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Ziemlich derbes Zeug für einen Priester, was?«
Taaffe hatte Dempsey das Schriftstück von Lavelle zurückgegeben, ohne es zu Ende zu lesen. Die beiden saßen in der Halle von Turners Hotel, mit Blick auf die Treppe und den Lift.
»Wie meinst du das?«
»Du weißt, wie ich über ihn denke. Und jetzt dieses ganze Geschwafel von Fotzen und Mösen. Vielleicht geht ihm einer ab dabei. Findest du es nicht ein bisschen komisch?«
»Ich habe ihn gebeten, uns seine Ideen mitzuteilen. Er wollte eigentlich gar nichts mit der Sache zu tun haben. Aber das hier ist seine ehrliche Meinung, und ich finde, die steht ihm zu. Er hätte auch um den heißen Brei herumreden können.«
»Gut, aber führt es uns irgendwo hin? Was mich angeht, macht es die ganze Sache nur noch verwirrender.«
»Das dachte ich zunächst auch. Aber jetzt… Jedenfalls sehe ich genau so wenig, welche Verbindung es zwischen einem Druiden, oder was dieser Mathers ist, und dem Mann geben soll, den wir jetzt treffen. Wenn überhaupt etwas, dann sind sie Gegensätze. Aber wie Lavelle sagt, bezieht das Ritual alle möglichen Traditionen mit ein. Hast du seine Schlussfolgerung gelesen?«
»Nein, erzähl sie mir. In leicht verständlichen Worten, wenn es geht.«
»Dass es eine Art Warnung ist.« Dempsey blätterte zur letzten Seite und zitierte: ›»Will man uns sagen, dass das kommende Frühjahr keine Zeit der Neubelebung, sondern des Welkens ist, nicht der Fruchtbarkeit, sondern der Sterilität, nicht der Auferstehung und des Versprechens ewigen Lebens, sondern des Todes und der Verzweiflung?‹«
»Na, das ist ja wunderbar, Kevin. Aber ich sag dir jetzt mal meine Interpretation von Lavelles Bericht, falls er überhaupt etwas wert ist – dass wir nämlich nach einem Haufen Verrückten suchen sollen, die sich als Hexen, Ayatollahs, Mönche oder weiß der Kuckuck was ausgeben. Wir brauchen nur die Läden zu überprüfen, die Theaterkostüme verleihen, und schon haben wir sie festgenagelt.«
Dempsey lächelte nachsichtig. »Schon gut, mach ruhig deine Witze, Jack. Aber mal im Ernst – lass uns die Sache nicht unnötig komplizieren. Eine Person könnte die Tat durchaus allein begangen haben. Gut, er hat vielleicht Verbindungen zu anderen, aber das verschleiert nur seinen wahren Plan. Mit anderen Worten, ein Psychopath, der ausführt, wovon andere in seiner Umgebung nur faseln. Wenn es so ist, dann suchen wir eindeutig nach einem religiösen Spinner, möglicherweise einem Priester oder einem Ordensmitglied, mit einer erheblichen sexuellen Störung, einem großen Frauenhasser –«
»Das trifft so ziemlich auf die meisten Priester Irlands zu, würde ich sagen. Keine große Hilfe.«
Wie konnte Taaffe nur so wild zwischen Verteidigung der Redefreiheit und den klischeehaftesten Vorurteilen hin und her pendeln? Dempsey überlegte, ob er etwas entgegnen sollte, aber er wurde langsam ungeduldig. Sie waren zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit in dem leicht schäbigen Hotel angekommen. Um fünf vor zwölf hatte Dempsey die Dame am Empfang gebeten, Turner anzurufen, dass sie hier seien.
»Mr Turner sagt, er duscht nur noch eben und kommt dann nach unten«, hatte sie beim Auflegen gesagt.
Seitdem hatte niemand den Lift benutzt. Sie hatten zwei Männer zusammen ins Hotel kommen sehen, die über die Treppe zu ihren Zimmern gegangen waren.
Taaffe redete immer noch.
»Angenommen, unser Gespräch mit Turner führt uns zu der Annahme, dass er tatsächlich mit dem Vorfall in Kilbride zu tun hatte – was dann?«
»Er ist nicht der Typ, der sich die Hände selbst schmutzig macht – falls er in die Sache verwickelt ist. Aber wenn er glaubt, dass der Zehnte Kreuzzug zu viel Druck bekommt, dann macht er es vielleicht wie mit Bonner und wirft den Täter den Wölfen vor. Er hat mit Sicherheit eine ganz gute Vorstellung davon, wer zu so etwas fähig wäre.« Dempsey sah wieder auf die Uhr. Es war fast halb eins. Er ging noch einmal zum Empfang.
»Sie haben vor etwa einer halben Stunde mit Mr Turner gesprochen. Er wollte nur noch duschen. Könnten Sie ihn bitte noch einmal anrufen?«
Diesmal gab ihm die Empfangsdame den Hörer, während sie die Zimmernummer wählte. Niemand ging ans Telefon. Hatte Turner beschlossen, sich vor der Befragung zu drücken? Aber wie hatte er das Hotel verlassen? Er ließ es noch eine Minute läuten, dann legte er auf. Hier stimmte etwas nicht. Er winkte die Empfangsdame zu sich, log ihr vor, er sei von Scotland Yard, und ließ sich einen Schlüssel für Turners Zimmer geben.
