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SIE SITZEN zusammen im türkischen Bad, sie haben sich vorher entkleidet und in blaue Leinentücher gewickelt, die die Brust gerade noch bedecken und bis zum Boden reichen. Sie sitzen in einer der Nischen in der lang gestreckten Säulenhalle und trinken starken Tee.
– Schau mal, sagt Katharina, das ist das Foto vom Gärtnerhaus, von dem ich heute Nachmittag gesprochen habe. Es zeigt den Zustand des Raums wenige Tage nach dem Tod des alten Gärtners. Der Raum ist fast leer, es gibt nur sehr wenige Dinge: Eine schmale Liege, einen rechteckigen Tisch mit einem Stuhl vor einem Fenster, einen runden Tisch mit zwei Stühlen auf der anderen Seite, einen alten Lesesessel und einen Bauernschrank. Kein Radio, kein Fernsehen, nichts. Gegessen hat er im Hotel, zusammen mit der Küchenbelegschaft, und gewaschen hat er sich ebenfalls im Hotel, in den Bädern im Tiefgeschoss. Der Raum des Gartenhauses war sein Rückzugsort, den niemand betreten durfte – außer einigen Verwandten, die ihn selten und nie zu mehreren besuchten. Dann servierte er seinem Gast an dem kleinen runden Tisch etwas Tee, aber niemals Kaffee und erst recht keinen Kuchen. Auch er selbst trank in seiner Enklave während des Tages ausschließlich Tee und abends Wein, also weder Kaffee, Bier noch ein anderes Getränk, selbst kein Wasser. Geschmückt war der Raum mit vielen Blumen, da siehst Du, überall stehen kleine Vasen und winzige Blumenkästen, im ganzen Raum duftete es wie in einem Treibhaus, aber nicht stickig, sondern frisch und belebend.
– Aber womit hat er sich abends die Zeit vertrieben?
– Ja, schau genau hin. Hier, an der hinteren Längsseite des Raums, verläuft ein kleines Regalbrett, auf dem sich etwa fünfzig Bücher befinden. Diese fünfzig Bücher waren seine einzige Unterhaltung, er hat immer wieder in ihnen gelesen und die Sammlung weder verkleinert noch vergrößert. Und auf beiden Seiten der kleinen Bücherreihe steht jeweils, schau ganz genau hin, eine Schwarz-Weiß-Postkarte. Eine Postkarte zur Linken, eine zur Rechten, gleichsam als Rahmung und Abschluss der Bücherreihe. Als ich mir die beiden Karten genauer anschaute, haben sie mich besonders verblüfft, ja, wahrhaftig, diese beiden Karten waren eine wirkliche Entdeckung. Plötzlich verstand ich, was für ein Mensch der alte Gärtner war. Niemand wusste viel über ihn, er hat sehr bescheiden und zurückgezogen gelebt. Beim Blick auf die beiden Karten aber wusste ich sofort mehr, und ich bereute es, dass ich mich während seines Lebens nicht häufiger mit ihm unterhalten hatte. Kannst Du erkennen, was auf den Postkarten drauf ist?
– Nein, nicht genau. Es sind Fotografien, nicht wahr?
– Ja, es sind Schwarz-Weiß-Fotografien. Die eine zeigt Nietzsches kleines Zimmer im Engadin-Ort Sils Maria, in dem Nietzsche eine Zeit lang während der Sommermonate lebte. Und die andere zeigt das Zimmer des Indianer-Häuptlings Red Cloud im Nordwesten der Vereinigten Staaten. Nietzsche und Red Cloud haben in diesen Zimmern genau zu derselben Zeit, nämlich in den letzten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts, gelebt. Die Wände und die Fußböden beider Zimmer sind aus Holz, und beide Zimmer sind sehr ähnlich eingerichtet: Eine Liege, ein paar Stühle, ein Tisch, mehr nicht – genauso wie das Zimmer unseres Gärtners. Ist das nicht verblüffend?
– Absolut. Und die fünfzig Bücher? Was sind das für Bücher?
– Es sind Gartenbücher, ausschließlich Gartenbücher. Bücher über Steingärten, Gräser, Chrysanthemen, Stauden, Obstbäume, Bücher über Pflege und Aufzucht all dieser Kostbarkeiten. Und es sind Bücher über Gärten anderer Kulturen, über asiatische, islamische, antike, mittelalterliche. Der Besitzer dieser kleinen, wunderbaren Bibliothek hat sich anscheinend nur für ein Thema wirklich interessiert. Dieses Thema aber war so grundlegend und erschöpfend, dass er sein ganzes Leben damit bestreiten konnte: ein Leben aus dem Garten, ein Leben, das anscheinend in seinem gesamten Verlauf nur vom Garten her gedacht wurde!
