Eine Zeile die Mama, eine Zeile das Bubi
Hausübungen zu erledigen, ist für die meisten Schulanfänger eine lästige Sache. Und die Ansichten über das Maß an Richtigkeit, Vollständigkeit und Gefälligkeit dieser Arbeitsleistung sind in Taferlklasslerkreisen auch sehr verschieden.
Für berufstätige Mütter wird dieses Problem nicht zu einem enorm gravierenden. Natürlich schimpfen sie, wenn sie schlampige Hausübungshefte sehen, natürlich reden sie dem Kind gut zu, die Sache ernster und aufmerksamer zu tun, aber verantwortlich für die Taferlklasslerhefte fühlen sie sich nicht. Anders geht es in der Regel der Hausfrau. Sie neigt dazu, des Kindes Hausübungen in ihren Verantwortungsbereich einzubeziehen, und will sie genauso sauber und adrett erledigt wissen wie alle andere anfallende Arbeit.
Manche Hausfrauen haben ja nur reizende Kinder, die nach dem Mittagessen und einer kleinen Ruhepause brav Händchen waschen und dann ihr Hefterl aufschlagen und im Nu etwas hineinschreiben, was die Frau Lehrerin mit vielen Sternderln belohnen wird.
Etliche Mütter haben auch Knirpse, die beim Aufgabeschreiben in Tränen ausbrechen, weil ein i-Punkt nicht exakt über dem i steht.
Das ist zwar etwas lästig, aber getröstet und aufgerichtet kann so ein Mini-Ehrgeizling doch ziemlich leicht werden.
Die Mehrzahl der Hausfrauen jedoch hat Schulanfänger, die vergessen haben, was „auf ist“, oder nach zwei geschriebenen Zeilen den Stift wegschleudern oder nach jeder zweistelligen Zahl Wasser trinken wollen oder plötzlich vorgeben, nicht zu wissen, wie viel eins und eins sein könnte. Das treibt viele Hausfrauen nun vorschnell in Panik.
Nicht nur, dass sie sich beratend und drängend zum Kind setzen, dass sie diktieren, bei anderen Müttern nach der Aufgabe anfragen, sie verfertigen auch eigenhändig die „Zierleisten“ und üben sich in Kinderschriftfälschungen, nach dem Motto: Eine Zeile die Mama, eine Zeile das Bubi! Der unerwünschte Erfolg stellt sich bald ein.
Spätestens um Weihnachten herum kommt der Taferlklassler gelassen von der Schule heim und spricht: „Mama, heute hast du zehn Sätze auf!“
Kinder, auch die, die keine Aufgaben schreiben mögen, haben es halt so an sich, in aller Unschuld die Wahrheit zu sagen.