Er ging zum Aufzug, und während er wartete, rief er seinem Kollegen zu: »Jack, ich fahre rauf zu Turner. Warte hier und halt jeden auf, der aus dem Lift steigt oder die Treppe herunterkommt. Sag, du bist vom Yard.«
Im dritten Stock überprüfte er die Zimmernummern, dann wandte er sich nach links, stieg eine kurze Treppe hinab und bog rechts in einen schmalen Gang. Schließlich klopfte er an Turners Tür.
Keine Antwort. Der Fernseher im Zimmer dröhnte in voller Lautstärke. Er drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen.
»Mr Turner«, rief er, »ich bin Detective Inspector Dempsey. Bitte öffnen Sie die Tür.« Keine Reaktion. Er legte das Ohr an die Tür, hörte jedoch nur das Fernsehgerät.
Er sperrte mit dem Schlüssel auf und trat ein.
Gleich links war die Tür zum Bad. Sie war zu, aber er hörte die Dusche laufen. Auf den schmalen Gang folgte das Zimmer, ein Einzelbett linker Hand und genau vor ihm ein halb offenes Fenster, durch das Wind und Regen drangen, sodass sich der Spitzenvorhang nach innen blähte. Auf einem Brett hoch an der Wand stand der Fernseher, er schaltete ihn aus, damit er klar denken konnte.
Dempsey ging zum Fenster und schaute nach draußen. Etwa drei Meter tiefer lag ein Flachdach, das zu einem Anbau des Hotels zu gehören schien. Hatte sich Turner aus dem Staub gemacht? Als er sich vom Fenster wegdrehte, streifte der Vorhang seine Wange und hinterließ einen Tropfen Flüssigkeit auf der Haut. Dempsey wischte ihn ab. Es war Blut.
Er sah sich im Zimmer um. Kein Anzeichen von Unordnung. Er schlich zur Badezimmertür und öffnete sie vorsichtig.
Der Raum war voller Dampf. In der Duschkabine rauschte und gurgelte das Wasser. Unter Dempseys Füßen knirschte Glas. Langsam begann sich der Dampf zu verziehen und die Kabine wurde sichtbar. Die Schiebetür hing in einem komischen Winkel. Ein Schub frischer Luft wehte weitere Dampfschwaden beiseite, und jetzt sah er es, nur ein kurzes Stück vor ihm.
Turner saß nackt in der Duschwanne. Ohne Kopf.
Der Wasserstrahl aus der Dusche endete sprudelnd in einer großen, klaffenden Lücke zwischen seinen Schultern und ließ Blut an die Wände der Kabine spritzen.
Dempsey taumelte rückwärts zur Tür. Der Dunst hatte sich inzwischen fast ganz aufgelöst, und er sah Blutspritzer an den Fliesen, der Decke und dem Spiegel. Er blickte auf seine Füße hinab und stellte fest, dass er in den Glasscherben von der Spiegelablage stand, auf dem Boden lagen außerdem der Inhalt eines Waschbeutels und eine zerbrochene Brille.
Und noch etwas zog seine Aufmerksamkeit an. Er sah sich den Spiegel genauer an; eine Blutspur zerfloss langsam im ablaufenden Kondenswasser. Es sah aus wie arabische Schrift, geschrieben mit Blut. Aber er kannte sich zu wenig aus, um es mit Bestimmtheit sagen zu können. Und sie löste sich auf.
Nachdem sich der Nebel restlos geklärt hatte, entdeckte der Inspector weitere Anzeichen eines Kampfes. Das Handwaschbecken war gesprungen und blutverschmiert. Ganze Scherben waren abgebrochen und lagen mit dem restlichen Unrat auf dem Boden. Dort hatten sie Turner hingerichtet. Es mussten mindestens zwei Angreifer gewesen sein, einer, der ihm die Arme auf dem Rücken festhielt, während der andere ihm den Kopf ins Waschbecken drückte – die beiden Männer, die vorhin die Treppe hinaufgegangen waren!
Er riss Toilettenpapier von der Rolle und drückte es gegen den Duschhebel, um das laufende Wasser abzustellen. Der leicht schwammige Körper vor ihm füllte die Wanne fast vollständig aus. Aber wo war der…?
Der Toilettendeckel war zugeklappt, doch als Dempsey einen Schritt zurücktrat und genauer hinsah, merkte er, dass er nicht ganz auflag. Er holte einen Kugelschreiber aus der Innentasche seines Jacketts und ging in die Hocke. Mit Hilfe des Stifts hob er den Deckel wenige Zentimeter an, bevor er ihn rasch wieder fallen ließ. Unter dem Sitzrand, gerade noch sichtbar, baumelte ein leberfarbener Klumpen Etwas an einem gallertartigen Faden Blut.
Dempsey ging zurück ins Zimmer, um zu telefonieren. Er brauchte nicht weiterzusuchen.