– Faszinierend, absolut faszinierend. Wenn ich diesen Mann gekannt und von diesen Hintergründen gewusst hätte, hätte ich einen Film über ihn gedreht.
– Ja, ich habe etwas ganz Ähnliches gedacht. Ich hätte mich gern lange mit ihm unterhalten und all diese Unterhaltungen aufgezeichnet, ich hätte ihm all sein geheimes Wissen entlockt.
– Wie schade, dass es dafür zu spät ist.
– Ja, das ist schade, aber ich habe immerhin dieses kleine Archiv retten können. Man wollte die Bücher und Postkarten nämlich für einen Spottpreis verscherbeln, man wollte sie loswerden. Das habe ich gerade noch verhindert, ich habe die Bücher und die beiden Karten gekauft, und nun stehen sie in meinem Geheimkabinett, in der Nähe meiner Karteikästen mit den Aufzeichnungen über die Lektüren der Kunden.
– Warum stellst Du sie nicht wieder im Gartenhaus auf? Warum richtest Du dort nicht wieder ein Regal mit wenigen Büchern ein?
– Genau das, Jule, habe ich vor. Ich werde ein Regal einrichten, mit den Büchern des alten Gärtners und mit ebenso vielen Büchern, die ich selbst ausgewählt habe. Das sind dann zwei kleine Sammlungen ausschließlich mit solchen Büchern, die einen am Leben erhalten und das gesamte Leben formen und prägen.
– Fangen wir doch gleich damit an, oder, noch besser:
Lass mich doch gleich damit anfangen! Das Tagebuch des japanischen Wander-Dichters, das Kopfkissenbuch und das Buch des treuen Sohnes, der seinen Vater während der letzten Tage seines Lebens pflegt – diese drei Bücher nehme ich gleich mit ins Gartenhaus und stelle sie dort auf. Einverstanden?
– Einverstanden. Hast Du schon ein paar Deiner Sachen hinübergetragen?
– Ja, einen Koffer mit meinen asiatischen Kleidungsstücken und den anderen kleinen asiatischen Mitbringseln.
– Und heute Nacht wirst Du den Raum weiter einrichten?
– Ja, heute Nacht werde ich den Raum einrichten, dann kann ich ihn morgen bewohnen.
– Dann wird dieser Raum Teil Deines Projekts.
– Richtig, er wird der zentrale Raum meines Projekts, Du wirst sehen.
– Komm, lass uns etwas von dem wohltuenden, eiskalten Wasser trinken, komm!
Sie stehen auf und gehen durch die Säulenhalle hinüber zu einem kleinen Brunnen. Das kalte Wasser fließt dort ununterbrochen in ein kreisrundes Becken, sie trinken beide davon und gehen dann weiter in einen dunkleren Kuppelsaal, wo sie die blauen Leinentücher ausziehen und sich gegenseitig mit warmem Wasser übergießen. Dann holen sie sich ein paar Badelaken, breiten die Laken auf einem breiten, gewärmten Podest aus und legen sich mit dem Rücken darauf.
– Jule, ich wollte Dich noch etwas fragen.
– Leg los.
– »Jules Archiv« …, ich meine die Sammlung, die Georg aus Deinen Kinderbeständen angelegt und dann ausgestellt hat – gibt es diese Sammlung noch?
– Aber natürlich.
– Und wo ist sie jetzt?
– Ich habe sie in einem Lager am Stadtrand von München deponiert.
– Schaust Du Dir die Sachen manchmal noch an?
– Alle paar Wochen bin ich dort.
– Und warum?
– »Jules Archiv« bestand, als Georg es ausstellte, aus meinen Kindersachen. Ich habe es seit der Ausstellung damals enorm erweitert, und zwar um all die Gegenstände und Dokumente, die mir später wichtig waren. »Jules Archiv« ist also inzwischen kein kleines, übersichtliches, begrenztes Archiv mehr, sondern, wenn Du so willst, das Archiv meines Lebens. Ich hebe beinahe alles auf, ich registriere und katalogisiere es.
– Was hebst Du zum Beispiel auf?
