45
Das Vernehmungszimmer im Polizeirevier von Lucan war nicht der Ort, den sich Lavelle ursprünglich für ihr Treffen mit Dempsey vorgestellt hatte. Es war ein sehr formeller Rahmen – der Hinweis auf eine Veränderung in seiner Beziehung zu dem Detective Inspector. Auch hatte er nicht gewusst, dass Taaffe mit am Tisch sitzen und schon vor dem Gespräch schlechte Laune verbreiten würde. Taaffe knurrte etwas, als der Priester Jane vorstellte. Schon als sie das Treffen vereinbarten, hatte Lavelle den Eindruck gehabt, dass Dempsey alles andere als erfreut darüber war, dass er sie mitbrachte. Er hatte ihm jedoch klarzumachen versucht, dass die Dinge, die sie herausgefunden hatten, nach Janes Begegnung mit Swann noch überzeugender geworden waren.
Nun spürte Lavelle nur noch Feindseligkeit.
»Wir haben es mit einem weiteren Mord zu tun«, sagte Dempsey, »deshalb werden Sie sicher verstehen, dass unsere Zeit sehr kostbar ist. So viel ich weiß, haben Sie Informationen, die Sie uns zur Kenntnis bringen möchten?«
Dempseys formaler Polizeijargon veranlasste Lavelle, die Atmosphäre zu reinigen.
»Moment, meine Herren. Ich war Ihnen bei Ihren Ermittlungen behilflich, wie Sie es gerne nennen. Ich habe außerdem vor ein paar Tagen einen nächtlichen Besuch von Detective Sergeant Taaffe erhalten, der alles andere als angenehm war, aber ich verstehe, dass Sie gründlich vorgehen müssen. Wenn Sie jetzt aber wirklich gründlich sein wollen, schlage ich vor, Sie hören sich an, was wir zu sagen haben, und zwar unvoreingenommen und mit ein bisschen weniger Aggressivität.«
Bevor Dempsey etwas sagen konnte, reagierte Taaffe bereits.
»Hochwürden. Sie beherrschen Ihren Job, richtig? Und ich beherrsche meinen. Und jetzt weiter im Text.«
Lavelle warf Jane einen Blick zu. Sie zuckte die Achseln, als wollte sie sagen: Was tun wir hier eigentlich?
»Gut, meine Herren«, sagte er. »Wir werden Ihre Zeit nicht vergeuden. Wir übergeben alles Ihrem Chief Superintendent.«
Sie erhoben sich, um zu gehen.
Dempsey wedelte mit der Hand. »Setzen Sie sich. Wir hören zu. Nun setzen Sie sich schon. Bitte.«
Sie zögerten.
»Hören Sie«, sagte Dempsey. »Wir haben wenig oder gar nicht geschlafen. Die Medien stürzen sich auf uns wie die Fliegen auf einen Kuhfladen. Wir haben Druck von oben, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Aber wir wissen es zu schätzen, dass Sie uns helfen wollen.«
Sie nahmen wieder Platz.
Taaffe setzte eine angewiderte Miene auf, die Lavelle zu ignorieren beschloss. Er schlug vor, Jane solle »Detective Inspector Dempsey« ihre Seite der Geschichte erzählen, um zu betonen, mit wem sie hier kommunizieren wollten.
Von Beginn ihres Berichts an hörte Dempsey aufmerksam zu und machte sich gelegentlich Notizen; seine Miene blieb teilnahmslos. Taaffe spielte mit seiner roten Seidenkrawatte, verdrehte die Augen zur Decke oder lächelte grimmig vor sich hin. Bis Jane von Greg Mathers sprach und ihnen anschließend Debbies Fax zuschob. Taaffe schaute drein, als hätte ihn der Lehrer beim Unfug machen erwischt, und fing an, sich Notizen in ein Schreibheft mit festem Rücken zu machen. Jane fuhr wie geplant fort, bis sie bei Becca de Lacy und den Hütern des Siebten Siegels angekommen war. Als sie geendet hatte, herrschte fast eine Minute lang Schweigen. Taaffe stand der Mund offen. Diesmal sprach Dempsey als Erster.
