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Jane hatte ihn geneckt, weil sie am Freitag frei hatte und im Bett bleiben konnte. Das Radioteam wollte stattdessen am Samstag an den letzten Vorbereitungen für ihre Sendungen aus Verona arbeiten. Lavelle musste die Frühmesse in Kilbride halten, und dann hatte er vormittags und nachmittags Unterricht im Mädchencollege. Sie wollte natürlich, dass er blieb. Sich krank meldete. Lyons bat, ihn zu vertreten. Aber er wollte Lyons nichts schuldig sein, da seine Beziehung zu ihm ein wenig angespannt war.
Und ob er denn nicht irgendein Tabu brechen würde, wenn er die Kommunion spendete, nachdem er bei ihr gewesen war, hatte sie gegurrt, um dann kokett zuzugeben, dass ihr jedes Mittel recht sei, wenn sie ihn zum Bleiben bewegen konnte. Er lachte und sagte, zum Glück lebten sie nicht mehr in den Zeiten des Celi De, als man einem Priester in seiner Lage nie wieder erlaubt hätte, eine Messe zu lesen. In den Augen der Kirche hingegen sei das Sakrament an sich wirksam, ungeachtet des Zustands dessen, der es erteilte. Er versprach anzurufen, sobald er konnte. Auf jeden Fall vor Mittag.
Sie hatten sich sanft und auch wild geliebt, manchmal hatten seine Hände die Landschaft ihres Körpers voller Neugier erkundet, als befände er sich auf einer wissenschaftlichen Expedition, dann wieder so zärtlich, als würde jede heftige Berührung einen Stromschlag auslösen. Bald hatte er nur die Hände über ihre runden Brüste gewölbt, dann wieder seine Zunge um ihre Brustwarzen kreisen lassen, während seine Finger durch ihre feuchten, anschwellenden Falten glitten, als müsste er jede Erhebung und jede Senke ihres Körpers erforschen. Und als sie ihn in sich aufnehmen wollte, zögerte er und öffnete sie erst zur Gänze, als würde er sich darauf vorbereiten, einen heiligen Ort zu betreten, ihren Hunger nach ihm auf diese Weise steigernd. Und als er in sie eindrang, war es, als wären sie seit undenklichen Zeiten füreinander geformt gewesen, und als sie gekommen waren, hatte sie ihn von Kopf bis Fuß mit Küssen bedeckt. Sie griff nach zwei Kissen, drückte sie an sich und lächelte bei der köstlichen Erinnerung. Die Kissen rochen noch nach ihm, und sie vergrub ihr Gesicht darin. Sie hatte ihn beobachtet, als er schlafend neben ihr lag, hatte über seinen Bart gestrichen und war durch sein Haar gefahren, und sie hatte ihn sanft auf die Wange geküsst, bevor sie sich an ihn schmiegte, als der Schlaf auf sie herabsank.
Sie langte nach der Zudecke und schloss sie in ihre Umarmung mit ein. Von draußen hörte sie den Chor der Morgendämmerung, die Vögel sangen aus voller Kehle, als wollten sie den Frühling drängen, endlich den Griff des Winters zu lösen.
Zwischen den barocken Liedern von Amsel und Drossel zwitscherten die Spatzen mit ihren schlichteren Stimmen, aber gelegentlich bot einer einen Pfeifton auf, der sich wie ein Bogenstrahl silbriger Flüssigkeit in die Luft ergoss. Sie schlief wieder ein.
Es war schon Mittag vorbei, als sie aufwachte und sich wunderte, warum Lavelle nicht angerufen hatte. Sie musste einige Telefonate machen, wollte aber den Zauber nicht brechen. Bestimmt hatte er viel zu tun. Dann begann ein Gedanke an ihr zu nagen. Sie hatten kein Kondom benutzt. Jane hatte gesagt, sie würde die Pille nehmen – sie log ziemlich oft in letzter Zeit. Sie würde sich auf den Weg machen und eine »Pille danach« besorgen müssen. Wie lange konnte sie damit warten? Waren es zweiundsiebzig Stunden? Sechsunddreißig? Sie wusste es nicht mehr.
Jane wälzte sich noch eine Stunde im Bett hin und her, dann stand sie auf. Noch immer kein Wort von ihm. Insgeheim hatte sie gehofft, er würde nicht nur anrufen, sondern bei ihr vorbeikommen. Er hatte mittags länger als eine Stunde frei und war nur zehn Minuten Fahrzeit entfernt. Aber weder das eine noch das andere geschah. Na, sie würde jedenfalls nicht schmachtend auf ihn warten.
Sie zog einen Bademantel an und ging in die Küche, um etwas zu essen. Eine Schüssel Cornflakes war alles, was sie hinunterbrachte. Sie hatte vorgehabt, Debbie anzurufen, sich für das Fax zu bedanken und eine Verabredung nach ihrer Rückkehr aus Verona zu treffen, aber sie war jetzt nicht in der Stimmung dazu. Die anderen Anrufe waren unwichtig und konnten warten.
Sie beschloss, das Erdgeschoss sauber zu machen, und während sie arbeitete, hob sie zweimal den Telefonhörer auf, einmal, um zu überprüfen, ob es funktionierte, und einmal, weil sie kurz davor war, ihn anzurufen. Dann ging sie wieder nach oben und duschte. Auf dem Wecker neben dem Bett war es nach drei Uhr.