– Beinahe alles, was mir während eines Tages begegnet und in die Finger gerät, alles, was ich länger als nur einen flüchtigen Moment anfasse, betrachte oder berühre. Speisekarten, Tageszeitungen, Fahrpläne, natürlich auch Seiten, die ich aus dem Netz ausdrucke, alles eigentlich, was irgendeine Rolle in meinem Leben spielt.
– Und wirst Du das alles einmal öffentlich präsentieren?
– Nicht alles, aber vielleicht doch einen Großteil.
– Und wann? Und wo?
– Ich weiß es noch nicht, ich denke noch nicht an so etwas. Ich sammle und sammle, und ich sage Dir, dieses Sammeln ist für mich sehr wichtig. Ich habe das Gefühl, dass keine Minute meines Lebens verschenkt ist und dass alle Minuten in einer geheimen Beziehung zueinander stehen. Sie umspielen meine Lebensthemen, und diese Lebensthemen werden durch die Sammlungen immer deutlicher und erkennbarer. Die Sammlungen führen also dazu, dass ich konzentrierter und aufmerksamer lebe, die Sammlungen sind die Konzentrate meines Lebens, verstehst Du?
– Ja, sehr gut.
– Aber warum fragst Du danach?
– Einerseits, weil ich mich neulich durch Zufall an die Ausstellung von »Jules Archiv« erinnerte und mich fragte, was aus diesem Archiv geworden ist. Und andererseits, weil ich darüber nachdachte, ob ich nicht auch so etwas wie ein Archiv führe. Ich meine natürlich kein Archiv von der Art, wie Du es anlegst, ich meine mein eigenes, kleines Privatarchiv: die Sammlung meiner Lieblingsbücher und die Notizen, die ich über meine eigenen Lektüren und über die Lektüren der Gäste mache. Das alles ist in meinen Augen »Katharinas Archiv«. Ich habe erst spät, nämlich erst in meinen letzten Münchener Jahren, mit der Anlage eines solchen Archivs begonnen. Aber seit ich hier, auf dieser einsamen Insel, wohne, habe ich es enorm vergrößert.
– Du machst ein Geheimnis aus diesem Archiv, niemand darf es betreten und in Deinen Aufzeichnungen lesen.
– Ich habe noch eine gewisse Scheu, die Sachen jemand anderem zu zeigen, denn ich bin noch nicht überzeugt genug von dem, was ich schreibe. Manchmal finde ich alles auch vollkommen dilettantisch und ärgere mich über meine Unbeholfenheit. Ich schwanke also einfach noch zu sehr, ob ich die Texte aus der Hand geben kann.
– Aber mir, mir kannst Du sie doch zeigen.
– Nein, auch Dir kann ich sie vorerst noch nicht zeigen. Ich hätte dann Angst, etwas von mir preiszugeben, etwas, von dem ich nicht weiß, ob andere es wissen sollen.
– So intim sind Deine Aufzeichnungen?
– Nein, sie sind nicht »intim«, nicht in dem üblichen Sinn. Im Grunde sind sie sachlich, klar, es sind schlichte Beobachtungen. Und doch habe ich das Gefühl, dass auch in diesen einfachen Texten viel von meinem Seelenleben verborgen ist.
– Von Deinem »Seelenleben« …
– Ja, von meinem Seelenleben! Mach Dich nicht über mich lustig.
– Entschuldige, ich weiß natürlich, wovor Du zurückschreckst, mir geht es ja oft genauso, wenn ich etwas notiere oder wenn ich in einer Ausstellung meine Filme zeige.
– Na bitte.
Katharina dreht sich langsam vom Rücken auf den Bauch, legt die Arme eng an den Körper und schließt die Augen. Dann sagt sie:
– Es gibt einen Hotelgast, der mir auch von seinem Archiv erzählt hat. Das ist eine wirklich seltsame Sache, denn eigentlich braucht dieser Hotelgast einen Rat oder Hilfe.
– Möchtest Du mir davon erzählen?
– Ja, aber behalte es bitte für Dich.
– Ich schweige, Katharina.
Sie dreht sich ebenfalls auf den Bauch und schließt die Augen. Katharina spricht so leise, dass es beinahe schon ein Flüstern ist:
– Dieser Hotelgast hat vor einigen Jahren seine geliebte Mutter verloren, der Vater war bereits früher gestorben. Nach dem Tod der Mutter hat er sein Elternhaus kaum noch betreten, er hat vielmehr die Flucht angetreten, weil er es nicht ertrug, in den bekannten und vertrauten Räumen zu sitzen und durch jeden Gegenstand an die Mutter und die Eltern erinnert zu werden. Schließlich ist er aber doch wieder in sein Elternhaus zurückgekehrt. Und was hat er gemacht? Was stellst Du Dir vor, dass er gemacht hat?