»Das ist das Absurdeste, was ich in meiner ganzen Polizeilaufbahn gehört habe. Total verrückt. Aber ich bin gewillt, wenigstens einem Teil davon Glauben zu schenken. Und ich muss Miss Wade besonders für diesen Zeitungsartikel danken. Nun würde ich gern hören, wie Pfarrer Lavelles Ansichten in dieses Szenario passen. Aber zunächst hätten Sie sicher gern eine Tasse Tee oder Kaffee. Wenn Sie uns kurz entschuldigen. Was möchten Sie haben?«
Lavelle bat um einen Kaffee, Jane lehnte dankend ab. Es war offensichtlich, dass Dempsey seinen Kollegen zu einer kurzen Besprechung aus dem Raum holte. Jane fragte nach der Toilette, und man beschrieb ihr den Weg.
Lavelle stand auf, trat vor das kleine Fenster und sah hinaus. Ein heller Stern blinkte und funkelte tief am nun klaren Himmel über Lucan. Er sandte nadelspitze Lichtsignale aus, bald blau, bald rot, bald grün. Das musste der Sirius sein, der hellste Stern am Himmel, fast zehn Millionen Lichtjahre entfernt und mit der mehr als zwanzigfachen Leuchtkraft der Sonne.
Lavelle hatte früher ein kleines Teleskop besessen. Er hatte es immer auf dem Fensterbrett seines Schlafzimmers stehen. Jedes Mal, wenn er etwas Aufregendes entdeckte, rief er nach seiner Mutter. Sie versäumte es nie, die Treppe hinaufzusteigen und Interesse zu zeigen, obwohl es sie, wie ihm Jahre später klar wurde, in Wirklichkeit wenig interessiert hatte. Seine älteren Geschwister liebten ihn abgöttisch, und sie waren es auch, die Geschenke wie Teleskope möglich machten. Sein Vater war plötzlich gestorben, als Liam vier war, und er hatte kaum etwas hinterlassen, wovon seine Mutter eine achtköpfige Familie hätte ernähren und kleiden können.
Er dachte daran, wie sehr er sich auf seine Mutter gefreut hatte, als er endgültig aus den Staaten nach Hause kam. Er rief sie noch am Tag seiner Ankunft an und sagte, er würde später vorbeikommen. Er hatte ein teures Schmuckstück für sie gekauft und wollte ihre Freude erleben, wenn ihr endlich etwas von Wert gehörte, etwas, von dem sie sich nie vorgestellt hätte, dass sie es einmal besitzen würde. Kaum eine halbe Stunde nach ihrem Telefongespräch rief sein ältester Bruder an, um ihm mitzuteilen, dass sie tot war. Ein Herzinfarkt. Er legte die sternförmige Diamantbrosche, die er ihr gekauft hatte, dann zu all dem Krimskrams und wertlosen Schmuck in ihr Zimmer. Es war ihm egal, wenn sie mit dem Rest weggeworfen wurde.
Er fragte sich, wo seine Mutter jetzt war. Konnte sie ihn sehen? War sie sich seiner bewusst? Es war sehr unwahrscheinlich, und dennoch begleitete ihn diese Vorstellung überallhin. Oder war es nur die Erinnerung an seine Mutter?
Er überlegte oft, dass man sich alle Menschen, die man gut kannte, tote oder lebende, ins Gedächtnis rufen und in seiner Fantasie vorbeiziehen lassen konnte, jeden für ein oder zwei Sekunden, in denen nur kurz ihre Züge aufblitzten. Tatsächlich kamen sie oft ungebeten. Wie oft am Tag marschierte einem ein Teil dieser Prozession durch den Sinn? Und doch dauerte es nur ein, zwei Generationen, bis diese geisterhafte Gesellschaft in keiner Erinnerung mehr existierte. So wie das Abbild eines Lichtblitzes auf der Netzhaut immer schwächer wird, bis er ganz verschwunden ist. Im Gedächtnis der anderen gibt es keine Unsterblichkeit.
