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Auf dem Parkplatz blieben Lavelle und Jane noch kurz neben ihren Autos stehen, bevor jeder wieder seiner Wege gehen würde.
»Das haben Sie gut gemacht, da drinnen«, sagte Lavelle.
»Sie waren aber auch nicht schlecht.« Jane lächelte.
»Ich hätte wegen Taaffe nicht die Fassung verlieren dürfen. Ich hasse mich, wenn mir das passiert.«
»Er hat es darauf angelegt, und er musste wissen, dass Sie ihm gewachsen sind.« In Janes Stimme lag eine Spur Bewunderung.
»Dann bin ich also nicht in Ihrer Achtung gesunken?«
»Natürlich nicht, Dummkopf.« Sie ging zu ihm und küsste ihn auf die Wange. Als sie sich abwenden wollte, ergriff er ihre Hände und küsste sie; nur leicht strichen seine Lippen über ihre Finger.
»Wir sind ein gutes Team, oder?«, fragte er und sah ihr forschend in die Augen.
Jane rückte näher an ihn heran. »Als Hobbydetektive? Zweifellos.« Sie wusste, was er in Wirklichkeit meinte. Und er wusste, er musste die richtigen Worte finden.
»Und auch in anderer Hinsicht.« Er ärgerte sich über seine plötzliche Ausdrucksarmut. Aber Jane las in seinem Gesicht und antwortete, indem sie ihre Hände in die seinen verschränkte und noch näher kam. So standen sie einen Augenblick, bis er mit einer raschen Bewegung fest die Arme um sie schlang; sein Mund war dicht vor ihrem. Im Polizeirevier ging eine Tür auf und zu. Sie hörten Stimmen in der klaren Nachtluft näher kommen.
»Nicht hier«, flüsterte Jane. »Komm zu mir nach Hause.«
Jane hatte die Vorhänge in ihrem Wohnzimmer zugezogen und eine CD eingelegt. Draußen fuhr Lavelles Wagen vor, und als sie ihm die Tür öffnete, erklang im Hintergrund ein Sopran.
Er hatte unterwegs in einem Spirituosenladen Halt gemacht.
»Ich habe Brandy gekauft. Nach alldem brauchen wir etwas Stärkeres als sonst. Ich hoffe… du trinkst welchen.« Er war nun ein bisschen verlegen. Wie ließ sich der Augenblick von vorhin erneuern? Ging das überhaupt?
»Natürlich«, log sie, zum zweiten Mal in zwei Tagen.
»Mozart, ›Laudate Dominum‹… wundervoll«, sagte er, als er ins Wohnzimmer ging.
»Unglaublich, diese zwei Polizisten, oder?«, Jane ärgerte sich immer noch über die Skepsis der beiden. »Dempsey ist ganz in Ordnung, um gerecht zu sein. Aber ich glaube nicht, dass sie die Geschichte mit Becca de Lacy ernst nehmen.«
»Lass ihnen Zeit, es zu verdauen«, sagte er. »Sie müssen vieles überlegen. Übrigens, ich weiß ja, dass ich einen Aussetzer bei Taaffe hatte, aber was hat dich über seine Krawatte lästern lassen?«
»Ach… ich habe nur gehört, wie er schlecht über dich geredet hat, als ich von der Toilette zurückkam. Er hätte noch was ganz anderes verdient.«
»Weißt du, was ich getan habe, als du hinausgegangen bist? Ich habe zum Himmel hinaufgeschaut und Sirius dort oben funkeln sehen, so fern, so schön, und ich dachte… ich würde ihn gern vom Himmel pflücken und dir schenken.«
»Nur für mich. Mein eigener Stern. Und ich weiß, wo ich ihn aufbewahren würde.«
Sie hüpfte davon und kam mit Hazels Briefbeschwerer wieder. Sie kniete sich neben ihn, er konnte ihr Parfüm riechen. Ein lichtdurchfluteter Sommerweg.
»Ich würde ihn hier reintun. Das ist meine Sternfabrik, aber sie hat noch nicht einen produziert. Vielleicht braucht es ja einen richtigen Stern, damit sie in Schwung kommt. Oder der Hazel wieder zu mir führt.« Sie hielt den Briefbeschwerer in den gewölbten Händen und starrte hinein, ihre Augen schwammen in Tränen.
»Du vermisst sie sehr, oder?« Lavelle drückte sie an sich.
»Ja, ich vermisse sie schrecklich. Und ich mache mir Sorgen um sie, Liam, große Sorgen.« Sie schmiegte sich an seine Brust, fühlte sich beschützt, mochte seinen Geruch. Er spürte, wie sich ihre weichen Brüste an seinen Körper pressten.
In seinen Armen liegend, schloss sie die Augen, während der Chorteil des Stückes anschwoll und den Raum erfüllte. Lavelle bemerkte die winzigen Tropfen, die wie Tau auf ihren Wimpern lagen. Und auch in seinen Augen standen Tränen. Die Schönheit der Musik drang tief in seine Seele. In Zeiten wie diesen, wenn von seinem Glauben so gut wie nichts übrig war, konnten ihn die grandiosen Klanggebilde Mozarts über die Grausamkeit der Welt erheben und in die Nähe Gottes führen. Wenn ein Mensch zum Lob Gottes einen Freudengesang von solch sinnlicher und himmlischer Schönheit komponieren konnte, dann musste Er existieren. Das war natürlich mittelalterliches Denken, aber für den Augenblick genügte es ihm. Und dieses großartige, zitternde Geschöpf in seinen Armen. Auch dafür dankte er.
Jane bedeutete dieser Moment, dieses Jetzt, alles. Sie spürte seine Nähe mit jedem Nervenende ihres Körpers, und eine glückselige Schwere breitete sich in ihr aus.
Sie lauschten vereint, bis das Stück zu Ende ging, der Sopran hoch über den Chorstimmen geschmeidig wieder einsetzte und die letzten harmonischen Akkorde des »Amen« sie beide sanft in eine Stimmung schweigenden Nachdenkens trugen.
Sie hielten sich weiter an den Händen gefasst und starrten ins weiche Halbdunkel des Zimmers.
Aber Lavelle plagte noch eine Neugier. »Was genau hat Taaffe über mich gesagt?«, flüsterte er.
»Er sagte…« Jane spielte mit dem Gedanken, es zu beschönigen, aber dann beschloss sie, offen zu sein. »Er sagte: Wahrscheinlich bumst er die Frau, was das Zeug hält… ‹«
Lavelle kicherte.
Jane wandte ihm das Gesicht zu und sah ihm tief in die Augen.
»Hat er in die Zukunft gesehen?«, fragte sie.