Katharina richtet sich auf und schaut zu Jule hinüber.
– Er hat das Haus leer geräumt, antwortet Jule.
– Wie kommst Du denn darauf?
– Wenn ich in der Situation dieses Gastes wäre, dann würde ich das Haus leer räumen. Es gibt keine andere Lösung für das Problem.
– Richtig, er hat das Haus wahrhaftig leer geräumt.
– Und was hat er mit all den Sachen seiner Eltern gemacht? Er hat sie doch nicht etwa verkauft?
– Nein, er hat sie in einem Lager deponiert. Und dann hat er sein Elternhaus renoviert und neu eingerichtet.
– Sehr gut. Genauso hätte ich es wohl auch gemacht. Er hat sich von der Last der Dinge befreit, und er hat dem Elternhaus eine neue Gestalt gegeben. Wenn das alles aber so glücklich verlaufen ist, warum braucht er dann einen Rat oder sogar Hilfe?
– Es ist alles glücklich verlaufen, aber er wird die Erinnerung an die alten Dinge nicht los. Sie verfolgen ihn bis in seinen Alltag und bis in seine Träume, sie sind immer noch gegenwärtig. Er kann sogar seiner Arbeit nicht richtig nachgehen, weil sich die Dinge selbst noch in seine Arbeit einmischen.
– Was hat er denn für einen Beruf?
– Er ist … Bühnenbildner.
– Bühnenbildner? Im Ernst?
– Ja, er ist Bühnenbildner. Jedes Mal, wenn er sich an einen neuen Entwurf macht, fühlt er sich durch die Erinnerungen an das alte Haus und die alten Gegenstände blockiert. Das Haus und die Gegenstände – sie wollen auftreten, verstehst Du, sie wollen Rollen übernehmen, sie lassen sich nicht verdrängen oder vergessen.
– Oh mein Gott, ich verstehe, jetzt verstehe ich, um was es geht. Der Mann hat eine Art von Blockade, ja, so könnte man es wirklich nennen.
– Eine Art von Blockade, ja, so denke ich auch. Aber wie könnte man ihm helfen? Weißt Du einen Rat?
– Da muss ich eine Weile nachdenken, Katharina. Komm, gehen wir wieder hinüber in die große Halle, mir ist es hier jetzt zu warm.
Sie stehen beide wieder auf und übergießen sich mit kaltem Wasser. Dann reiben sie sich mit frischen Badelaken trocken, wickeln sich wieder in die blauen Leinentücher und gehen in die Säulenhalle zurück. Auf dem Weg dorthin trinken sie noch einmal von dem kalten Wasser, das weiter in das kreisrunde Becken des Brunnens schießt.
Sie strecken sich auf zwei bequemen Liegen aus, Jule schließt die Augen, während Katharina stumm vor sich hin starrt. Nach einer Weile setzt Jule die Unterhaltung fort:
– Mir geht da gerade noch etwas anderes durch den Kopf, Katharina.
– Und was?
– Ich dachte gerade an mein eigenes Archiv, und ich dachte daran, dass mir etwas Ähnliches ja auch hätte passieren können. Viele Dinge, die sich in diesem Archiv befinden, erinnern mich stark an Georg, ja das ganze Projekt erinnert natürlich an ihn. Und trotzdem hat mich dieses Projekt nicht beengt oder mir sonst zugesetzt. Und ich glaube, ich weiß auch, woran das liegt.
– Und woran liegt es?
– Ich habe die Dinge nicht irgendwo abgestellt, sondern ich habe ganz bewusst mit ihnen gearbeitet. Ich habe einen Katalog angelegt, jedem Ding eine Nummer gegeben, und jedes Ding kurz beschrieben. Viele von diesen Dingen habe ich in meine Arbeiten integriert, ich habe sie ausgestellt oder sonst etwas mit ihnen angefangen. Deshalb sind sie nicht zu einer toten, bedrohlichen Materie geworden, sondern zu einem Teil meines Lebens.
– Und das bedeutet?
– Man könnte meine Erfahrungen mit dem Archiv so nutzen, dass man daraus etwas folgert, ja, man könnte aus meinen Erfahrungen nämlich folgern, dass der Hotelgast sich bewusst mit seinem Archiv beschäftigen sollte.