Sirius schien zu tänzeln und hielt doch seine Position am Himmel. Eine Täuschung, die durch die Atmosphäre hervorgerufen wird, wie er wusste. Dieser Stern – das war tatsächlich etwas, das der Ewigkeit näher war als die Gedanken von Menschen. Wenn er die Hand ausstrecken und ihn wie einen Edelstein in die Finger nehmen könnte…
Dempsey und Taaffe machten in einer kleinen Küche weiter unten im Flur Tee und Kaffee.
»Jetzt kann mich gar nichts mehr überraschen«, sagte Taaffe.
»Gedichte und Popvideos, Mannomann. Was für ein Mist kommt wohl als Nächstes? Das sind alles nur Lavelles Mätzchen. Wahrscheinlich bumst er die Frau, was das Zeug hält, und verspricht ihr, er findet ihre Schwester, aber inzwischen redet er ihr den ganzen Quatsch von Geheimzeichen und toten Dichtern ein.«
»Bist du eifersüchtig? Sie ist eine Wucht, so viel steht fest.
Aber ich denke, Miss Wade ist eine eigenständige Frau, Jack. Nach ihrer Aussage hatte sie zunächst Mühe, Lavelle zu überzeugen. Ich gebe zu, dass die Sache mit Becca de Lacy ans Phantastische grenzt, aber das mit dem Namen Mathers ist interessant. Ich habe ihn nur einmal gegenüber Lavelle erwähnt, und der muss ihn ihr gesagt haben. Wir wissen, dass Mathers existiert, ob der Name nun falsch ist oder nicht, und es hört sich so an, als hätte er sich nach dieser historischen Figur benannt, von der sie gesprochen hat. Und dann ist da noch die Verbindung zu Yeats. Lavelle wusste nicht, aus welchen Gründen sich Mathers in Sligo aufhielt. Und dieser Zeitungsartikel verrät uns nicht nur, woher das Parfüm stammt, sondern auch, dass offenbar Mathers derjenige war, der es geklaut hat. Tote Dichter hin oder her, die beiden sind an was dran. Aber versteh mich nicht falsch. Lavelle steht natürlich immer noch unter Verdacht. Ich denke, wir müssen jetzt einen entschlossenen Versuch unternehmen, ihn entweder festzunageln oder uns Gewissheit darüber zu verschaffen, dass er unschuldig ist.«
»Wir haben noch die anderen Stiefelabdrücke in der Galerie. O’Loughlin hat nicht allein gehandelt.«
»Kannst du dir vorstellen, dass zwei wie Lavelle und O’Loughlin unter einer Decke stecken? Ich nicht. Aber wir lassen Lavelle in den nächsten Tagen noch einmal kommen und vernehmen ihn. Und sei übrigens vorsichtig, was du sagst, wenn wir wieder da reingehen – wir haben O’Loughlin noch nicht des Mordes angeklagt.«
»Ich soll vorsichtig sein? Du bist doch derjenige, der das Risiko eingeht, einem wie Lavelle vom Stand unserer Ermittlungen zu erzählen. Komm mir nicht auf die Tour, Kevin.«
»Ach, so ist das! Aber wenn ich ihm nichts gesagt hätte, wären die beiden heute Abend nicht hier, oder?«, sagte Dempsey und gab seinem Kollegen einen freundschaftlichen Klaps hinters Ohr.
Im Vernehmungszimmer setzten sich alle vier wieder hin, und Dempsey fragte Lavelle, ob das, wovon Jane redete, mit seinen Spekulationen übereinstimmte.
»Zunächst einmal sollten wir den Zehnten Kreuzzug beiseite lassen«, schlug Lavelle vor. »Wenn man das tut, wird alles ein bisschen klarer.«
Dann erzählte er ihnen von Michael Roberts, seiner Verbindung zu ihm und den Informationen, die er von Guterson bei Cultwatch bekommen hatte.