Wie konnte er ihr versprechen, er würde anrufen, und es dann nicht halten! Sie fing an, das Bett zu machen. Bedeutete sie ihm so wenig? Wütend warf sie ein Kissen gegen das Telefon auf der Kommode, sodass der Hörer von der Gabel fiel. Wenn er sich nun erklären wollte, würde er es persönlich tun müssen. Den restlichen Nachmittag und Abend saß sie in ihrem Bademantel vor dem Fernseher. Draußen wurde es dunkel, und jedes Mal, wenn sich Autoscheinwerfer dem Haus zu nähern schienen, lief sie ans Fenster und schaute hinaus. Schließlich zog sie die Vorhänge zu.
Nachdem sie ein paar Tortillachips gegessen hatte, holte sie eine große Flasche Coca-Cola aus dem Kühlschrank in der Küche. Dabei entdeckte sie die Brandyflasche, die hinter dem Vorhang auf dem Fensterbrett stand. Die hatte sie beim Saubermachen übersehen. Sie hatte den Deckel des Abfalleimers schon angehoben, um sie wegzuwerfen, aber stattdessen füllte sie ein halbes Glas und mischte es mit der Cola. Dann warf sie sich aufs Sofa und brütete vor sich hin.
Wo zunächst nur Enttäuschung gewesen war, verdüsterten nun erste Zweifel ihre Gefühle für Liam Lavelle. Und wo Zorn gewesen war, flüsterte ihr nun die Angst unerfreuliche Dinge über ihn ein. Bestenfalls war er herzlos, gleichgültig. Und schlimmstenfalls war er ein sexueller Wüstling mit einer von Religion und erzwungener Ehelosigkeit versauten Persönlichkeit.
Sie goss sich noch mehr Brandy ein und gab einen Spritzer Coke dazu. Sie dachte daran, was sie über abweichendes Verhalten in ihren Psychiatriebüchern gelesen hatte. Grässliche Fallbeschreibungen stiegen in ihr auf, je mehr der Alkohol ihre Fantasie anregte. Was genau war wohl zwischen Lavelle und dieser Frau in den Staaten passiert?
Nach einem weiteren Drink begannen sich ihre Gedanken im Kreis zu drehen und wurden zunehmend unzusammenhängend.
Er hatte mit großem Gefühl von Paula gesprochen, aber war das echt oder nur gut gespielt gewesen? Warum mochte Taaffe ihn nicht? Welche Faszination hatte ein mitleidloser Christus für ihn? Warum war er so von Blut und weiblicher Sexualität besessen? Wie war Paula Ryman wirklich gestorben?
Dann begann die Benommenheit einzusetzen, und nicht einmal eine Stunde nach ihrem ersten Brandy schwankte Jane nach oben in ihr Bett und schlief ein.
Am nächsten Morgen um neun Uhr duschte sie, zog sich an und fuhr ins Dorf hinunter. Sie fühlte sich benebelt. Musste sie sich die Pille danach von einem Arzt verschreiben lassen? Sie wusste es nicht. Sie würde in einem Café am Ort frühstücken und darüber nachdenken. Erst holte sie sich aus einem Zeitungsladen noch die Irish Times, dann ging sie ein paar Türen weiter in das Café. Sie setzte sich an einen Tisch und schlug die Zeitung auf. Rechts vom Aufmacher, einem Bericht über den Israelbesuch des amerikanischen Präsidenten im Vorfeld der Friedenskonferenz, sah sie die Schlagzeile:
OPFER DES MESSERSTECHERS WAR BERATER DER POLIZEI
Pfarrer Liam Lavelle, der gestern bei einer Messerattacke in Kilbride verletzt wurde, soll die Polizei über mögliche Aspekte des Ritualmords in dem Dorf zu Beginn des Monats beraten haben. Pfarrer Lavelle ist informeller Berater der Erzdiözese in Sektenfragen. Ein Sprecher des St. Vincent’s Hospital bezeichnete seinen Zustand gestern als ernst. Inzwischen geht die Polizei davon aus, dass der Mord an Kara McVey (29) in Zusammenhang mit der Tötung der 20-jährigen Sarah Glennon steht, deren Leiche Anfang des Monats in der Pfarrkirche von Kilbride entdeckt wurde. Der Messerangriff auf Pfarrer Lavelle könnte von einer Person ausgeführt worden sein, die Kontakte mit einer Gruppe namens Der Zehnte Kreuzzug hat. Die Polizei bestreitet, dass der Angriff und möglicherweise auch die kürzlichen Morde mit einer internen Fehde in der Organisation zu tun haben. Der mutmaßliche Angreifer des Priesters wurde durch das beherzte Eingreifen von Gemeindemitgliedern, die Zeugen des Angriffs im Haus des Pfarrers wurden, selbst erheblich verletzt. Der Täter, Wayne Bonner (26), ist der Garda nicht unbekannt. Er soll schwere Kopfverletzungen erlitten haben und wurde ins St. James Hospital gebracht. Sein Zustand wurde gestern Abend als kritisch bezeichnet.
Jane stürzte aus dem Café und rannte zu ihrem Auto, das sie an der Hauptstraße geparkt hatte. Sie wendete, ohne auf das Hupen der anderen Fahrer zu achten, und raste in Richtung Dublin.