihres Ehemanns würde niemals die ihre werden, sie gehörte nicht hierher. Sie war aus einem anderen Holz geschnitzt. Sicher, sie stammte von walisischen Prinzen und einer Druidenpriesterin ab, für diese Engländer jedoch war sie nur ein dummer walisischer Bastard, der sich seinem ahnungslosen Erzeuger aufgedrängt und Englands beliebtesten Peer gegen seinen Willen in die Ehe gezwungen hatte. Sie war wirklich eine Prinzessin von Nirgendwo.
Schweren Schrittes ging Keely im Zimmer auf und ab und setzte sich schließlich aufs Bett. Sie mußte um jeden Preis dem Unglück hier entkommen.
Nach Hause. Wie der Gesang der Sirenen, so verführerisch erschienen ihr die dunstverschleierten Berge von Wales.
Ach, in welch ausweglose Lage sie sich gebracht hatte! Verließe sie den Grafen, würde ihr das Herz zerbrechen, bliebe sie jedoch bei ihm, in seiner Welt, würde sie zugrunde gehen.
Die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage übermannte sie, Keely bedeckte ihr Gesicht und weinte hemmungslos. Sie beweinte, was geschehen war. Und was nie sein würde.
Leise wurde die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Richard trat ans Bett zu seiner Frau und setzte sich neben sie. Er nahm sie in seine Arme und tröstete sie. Das Herz tat ihm weh, als er ihre Tränen sah und ihr Schluchzen hörte.
Er wischte ihr mit seinem Taschentuch die Tränen aus den Augen und erklärte ihr: »Elisabeth verlangt, daß ihre Höflinge so lange im Empfangssaal bleiben, bis sie aufbricht. Das ist ein Zeichen des Respekts für die Krone.«
»Ich bin kein Höfling«, flüsterte Keely.
»Und ob die Gräfin von Basildon zu den Höflingen gehört«, lächelte Richard ermutigend.
Keely sah ihn durch einen Tränenschleier an. »Ich muß zurück nach Wales, Mylord. Unsere Ehe kann annulliert werden.«
»Das ist unmöglich, sobald eine Ehe vollzogen wurde, Liebling.« Dabei wirkte er sich seiner sicherer, als er tatsächlich war. Was immer geschah, er würde sie nie gehen lassen.
»Dann lassen wir uns scheiden.«
Richard hob ihr Kinn, blickte ihr in die Augen und sah ihren Schmerz. In einem Ton, der keinen Widerspruch zuließ, erklärte er ihr: »Ob in guten oder schlechten Zeiten, wir sind Mann und Frau, bis daß der Tod uns scheidet.«
»Wie jeder Edelmann Englands deutlich sehen konnte, sind es wahrscheinlich eher schlechte Zeiten.«
»Nun komm.« Richard nahm sie in die Arme und streichelte ihr beruhigend über den Nacken. »Es war meine Schuld. Vergibst du mir?«
»Es war meine Dummheit, worüber alle so gelacht haben«, antwortete sie und sprach ihn von jeglicher Schuld frei.
»Nein, es war meine Dummheit, worüber alle so lachten, Liebling. Ich habe eine Redewendung benutzt, die am Hofe gebräuchlich ist, doch gegenüber einer Dame, die noch nie zuvor am Hofe war.« Richard blickte ihr in die entwaffnend veilchenblauen Augen und fuhr fort: »Geh mit mir zurück in die Höhle des Löwen, und wir tanzen zusammen. In einer Stunde werden diese Hofschranzen einen anderen Klatsch finden, über den sie sich das Maul zerreißen können. Vertrau mir, Schönste.«
Keely blickte zu Boden und flüsterte: »Ich ... ich kann nicht.«
»Je länger du dich versteckst, desto länger werden diese Holzköpfe hinter vorgehaltener Hand über uns lachen.«
»Du verstehst mich falsch«, entgegnete Keely kleinlaut, um gleich darauf, als wolle sie ein schreckliches Verbrechen beichten, herauszuplatzen: »Ich habe nie tanzen gelernt.«
»Das Problem ist schnell gelöst«, antwortete Richard. Er stand auf und zog sie sanft hoch. Als sie ihm gegenüberstand, lächelte er und verbeugte sich höflich vor ihr.
Keely erkannte ihren Einsatz, lächelte zaghaft und knickste. »Und was jetzt?« fragte sie.
Richard zeigte ihr die notwendigen Schritte, doch als sie erleichtert strahlte, wie einfach es sei, konnte er nicht länger widerstehen und zog sie in seine Arme. Sie war zu schön. Er küßte sie leidenschaftlich, um den Schmerz zu heilen, den sie heute erlitten hatte. Als sie die Arme um seinen Hals legte und sich an ihn schmiegte, murmelte Richard: »Zum Teufel mit der Königin.«
Er hob sie hoch und trug sie zum Bett. Nachdem er sich neben sie gelegt und ihr Mieder aufgerissen hatte, begann er, ihre Brüste zu liebkosen.
»Ähem.« Da war noch jemand in ihrem Schlafgemach.
Benommen vor Lust, wandte Richard sich langsam um. In der Tür stand Willis Smythe. Er konnte den Blick nicht losreißen von Keelys dunklen, erregten Brustwarzen. Die Begierde stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Keely schnappte nach Luft, während sie ihre Blöße zu bedecken versuchte. Doch Richard, der auf ihr lag, behinderte sie dabei.