»Nehmen wir also an, dass Roberts der Führer einer in den USA beheimateten Endzeitsekte ist, die sich die Hüter des Siebten Siegels nennt«, fuhr er fort. »Aus irgendeinem Grund werden sie wieder aktiv, nachdem sie sich offenkundig schon aufgelöst hatten. Sie machen Irland zur Basis ihrer Operationen, bei denen sie Frauen als Opfer bei einer Art Reinigungsritual ermorden. Reinigung, darauf habe ich bereits hingewiesen, bedeutet normalerweise Vorbereitung auf etwas. Weiterhin ist mit diesen Morden Roberts’ persönliche religiöse Symbolik verknüpft, die eine Parodie der meisten in ihr enthaltenen Weltanschauungen darstellt, mit Ausnahme der asketischen Werte der frühen irischen Kirche und möglicherweise der alten Religion der Kelten. Alles ist von einem Hass auf weibliche Sexualität durchzogen. Ich nehme an, auch an Kara McVeys Leiche hat man eine Gewandnadel gefunden?«
Taaffe sah eine Gelegenheit, ihm ein Bein zu stellen. »Woher –«
»Ja, das stimmt«, schnitt ihm Dempsey das Wort ab. »Was bedeutet es?«
Der Detective Sergeant schnalzte mit der Zunge.
Lavelle erzählte ihnen die Geschichte von Samhtann, die sich eine Fibel in die Wange steckte.
»Können Sie genauer erklären, was das aussagt?«, hakte Dempsey nach.
»Die toten Frauen wurden gereinigt – bis aufs Äußerste –, man ließ alles Blut aus ihren Körpern laufen. Dann steckte man die Nadel in sie, um deutlich zu machen, dass sie sich in einem veränderten, vollkommenen Zustand befanden. Eine ›schreckliche Schönheux hätte es Yeats vielleicht genannt.«
»Es gibt also einen frauenfeindlichen Aspekt. Weiter«, ermunterte ihn Dempsey, »was noch?«
»Dieser Frauenfeindlichkeit ist dann eine apokalyptische Weltanschauung aufgepfropft. Sie basiert jedoch nicht auf der Bibel, sondern hat mit der Lyrik und den prophetischen Ansichten von William Butler Yeats zu tun. Aus den Apokalyptischen Reitern des siebten Siegels sind zum Beispiel die mythologischen Reiter des keltischen Jenseits geworden. Auf einer neuen Ebene wiederum finden wir eine persönliche Fehde mit mir, zu der die Planung des ersten Mordes und der Fundort der Leiche passt. Und irgendwie ist es der Sekte gelungen, die Musik Becca de Lacys zu unterwandern, die sie auf irgendeine Art manipulieren, vielleicht um ihren Mitgliedern überall auf der Welt Zeichen zu senden. Ich habe allerdings keine Ahnung, worum es dabei gehen könnte.«
Dempsey holt tief Luft. »Das ist eine ziemlich komplizierte Vorgehensweise. Warum machen sie sich all die Mühe?«
»Wer weiß? Dafür kann es alle möglichen Gründe geben. Vielleicht ist Roberts übergeschnappt und übertreibt es einfach. Weiß der Himmel, mit welcher kranken Geistesverfassung Sie es hier zu tun haben.«
»Wie würde Mathers in dieses Szenario passen?«
»Er ist der Kerl, an den die Gewandnadeln geschickt wurden, mehr haben Sie mir nicht gesagt. Also ist er wahrscheinlich ein Mitglied der Sekte.«
»Was wissen Sie über den Hörnergott?«
Die Frage überraschte Lavelle, er blickte von Dempsey zu Jane und wieder zurück, bevor er antwortete. »Ich nehme an, Sie beziehen sich auf den keltischen Gott Cernunnos. Der ist das Vorbild für den Teufel im europäischen Volksglauben.«
»Den Teufel?«, Dempsey klang bestürzt.
»Ja. Aber seine ursprüngliche Rolle war die des Jägers, der das Merzvieh aussonderte, um die Herde rein zu halten. Er war außerdem sowohl Sohn als auch Geliebter der Muttergottheit, deshalb heißt er manchmal auch ›Der dunkle Sohn der Mutter‹.«
»Ich verstehe«, sagte Dempsey und machte sich eine Notiz.