Er sollte ihm nicht aus dem Weg gehen, sondern er sollte, genau anders herum, Kraft und Zeit in das Archiv investieren.
– Du meinst, er sollte einen Katalog anlegen, so wie Du es gemacht hast?
– Ja, zum Beispiel, warum nicht? Vielleicht sollte er die Objekte auch zeichnen, Objekt für Objekt, schließlich ist er Bühnenbildner, da fallen ihm solche Zeichnungen leicht und machen ihm vielleicht sogar Vergnügen. Wenn er die Dinge zeichnet, nimmt er Verbindung mit ihnen auf. Sie werden zu Spielformen, sie werden zu Dingen, die man in andere Zusammenhänge überführen und über die man fantasieren kann. Verstehst Du?
– Ja, ich verstehe, was Du meinst, und ich finde Deine Idee fabelhaft. Einen »Katalog« anzulegen – das würde also bedeuten: Nicht vor den Dingen davonlaufen, und sie auch nicht in einem Lager verstecken, sondern auf sie zugehen, sie wieder und wieder betrachten, sie in die Hand nehmen und sie dem eigenen, veränderten Leben einverleiben.
– Exakt, besser hätte ich es nicht sagen können. Man merkt sofort, dass Du in letzter Zeit viel notiert und geschrieben hast.
– Du sollst Dich nicht über mich lustig machen, ich habe es Dir schon einmal gesagt.
– Ach was, im Ernst: Du hast das Problem genau beschrieben, und Du hast auch die Lösung umrissen. Etwas Besseres fällt mir nicht ein.
Sie schweigen und schauen eine Weile vor sich hin, im Hintergrund ist das Plätschern des Brunnens zu hören. Dann richtet sich Jule auf und setzt sich seitlich auf ihre Liege:
– Katharina, bist Du mir böse, wenn ich Dich jetzt verlasse? Ich habe noch viel mit der Einrichtung des Gartenhauses zu tun. Die ganze Nacht wird dafür draufgehen.
– Aber nein, ich bin Dir nicht böse, mach Dich nur an die Arbeit. Wir sehen uns morgen früh wieder.
– Morgen ist mein letzter Tag, übermorgen fahre ich wieder nach München.
– Ich weiß, aber Du kommst ja schon bald wieder her, das ist doch das Schöne. Diese Insel hier wird Dir immer mehr ans Herz wachsen, erst recht jetzt, wo ein Gartenhaus auf Dich wartet.
– Du meinst, ich werde in Zukunft im Gartenhaus übernachten? Meinst Du das wirklich?
– Warten wir es ab, Jule, ich werde darüber nachdenken.
– Katharina, das wäre ein großes Glück. Ich wäre dann hier kein Hotelgast mehr, sondern ich wäre ein Bewohner der einsamen Insel.
– Richtig, dann wärst Du ein Bewohner, genauso wie ich.
– Bis morgen, Katharina.
– Bis morgen, Jule. Aber noch eins, ganz rasch, und zum Schluss: Der Hotelgast, von dem ich Dir erzählt habe … – er ist gar kein Bühnenbildner …, sondern …
– Moment, Katharina, einen Moment! Der Hotelgast ist gar kein Bühnenbildner? Er ist es nicht?! Dann ist er ein Schriftsteller, habe ich recht?
– Ja, Du hast recht.
– Ich habe es geahnt, ich hatte so eine dunkle Ahnung.
– Jetzt kannst Du sicher sein, jetzt weißt Du es. Entschuldige, dass ich geschwindelt habe, ich wollte, dass Du Dir den Fall überlegst, ohne an eine bestimmte Person zu denken.
– Ich denke immerzu an eine bestimmte Person, Katharina, da ist nichts zu machen, ich habe nämlich eine Blockade.
Sie lacht und steht auf. Dann gibt sie Katharina einen Kuss auf die rechte Wange und verschwindet. Eine Blockade, ja, denkt Katharina, jeder von uns dreien hat eine Blockade, so könnte man sagen. Vielleicht haben wir aber auch alle drei dieselbe Blockade, so könnte man vielleicht auch sagen. Ach, es ist zu kompliziert, ich blicke da nicht mehr durch.
Sie lächelt und schließt noch einmal für ein paar Minuten die Augen. Sie durchdenkt, was Jule gesagt hat, und sie überlegt, was sie Johannes gleich sagen wird. Es ist bereits spät, wahrscheinlich wartet er in der Hotelbar.
Sie steht auf, sie will ihn nicht zu lange warten lassen.