»Die Königin wünscht dich zu sprechen«, ließ Willis ihn wissen, ohne den Blick von Keelys bloßen Brüsten zu wenden.
»Raus mit dir«, befahl Richard. Er sprach leise, doch es war klar, daß er keinen Widerspruch duldete.
»Aber Elisabeth ...«
»Ich sagte: raus!«
Willis Smythe brauchte keine dritte Aufforderung. Er grinste ohne die geringste Reue, nickte kurz und verschwand.
Richard blickte zu Keely, die schamrot neben ihm lag, und bedauerte sofort seine Entscheidung, bis nach den Weihnachtsfeiertagen am Hofe zu bleiben. Aber nun war es zu spät, etwas daran zu ändern. Er hatte Elisabeth bereits versprochen, sie würden bis nach der Zwölften Nacht hierbleiben, wenn der gesamte Hof zum Richmond Palace zog, der Winterresidenz der Königin. Reiste er früher ab, wäre das bestenfalls beleidigend und schlimmstenfalls verdächtig.
Richard erhob sich und richtete seinen Hosenbeutel, während seine Frau ihre bloßen Brüste bedeckte. »Das wird nie mehr Vorkommen«, versprach er ihr.
Keely nickte. Er konnte nichts dafür, daß sie so wenig Zeit für sich hatten.
»Ich werde uns bei der Königin entschuldigen.« Richard küßte sie auf die Wange. »Verriegele die Tür hinter mir und öffne sie nur für mich.« Er verließ das Schlafzimmer, wartete jedoch draußen vor der Tür, bis er den Riegel zuschnappen hörte. Finster dreinblickend, lief er den Gang hinunter.
Als er den Empfangssaal der Königin erreichte, bahnte sich Richard seinen Weg durch die Menge. Er wartete vor dem Podest, bis Elisabeth ihn gnädig bemerkte, dann verbeugte er sich tief vor ihr.
»Mir fiel Eure Rüpelhaftigkeit auf, als Ihr mich ohne meine Erlaubnis verließet«, erklärte Elisabeth tadelnd.
Richard warf einen Seitenblick auf den schadenfroh feixenden Grafen von Leicester, der neben dem Thron der Königin stand. »Majestät, ich möchte Euch bitten, mich Eurer Großmut teilhaftig werden zu lassen und mir zu verzeihen«, entschuldigte sich Richard. »Meine Frau wurde plötzlich krank.«
»Ist es ernst?« Elisabeth spielte das Spiel der Höflinge, ein Zeitvertreib für zwei Spieler – einen Monarchen und einen Höfling – und jede Menge Zuschauer. Jedermann im Saal wußte, daß sie Zeugin des peinlichen Vorfalls gewesen war, als seine Frau den Teppich kitzelte.
»Ich denke, es ist nur die Aufregung, in der Nähe Eurer Majestät gewesen zu sein«, log Richard mit einem treuherzigen Lächeln. »Ich bin sicher, meine Frau wird sich am Morgen bereits viel besser fühlen.«
Elisabeth nickte. Seine geschliffene Entschuldigung gefiel ihr. Sie liebte es, das Höflingsspiel mit ihrem teuren Midas zu spielen, der ein ausgesprochen würdiger Gegner war.
»Darf ich Euch um die Erlaubnis bitten, in mein Gemach zurückzukehren, um meiner Frau Trost zu spenden, soweit mir dies möglich ist?«
»Bringt Eurer reizenden Braut meine besten Genesungswünsche, Mylord.«
»Vielen Dank, Majestät.«
Richard verbeugte sich tief und verabschiedete sich. Bevor er jedoch den Saal verließ, suchte er die Menge nach Willis Smythe ab; er entdeckte ihn beim Tanz mit Lady Jane. Finsteren Blickes bahnte er sich seinen Weg durch die tanzenden Paare, die stehenblieben und ihm neugierig nachblickten. So hatte ihn noch niemand gesehen.
Lady Jane entdeckte ihn zuerst, doch das mörderische Glitzern in seinen Augen entging ihr. »Seid Ihr endlich wieder bei Sinnen und habt diesem Waliser Trottel den Laufpaß gegeben?« flötete sie.
Richard schenkte ihr keine Beachtung. Er fixierte seinen Freund, der den Kopf neigte und der Dinge harrte, die da kommen würden.
»Wir haben viele Dinge geteilt, aber begehe nie den Fehler, dazu auch meine Frau zu zählen«, warnte ihn Richard todernst. »Wenn du sie noch einmal ansiehst, hat deine letzte Stunde geschlagen.« Ohne eine Antwort abzuwarten, machte er auf dem Absatz kehrt und schob die Schaulustigen zur Seite, um nach draußen zu gelangen.
»Basildon!«
Richard blieb am Eingang stehen und drehte sich um. Er sah den einzigen Mann außer ihm, der ausschließlich Schwarz trug, Graf Burghley.
»Gibt es ein Problem?« fragte Burghley.
Richard warf einen Blick über die Schulter zu seinem früheren Freund. »Nicht mehr.« Ohne ein weiteres Wort verließ Richard den Saal. Das zufriedene Lächeln auf dem Gesicht seines Mentors sah er nicht mehr.