»Gut. Ich danke Ihnen beiden. Wir werden an Roberts dranbleiben und schauen, ob seine Organisation hier Fuß gefasst hat. Sie können das ab jetzt uns überlassen.«
Taaffes Handy läutete, er drückte es fest ans Ohr und verließ rasch den Raum. Dempsey steckte sein Notizbuch weg und machte Anstalten aufzustehen.
Lavelle hob die Hände.
»Moment! Nicht so schnell, Kevin. Wir haben es verdient, mehr darüber zu erfahren, was hier vor sich geht. Über den Mord in der Galerie, zum Beispiel.«
Dempsey beugte sich über den Tisch.
»Ich will offen zu Ihnen sein, Herr Pfarrer. Dass ich Sie in die Sache einbezogen habe, hat mir schon einige Kopfschmerzen bereitet. Zum jetzigen Zeitpunkt sind drei Leute tot. Es ist Zeit, dass ein normales Ermittlungsverfahren angewandt wird.«
»Das ist Blödsinn, Kevin, und das wissen Sie genau. Ein normales Ermittlungsverfahren hätte das, worüber wir heute Abend gesprochen haben, nicht zutage gefördert. Ich weiß, Ihr Kollege hat Vorurteile, und die sind anscheinend im großen Stil in diese Untersuchung geraten.«
»Also gut, ich gestehe. Ich mache mir Sorgen, dass die ganze Stadt von der Geschichte erfährt. Sie haben Miss Wade eingeweiht, ohne mich vorher zu fragen. Sie arbeitet bei den Medien, wenn Sie wissen, was ich meine.« Er vermied es, Jane anzusehen.
»Jane kann darauf sicher selbst antworten.«
»Wenn ich darf?«, sagte sie sarkastisch. »Ich kann Ihnen versichern, Inspector, dass ich in dieser Angelegenheit bisher diskret war. Meine Schwester könnte Mitglied dieser Sekte sein, und ich bin um ihre Sicherheit besorgt. Wenn ich der Ansicht wäre, dass es ihr hilft, würde ich den Weg gehen, den Sie andeuten, aber vorläufig bin ich noch überzeugt davon, die Sache sollte unter uns bleiben, falls Sie mir folgen können.«
Dempsey lächelte. Sie war gerissen. Er würde Ärger mit Taaffe bekommen, aber zum Teufel damit. Er hatte nun mal seinen eigenen Stil.
»Ich gebe Ihnen einen kurzen Überblick, aber nur unter einer Bedingung – Sie verfolgen die Sache nicht mehr auf eigene Faust. Es könnte gefährlich werden. Es könnte uns sogar behindern oder einen Verdächtigen warnen. Wenn Sie irgendwelche Nachforschungen anstellen wollen, reden Sie zuerst mit uns. Ist das klar?«
Beide nickten.
»Ich fange mit Mathers an. Er war letztes Jahr im August in der Yeats-Sommerakademie in Sligo. Er nahm außerdem an einem heidnischen Fest teil, und zwar als Hörnergott verkleidet.«
»Das beweist meinen Hinweis auf die alte Religion der Kelten«, sagte Lavelle. »Und der Jäger-Mörder-Gott repräsentiert gewalttätige, männliche Werte.«
»Jedenfalls haben wir Mathers noch nicht gefunden«, sagte Dempsey. »Aber wir können nun annehmen, dass er das Parfüm gestohlen hat, das bei dem Ritual verwendet wurde, und zusammen mit der Keltennadel bringt ihn das direkt mit dem Mord an Sarah Glennon in Verbindung.«
»Sie sagen, an der Leiche des letzten Opfers wurde ebenfalls eine Gewandnadel gefunden. Was ist mit dem parfümierten Öl?«, fragte Lavelle.
Dempsey schüttelte den Kopf. »Der Mörder muss irgendwie gestört worden sein. Er hatte nicht die Zeit, das Ritual zu vollenden. Aber die Vorgehensweise war dieselbe. Kara McVeys Leiche hing in der Galerie. Man hatte ihr die gleichen Verletzungen wie Sarah Glennon zugefügt. Der Täter hat sie dazu auf eine Rollbahre gefesselt, die zur Ausstellung gehörte. Die Leiche wurde nicht für eine Beerdigung vorbereitet, aber auf den Fuß waren dieselben Buchstaben geschrieben. Und wie gesagt, die Nadel steckte in ihrer Wange – wieder die Verbindung zu Mathers. Ich habe die Leiche gestern Abend gesehen und war heute Vormittag bei der Autopsie dabei. Es war schrecklich, das kann ich Ihnen sagen. Und um alles noch schlimmer zu machen, falls das überhaupt möglich ist, war Kara McVey im dritten Monat schwanger.«
»O Gott, wie furchtbar«, flüsterte Jane.
»Wer hat sie gefunden?«, fragte Lavelle.
»Raymond O’Loughlin. Er hatte mit ein paar Freunden gezecht und behauptet, als Kara nicht wie vereinbart zu ihnen stieß, sei er in die Galerie gegangen und habe die Leiche entdeckt. Er selbst war ziemlich zugerichtet – seine Nase war gebrochen, er war voller Blut und betrunken. Bei unseren Vernehmungen sagte dann ein Mann, mit dem er vorher zusammen gewesen war, O’Loughlin hätte in einer Toilettenkabine seine Freundin wüst am Telefon beschimpft. Ich muss sagen, als ich die Ausstellungsgegenstände sah… es hat ihn jedenfalls nicht unverdächtiger gemacht. Wir fanden außerdem eine gewisse Menge Drogen in der Wohnung der beiden und eine Reihe von Gegenständen, deren Natur man als satanisch oder okkult bezeichnen könnte. Wir haben ihn jedenfalls verhört, aber noch keine Anklage erhoben. Außer seinen Schuhabdrücken fanden wir in der Galerie noch Spuren, die jenen auf dem Fußboden in Ihrer Kirche ähnelten. In Blut. Gut sichtbar, den ganzen Weg bis zum Ausgang. Draußen hat dann der Regen alle eventuellen Spuren weggewaschen.«
»Was hat Raymond zu sagen?«, fragte Jane.
»Er sagt, dass ein Besucher eintraf, als Kara McVey gerade absperren wollte. Zu diesem Zeitpunkt hat er mit ihr telefoniert. Wir haben seine Anrufe überprüft, er hat tatsächlich in der Galerie angerufen. Aber mit wem hat er gesprochen? Wir können nicht wissen, ob sie es war. Andererseits musste der Mörder seine Aktivitäten abkürzen, was für O’Loughlins Darstellung sprechen könnte.«
»Was ist mit dem Zehnten Kreuzzug? Wo stehen Sie bei Ihren Ermittlungen?«, fragte Lavelle.
»Das scheint im Augenblick eine Sackgasse zu sein. Scotland Yard ist überzeugt, dass Turner von islamischen Extremisten getötet wurde.« Er sah Lavelle direkt an. »Wir könnten natürlich anfangen, jeden Moslem in Dublin zu vernehmen, aber das würde einigen politischen Aufruhr verursachen, wie sich denken lässt. Übrigens wird unser Freund Bonner bald entlassen. Wir werden ein Auge auf ihn haben.«
Lavelle zeigte sich wenig interessiert an der Nachricht über Bonner. Er wollte sichergehen, dass der Detective alles beachtete, was er und Jane gesagt hatten. »Hören Sie, Kevin, ich weiß, Sie versuchen zwei Morde aufzuklären, und Sie denken wahrscheinlich, dass dieses Weltuntergangszeug nicht Ihr Fach ist. Aber bedenken Sie immer, dass die beiden Gedichte auf der CD Hinweise zu den Morden enthalten. Es gibt noch ein drittes Gedicht, nicht wahr, Jane?«
»Worum geht es in dem?«, fragte Dempsey.
»So weit ich mich erinnere, geht es irgendwie um einen Turm«, antwortete Jane.
»Geben Sie uns Bescheid, wenn Sie Genaueres sagen können.«
»In Ordnung. Aber ich denke, eine entscheidende Frage haben wir bisher nicht gestellt.«
»Nämlich?«, fragte Dempsey.
»Was ist das Motiv dieser Leute? Warum führen sie diese Morde mit solcher Entschlossenheit aus? Dahinter muss irgendein Grundprinzip stehen. Ein Plan.«
»Ihrer eigenen Theorie zufolge reagieren sie auf verschlüsselte Botschaften auf diesem Album oder interpretieren sie.«
»Ich denke, das ist nur ein Teil des Ganzen. Das halbe Puzzle, wenn man so will. Vielleicht sollten Sie mit Becca de Lacys Leuten reden oder noch besser mit der Frau selbst, dann finden Sie zumindest heraus, ob sie weiß, was vor sich geht. Ich glaube, sie ist zur Zeit im Ausland, am besten, Sie setzen sich mit ihrer Plattenfirma in Verbindung. Ich kann Ihnen Namen und Telefonnummern nennen.«
»Ja gern, vielen Dank. Und keine Sorge, wir tun, was zu tun ist. Eins nach dem andern.«
Jane sah Lavelle an. »Das war’s dann wohl. Zeit zu gehen. Danke, Inspector.«
»Nennen Sie mich ruhig Kevin, Miss Wade.«
»Und Sie mich Jane.«
Sie standen eben alle auf, als Taaffe wieder hereinkam. Er ging zu Dempsey und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Die Spurensicherung hat bestätigt, dass die Stiefelabdrücke mit denen in der Kirche übereinstimmen«, sagte Dempsey laut. Taaffe sah vom Inspector zu den beiden und wieder zurück.
Er war augenscheinlich verärgert, dass sein Kollege vertrauliches Material an die beiden weitergab.
»Was meine Theorie bestätigt, dass der Mörder Galoschen getragen haben könnte«, fuhr Dempsey fort. »Denn es hat auch diesmal geregnet. Die Frage ist nun, wer heutzutage überhaupt noch Galoschen trägt.« Lavelle sah, dass Taaffe ernsthaft eingeschnappt war.
Dempsey sprach Jane und ihn an.
»Amerikanische Touristen?«, schlug Lavelle vor.
Dempsey holte geräuschvoll Luft. »Damit könnten Sie sogar Recht haben.«
In diesem Moment klappte Taaffe sein Notizbuch laut zu und sah Lavelle böse an.
Lavelle sah rot. Er beugte sich über den Tisch und nahm Taaffe scharf ins Visier. »Ich weiß, Sie hassen mich und wofür ich stehe. Aber darunter darf die Arbeit nicht leiden, die Sie tun müssten, nicht ich.«
»Wovon zum Teufel reden Sie, Mann?«
»Sie glauben, dieses Sektenzeug, das wir hier auftischen, ist nichts als ein Haufen Mist, oder?«
Taaffe grinste höhnisch und nahm sein Notizbuch zur Hand.
»Dann schlage ich vor, Sie nehmen mit dem FBI Kontakt auf«, sagte Lavelle und sah Taaffe unverwandt an.
»Was hat verdammt noch mal das FBI damit zu tun?«, sagte Taaffe und klang bereits weniger selbstbewusst.
»Vor ein paar Tagen wurde in den Staaten ein Mann namens Rawlings ermordet. Er war auf der Flucht vor den Hütern des Siebten Siegels. Damit hat das FBI zu tun.«
Lavelle machte auf dem Absatz kehrt und ging zur Tür, die er für Jane aufhielt. Mit Genugtuung vermerkte er, dass Taaffe wie vom Donner gerührt dastand, während Dempsey wieder Platz genommen hatte und sein Notizbuch hervorholte.
»Guten Abend, Inspector«, sagte Jane fröhlich. »Guten Abend, Sergeant«, fügte sie hinzu, streckte die Hand aus und hob Taaffes rote Krawatte an. »Keine gute Wahl – nicht zu diesem Hemd…«